Der Schrei­ber der Frühge­schich­te unseres Landes­teils Württem­berg vermerkt, daß hier zuerst kelti­sche Völker­schaf­ten, Stammes­ver­wand­te der Bewoh­ner von Galli­en, dem heuti­gen Frank­reich, gelebt haben. Um das Jahr 60 v. Chr., der Zeit, als die Römer in unsere Gegend kamen, fanden diesel­ben unter den deutschen Völker­schaf­ten auch den Stamm der Sueben vor. In unserer Gegend aber lebten damals die Marko­man­nen, die den Römern auswi­chen und nach Böhmen zogen. Die verlas­se­nen Gebie­te sind dann, so wird berich­tet, von Kolonis­ten aus Galli­en besie­delt worden (Kelten sowohl als links­rhei­ni­schen Germa­nen). Wann aber die erste Ansied­lung auf dem Fleck­chen Erde, das heute unsere Heimat ist, statt­ge­fun­den hat, kann uns niemand sagen. Wenn wir in den verschie­de­nen frühge­schicht­li­chen Darstel­lun­gen unserer Zeit lesen, daß Aalen und Heiden­heim einst feste Römer­plät­ze waren, und daß der heuti­ge württem­ber­gi­sche Raum im Jahr 9. n. Chr. von aller­lei Volk überflu­tet gewesen sein soll, wenn wir weiter erfah­ren, daß sich in der Umgebung dieser Römer­plät­ze damals bürger­li­ches Leben entfal­tet hat und man damit begann, das Land zu bebau­en, dann möchte man vermu­ten, daß sich zu dieser Zeit auch an den Kocher­quel­len Menschen seßhaft gemacht haben. Funde von römischen Münzen bestä­ti­gen diese Vermu­tung. Da wir aber keine Urkun­den besit­zen, wollen wir uns nicht bei Vermu­tun­gen aufhal­ten, zumal auch berich­tet ist, daß die ersten Ansied­lun­gen zuerst in den klima­tisch milde­ren Gegen­den statt­ge­fun­den haben.

Bestimm­te­re Anhalts­punk­te für Ansied­lun­gen im Raum unserer Markung liefern Funde von Reihen­grä­bern im Jahre 1920 in der Brunnen­hal­de und später im Dreißen­tal. Diesel­ben stammen aus der Zeit nach den Römern, etwa dem 4. — 8. Jahrhun­dert, der Aleman­nen­zeit. Es ist überlie­fert, daß die damals schon christ­li­chen Aleman­nen den neuen Glauben auch in den Tälern unserer Gegend verbrei­tet haben. Sie kam unter Karl dem Großen im 8. Jahrhun­dert unter fränki­sche Herrschaft, welche ihr Gebiet in Gaue einteil­te. Die Markung Oberko­chen gehör­te zum Albgau, der Teile des Brenz­ta­les, des Kocher­ta­les und des oberen Remsta­les umfaß­te. Kirch­lich gehör­te dieser Gau teilwei­se zum Bistum Konstanz und teilwei­se zum Bistum Augsburg.

Bei unserem weite­ren Suchen nach dem Anfang der Dorfwer­dung unserer Heimat begeg­nen wir auch einer inter­es­san­ten Darstel­lung in dem von Karl Weber im Jahre 1924 heraus­ge­ge­be­nen Buch »Wirtschafts­ge­schich­te«. Eine schema­ti­sche Darstel­lung zeigt hier die Anlage der Dörfer nach germa­ni­scher Siedlungs­form. Es sind fünf Ringe. Im ersten Ring liegen die Gebäu­de, das eigent­li­che Dorf, im zweiten das einge­zäun­te Garten­land (die Wurt), im dritten das Acker­land, im vierten die Weiden (Allmen­de) und im fünften der Wald. Es heißt dann, daß jedem Dorfge­nos­sen der gleiche Anteil an Garten- und Acker­land zugeteilt war. Jede Haushal­tung hatte das Recht, gleich viel Vieh auf die Weide zu treiben, ebenso das Recht auf Holzschlag im Walde. Auch an der Streu- und Schwei­ne­mast­nut­zung waren alle zu gleichen Teilen berech­tigt. Das ganze Zuberech­tig­te hieß »Hufe« (Mitha­ber). Der Berech­tig­te galt als »Hüfer«. Das Bewirt­schaf­tungs­sys­tem war die Dreifelderwirtschaft.

