Zeit vor der Reformation
Von jeher war Oberkochen ein herrschaftlich geteiltes Dorf. Ab etwa 1350 gehörten zwei Drittel zum damaligen Benediktinerkloster und späteren Chorherrenstift Ellwangen, ein Drittel war im Besitz des Zisterzienserklosters Königsbronn, das im Jahre 1534 nach wechselvollem Schicksal an das Haus Württemberg fiel. Sofort unternahm Herzog Ulrich von Württemberg den Versuch, in seinem neuen Herrschaftsgebiet die Reformation durchzusetzen. Während Ellwangen bis auf einen kleinen Zeitabschnitt im Dreißigjährigen Krieg immer katholisch blieb, wurde 1536 die Gegend um Heidenheim evangelisch. Damit ist schon das früheste Datum genannt, das als Zeitpunkt der Reformation in Oberkochen in Frage kommt. Was in Heidenheim schnell gelang, führte in Königsbronn jedoch zu Schwierigkeiten. Die dortigen Zisterziensermönche wehrten sich einige Jahre erfolgreich gegen die Reformation; so daß deren Kloster erst im Jahre 1553 durch Herzog Christoph von Württemberg evangelisch wurde.
Wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt kam dann auch der Königsbronner Teil Oberkochens zum lutherischen Glauben. Leider ist es nicht möglich, das Datum der Reformation in Oberkochen exakt anzugeben, denn die Quellen liefern in diesem Punkt widersprüchliche Informationen. In jedem Fall war Oberkochen ab 1553 nicht nur politisch, sondern auch religiös ein geteiltes Dorf, in dem etwa 500 Personen wohnten; davon waren zwei Drittel katholisch, ein Drittel gehörte der evangelischen Konfession an. Der Fortgang der Geschichte zeigt, daß weniger aus der politischen, als vielmehr aus der religiösen Trennung verschiedene Probleme erwuchsen. Schon die damaligen Zeitgenossen hatten erkannt, daß die Existenz solch kleiner kirchlicher Simultanverhältnisse schnell zu Schwierigkeiten führen könnte. Deshalb wurde im Augsburger Religionsfrieden von 1555 (knapp 40 Jahre nach Luthers »Thesenanschlag«) neben vielen anderen Dingen die Problematik kirchlicher Simultanverhältnisse (»paritätische Gemeinden«) behandelt. Das Vorhandensein verschiedener Konfessionen in ein- und demselben Ort war nach diesem Vertrag nur in Frei- und Reichsstädten erlaubt. Dabei wurden nur Konfessionen zugelassen, die in der entsprechenden Stadt schon zum Stichdatum 1552 (Passauer Vertrag) existiert hatten. Das bekannteste Schlagwort des Augsburger Religionsfriedens lautet: »cuius regio, eius religio«. Frei übersetzt: »Wer regiert, bestimmt die Religion der Untertanen«. Allerdings wurde nicht genau definiert, was »regio« bedeutet, oder anders gesagt, wer in einem Territorium »regiert«, in welchem die Herrschaftsrechte gespalten sind. Für die Klärung dieser Frage wurde Oberkochen zu einem Präzedenzfall. Die hohe Gerichtsbarkeit über das gesamte Dorf hatte Ellwangen inne, die niedere Gerichtsbarkeit dagegen lag im jeweiligen Ortsteil bei Ellwangen bzw. bei Königsbronn.
Kurz nach 1580 wurde die Absicht bekannt, Königsbronns evangelische Filialgemeinde in Oberkochen zu einer eigenständigen Pfarrei zu erheben, eine Kirche zu bauen und gleichzeitig eine evangelische Schule zu errichten. Dem Inhalt des Augsburger Religionsfriedens zufolge hätte der Propst von Ellwangen seine Zustimmung zu diesem Vorhaben geben müssen, was jedoch nicht geschah; möglicherweise wurde er überhaupt nicht gefragt. So kam es zum Rechtsstreit vor dem Reichskammergericht, dem damals höchsten deutschen Gericht, das sich zu dieser Zeit in Speyer befand.
