Von den Sitten und Gebräuchen, wie sie im ganzen Schwabenland bekannt sind, hatten folgende auch in Oberkochen schon in frühen Zeiten ihren Platz. So das Brauchtum um die Weihnachts- und Neujahrszeit. Der Barbarabaum, der auf Weihnachten in den Stuben zum Blühen gebracht wird, der Nikolaus, der mit Knecht Ruprecht am 5. Dezember in den Abendstunden Nüsse, Apfel und auch eine Rute bringt. Die Anklopfet, von der man nicht mehr viel hört, war ein Bettelzug um Mehl, Schmalz und andere Gaben der armen Leute. Sie klopften an den Türen an und sangen ein Bettellied. Zur Zeit der Hafner bekamen die Kinder von diesen kleines Geschirr zum Spielen, die Buben dazu einen Kuckuck zum Pfeifen. In der Thomasnacht, 21. Dezember, gossen die jungen Leute Bleifiguren, aus denen sie ihre Zukunft lesen wollten. In den zwölf Nächten, vom 24. Dezember bis zum Dreikönigstag, legten die Bauern Zwiebeln in Salz auf den Fenstersimsen. Blieb die Zwiebel trocken, bedeutete es einen trockenen Monat, wurde sie feucht, war es ein nasser Monat. So erforschten sie im voraus das Wetter der kommenden zwölf Monate. Am Dreikönigstag schrieb der Hausvater an alle Türen des Hauses den Anfangsbuchstaben der Heiligen Drei Könige zum Schutz vor Unheil. Die Faschingszeit hatte ihren Gumpendonnerstag, den rußigen Freitag und den schmalzigen Samstag. An diesen Tagen trieb die Jugend allerlei Schabernack untereinander. Sie schlugen sich mit Knüppeln und beschmierten sich mit Ruß und Schmalz. In der Nacht zum 1. Mai steckten die Burschen ihren Liebsten einen Maien. Am Tage vor der Hochzeit fand der sogenannte Polterabend statt. An ihm brachten die Verwandten, Freunde und Bekannte der Braut allerlei Geschenkgegenstände für die Küche. Die Schenker wurden mit Salzkipfes, Emmentaler-Käs und Bier bewirtet. Bei den Hochzeiten ging es hoch her. Dem Hochzeitszug voraus spielte Musik und von der Rodhalde her krachten die Böller. Die jungen Burschen trachteten am Abend die Braut zu stehlen und der Bräutigam mußte scharf aufpassen, denn ein Wiedereinholen kostete einen Batzen Lösungssumme. Die Verwandten und Bekannten, die zum üblichen Geldschenken an den Brauttisch traten, durften aus dem Weinglas der Brautleute einen Schluck trinken. – Bei den Taufen trug die Hebamme das Kind zur Kirche. Neben ihr schritt im Festkleid die Dote (Patin), voraus der Kindsvater und der Dot im Frack und Zylinderhut. Ganz früher spielte auch die Musik voraus, ebenso fehlte nicht das Festschießen. Wie überall in der Gegend trugen auch in Oberkochen die Bauern und Bäuerinnen ihre Tracht. Sie bestand beim Bauern aus einem dunkelblauen Rock, roter Weste mit Silberknöpfen, Schuhe mit Silberschnallen. Auf dem Kopf trugen sie einen Dreispitz. Die Frauen hatten ihren weiten Faltenrock mit schwarzem Mieder und um die Schultern ein seidenes Tuch. Den Kopf bedeckte eine Haube mit breiten Bändern über den Rücken hängend.
Die Sichelhänge und die Flegelhänge wurden gefeiert, wenn die letzte Garbe eingeführt oder die letzte gedroschen war. Hierbei soll es auch vorgekommen sein, daß nach etlichen Maß Bier ein begeisterter Knecht aufstand und eine Rede hielt, in welcher er die Freude an der Schnitterarbeit in schöner Sommerzeit lobte und feierte. Einer im alten Schweizerhof soll dabei sein Schlußwort zusammengefaßt haben in dem Ausruf „Hinnen (er meinte im Dorf) hat es geregnet und draußen hat man sammeln können (im Buchenwang) hoch lebe der Herrgott und der Bauer. An der Straße nach Unterkochen beim heutigen Bahnübergang liegt der sagenumwobene Hügel – die Weil –. Daß dieser Hügel einmal eine Bedeutung gehabt hat, kann seiner Lage wegen angenommen werden. Mauerreste beim Pflügen beweisen, daß dort einmal ein Gebäude gestanden hat. Die Sage spricht von einem Kirchlein das dort um das Jahr 1000 gestanden haben soll. Zur Zeit der Römer mag dort ein Zwischenkasten gestanden haben. Die Lage wäre sicher geeignet gewesen, doch ist urkundlich darüber nichts berichtet.
