Die Geschich­te einer Kirchen­ge­mein­de kann, auch wenn sie chrono­lo­gisch darge­stellt wird, nicht ledig­lich Chronik sein, denn die Kirchen­ge­mein­de ist auch heute noch weit mehr als jede andere politi­sche oder gesell­schaft­li­che Körper­schaft: In ihr findet der Weg des Menschen zu Gott seine Ausfor­mung und Zielge­rich­tet­heit. Der Gottes­dienst und die Organi­sa­ti­on des geist­li­chen und religiö­sen Lebens in der Gemein­schaft der »Heili­gen« (um diesen schönen alten Ausdruck zu gebrau­chen) sind die zentra­len Anlie­gen, deren konkre­te Ausprä­gung freilich in mühevol­ler und meist höchst alltäg­li­cher Form erfol­gen muß. Eine kleine Umfra­ge, was denn die Kirchen­ge­mein­de dem heuti­gen Menschen bedeu­ten könne, ergab immer wieder, daß dieser Gegen­satz zwischen Anspruch und Wirklich­keit von den Chris­ten schmerz­lich empfun­den wird. Doch, dies die häufi­ge Schluß­aus­sa­ge, fühle man sich durch die aktive Teilnah­me am kirch­li­chen Leben »erhoben«. So darf denn auch für die Kirchen­ge­mein­de gelten, was St. Suger, der Erbau­er von St. Denis bei Paris, über seine Kathe­dra­le sagte: Sie sei »ein Ort, nicht mehr im Schmutz dieser Erde, aber auch noch nicht in der Reinheit des Himmels, so daß ich durch die Gnade Gottes an einen höheren Ort erhoben werden kann«.

Wir müssen, wenn wir den Weg unserer Kirchen­ge­mein­de durch die Zeit verfol­gen wollen, davon ausge­hen, daß ihre Geschich­te lange Zeit identisch war mit der allge­mei­nen Geschich­te unseres Gemein­we­sens, später mindes­tens dessen bestim­men­der Bestand­teil, den geisti­gen und wirtschaft­lich-sozia­len Umstän­den gleicher­ma­ßen ausge­setzt wie den macht­po­li­ti­schen Pressio­nen der beiden Grund­herr­schaf­ten. Nehmen wir jedoch alle diese Bezüge in unsere geschicht­li­che Betrach­tung hinein, werden wir wohl mancher­orts auf aller­dings nicht unbegrün­de­te Rückschlüs­se und Mutma­ßun­gen angewie­sen sein.

So kann heute niemand genau feststel­len, wann und wie sich pfarr­ge­meind­li­ches oder christ­li­ches Leben überhaupt in Oberko­chen erstmals entwi­ckel­te. Sicher ist, daß die Geschich­te Oberko­chens, besser: »Kochens«, weit über die Jahre 1136, 1147 und 1150 zurück­geht, in denen »Kochen« die ersten Erwäh­nun­gen in den Urkun­den des Klosters Ellwan­gen findet, und wobei es in allen Fällen um Beleh­nun­gen mit Ellwan­ger Kloster­gut oder um Verkäu­fe geht. An den Anfang unserer Betrach­tung haben wir sicher­lich die Erkennt­nis­se zu setzen, die sich aus den kürzlich erfolg­ten Ausgra­bun­gen des alaman­ni­schen Gräber­felds ergeben haben. Die erste Chris­tia­ni­sie­rung dürfte sich demnach im 7. Jahrhun­dert ereig­net haben; als Indiz dafür gilt, daß ab diesem Zeitpunkt die Grable­ge ohne Grabbei­ga­ben erfolg­te, deren man ja nur im germa­ni­schen Götter­glau­ben auf dem Weg ins Toten­reich bedurf­te. Wenn auch Spuren eine frühchrist­li­che Kirche hier in Oberko­chen vermu­ten lassen, gilt es nach den bisher vorlie­gen­den Erkennt­nis­sen als sicher, daß diese frühe christ­li­che Gemein­de zur Unter­ko­che­ner Kirche gehör­te, die als »Urkir­che« längst vor der Gründung des Ellwan­ger Klosters im Jahre 764 Bestand hatte.