In diesem Reichskammergerichtsprozeß stand zunächst ein spezielles Oberkochener Problem zur Klärung an. Es ging um die Frage des Standortes der Kirche. Der katholische Propst von Ellwangen behauptete, daß ein Teil des Kirchbaugrundstücks zum katholischen Ortsteil gehöre. Damit hätte er sehr einfach die Unrechtmäßigkeit des Kirchbaus beweisen können. Der Königsbronner Abt versicherte dagegen, daß das Bauland rein evangelisch sei. Es stand Aussage gegen Aussage, und es fand sich kein rechtskräftiger schriftlicher Beweis, der Licht in diese Angelegenheit hätte bringen können. Erst nach 18 Verhandlungsjahren mit verschiedenen Lokalterminen und Zeugenbefragungen in Oberkochen gelangte das Gericht zu der Überzeugung, daß das Bauland doch ganz evangelisch gewesen sei. Danach verlagerte sich der Rechtsstreit auf eine wesentlich abstraktere Ebene: Nun wurden Grundsatzfragen des Augsburger Religionsfriedens diskutiert.
Der katholische Propst von Ellwangen vertrat dabei vor Gericht folgenden Standpunkt:
- Verschiedene Konfessionen dürfen, wenn überhaupt, nur in Frei- oder Reichsstädten vorhanden sein. Man müsse sich deshalb im kleinen Oberkochen für eine der beiden Konfessionen entscheiden.
- Da er als Propst die hohe Gerichtsbarkeit über den ganzen Ort innehabe, stehe ihm auch das Recht zu, die katholische Konfession im gesamten Dorf durchzusetzen.
Der Abt von Königsbronn argumentierte entgegengesetzt:
- Durch den Augsburger Religionsfrieden sei es möglich, daß es beide Konfessionen in einem Ort gäbe, wenn damit zunächst auch nur Frei- und Reichsstädte gemeint seien.
- Er als Abt von Königsbronn habe die niedere Gerichtsbarkeit über seinen Ortsteil, und daran hänge nach seiner Ansicht auch das »ius reformandi«, also das Recht, die Reformation durchzuführen.
Auffällig ist, daß die Existenz verschiedener Konfessionen in Oberkochen nicht schon direkt nach der Reformation (also spätestens im Jahre 1553) zu Auseinandersetzungen geführt hat, sondern erst einige Jahrzehnte später im Zusammenhang mit der Selbständigkeit der evangelischen Filialgemeinde und dem damit verbundenen Kirchenbau. Das Reichskammergericht mußte sich zwischen den eben skizzierten Positionen des katholischen Propstes und des evangelischen Abtes entscheiden. In der Frage der Existenz verschiedener Konfessionen in einem Ort neigte es eher der Argumentation Ellwangens zu, also der Auffassung, daß es in Oberkochen nur eine Konfession geben dürfe. Das Problem, ob das »ius reformandi« an der hohen oder an der niederen Gerichtsbarkeit hänge, wurde im Verlauf des Rechtsstreites jedoch nicht geklärt, und damit blieb auch die Frage offen, ob die evangelische Konfession in Oberkochen rechtsmäßig sei. Nach über vierzigjähriger Dauer verlief sich der Prozeß im Sande, ohne entschieden worden zu sein. Beide Seiten hatten jegliches Interesse an der Sache verloren, weil die Existenz einer eigenständigen evangelischen Pfarrei in Oberkochen, in der bereits der neunte Geistliche wirkte, schon jahrzehntelang Realität geworden war.
Trotz des schwebenden Gerichtsverfahrens wurde ab 1580/81 der Bau der ersten evangelischen Kirche in Oberkochen vorangetreiben und abgeschlossen; auf diese Weise stellte man das Gericht vor vollendete Tatsachen. Es ist in den Quellen überliefert, daß zu Ostern 1583 Oberkochens erster Pfarrer, der aus Stuttgart stammende Ulrich Nicolai, in der neuen Kirche predigte. Der Pfarrer war zugleich Mesner und Lehrer. Bis 1936 lassen sich in Oberkochen Kirchengeschichte und Schulgeschichte kaum voneinander trennen, weil der Unterricht in Pfarr- bzw. Bekenntnisschulen stattfand. Darüber wird in der »Geschichte der Oberkochener Schulen« (V. SCHRENK) näher berichtet. Wie sah das neue Gotteshaus aus, um das im 16. und 17. Jahrhundert so lange gestritten wurde? Es ist eine Zeichnung aus dem Jahre 1857 erhalten, das die zu diesem Zeitpunkt 275 Jahre alte Kirche zeigt. Sie stand genau auf dem Platz, auf welchem sich heute die alte evangelische Kirche von 1875 befindet.
