Auch in unserem Heimatdorf Oberkochen nehmen die Friedhöfe im Gesamtbild des heimatlichen Raumes ihren Sonderplatz ein und auch hier ist es wie anderswo, daß die Menschen immer wieder unter ihr Hasten und Jagen durch den Alltag hinein am Friedhoftor sich veranlaßt fühlen, halt zu machen, dort einzutreten und in stiller Besinnlichkeit an den Gräbern derer zu verweilen, die einmal zu ihnen gehört haben, die sie geliebt haben oder mit denen sie in Freundschaft verbunden waren. Der Friedhof ist Weihestätte, ist, wie der Volksmund so schön sagt »Gottesacker«. Er ist für alle die letzte Sammlungsstätte, heiliges Land, über welchem das große Schweigen steht, über deren Grabhügel aber auch die Hoffnung leuchtet auf die Erfüllung letzter Verheißung und wo Friede ist ob der großen Gerechtigkeit, die hier alle ohne Ausnahme sammelt. Ja – es ist eine eigene Sache um den Friedhof, er gehört zum heimatlichen Raum so wie die Häuser, die Straßen und Gassen. An ihm hat alles Anteil, die Lebenden und die Toten. Er ist Gemeinschaftsgut im wahrsten und weitesten Sinne des Wortes.
Darum war auch das Interesse der Bürger allgemein und groß, als man davon hörte, es bestehe die Notwendigkeit, einen neuen Friedhof anzulegen. Die Entscheidung ist gefallen und die Anlagearbeiten sind bereits im Gange. Wenn die Gemeindeverwaltung und der Gemeinderat sich für das Gewand Weingartens entschieden haben, so kann gesagt werden, daß damit eine wirklich gute Lösung gefunden ward, denn darüber herrschte die allgemeine Ansicht, daß nur ein Platz in Frage kommen könne, der nach Lage und Gestaltung höchstmöglichster Würde und Pietät entspreche.
Bei diesem Anlaß nun dürfte es nicht uninteressant sein, etwas zu lesen bzw. zu hören über die Geschichte der alten Friedhöfe in unserem Heimatdorf Oberkochen. Wir wissen aus geschichtlichen Berichten, daß ursprünglich die Friedhöfe grundsätzlich um die Kirchen herum angelegt waren. Diese Anlagen finden wir heute noch in vielen rein bäuerlichen Dörfern, besonders in Bayern. So war auch der erste Friedhof zu Oberkochen bei der katholischen Kirche angelegt. Frühere Spuren von Begräbnisstätten, sind, außer den aus der allemanischen Zeit an der Brunnenhalde gefundenen Gräbern, keine vorhanden. Nach der Reformation, etwa um 1582, legte die evangelische Gemeinde ihren eigenen Friedhof, ebenfalls bei ihrer Kirche an und zwar zwischen der Kirche und dem Gasthaus »Zum Hirsch«.
Während der Platz bei der katholischen Kirche genügend groß war und eine Raumerweiterung nicht nötig wurde durch Jahrhunderte, lesen wir über den Friedhof bei der evangelischen Kirche in einem Briefe des Klosterverwalters von Königsbronn, Hettler, vom 22. Juli 1773, daß der Friedhof dort viel zu klein sei und die Ausgrabungen zu früh stattfinden müßten. Der Verwalter schreibt: »Es hat uns der Pfarrer und Komunvorsteher zu Oberkochen, Württembergisch evangelischen Anteils, zu erkennen gegeben, daß der bei dieser Kirche befindliche Kirchhof, welcher nicht größer als ein halb Morgen ist, durch heurige und etlich währende Sterbefälle, so sehr zu klein sei, daß die letzten Leichen halbverwest ausgegraben wurden. Da nun solcher bei der Gemeind nicht nur, sondern auch dessen der katholischen Religion zugetane ellwangische Mitbürger, welche einen eigenen Kirchhof haben, aber ihren evangelischen Mitbürgern zur Leich gehen, vielen Anstoß geben und herzoglich gnädigster Verordnung zuwiderlaufen, so bitten wir flehentlich um Vergrößerung ihres Kirchhofs, weil wenn noch zwei Gräber voll seien, die Leichname nach sechs Jahren ausgegraben werden müßten«.