Wenn das Dorf Oberko­chen in seiner Entwick­lung stets gewis­se Beson­der­hei­ten gegen­über den anderen Gemein­den der Umgebung aufwies, dann deshalb, weil es schon sehr früh ein politisch geteil­tes Dorf war mit zwei Obrig­kei­ten, zwei Schult­hei­ßen und sogar drei Dorfkas­sen. (Von denen jedoch keine zu irgend­ei­ner Zeit überge­quol­len wäre!) Diese Entwick­lung setzte ein, als

Oberkochen

1240 der Grund­herr von Kochen, Graf Hartmann von Dillin­gen, Herr des Brenz­gau­es, einen Teil Kochens dem Benedik­ti­ner­klos­ter Ellwan­gen vermach­te, zum Heil seiner Seele, und ander­seits seine Schwes­ter Willi­birg den ihr nachge­las­se­nen anderen Teil 1258 durch Heirat den Helfen­stei­nern der Blaubeu­rer Linie zuführ­te. Diese Teilung wurde den Koche­nern sicher erst deutlich, als ein merkwür­di­ger Ringtausch 1303 zur Gründung des Zister­zi­en­ser­klos­ters Königs­bronn führte: Ulrich von Helfen­stein verkauf­te sein Gut Herwart­stein »mit allen Zugehö­rig­kei­ten und Rechten« an Albrecht I., den Sohn Rudolfs von Habsburg. Dieser, wieder des Seelen­heils wegen, überließ den Besitz dem Kloster Salem mit der Aufla­ge, damit zu »Sprin­gen« ein Zister­zi­en­ser­klos­ter zu gründen und auszu­stat­ten. Der nicht­ellwän­gi­sche Teil Kochens wurde diesem Kloster bis 1358 einver­leibt. Es ist im Ernst keine Frage, daß diese doppel­te geist­li­che Grund­herr­schaft sowohl hinsicht­lich der geist­li­chen wie auch wirtschaft­li­chen Entwick­lung des späte­ren Oberko­chen höchst bedeut­sam war.

Benedik­ti­ner und Zister­zi­en­ser stießen also in Oberko­chen aufein­an­der —wer denkt da nicht an die erbit­ter­te Fehde zwischen Petrus Venerabi­lis, dem letzten der großen Äbte von Cluny, und Bernhard von Clairvaux. Während nämlich Cluny meinte, Macht und Größe Gottes sollte sich in der Pracht der sakra­len Bauten, der Kunst­wer­ke und der Litur­gie wider­spie­geln, bezogen die Zister­zi­en­ser die radika­le Gegen­po­si­ti­on: Nur in der unerbitt­li­chen Entsa­gung, durch extre­men Verzicht und nur durch die Flucht in die unwirt­lichs­ten und verlas­sens­ten Gegen­den kann die Erlösung erfol­gen und nur so ist in doppel­ter Weise der Schöp­fungs­auf­trag Gottes zu erfül­len, in der eigenen Vervoll­komm­nung zunächst (für Pico de la Miran­do­la ist der Mensch immer »plastes et factor sui ipsius«), dann aber auch in der Überfüh­rung der ganzen Welt in einen immer besse­ren Zustand. So wirkten die Zister­zi­en­ser unter unsäg­li­chen Entbeh­run­gen als die ersten Entwick­lungs­hel­fer, durch­aus technik­freund­lich, denn sie erkann­ten schon im 12. Jahrhun­dert die Bedeu­tung energie­spa­ren­der Maschi­nen, wie ein Besuch in Fonten­ay, der einzi­gen authen­ti­schen Kloster­an­la­ge aus der Frühzeit des Ordens (1118), nachweist.

Mochten sich — fast 200 Jahre später — die Zister­zi­en­ser­mön­che von Königs­bronn im Zeichen des wirtschaft­li­chen Erfolgs, der den Orden inzwi­schen wider Willen einge­holt hatte und im übrigen die Gegen­sät­ze zu den Benedik­ti­nern erheb­lich reduzier­te, auch nicht derart rigoro­sen Lebens­um­stän­den ausset­zen, ist doch für sie bezeich­nend, daß sie schon 1366 das Privi­leg erwar­ben, nach Bohner­zen zu schür­fen und sie zu verhüt­ten. Dies und die Errich­tung der ersten Eisen­gie­ße­rei mit Hammer­werk stellt sicher die Grund­la­ge für die Indus­tria­li­sie­rung unseres Raumes dar.

Oberko­chen muß übrigens schon länge­re Zeit vorher eine eigene Kirche gehabt haben, denn Funda­ment und Erdge­schoß unseres heuti­gen Kirch­turms weisen auf einen ansehn­li­chen Kirchen­bau im romani­schen Stil des 13. Jahrhun­derts hin. Über Bauzeit und Bauträ­ger­schaft liegen jedoch meines Wissens keine gesicher­ten Kennt­nis­se vor. Dagegen wissen wir, daß die Zister­zi­en­ser­mön­che von Königs­bronn die Oberko­che­ner Chris­ten seelsor­ger­lich betreu­ten, fast vierzig Jahre lang.