Sie war ziemlich klein, und der Kirchenraum lag etwa einen Meter unter dem Straßenniveau. Das hatte zur Folge, daß Wasser in das Gotteshaus eindrang. Deshalb befand sich die Kirche von Anfang an in baulich schlechtem Zustand. Es ist ein Grundelement der vierhundertjährigen Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde Oberkochens, daß das Gotteshaus renoviert, ausgebessert oder umgebaut werden mußte.
Die erste Kirche war ein »Mehrzweckbau«. Der niedere Kirchenraum bildete das Erdgeschoß. Im ersten Stock des Gebäudes befand sich die Pfarrwohnung, die aus zwei beheizbaren Stuben, drei nicht beheizbaren Kammern und einer Küche bestand. Als Abschluß nach oben folgte ein Statteldach mit einem kleinen Dachreiter für die Glocken. Die Glochenseile führten vom Dachreiter mitten durch das Schlafzimmer des Pfarrers hindurch nach unten. Auf eine Kirchturmuhr wurde verzichtet. Im Hof hinter der Kirche standen eine Scheune, ein Schweinestall und ein Backhäuschen. Das Trink- und Brauchwasser mußte die jeweilige Pfarrfamilie aus dem nahen Kocher holen. Ihre Wohnräume dienten zugleich als Schulzimmer.

Das 17. und 18. Jahrhundert
Um das Jahr 1634, also etwa 50 Jahre nach der Investitur des ersten evangelischen Pfarrers in Oberkochen, erreichte die Front der Kampfhandlungen des Dreißigjährigen Krieges (1618−1648) unser Gebiet. Das hatte für den gesamten Ort verheerende Folgen: die Einwohnerzahl sank durch die Kriegswirren von 500 auf weniger als ein Viertel. Erst 100 Jahre später hatte Oberkochen den alten Bevölkerungsstand wieder erreicht. Ab 1635 gab es keinen evangelischen Pfarrer mehr im Dorf, und für einige Jahre wurde die evangelische Gemeinde mit Königsbronn zusammen sehr wahrscheinlich wieder katholisch. Erst 1659 zog erneut ein evangelischer Theologe auf. Bis zum Ende des Jahrhunderts wechselten dann die Geistlichen in rascher Folge. Sie blieben im Durchschnitt nur drei Jahre, bis sich ihnen eine lukrativere Stelle bot. Sie waren in dieser Zeit fast alle kaum mehr als 20 Jahre alt, weil damals bestenfalls ein ganz junger Pfarrer ohne Familie und ohne große Ansprüche von dieser Pfarrstelle existieren konnte.
In den Quellen finden sich immer wieder Klagen über die schlechte Bezahlung der evangelischen Geistlichen in Oberkochen. Auch das ist durch mehrere Jahrhunderte ein konstantes Element in der Geschichte der hiesigen Pfarrei. Verglichen mit etwa gleich großen Gemeinden, gehörte diese Pfarrstelle zu den am schlechtesten bezahlten im weiten Umkreis denn die Höhe der Bezahlung hing vom Reichtum der Gemeinde ab, und Oberkochen war sehr arm. Es kam sogar vor, daß ein Pfarrer seine neue Stelle in Oberkochen wegen Armut der Gemeinde nicht antreten konnte. Die Pfarrbesoldung bestand zum größten Teil aus Naturalien: Der Geistliche bekam verschiedene Getreidesorten, Wein, Holz und nur wenig Bargeld. Diese Art der Bezahlung war allgemein verbreitert und wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein fast unverändert beibehalten.
Während der Vakatur nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte man die Kirche unter großen finanziellen Anstrengungen renovieren lassen. Doch schon bald wurden neue bauliche Maßnahmen notwendig. Immer wieder ist von Wasserschäden die Rede.