Oberkochen

Wald und Ödland gehör­ten nicht dem Dorfver­band allein, sondern einem Verband mehre­rer Dörfer, der sogen. »Markge­nos­sen­schaft«. Zu einer solchen Markge­nos­sen­schaft gehör­ten, wie aus alten Urkun­den entnom­men sein will, die Dörfer Unter­ko­chen und Oberko­chen. Nach Weber liegt der Anfang dieser Markge­nos­sen­schaf­ten im Dunkel. Sie sind jedoch älter als die politi­sche Eintei­lung des Landes in Gaue durch die Karolin­ger im 8. Jahrhundert.

Wenn wir wissen, daß die Dreifel­der­wirt­schaft bis in die jüngs­te Zeit in unseren Tälern die Regel war, wenn außer­dem urkund­lich die Wichtig­keit der Weide­wirt­schaft berich­tet ist, und rund um das Dort an den Hängen, soweit man sie vom Dort aus sehen kann, die Waldun­gen als Realbe­rech­ti­gun­gen heute noch bestehen, dann darf man vermu­ten, daß auch Oberko­chen zu den Dörfern gehört, die einst nach altger­ma­ni­scher Siedlungs­form angelegt worden sind, zumal es sich bei dem heuti­gen Realbe­sitz um jene Waldun­gen handelt, in denen die Hüfner früher zum Holzschlag berech­tigt waren. Im Jahre 1866 wurde der bis dahin im recht­li­chen Eigen­tum der Gemein­de stehen­de Realbe­sitz von seinen öffent­li­chen Lasten durch Ablösung befreit und priva­tes Eigen­tum. Die Zahl der Realbe­rech­tig­ten betrug damals 124, die Ablösungs­sum­me 16000 Gulden.

Wie schon oben erwähnt, gehör­te Oberko­chen zur Zeit Karls des Großen zum Albgau. Wenn auch urkund­lich über das Vorhan­den­sein einer Ansied­lung aus dieser Zeit nichts vorliegt, kann die Vermu­tung nicht von der Hand gewie­sen werden, daß eine solche schon da war. Der Karolin­ger­zeit folgte ab 917 in unserem Raum die Zeit der Schwa­ben­her­zö­ge. Im Herzog­tum Schwa­ben lag die Führung der Unter­be­zir­ke bei den Grafen, und hier stoßen wir etwa um das Jahr 1100 n. Chr. auf die Grafen von Dillin­gen, die sich Grafen im Brenz­gau nannten. Bei der bayeri­schen Stadt Dillin­gen über der Donau stand einst ihr Stamm­schloß. Diese Grafen von Dillin­gen sind erstmals als Grund­her­ren des Dorfes und der Güter zu Oberko­chen genannt. Ihr ausge­dehn­ter Grund­be­sitz und ihre engen Bezie­hun­gen zum Kloster Ellwan­gen brach­ten es mit sich, daß sie im Jahre 1240 die Hälfte des Dorfes samt Gütern diesem Kloster schenk­ten. Die andere Hälfte des Dorfes kam durch die Gräfin Wille­burg von Dillin­gen an deren Gemahl, den Grafen Ulrich von Helfen­stein Blaubeur­e­ner Linie. Das Stamm­schloß der Helfen­stei­ner stand bei Geislin­gen an der Steige. Von dem Helfen­stei­ni­schen Besitz kam dann im Laufe der folgen­den Jahre ein Teil durch Kauf und Schen­kung ebenfalls an das Kloster Ellwan­gen, sodaß dieses um das Jahr 1519 zwei Drittel des Dorfes besaß. Von dem Güter­wech­sel der damali­gen Zeit ist u. a folgen­des berichtet:

1341 verkauft Ulrich v. Roden zwei Güter an das Kloster Königs­bronn
1363 verkauft Fritz v. Scharen­stet­ten Güter an das Kloster Königs­bronn
1356 schenkt Ulrich Vetzer einen Teil seines Besit­zes dem Kloster Ellwan­gen
1358 verkauft Herr v. Ketten­burg seine Güter an das Kloster Königs­bronn
1436 verkauft Ulrich v. Scharen­stet­ten seinen Besitz an das Kloster Ellwan­gen mit der Bedin­gung, daß dessen Sohn Thomas in seinem Haus auf Lebzei­ten verblei­ben darf,
1501 und 1519 verkau­fen die Herren von Horkheim und Emmers­ho­fen ihren Besitz an das Kloster Ellwan­gen
1492 verkauft die Witwe Dinars v. Roden alle Güter samt Mühle und Fisch­was­ser an das Kloster Ellwangen.

Zur Darstel­lung des Besitz­wech­sels sei erklä­rend bemerkt, daß die Helfen­stei­ner ihren Besitz zu Oberko­chen an verschie­de­ne Ritter als Lehen verge­ben und zum Teil auch verkauft hatten. Von den zu Oberko­chen geses­se­nen Rittern sind urkund­lich genannt:

1331 Johann von Kochen,
1351 Ulrich von Kochen,
1382 Hans von Kochen,
1414 Jörg und Behrin­ger von Kochen,
1421 Burkhardt von Kochen und
1575 Werner von Kochen.

Einigen Besitz hatten auch die Stadt Aalen und Aalener Bürger. Es wird leider nichts darüber berich­tet, auf welchem Platz das Haus der Ritter zu Oberko­chen gestan­den hat, vermut­lich in der Nähe der katho­li­schen Kirche. Jeden­falls ist nach den urkund­li­chen Berich­ten festge­stellt worden, daß zu Anfang des 16. Jahrhun­derts (1519) zwei Drittel des Besit­zes zu Oberko­chen der Ellwan­ger Grund­herr­schaft und ein Drittel der Königs­bron­ner Grund­herr­schaft gehört haben. Diese Besitz­tei­lung, die in ihrer Entwick­lung schon zu Anfang des 14. Jahrhun­derts begon­nen hatte, brach­te für das Gemein­de­le­ben eine erschwe­ren­de Beson­der­heit mit. Einer Doppel­herr­schaft unter­stellt, hatte es durch Jahrhun­der­te zwei Ratszim­mer, zwei Schult­hei­ßen und zwei Gemein­de­ver­wal­tun­gen. Zwei Herrschaf­ten mit beson­de­ren Verwal­tun­gen regier­ten über ein damals durch­aus geschlos­se­nes kleines Bauern­dorf mit arron­dier­ter Markung. Oft standen zwei Meinun­gen neben- und gegen­ein­an­der mit entspre­chen­den wirtschaft­li­chen Inter­es­sen­rich­tun­gen, die sich im engen Dorfraum stießen und rieben.

In politi­scher und religiö­ser Hinsicht hatte der Königs­bron­ner Dorfteil eine reiche Bewegung durch­zu­ma­chen. Dieses Drittel teilte überwie­gend schon ab 1363 das Schick­sal des Klosters Königs­bronn. Letzte­res, zur Herrschaft Heiden­heim gehörig, kam 1448 an Württem­berg, 1450 an Bayern und kurz darauf unter Herzog Ulrich wieder an Württem­berg. Ulrichs Nachfol­ger, Herzog Chris­tof, führte ab 1553 in seinem Gebiet die Lehre Luthers und eine neue Verwal­tung ein, also auch in dem Königs­bron­ni­schen Dorfdrit­tel von Oberko­chen. Zum politi­schen und wirtschaft­li­chen Doppel­le­ben des Dorfes kam nun noch die Religi­ons­spal­tung, welche die Reibun­gen zwischen den beiden Herrschafts­ge­bie­ten nicht verhin­der­te, was aus dem sogen. Aalener Proto­koll, von dem in einer späte­ren Fortset­zung zu lesen sein wird, entnom­men werden kann.

Franz Balle

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