Mag sein, daß diese Dienst­rei­sen, zu Fuß sicher­lich, den Mönchen zu beschwer­lich waren oder das Kloster über Gebühr belas­te­ten, jeden­falls betrieb der Abt von Königs­bronn länge­re Zeit die Errich­tung einer eigenen Pfarrei in Oberko­chen. Dazu bedurf­te es einiger Verhand­lun­gen mit Abt Cuno von Ellwan­gen, der ja das Patro­nats­recht über ganz Oberko­chen ausüb­te und für den das alles mit Kosten verbun­den war: Mit Kaufbrief vom 16. März 1343 erwarb er die Oberko­che­ner Kirche St. Peter, die bisher schon Ellwan­gen zehnt­pflich­tig war. (Das Doppel­pa­tro­nat St. Peter und Paul besteht erst seit 1741.) Außer­dem mußte Abt Cuno dem Pfarrer von Oberko­chen als Pfrün­de zwölf Malter Getrei­de aus dem Zehnten überlas­sen, wofür die Gemein­de ihrer­seits wieder 72 Pfund Ablöse zu zahlen hatte. Somit können wir 1343 als das Gründungs­jahr der katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de Oberko­chen ansehen. Was nun die Pfrün­de betrifft, kann sie nicht sonder­lich fett gewesen sein, denn aus dem Jahr 1490 ist eine dringen­de Empfeh­lung des Ellwan­ger Abtes vorhan­den, in welcher er zu Spenden »für die äußerst notlei­den­de Pfarr­kir­che zu Oberko­chen« aufruft.

So wurde nun der Hirte berufen — der erste einer langen Reihe. Wie aber war es um die Herde bestellt? Welches waren die inneren und äußeren Voraus­set­zun­gen, die das kirchen­ge­meind­li­che Leben im Dorf des 14. Jahrhun­derts bestimmten?

Zunächst die sozia­le Struk­tu­rie­rung des Dorfes: Die meisten Güter der beiden Grund­herr­schaf­ten Königs­bronn und Ellwan­gen befan­den sich als Lehen in den Händen einiger Minis­te­ria­len, von denen offen­bar nur die Herren von Kochen in den Ritter­stand integriert und in Oberko­chen seßhaft waren, wo sie übrigens noch bis 1475 nachweis­bar sind. Sie waren, wenn auch selbst Vasal­len, die Herren des Dorfes. Daneben gab es noch halbfreie Bauern oder »Hüfner«, die meisten Dorfbe­woh­ner waren jedoch »Lehner« (Pächter) oder nur »Seidner« (landlo­se Tagelöh­ner). Die sozia­len Grenzen waren jedoch sicher fließen­der als wir heute anneh­men. Dieses Dorf war eine Schick­sals­ge­mein­schaft, deren obers­tes Ziel die Siche­rung der elemen­tars­ten Lebens­be­dürf­nis­se darstellt. Diese Sicher­heit, die selbst­ver­ständ­lich immer nur den Augen­blick verbür­gen konnte, war nur gegeben im Zusam­men­le­ben von Menschen, die ihre Inter­es­sen nicht als Einzel­ne verfolg­ten, sondern in kollek­ti­ven Regelun­gen und verbind­li­chen Konven­tio­nen. Da war kein Platz für Freiheit jedwel­cher Art. Nicht für persön­li­che Freiheit: Alles, was im Dorf geschah, vollzog sich in aller Öffent­lich­keit und Konfor­mi­tät. Es gab nicht einmal Freiheit im wirtschaft­li­chen Handeln: Die konkre­ten Zwänge der Frucht­fol­ge in der Dreifel­der­wirt­schaft und die gemein­sa­me Nutzung der Allmen­de und der Wegerech­te erfor­der­ten engste Koope­ra­ti­on. Zur »Allmen­de« mag noch erklä­rend hinzu­ge­fügt werden, daß es sich hier um die gemein­sa­me Nutzung von Wald und Waldwei­de, Weide, Wasser und Holz handel­te, nicht als jeweils persön­li­cher Besitz, sondern als Nutzungs­ge­recht­sam­keit. Und deshalb auch die drei Kassen in Oberko­chen: die ellwän­gi­sche, die königs­bron­ni­sche und schließ­lich noch die gemein­sa­me für die Rechte aus der Allmen­de­nut­zung. Weiter gab es im Dorf auch keine religiö­se Freiheit, denn in diesem kollek­ti­ven Gefüge des Dorfes vollzog sich auch das religiö­se und kirch­li­che Leben. Angesichts der zahlrei­chen Fährnis­se, denen sich die Menschen hilflos ausge­setzt sahen, bot letzt­lich nur die Hinwen­dung zum ewigen und allmäch­ti­gen Gott Hoffnung und Schutz. Und Unheil gab es von vieler­lei Art. Wir können kaum anneh­men, daß unser Dorf verschont blieb von den zahlrei­chen geist­li­chen und weltli­chen Händeln dieses unruhi­gen Jahrhun­derts, und schon gar nicht von der großen europäi­schen Pest des Jahres 1348, die ein Drittel der deutschen Bevöl­ke­rung dahin­raff­te. Jede Plünde­rung, ja schon jede Mißern­te brach­te das Dorf an den Rand des Hunger­to­des; und da brauch­te es wahrlich nicht viel, denn damals waren die Erträ­ge außer­or­dent­lich gering: Vom Hektar ernte­te man durch­schnitt­lich sechs — sieben dz; Aussaat und Ernte verhiel­ten sich im Endef­fekt wie 1:3. Die Bauern atmeten auf, wenn der Hagel das Kornfeld und die Seuchen den Stall verschon­ten und wenn sie, nachdem alles an Zinsen und Abgaben geleis­tet war, ihre Famili­en noch halbwegs satt bekamen. In dieser Bedräng­nis war es die Kirche, die die Bitten um himmli­chen Schutz und auch die Recht­fer­ti­gung vor Gott (angesichts der in drasti­scher Reali­tät darge­stell­ten und empfun­de­nen Höllen­pein das andere Haupt­mo­tiv mittel­al­ter­li­cher Frömmig­keit) nach Brauch und Sitte organi­sier­te und vor allem die gebüh­ren­de und gülti­ge Form festsetzte.