In den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts erhielt Oberkochen eine eigene evangelische Schulmeisterstelle. Der Lehrer hatte zusätzlich des Mesneramt zu versehen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Pfarrer zugleich Mesner und Lehrer gewesen.
Aufgrund der konfessionellen Teilung kam es verschiedentlich zu Reibereien zwischen dem katholischen und dem evangelischen Bevölkerungsteil. Um die komplizierte Situation zu klären und die Rechte und Pflichten aller Beteiligten im Dorf schriftlich niederzulegen, handelten im Jahre 1749 Vertreter Ellwangens und Württembergs (als Besitzer Königsbronns) in Aalen einen umfassenden Vertrag aus, der den Namen »Aalener Protokoll« trägt. Neben verschiedenen Dingen des täglichen Lebens nahmen dort kirchliche Fragen einen breiten Raum ein. Einige Passagen seien zur Illustration wörtlich zitiert. So heißt es etwa im 2. Abschnitt (5.) des Aalener Protokolls: »Was die Einsegnung der Ehen, auch Begräbnisse der Toten anbelangt, da will man … geschehen lassen, daß jeder Geistliche zu Oberkochen seiner Religion anverwandten Ehen in seiner Kirche einsegnen… möge, da ferner aber Eheleute diverser Religion sein sollten, könnte es mit solchem, was die Taufe … betrifft, wie bisher dabei gelassen werden, daß (dies) in derjenigen Kirche verrichtet werden möge, unter deren Herrschaft die Leute wohnen.«
Dieser Passus bedeutet, daß Eheschließungen und Begräbnisse entsprechend der Konfession der Personen vom katholischen bzw. evangelischen Geistlichen durchgeführt werden sollten. Im Falle gemischt-konfessioneller Ehen war die Religionszugehörigkeit der Kinder festgelegt durch den Wohnsitz der Eltern. Wenn die Familie im ellwangischen Teil Oberkochens wohnte, sollten die Kinder katholisch sein, im anderen Falle waren sie evangelisch zu taufen. Ein anderer Passus lautet (12.):
»Das Mittagläuten der Evangelischen zu Oberkochen soll in Zukunft eine Viertel Stunde vor Zwölf Uhr geschehen, mithin von den Evangelischen daselbst zu derjenigen Zeit wo von den Catholicis zum Mittaggebet um 12 Uhr die Glocken angezogen werden, nicht mehr zu gleicher Zeit geläutet werden.« Die Evangelischen mußten also ihr Mittagläuten eine Viertelstunde vorverlegen, damit es nicht das Mittagläuten und Gebet der Katholischen störe.
Solche und ähnliche Einzelbestimmungen des Vertrages wurden zusammengefaßt zu folgender Regel (14.):
»Bei öffentlichen Andachtsübungen soll alle Ungebühr auf beiden Seiten sorgsamst abgewendet werden.«
Jeder soll also die Konfession und die Religionsausübung des anderen respektieren und nicht stören.
Besonderen Schutz genossen die beiden Pfarrer, deren Dienst in einem religiös geteilten Ort nicht immer einfach war. Die Geistlichen sollten auf diese Weise vor Übergriffen geschützt werden. Der Vertrag legte auch fest, unter welchen Bedingungen z.B. der evangelische Pfarrer ein katholisches Haus betreten durfte (und umgekehrt) und ob er dabei in voller Amtstracht zu erscheinen hatte oder nicht.