Das Hirtenwesen hatte in früheren Zeiten eine besondere Bedeutung auch im Gemeindeleben von Oberkochen, denn das meiste Vieh war den größten Teil des Jahres auf der Weide. Daß die Hirten, die das ganze Jahr und Tag und Nacht in der Einsamkeit der Weideplätze lebten, nur mit ihrer Herde und der Natur umgingen, besonders geartete Menschen, sogenannte Originale, waren, läßt sich leicht denken. In Oberkochen erzählte man sich noch vor 50 Jahren manches von ihnen. Besonders waren es die Hirten auf der Bilz, dem Riesenhau, dem Wollenberg und der Büchelesplatte, auch auf der Rodhalde. Auf der Bilz lebte auch der bekannte Waldhüter, der Bilzmärte. Die Grundmauern seines kleinen Hüterhauses sind auch noch heute sichtbar. – Vom Wollenberg hat sich die Sage vom Schäfer am Wollenberg erhalten. Derselbe habe dort sein Weib erschlagen und die Leiche in das Wollenloch geworfen. Die Pantoffel der Schäferin seien dann an der Quelle beim Ziegelhof am Fuße des Wollenbergs angeschwemmt gekommen. – Der Schäfer habe sich der Strafe durch Flucht ins Bayrische entzogen.
Die frühere Kapelle zum Wiesenherrgott war umrankt von wunderbaren Gebetserhörungen. Die Sage vom Engelstein ist mit ihr verbunden. In der Nacht vor einem Wallfahrtstag soll dort ein Engel in weißem Gewand erschienen sein, der segnend seine Hände über das Kochertal ausgebreitet habe. An diesem Tag, dem 17. Juli, kamen früher viele Jahre hindurch vom Härtsfeld Wallfahrtszüge zur Kapelle und die Menschen legten in tiefer Gläubigkeit ihre Nöte und Anliegen zu den Füßen des gegeißelten Heilands nieder. Aber auch die Oberkochener pilgerten zu allen Zeiten gerne zu ihrer Wiesenkapelle.
Sagenhaft erscheint auch die Erzählung von der Grenze, die der Katzenbach zwischen dem ellwangischen und dem Königsbronner Dorfteil gewesen sein soll. Hierfür liefern die alten Urkunden keinen Beweis. Wer die in diesem Büchlein aufgezeigten Lehensgüter ihrer Lage nach verfolgt, stellt fest, daß die Königsbronner und Ellwanger Untertanen zu allen Zeiten im ganzen Dorf verstreut wohnten. Auch die Grenze, die im Hirsch mitten durch die Wirtsstube gegangen sein soll, müssen wir in das Reich der Sagen tun. Der Inhalt des auf einem früheren Blatt verzeichneten Aalener Protokolls aus dem Jahre 1749 gibt vielleicht eine kleine Deutung über diese vermeintlichen Grenzen unseres alten Dorfes, insbesondere der Wirtsstubengrenze. Es war wohl eine Grenze die menschlicher Eifer und menschliches Irren unserer Vorfahren geschaffen hatte. Man setzte sich nicht zum andern, weil er königsbronnisch war oder umgekehrt, weil der andere ellwängisch war, dazu kam noch der Religionsunterschied. So mag jeder Teil seinen eigenen Tisch mit der Zeit gehabt haben und die künstliche Grenze war geschaffen, von der man sich heute noch zu erzählen weiß.
Einer weiteren Sage nach soll im Bereich der Oberkochener Markung auf der Waldkuppe des Zollhauses links der Straße nach Königsbronn gegenüber dem Seegartenhof in vorgeschichtlicher Zeit eine Flieh- und Wehrburg errichtet gewesen sein. Die heute noch verschiedentlich sichtbaren Spuren haben Ähnlichkeit mit den Anlagen am Rosenstein. Der Platz bot eine gute Übersicht über das Tal. Auch soll von dort ein unterirdischer Gang zum Griebigstein geführt haben.
Die Gräben und Steine an der Borzelhalde am Eingang des Tiefentales sind ebenfalls auf einstige Befestigungen aus frühgeschichtlicher Zeit hindeutend. Zu einer späteren Zeit soll auf der Burghalde beim Ziegelhüttenhof ein Wehrturm gestanden sein, in den bei Gefahr die Hirten mit ihren Tieren in Sicherheit flüchteten.
Franz Balle