Und schließ­lich gab es auch keine Freiheit nach außen: Da waren zwar die Schult­hei­ßen und die Pfarrer in den Dörfern, aber sie konnten keine Führer sein, die in der Lage gewesen wären, Ansprü­che der Dorfge­mein­schaft gegen die Obrig­keit durch­zu­set­zen, im Grunde konnten sie auch nie die Integra­ti­ons­fi­gu­ren sein, um die sich dörfli­ches Selbst­ver­ständ­nis entwi­ckel­te. Somit ist das weite­re Schick­sal unserer Pfarrei und der Gemein­de ausschließ­lich von der Entwick­lung der beiden Grund­herr­schaf­ten abhängig.

Das Kloster Ellwan­gen erwarb zwar nach und nach die Grund­herr­schaft über zwei Drittel des Dorfes, doch mehr und mehr zeigten sich im Gefüge des Klosters deutli­che Verfalls­sym­pto­me: Abt und Konvent spalte­ten sich auf, und schließ­lich verkam das Kloster zur Versor­gungs­an­stalt für nachge­bo­re­ne Mitglie­der der adeli­gen Famili­en in der Umgebung. Freilich beschleu­nig­te auch aller­lei Unheil den Nieder­gang, so die Teuerung von 1430, die Pest der Jahre 1438 und 1439, am meisten jedoch die Brand­ka­ta­stro­phe von 1443, die nur die Kloster­kir­che verschon­te. Von der einsti­gen religiö­sen und geisti­gen Ausstrah­lung des Klosters war nichts mehr übrig geblie­ben. Als alle Reform­ver­su­che schei­ter­ten, wandel­te der Kardi­nal­bi­schof von Augsburg das Kloster 1460 in ein weltli­ches Chorher­ren­stift unter der Leitung eines Fürst­props­tes um. Mit Albrecht von Rechberg (1461−1502) schei­nen Papst und Kardi­nal­bi­schof einen guten Griff getan zu haben: Neben der wirtschaft­li­chen und adminis­tra­ti­ven Reorga­ni­sa­ti­on der gesam­ten Herrschaft Ellwan­gen wird nun vor allem der Wieder­auf­bau des Klosters durch Baumeis­ter Hans Stieg­litz von Milten­berg energisch voran­ge­trie­ben. Kurze Zeit später wird das Kloster auch schon wieder zu einem geisti­gen und künst­le­ri­schen Zentrum.

Ein Strahl dieses neuen Glanzes fiel auch auf Oberko­chen: Die Pfarr­kir­che St. Peter wird, was anzuneh­men ist, unter der Leitung von Hans Stieg­litz im spätgo­ti­schen Stil umgebaut und beträcht­lich erwei­tert. 1470 erfolg­te die Weihe durch den Bisch­hof von Augsburg. Die heute noch erhal­te­nen spätgo­ti­schen Figuren (Pieta, Ölberg­grup­pe und verschie­de­ne Heili­ge) lassen auf eine erstaun­lich reich­hal­ti­ge und künst­le­risch nicht unbedeu­ten­de Ausstat­tung dieser nunmer dritten Oberko­che­ner Kirche schlie­ßen. Heute herrscht allge­mein Freude darüber, daß diese Heili­gen nach den puris­ti­schen Anwand­lun­gen der 50-er Jahre von der »Bühnen­ver­ban­nung« (Bantel) an den Ort ihrer Bestim­mung zurück­keh­ren konnten.