Entwicklung nach 1803
Eine einschneidende Änderung ergab sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses brachten letztlich das Ende des Stifts Ellwangen. Seine Besitzungen und damit auch der katholische Teil Oberkochens fielen an das Haus Württemberg. Diese »Verwaltungsreform« entschädigte Württemberg für den Verlust verschiedener Landstriche und ließ viele kleine und kleinste »Staaten« von der deutschen Landkarte verschwinden. Die bürgerliche Gemeinde Oberkochen gehörte danach verwaltungsmäßig zum Oberamt Aalen, die evangelische Kirchengemeinde dagegen war, wegen ihrer engen Verbindung zu Königsbronn, Teil des Dekanats Heidenheim. Erst im Jahre 1813 korrigierte ein königlicher Erlaß diese Situation. Zu jenem Zeitpunkt wurde die evangelische Kirchengemeinde in das 1807 gegründete Dekanat Aalen integriert, das heute 40 000 Personen in 25 Gemeinden umfaßt. In der Zeit nach 1583 war die Kirche äußerlich nicht wesentlich verändert worden. Nur im Hof hinter dem Gotteshaus hatte man zusätzlich kleine Stallungen und eine Waschküche errichtet. 1825 ersetzte die Gemeinde den alten Dachreiter durch einen kleinen Holzturm, in welchem drei Glocken aufgehängt wurden. Für die Musik im Gottesdienst stand eine kleine, reparaturbedürftige Orgel zur Verfügung. Der Pfarrer bekam, nachdem er seit einigen Jahren vom Schul- und Mesnerdienst befreit war, neue Betätigungsfelder zugewiesen. Er hatte den Hof Niesitz, ab 1846 auch den evangelischen Bevölkerungsteil in Ebnat und ab 1848 denjenigen in Waldhausen kirchlich mitzuversorgen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts häufen sich in den Quellen die Klagen über den extrem schlechten baulichen Zustand von Kirche und Pfarrwohnung. Unter großen finanziellen Anstrengungen ließ die Gemeinde 1858 das Gotteshaus renovieren und innen mit verschiedenen Bildern ausmalen. Ende des Jahres 1858 wurde eine größere Orgel gekauft. Um Platz für das neue Instrument zu schaffen, mußte das Kircheninnere teilweise umgebaut werden. Im Sommer 1859 gab die Gemeinde weitere Bilder zum Schmuck des Gotteshauses in Auftrag. Allerdings senkten sich nun Teile der Decke. Der tragende Balken war angefault, weil es in der Kirche stets stickig und feucht war. Außerdem war es ungünstig, daß sich die Pfarrwohnung direkt über dem Kirchenraum befand. Besonders die ständige Feuchtigkeit in der Küche im ersten Stock hatte der Kirchendecke schweren Schaden zugefügt. So war es unumgänglich geworden, große Teile der Kirchendecke herunterzubrechen und neu zu bauen. Danach mußte das Gotteshaus im Inneren nochmals renoviert werden. Doch weil der Kirchenraum nach wie vor einen Meter unter dem Straßenniveau lag und ständig feucht war, riß die Serie der Reparaturen nicht ab. Deshalb reifte nach 1870 der Entschluß, das alte Gotteshaus abzubrechen, völlig neu zu erbauen und gleichzeitig ein separates Pfarrhaus zu errichten. Die Grundmauern der alten Kirche blieben als Fundament für die neue erhalten, man hob aber den Kirchenraum auf die Höhe der Straße an. Schon bald traten auch bei dem neuen Gotteshaus die ersten größeren Schäden auf: Wieder spielte eindringendes Wasser eine unheilvolle Rolle. Ins Jahr 1900, in welchem die katholische Schwestergemeinde ihre neue Kirche einweihte, fiel die nächste gründliche Renovierung.
Die evangelische Kirchengemeinde im 20. Jahrhundert
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg umfaßte die evangelische Kirchengemeinde Oberkochens 265 Personen, davon nahmen durchschnittlich 60 an den Gottesdiensten teil. Der Erste Weltkrieg hatte auf das Leben der Kirchengemeinde keine tieferen Auswirkungen. Der Gottesdienstbesuch steigerte sich in den ersten Kriegswochen zwar stark, doch bald ging das Leben wieder seinen gewohnten Gang. Nach dem Krieg mußte die Gemeinde ihr Geläute wieder vervollständigen, weil die beiden kleineren Glocken des Metalls wegen beschlagnahmt worden waren. Im Jahre 1921 konnten zwei durch Spenden finanzierte Glocken gekauft und im kleinen Holzturm aufgehängt werden.

