Wissen um eine Begräb­nis­stät­te, zu der wir unsere Verstor­be­nen tragen, um sie dort zu bestat­ten, ist das Wissen um eine Tatsa­che, der niemand auszu­wei­chen vermag. Keiner ist davon ausge­nom­men, einmal am Ende seiner irdischen Pilger­fahrt nach dorthin seinen letzten Gang zu tun wie es der Volks­mund nennt. In den Akten und Urkun­den der Behör­den und auch in den Zeitun­gen ist dieser letzte Gang aber verzeich­net mit dem Namen »Leichen­be­gäng­nis«. Die bevor­ste­hen­de Einwei­hung unseres neuen Fried­hofs am Weingar­ten mag es nicht unberech­tigt erschei­nen lassen, auch an dieser Stelle über Leichen­be­gäng­nis­se zu Oberko­chen in alter und neuer Zeit etwas zu sagen.

Oberkochen

Die Leichen­be­gäng­nis­se in der Form, wie wir sie seit jeher kennen, haben geschicht­lich eine lange Herkunft. Es ist daher kein Wunder, daß sich manches aus dem großen Schatz von volks­from­men Brauch­tums im Laufe vieler Jahrhun­der­te den Leichen­be­gäng­nis­sen zugesellt hat, manches aber auch wieder ausge­schie­den ist. Jeden­falls ist bezeugt, daß die Sorge um eine würdi­ge Bestat­tung der Verstor­be­nen schon unsere Vorfah­ren in ältes­ten Zeiten eine große Herzens­an­ge­le­gen­heit gewesen ist. Wir lesen, daß diese Sorge schon in vorchrist­li­cher Zeit eine Sache nachbar­li­cher Hilfe war. Schon bei den Germa­nen war die würdi­ge Bestat­tung des Nachbarn religiö­se Pflicht. Das Chris­ten­tum erhielt die Bestat­tungs­pflicht in ungebro­che­ner Geltung, gab ihr aber eine höhere Weihe dadurch, daß es das Geden­ken für den Verstor­be­nen im Gebete einschloß. Unter anderem kannte man im Mittel­al­ter den Toten­grä­ber nicht. Die jüngs­ten Männer der Nachbar­schaft mußten das Grab machen. Über die ganze Zeit, in der sie gruben, läute­te vom Kirch­turm eine Glocke. An manchen Orten soll mit allen Glocken geläu­tet worden sein. Weiter­hin ist uns etwas bekannt von den sogenann­ten Toten­bret­tern. Auch bei unseren Vorfah­ren in Oberko­chen hatten sie ihre Bedeu­tung. Auch hier wurde der Tote auf einem Brett zum Fried­hof getra­gen. Der Sarg wurde erst um 1700 eingeführt.

In unserer Dorfge­mein­de gab es aber auch Zeiten, in denen das alther­ge­brach­te Leichen­be­gäng­nis nicht statt­fin­den konnte. Wir wissen von den Pestzei­ten, die alles norma­le Leben lahmge­legt hatten. Nur bei Nacht und in größter Eile geschah in solchen Zeiten die Bestat­tung der Toten. Außer­dem mag die Zeit der konfes­sio­nel­len Strei­tig­kei­ten für unsere Vorfah­ren eine recht schmerz­li­che Angele­gen­heit gewesen sein. Darüber weiß uns die Dorford­nung aus dem Jahre 1749 zu berich­ten. Religiö­se Heißspor­ne hatten es in ihrem Streit soweit gebracht, daß in Oberko­chen viele Jahre kein Leichen­zug mehr durch die Straßen gehen konnte. Ein Leichen­be­gäng­nis ohne Geist­li­chen war nicht denkbar und gerade den Geist­li­chen im Ornat galt der Haß der Heißspor­ne, und zwar gegen­sei­tig. Erst als sich die ellwän­gi­sche und die königs­bron­ni­sche Regie­rung der damali­gen Zeit für Ordnung und Frieden einge­setzt hatten, konnten auch die Leichen­be­gäng­nis­se in ihrer alten Form wieder abgehal­ten werden. Während dieser Streit­pe­ri­ode konnten die Leichen nur bei Nacht auf den Fried­hof gebracht werden und bei der Bestat­tung am anderen Tage konnten nur die Angehö­ri­gen dabei sein.

Oberkochen

Aus späte­rer Zeit wissen wir, daß es im alten bäuer­li­chen Oberko­chen Brauch und Sitte war, daß bei Leichen­be­gäng­nis­sen für einen Bürger oder eine Bürgers­frau, aus jedem Hause des Dorfes jemand teilnahm. Man empfand das gerade­zu als eine Verpflich­tung, von der sich niemand frei fühlte. Daß der Sarg von den Nachbarn oder auch von weitläu­fi­gen Verwand­ten getra­gen wurde, war eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Den Leichen­wa­gen kannte man noch nicht. Dieses Tragen war eine Ehren­sa­che. Wenn wir heute bei Leichen­be­gäng­nis­sen hin und wieder sehen, daß der Tote von Freun­den oder Mitglie­dern eines Vereins getra­gen wird, dann ist dies nichts anderes als ein von ehedem übernom­me­ner Rest an Brauch­tum, mit dem eine beson­de­re Ehrung ausge­drückt sein soll.