Oberkochen

Unsere Beschrei­bung des mittel­al­ter­li­chen Dorfes — die Recht­lo­sig­keit, das Fehlen jedwe­der Mit- oder Selbst­be­stim­mung wird durch nichts besser bewie­sen als durch die Leich­tig­keit, mit der Menschen und Länder durch die Wechsel­fäl­le dynas­ti­scher Erbfol­ge oder durch Käufe von einer Herrschaft in die andere gerie­ten: 1448 kommt die Helfen­stein­sche Herrschaft Heiden­heim mit dem Kloster Königs­bronn (und damit einem Drittel von Oberko­chen) an das Haus Württem­berg, zwei Jahre später an Bayern, von wo es Herzog Ulrich 1504 wieder zurück­kauf­te. Doch erst ab 1534 war es dann endgül­tig württem­ber­gi­scher Besitz. Ein folgen­schwe­rer Wechsel, weil das Haus Württem­berg evange­lisch war und die Refor­ma­ti­on in allen seinen Besit­zun­gen durch­führ­te — im Kloster Königs­bronn jedoch eher behut­sam, konnte doch der letzte Abt Landstand­schaft und die Verwal­tung der Kloster­gü­ter bis zu seinem Tode behal­ten. Erst 1553 setzte Herzog Chris­toph nach dem Wieder­auf­bau des Klosters (es wurde in den Wirren des Schmal­kal­di­schen Kriegs von Markgraf Albrecht Alkibia­des von Branden­burg-Kulmbach bis auf die Grund­mau­ern zerstört) einen evange­li­schen Präla­ten ein, durch die neue Kloster­ord­nung wurde dieses schließ­lich in eine Schul- und Bildungs­an­stalt umgewandelt.

Für die Oberko­che­ner Chris­ten war jedoch vielleicht noch entschei­den­der, daß sich die Refor­ma­ti­on in Ellwan­gen nicht durch­set­zen konnte. Zwar fanden die luthe­ri­schen Predi­ger Johann Kreß und Georg Mumbach bei vielen Bürgern willi­ges Gehör, weil diese mit dem oft als drückend empfun­de­nen Regiment des Fürsten­pro­psts unzufrie­den waren, oder weil sie ganz einfach auf die Umkeh­rung der sozia­len Verhält­nis­se hofften. Auch im Stifts­ka­pi­tel fand die Refor­ma­ti­on ihre Fürspre­cher: Die Chorher­ren von Gültlin­gen und von Hesperg versuch­ten sogar, im Verein mit den aufstän­di­schen Bauern 1525 die Props­tei in ein weltli­ches evange­li­sches Fürsten­tum umzuwan­deln. Als jedoch bereits am 17. Mai bündi­sche Truppen die Stadt einnah­men, fanden alle refor­ma­to­ri­schen Bestre­bun­gen ein jähes Ende.

Glaubens­frei­heit, das versteht sich aus unseren bishe­ri­gen Überle­gun­gen eigent­lich von selbst, wurde im Augsbur­ger Religi­ons­frie­den von 1555 nur den Obrig­kei­ten zugebil­ligt. Wenngleich der Grund­satz »cuius regio, eius religio« (Wessen Herrschaft, dessen Religi­on) im Prinzip nur für die Freien Reichs­städ­te galt, wurde in Oberko­chen dennoch ziemlich rigoros danach verfah­ren: Nach der politi­schen Teilung erfolg­te nun auch die religiöse.

Im Zuge der Gegen­re­for­ma­ti­on, die von Fürst­propst Otto Truch­seß von Waldburg mit großem Eifer voran­ge­trie­ben wurde, gewan­nen die Jesui­ten große Bedeu­tung für Ellwan­gen und die zugehö­ri­gen Gebie­te; dieser Einfluß der Gesell­schaft Jesu wird auch dadurch dokumen­tiert, daß sich unter den Heili­gen unserer Pfarr­kir­che allein drei Jesui­ten befin­den: Der Ordens­grün­der Ignati­us von Loyola, Petrus Canisius, »Zweiter Apostel Deutsch­lands« und Gründer der Jesui­ten-Missi­ons­sta­ti­on in Ellwan­gen, und der Missi­ons­hei­li­ge Franz Xaver.