1926/27 mußte das undichte Kirchendach gedeckt werden, weil erneut Feuchtigkeit in das Kircheninnere eindrang. Auch durch das Fundament sickerte Wasser in das Gotteshaus ein. Um diesen Mißstand zu beheben, ließ man 1930 das gesamte Fundament der Kirche aufgraben und verstärken. Der schon vor dem Ersten Weltkrieg geplante Bau eines Gemeindesaales konnte erst 1938/39 verwirklicht werden. Der neue Saal faßte 70 Sitzplätze und wurde an der Stelle errichtet, an der sich zuvor die alte Sakristei befunden hatte. Ins Jahr 1938 fiel auch die Zurückstufung der evangelischen Pfarrei Oberkochens in eine ständige Pfarrverweserei. 1954 konnte sie ihre alten Rechte als vollgültige Pfarrei wiedererlangen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war Oberkochen mehrere Male Ziel amerikanischer Artillerieangriffe, das evangelische Gotteshaus wurde dabei verschiedentlich in Mitleidenschaft gezogen, und auch die Orgel erlitt Schaden. Wie im Ersten Weltkrieg mußte die Gemeinde wieder zwei ihrer drei Glocken dem Staat abliefern. Fünf Jahre nach Kriegsende beschloß die Kirchengemeinde, den hölzernen Kirchturm auf dem Dach des Gotteshauses durch einen größeren Turm aus Stein direkt neben der Kirche zu ersetzen. Darin sollte das nach dem Krieg auf vier Glocken erweiterte Geläute aufgehängt werden. Nach dem Krieg setzte durch die Ansiedlung der Carl-Zeiss Werke aus Jena eine überaus stürmische Entwicklung ein. Oberkochen vergrößerte sich durch den Zuzug vieler Neubürger insbesondere aus Thüringen explosionsartig. Diese Wachstumsphase hielt bis zum Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961 an. Sehr viele Neubürger Oberkochens gehörten der evangelischen Kirche an. Es war eine der schwierigsten Aufgaben der damaligen Pfarrer, die auf mehr als das Fünffache anwachsende Kirchengemeinde neu zu ordnen und zusammenzuschließen. Zusätzlich hatten die evangelischen Geistlichen auch außerhalb Oberkochens Pflichten zu erfüllen: Sie mußten in Ebnat und Waldhausen Gottesdienste und Religionsunterricht halten. Das sollte sich erst Mitte der 50er Jahre ändern. Infolge des starken Wachstums der Gemeinde wurde es im Laufe der 50er Jahre notwendig, die Kirche durch einen Anbau zu vergrößern. Speziell an den Festsonntagen war das Gotteshaus zu klein, und es fehlten Räume für die Jugendarbeit und andere Aktivitäten innerhalb der Kirchengemeinde. Verschiedene baurechtliche Vorschriften verhinderten aber die Umsetzung dieses Wunsches in die Tat; die Raumprobleme blieben weiterhin bestehen. Zu Beginn der 60er Jahre schenkte die bürgerliche Gemeinde beiden Kirchengemeinden je ein Grundstück. Die katholische Seite errichtete darauf das Rupert-Meyer-Haus, und direkt gegenüber stand nun auch das Bauland für eine neue evangelische Kirche zur Verfügung. Nach einer mehrjährigen Planungs- und Bauphase konnte 1968 das neue evangelische Gotteshaus, die Versöhnungskirche, mit dem angegliederten Gemeindezentrum eingeweiht werden. Außer dem Kirchenbau ergaben sich im Laufe der 60er Jahre an drei wichtigen Punkten des Gemeindelebens Erweiterungen. Unterstützt durch die Gemeinde Oberkochen entstand 1960 in Verbindung mit der Firma Carl Zeiss eine evangelische Kindertagesstätte. Zum 1. Januar 1965 erhielt die evangelische Kirchengemeinde eine Vikarsstelle, und am 1. Juni desselben Jahres wurde die evangelische Schwesternstation eingerichtet.
Vor einigen Jahren kaufte die Stadt Oberkochen die alte evangelische Kirche und wandelte sie in ihre Stadtbibliothek um. Diese wohlgelungene Bibliothek hat sich inzwischen zu einem Kulturzentrum mit Kammermusikabenden und Dichterlesungen entwickelt. Trotz der Umbauten im Innern blieb das Gotteshaus nach außen nahezu unverändert. So stehen im alten Ortskern nach wie vor die katholische und die alte evangelische Kirche eng nebeneinander und geben Zeugnis davon, daß seit dem 16. Jahrhundert beide Konfessionen in Oberkochen zu Hause sind.

