Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Weihnachtsfest in vielen Punkten ähnlich begangen wie heute. Die drei Stichworte sind Gottesdienst, Christbaum und Geschenke, wobei heute die Schwerpunkte meist anders verteilt sind als früher.
Für die Schulkinder begann das Weihnachtsfest um 1900 am Heiligabend um ½ 5 Uhr in der Schule. Sie trafen sich in einem Klassenzimmer, das mit einem Christbaum geschmückt war. Dort wurden gemeinsam Weihnachtslieder gesungen, und jedes Kind erhielt einen Lebkuchen und zwei “Springerle”. Während dieser Zeit schmückten die Eltern zuhause den Weihnachtsbaum beispielsweise mit Glaskugeln und Kerzen. Für die Kinder war das Betreten des “Weihnachtszimmers” streng verboten und deshalb der heimliche Blick durchs Schlüsselloch umso verlockender.
“Als es dann endlich so weit war”, betrat die ganze Familie das weihnachtlich geschmückte Zimmer. Man sang gemeinsam Lieder, und der Vater las die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vor. Danach wurde nochmals gesungen und gebetet, und das Nachtessen schloß sich an. Das “Christkindle” kam dann erst in der Nacht. Die Geschenke fielen bei weitem nicht so üppig aus wie heute. So bekamen die Mädchen z.B. eine Puppe. Im nächsten Jahr gab es dann als Weihnachtsgeschenk dieselbe Puppe mit neuen Kleidern. Manchmal erhielten die Töchter auch eine oder zwei “Zopfmaschen” (Haarschleifen) oder eine neue Schürze.
Der nächste Morgen begann für die katholischen Gemeindeglieder um fünf Uhr mit dem Engelamt, an dessen Stelle heute die nächtliche Christmette steht. Zwei Stunden später gingen die Katholiken zum Hirtenamt, und um neun Uhr versammelten sie sich zum Hochamt erneut in der Kirche. Beim Engelamt um fünf Uhr war es noch dunkel. Weil die Kirche nur vorne rechts und links spärlich erleuchtet war, brachten die Gottesdienstbesucher Kerzen mit, deren Schein die Kirche erhellte.

Abbildung 2: Oberkochen vor 1900