Sicher­lich bedarf es keiner großen Phanta­sie, sich vorzu­stel­len, daß sich diese glaubens­mä­ßi­ge Entflech­tung einer bisher einheit­li­chen Kirchen­ge­mein­de nicht ohne Schmer­zen und Bitter­keit vollzo­gen haben mag. Doch bei allem Streben nach Abgren­zung hatten beide Obrig­kei­ten, der Herzog von Württem­berg und der Fürst­propst von Ellwan­gen (um sie nochmals zu nennen), durch­aus gemein­sa­me Inter­es­sen hinsicht­lich der gebüh­ren­den Zucht und Ordnung und des gottes­fürch­ti­gen Wandels der Oberko­che­ner Chris­ten. 1562 wurde eine erste gemein­sa­me Dorford­nung erlas­sen, der dann — offen­sicht­lich wegen allzu gerin­ger Wirksam­keit — schon 1578 eine noch schär­fe­re und umfas­sen­de­re folgte. Bei Josef Balle findet sich eine Beschrei­bung ihrer Verkün­di­gung am 13. Mai 1578:

Unter der Linde war ein Podium aufge­stellt, auf dem sich ellwän­gi­scher­seits Jakob von Dannen­berg, der Vogt der Kocher­burg, und der Königs­bron­ner Kloster­vogt Chris­toff Rottmann nieder­ge­las­sen hatten. Amtsschrei­ber war Veit Mühlich, der Pfarrer von Unter­ko­chen. Die rings­um versam­mel­te Oberko­che­ner Bevöl­ke­rung wurde feier­lich auf die 48 Artikel verpflich­tet: Dem Amtmann waren anzuzei­gen Fluchen, Gottes­läs­tern, Verfeh­lun­gen der Dienst­bo­ten, aller Frevel und Verstoß gegen die Friedens­pflicht, weiter Steuer­hin­ter­zie­hung, Ehebruch und andere sittli­che Verfeh­lun­gen; zu fangen und abzulie­fern waren Falsch­mün­zer, Markstein­ver­set­zer und solche, bei denen Maß und Gewicht nicht stimm­ten; unter­sagt wurden nun Kunkel­stu­ben, Tanz und Glücks­spiel. Die Wirte erfuh­ren beson­ders stren­ge Aufla­gen, durfte nun doch nach neun Uhr kein Wein mehr ausge­schenkt werden und mußten, man stellt sich das vor, nicht nur die Verkaufs­prei­se, sondern auch die Einkaufs­prei­se dem Schult­hei­ßen angezeigt werden. Anemp­foh­len wurde Vorsicht gegen Fremde, aber auch eine christ­li­che Behand­lung von Heimat­lo­sen und Kranken, »damit sie nicht wie das Vieh zugrun­de gehen«. Außer­dem wurden »Vierleu­te« gewählt, Vertrau­ens­leu­te, deren Haupt­auf­ga­be aber offen­bar in der Einzie­hung der Zinsen bestand.

Da hatten die Oberko­che­ner einer Fülle bürger­li­cher, sozia­ler und religiö­ser Anfor­de­run­gen gerecht zu werden, die freilich wieder die enge Verflech­tung von weltli­cher und geisti­ger Obrig­keit anzei­gen. Und es ist schon erstaun­lich, daß trotz der enormen Diszi­pli­nie­rungs­ge­walt einer­seits der Obrig­keit durch Andro­hung (und Vollstre­ckung) wahrlich drako­ni­scher Strafen, und ander­seits der Kirche durch die massi­ve Drohung mit dem hölli­schen Feuer immer wieder solche »Ordnun­gen« notwen­dig waren, daß die Menschen sich durch sie offen­bar kaum verän­der­ten und beharr­lich im »sündi­gen« Zustand verblieben.

Mit der Errich­tung einer eigenen evange­li­schen Pfarrei und dem Neubau einer Kirche und eines Schul­hau­ses wurde die Refor­ma­ti­on 1583 in Oberko­chen abgeschlos­sen. Im Bau der evange­li­schen Kirche sah der Fürst­propst freilich einen schwe­ren Verstoß gegen sein Patro­nats­recht und streng­te dieser­halb einen Prozeß an, der jedoch, wie so viele in jener Zeit, nach langen Jahren im Sande verlief.

Die endgül­ti­ge Teilung ihres Dorfes wird den Oberko­che­nern wahrschein­lich erst richtig sinnfäl­lig gewor­den sein, als am Anfang des 17. Jahrhun­derts am alten Först­erhaus (nachma­li­ges Haus Brunn­hu­ber) eine württem­ber­gi­sche Zollsta­ti­on errich­tet wurde. Ihren Eigen­be­darf konnten nun die nicht­würt­tem­ber­gi­schen Oberko­che­ner zollfrei einfüh­ren, alle Ausfuh­ren waren jedoch zollpflichtig.

Der Dreißig­jäh­ri­ge Krieg (1618−1648) brach­te natür­lich auch für Oberko­chen die vielfäl­tig beschrie­be­nen Drangsa­le. Obwohl die Fürst­props­tei Ellwan­gen schon seit 1609 der katho­li­schen Liga angehör­te, began­nen die Verhee­run­gen erst ab 1631/32 und erreich­ten ihren Höhepunkt, als 1634 mehr als 70 000 Solda­ten im Zusam­men­hang mit der Schlacht bei Nördlin­gen unsere Region heimsuch­ten. 1629 umfaß­te die katho­li­sche Kirchen­ge­mein­de Oberko­chen noch 370 Menschen (in 57 Häusern), von ihnen überleb­ten jedoch kaum 60 Pest, Hunger und Krieg.