Quellenhinweise
1. Quellen im evangelischen Pfarrarchiv Oberkochen
a) Pfarrbeschreibungen und ‑berichte von 1818 bis 1965
b) Rescriptenbuch
c) Kirchenkonventsprotokolle
2. Quellen im katholischen Pfarrarchiv Oberkochen
»Kleine Chronik des Pfarrortes Oberkochen 1820 bis 1915«. Archiv-Nr. 31
3. Quellen im Hauptstaatsarchiv Stuttgart
a) Visitationsakten; Bestand A 281 Büschel 531 bis 569
b) Reichskammergerichtsakten: Bestand A 41 L Büschel 305 bis 308
c) Ortsbestände und Kloster Königsbronn (Bestand A 495 und A 495 L)
d) Aalener Protokoll von 1749: Bestand A 249 Büschel 3297
4. Quellen im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart
Bestand A 29, Bände 3314 bis 3318
Literaturhinweis
Schrenk, Christhard: 400 Jahre evangelische Kirchengemeinde Oberkochen. 1583–1983. Aalen 1983.
Evangelische Pfarrer in Oberkochen
1 Ulrich Nicolai 1583–1598
2 Reinh. Heerbrand 1598–1602
3 Andreas Scheffler 1602–1606
4 Balthasar Monninger 1606–1608
5 Johann Georg Genth 1608–1613
6 Lucas Beurlin 1613–1616
7 Christian Butsch 1616–1619
8 Isr. Kauser 1619–1624
9 Johannes Bach 1624–1627
10 Georg Schleiffer 1627–1629
11 Isaak Ogiander 1629–1631
12 Johann Georg Anatius 1631–1635
Stelle nicht besetzt 1635–1649
Johann Bernhard Brengenter,
Diakon in Königsbronn 1649–1659
13 Johann Jacob Beck 1659–1662
14 Johann Jacob Vochezer 1662–1667
15 Johann Heinrich Schnirring 1667–1670
16 Johann Andreas Springer 1670–1674
17 Wölfgang Heinrich Altermann 1674–1676
18 Michael Schaffhäuser (?) 1676–1677
Stelle nicht besetzt 1677–1682
19 Georg Althammer 1682–1684
20 Georg Conrad Hochstetter 1684–1697
21 Johann Ferdinand Müller 1697–1703
22 Johann Erhard d’Attrin 1703–1704
23 Stephan Erbe 1704–1712
24 Johann Sigler 1712–1720
25 Johann Eberhard Friedrich Roth 1720–1726
26 Johann Ulrich Hellwag 1726–1735
27 Johann Friedrich Gentncr 1735–1738
28 Wilhelm Albrecht Alber 1738–1744
29 Johann Friedrich Enslin 1744–1761
30 Johann Eberhard Keller 1761–1773
31 Johannes Hardte 1773–1782
32 Eberhard Joseph Eidenbenz 1782–1793
33 Christoph Friedrich Baier 1793–1805
34 Johann Michael Riecker 1805–1819
35 Johann Christoph Stettner 1819–1826
36 Johann Christian Hornberger 1827–1834
37 Gottlieb Friedrich Kraus 1834–1840
38 Carl Wilhelm Valet 1840–1848
39 Friedrich Römer 1848–1850
40 Wilhelm Friedrich Dürr 1851–1870
Stelle nicht besetzt 1870–1875
41 Otto Reinhold Lechler 1875–1882
42 Theodor Brecht 1882–1894
43 Eugen Wider 1894–1921
44 Karl Stöckle 1922–1926
45 Ferdinand Huber 1926–1935
47 Theodor Dornfeld 1936–1938
47 Eberhard Goes 1939–1947
48 Georg Fiedler 1947–1954
49 Hans Heinrich Gottfroh 1955–1961
50 Peter Geiger 1961–1969
51 Bernhard Kurtz 1970–1983
52 Klaus Thierfelder seit 1984
Christhard Schrenk