Daraufhin wurde der Bürger Johann Adam Grupp aufgefordert, seine alte Scheuer, die wir uns neben dem Hirschwirtsstadel und der evangelischen Kirche dem Kocher zu denken müssen, an die königsbronnische Herrschaft zu verkaufen. Grupp war einverstanden mit der Bedingung, daß er die Scheuer selbst abbrechen dürfe und 300 Gulden bekomme. Nach längerem Verhandeln erfolgte eine Einigung auf 230 Gulden und drei Schöffel Dinkel. Die Gulden bekam Grupp, jedoch lehnte die Rentkammer Stuttgart hinterher die drei Schöffel Dinkel ab. Ob diese, trotz wiederholter Bitten des Grupp, gegeben wurden, ist nicht vermerkt.
In dem dann gefertigten Erweitungsplan war festgelegt, daß eine Mauer zu ziehen sei bis an den Kocherfluß einerseits und andererseits bis zur Hirschwirtsscheuer. Die Mauer zum Kocher hin war 59 Schuh lang, 13 Schuh hoch und 2½ Schuh dick. Es heißt, daß der Kocher 7 Schuh tiefer als der Kirchplatz liege. Die Vergrößerung wurde durchgeführt und das Ganze hatte Quadratform.
50 Jahre später berichten die Gemeinderatsprotokolle schon wieder über eine Veränderung. Diesmal ging es um eine Verlegung beider Kirchhöfe, weg von der Kirche, nach einem Platze außerhalb des Dorfes. Es war das Jahr 1835, in welchem das königl. Oberamt eine allgemeine Verordnung hierzu erlassen hatte. Es mögen langwierige Verhandlungen u. Überlegungen gewesen sein, die dieser Verordnung gefolgt sind. Davon heißt es, daß die erste Verhandlung der evangelische Kirchenstiftungsrat unter Vorsitz des Pfarrers Kraus am 14. Mai 1835 geführt habe. Die Oberkochener ließen sich aber Zeit, denn erst 20 Jahre später wurde die Verlegung Wirklichkeit. Wir verstehen dieses Zögern und müssen uns denken, daß diese Verlegung unseren Vorfahren schwer gefallen ist, denn sie hatten eine hohe Auffassung von der »Gemeinschaft«, die für sie zusammen mit ihren Verstorbenen tiefsten Sinn hatte und diese Gemeinschaft sollte wie von alters her sichtbar sein. Da wo das Wort Gottes verkündet wird und die Lebenden sich zum Gebete sammelten, da wollten sie auch Gemeinschaft mit den Verstorbenen haben, also beim Gotteshaus.
Es kostete daher für die Behörden schon einen kleinen Kampf, bis ihre Verordnung befolgt wurde. Der evangelische Kirchhof am Bühl wurde, wie in den Berichten ersichtlich ist, im Jahre 1851 angelegt.
Die Verlegung des katholischen Kirchhofs nach der Rodhalde erfolgte 1856. Die Einweihung geschah durch Pfarrer Desaller und als erste sei dort eine Katharina Betzler, Wagners Witwe, beerdigt worden. Seit dieser Verlegung sind nun 100 Jahre vergangen an sich keine lange Zeit, aber bevölkerungsmäßig gesehen, war sie voll drängender Entwicklung, die jetzt wieder eine Neuanlage notwendig gemacht hat. Auch diese Neuanlage ist ein dorfgeschichtlicher Vorgang, über den einst unsere Nachfahren mit Interesse lesen werden, daß er im Jahre 1956 stattgefunden hat. Ungezählte Menschen werden aber ab diesem Jahre zum neuen Friedhof getragen werden. Mehr noch aber werden oft dorthin schreiten, um ihren Lieben und Freunden ein stilles Gedenken zu schenken an deren Gräbern. Er wird sein wie alle seine Vorgänger inmitten unseres heimatlichen Raumes, die Stätte der Gemeinschaft, des Friedens, des stillen Gedenkens und des Gebetes.
Franz Balle