Zehn Jahre nach dem Ende des großen Krieges begin­nen die Pfarr­nach­rich­ten. Der erste genann­te »parochus« hieß Molitor; seine Eintra­gun­gen in das Pfarr­buch (und auch die seiner Nachfol­ger) markier­ten jedoch nur die wichtigs­ten Statio­nen in der kurzen Spanne mensch­li­chen Daseins: Taufe, Heirat, Tod. Im Zeitraum bis 1680 begeg­nen wir jedoch erstaun­lich vielen Namen, die auch heute noch einen guten Klang in Oberko­chen haben: Balle, Bezler (Betzler), Brand­stet­ter, Brunn­hu­ber, Tritt­ler, Elmer, Gold, Schmid, Grupp, Kienin­ger, Kopp, Schaupp, Wagner, Wingert, Winter (vergl. Kuno Gold, Namens­ge­schich­te). Ein Indiz für Beharr­lich­keit und auch dafür, daß Oberko­chen trotz mancher Mühsa­le auch den Zugewan­der­ten nach dem Dreißig­jäh­ri­gen Krieg zur dauer­haf­ten Heimat gewor­den ist — eine verblüf­fen­de Paral­le­le zu unserer Zeit.

Über die Schulen haben wir noch nicht berich­tet! (vergl: Volkmar Schrenk, Schul­ge­schich­te) Gerade sie waren ja bis in unser Jahrhun­dert hinein aufs engste mit der Kirchen­ge­mein­de verbun­den: Ab 1343, dem Gründungs­jahr unserer Pfarr­ge­mein­de, dürfen wir bereits eine »Pfarr­schu­le« anneh­men, die allen Kindern offen­stand, freilich noch ohne Stoff- und Stunden­plan und sehr spora­disch, jedoch mit der klaren Zielset­zung, »… daß die Kinder zum besse­ren Fortgang des Religi­ons­un­ter­richts auch im Lesen und Schrei­ben unter­rich­tet werden«. Zuerst waren es natür­lich die Pfarrer, die unter­rich­te­ten, später traten sie dieses Amt den Mesnern ab. Die erste Erwäh­nung einer katho­li­schen Schule finden wir 1662 in den Akten des ellwän­gi­schen Amtes Kocher­burg, und zwar in einer Anfra­ge des Amtman­nes, ob der Hans Kirnber­ger weiter­hin den Mesner- und Schul­dienst verse­hen wollte. (Eine Ämter­ver­bin­dung, die übrigens erst 1902 aufge­löst wurde!)

Eine erstaun­li­che Zeit, die Jahrzehn­te nach der großen Katastro­phe des Dreißig­jäh­ri­gen Krieges. Da sind die Städte abgebrannt, die Dörfer ausge­plün­dert, zum Teil gänzlich von der Pest entvöl­kert, sämtli­che wirtschaft­li­chen Struk­tu­ren sind zerschla­gen — und dennoch beginnt unmit­tel­bar danach, getra­gen von einem neuen, ungemein kraft­vol­len Lebens­ge­fühl das unver­gleich­li­che Zeital­ter des Barock! Auch in der Fürst­props­tei Ellwan­gen: 1661/62 wird die Stifts­kir­che aufwen­dig barocki­siert, 1681 beginnt der Neubau der mächti­gen Wallfahrts­kir­che auf dem Schönen­berg. Und wieder teilt sich der Aufschwung auch den Gemein­den der Herrschaft mit. Die katho­li­sche Kirchen­ge­mein­de Oberko­chen beginnt eine erstaun­li­che Bautä­tig­keit: Schon 1650 war im »Brunkel« die Ölberg­ka­pel­le entstan­den, die auch der HI. Ottilie, der Patro­nin für Augen­lei­den, geweiht war. (Ein Vorgriff auf die späte Optik­stadt? Eine Nachbil­dung der Statue dieser Heili­gen ist folge­rich­tig im Optik­mu­se­um zu sehen.) 1663 wird der baufäl­lig gewor­de­ne spätgo­ti­sche Chor der Pfarr­kir­che abgebro­chen und im frühba­ro­cken Stil neu errich­tet. Wir können anneh­men, daß auch der übrige Kirchen­raum gründ­lich im neuen Stil umgestal­tet wurde, wenngleich die Barocki­sie­rung erst 1715, nun hochba­rock, zum eigent­li­chen Abschluß kam. Die Einwei­hung des neuen Gottes­hau­ses muß damals ein unerhört festli­cher Augen­blick für die Gemein­de gewesen sein, denn die neuge­stal­te­te Kirche wird in allen Quellen als »sehr schön« bezeich­net. Und die Barock­fi­gu­ren in unserer heuti­gen Kirche bestä­ti­gen diesen Eindruck. 1666 wurde dann auch noch die Renovie­rung des Schul- und Mesner­hau­ses in Angriff genom­men. Während die Baulast der Kirche ganz bei der Stiftungs­pfle­ge lag und aus dem Stiftungs­ver­mö­gen (50 Morgen Wald, der sogenann­te »Peters­hau«, und 5634 fl Vermö­gen) bestrit­ten wurde, erfolg­te für die Schule ein Zuschuß vom ellwän­gi­schen Amt Kocher­burg, wie aus den »Acta, die Erbau­ung und Repara­tio­nes das Oberko­che­ner Schul­haus betref­fend« hervor­geht, »weil die Oberko­che­ner Heili­gen kein Geld mehr haben infol­ge des Krieges«. Das Schul- und Mesner­haus blieb im Eigen­tum der katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de, ihr oblag auch die Besol­dung, während die Bau- und Steuer­las­ten von der gesam­ten Schul­ge­mein­de getra­gen werden mußten.