Eine wirklich schöne Sitte war die, daß früher die Träger den Sarg vor der Kirche für wenige Minuten abstell­ten, soweit der Leichen­zug an der Kirche vorbei mußte. Bei Begräb­nis­sen für kleine Kinder trug in frühe­rer Zeit die Hebam­me, mitun­ter auch die Patin, das kleine weiße Särglein auf dem Kopfe mit einem Bausch. Wie bereits erwähnt, hat die Kirche schon in frühes­ter Zeit das Geden­ken im Gebete für die Verstor­be­nen einge­führt. Daher ist bei katho­li­schen Begräb­nis­sen auch heute noch der ganze Begräb­nis­gang von gemein­sam, laut gespro­che­nen Gebeten und geist­li­chen Liedern gleich­sam umrahmt. Bei den Begräb­nis­gän­gen der evange­li­schen Chris­ten spricht der Geist­li­che die Gebete und die Teilneh­mer sprechen sie im Stillen mit. Soweit ein Kirchen­chor teilnimmt, singt er am Hause, an dem der Tote vom Geist­li­chen abgeholt wird. Auch am Grabe singt der Chor. Dieser Brauch besteht in beiden Kirchen gleich. In neuerer Zeit kommt es auch vor, daß Musiker zum Spielen von Chorä­len bestellt sind.

Das Leichen­be­gäng­nis begann früher, wie dies auch heute noch der Fall ist, mit dem Abholen des Sarges am Hause. Nach einem kurzen Gebete des Geist­li­chen setzt sich der Leichen­zug in Bewegung. Vor dem Sarg trägt ein Nachbars­bub das Grabkreuz mit einem schwar­zen Flor umhan­gen. In frühe­ren Zeiten gingen vor dem Sarg auch noch Schul­kin­der, geführt von ihrem Lehrer. Bei den Leichen­be­gäng­nis­sen zum katho­li­schen Fried­hof tragen Minis­tran­ten das Kreuz und zwei schwar­ze Fahnen voraus. Auch hinter dem Sarg geht ein Träger mit einer schwar­zen Kirchen­fah­ne. Am Grabe angelangt nimmt der Geist­li­che die Einseg­nung des Grabes vor und spricht nach Versen­kung des Sarges die nach dem kirch­li­chen Ritus vorge­schrie­be­nen Gebete. Drei Schau­feln Erde gibt die Litur­gie der Kirche dem Toten in die Gruft und läßt Ihn selbst sprechen:

»Aus Erde hast du mich gebil­det, mit Fleisch hast du mich umgeben mein Erlöser erwecke mich wieder«. Ähnlich ist die Formel der evange­li­schen Kirche. Gebräuch­lich sind auch heute noch kurze Grabpre­dig­ten, wobei der Geist­li­che im Anschluß an seinen religiö­sen Predigt­in­halt einige Lebens­da­ten aus dem Leben des Heimge­gan­ge­nen bekannt gibt. Nach den kirch­li­chen Handlun­gen treten die Angehö­ri­gen des Heimge­gan­ge­nen und nach ihnen die anderen Trauer­gäs­te an das Grab und bespren­gen den Sarg noch einmal mit Weihwas­ser. Am Grabe eines evange­li­schen Chris­ten werden Blumen in das Grab gewor­fen als Ausdruck letzten Abschieds. Verei­ne und Organi­sa­tio­nen, denen der Verstor­be­ne angehör­te, legen Kränze nieder und lassen ehren­de Nachru­fe aussprechen.

Noch über viele alte Sitten und Bräuche, die einmal um das Begräb­nis­we­sen, auch in unserem Heimat­ort, bestan­den haben, könnte geschrie­ben werden. Weniges davon hat sich bis in unsere Zeit herein erhalten.

Drei davon, die uralt sind, sollen hier noch kurz genannt sein. Es sind dies: die Hauswa­chet, das Leichen­sa­gen und der Leichen­schmaus. Solan­ge der Tote im Hause lag, gewöhn­lich drei Tage, fanden sich am Abend die Nachbarn und die Verwand­ten ein und beteten eine Stunde lang knieend für die Seelen­ru­he des Verstor­be­nen. Noch vor wenigen Jahrzehn­ten hat dieser Brauch bestan­den. Ganz früher sollen nach der Betstun­de die Anwesen­den mit einem Schluck Bier und einem Stück­lein Kipfes beschenkt worden sein. Wenn die Schei­dungs­glo­cke verstummt war, die den Tod eines Dorfbür­gers verkün­det hatte, machte sich der Leichen­sa­ger auf den Weg und sagte auf den umlie­gen­den Dörfern bei Bekann­ten und Verwand­ten den Begräb­nis­tag an, etwa mit folgen­dem Sprüch­lein: »Übermor­gen vergräbt man (z. B.) den Wieden­hof­bau­ern zu Oberko­chen, wann Ihr gern zur Leich ganga tätet«. Der Ansager bekam dann gewöhn­lich etwas Mehl, Brot oder auch Geld. — Der Leichen­schmaus als Abschluß des Leichen­be­gräb­nis­ses hat brauch­mä­ßig auch heute noch seinen Platz bewahrt. Vettern und Basen treffen sich mit den Angehö­ri­gen des Heimge­gan­ge­nen im Gasthaus. Meistens gibt es dabei Bier, Bratwürs­te und Wecken.

Über kleine Spässe, die beim Schmau­se schon vorge­kom­men sein sollen, gehen manche Anekdo­ten um.

Heute sehen wir an dem Brauch­tum um das Leichen­be­gäng­nis manches verrin­gert, auch einfa­cher, aber immer noch ist es ein Ausdruck von Pietät und Würde und damit ein Bestand­teil unserer Kultur.

Franz Balle

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