Auch im Ellwan­ger Herrschafts­ge­biet bringt das 18. Jahrhun­dert die Ausfor­mung des fürst­li­chen Absolu­tis­mus — Schöp­fer und glanz­volls­te Gestalt dessel­ben war Franz Georg Graf von Schön­born (1732−1756), Fürst­propst zu Ellwan­gen, zugleich Erzbi­schof und Kurfürst von Trier, Bischof von Worms. Voraus­set­zung für den glanz­vol­len absolu­tis­ti­schen Rahmen war ein zentra­lis­tisch organi­sier­ter Verwal­tungs- und Wirtschafts­ap­pa­rat, der zudem überall die öffent­li­che Wohlfahrt zu fördern suchte: Durch die Aufhe­bung des Zunft­zwan­ges konnten auch in Oberko­chen neue Gewer­be entste­hen, über die »Landes­not­durft­kas­se« erhiel­ten Bauern unver­zins­li­che Kredi­te, ihre Söhne wurden in Landwirt­schafts­schu­len fachlich ausge­bil­det — wie überhaupt das pädago­gi­sche Inter­es­se ein wesent­li­cher Zug dieses fortschritts­gläu­bi­gen Jahrhun­derts war. In Oberko­chen tritt der Kurfürst im Jahre 1749 gleich zweimal in Erschei­nung: In der Oberamts­be­schrei­bung von 1854 ist für diesen Zeitpunkt von dauern­den kirch­li­chen und bürger­li­chen Reibun­gen der beiden konfes­sio­nell verschie­de­nen Obrig­kei­ten in Oberko­chen die Rede. Ellwan­gen habe deshalb seiner­zeit sogar versucht, Oberko­chen gegen das württem­ber­gi­sche Jagst­hau­sen einzu­tau­schen. Dann kam es 1749 im Vertrag von Aalen doch noch zu einem Ausgleich. Dabei wurde im religiö­sen Bereich, dem wohl schwie­rigs­ten Streit­punkt, folgen­de Verein­ba­rung getroffen:

»In Ansehung der Religi­on herrscht gegen­sei­ti­ge Duldung, doch wenn auf dem Hause einer Herrschaft ein Anders­gläu­bi­ger sitzt, so ist ihm da blos stilles exerci­ti­um seiner Religi­on gestat­tet und er hat die Stolge­büh­ren an den Pfarrer seiner Herrschaft zu bezah­len«. Die Religi­ons­frei­heit auf der Grund­la­ge des Westfä­li­schen Friedens von 1648 (nach dem die Religi­ons­zu­ge­hö­rig­keit nicht mehr an die Obrig­keit gebun­den war) wird den beiden Geist­li­chen als höchs­te Zielset­zung anbefoh­len. Im bürger­li­chen Bereich kam man überein, daß beide Seiten auf dem Grund ihrer Unter­ta­nen »die Obrig­keit und Malefiz« (Gerichts­bar­keit) haben, das ellwän­gi­sche Amt Kocher­burg darüber­hin­aus auch auf den öffent­li­chen Straßen und Plätzen, auch erstellt es allein die Gemein­de­rech­nung, »in allen übrigen Sachen herrscht condo­mi­ni­um« (gemein­sa­me Herrschaft). Von einer nachhal­ti­gen Störung des konfes­sio­nel­len Friedens wird danach nur einmal berich­tet, als nämlich in der von Pfarrer Schre­zen­ber­ger 1755 erbau­ten »Wiesen­ka­pel­le«, »im Wiesen­grun­de, zehn Minuten vom Dorf abwärts«, die Figur des gegei­ßel­ten Heilands zerstört wurde und der Verdacht auf die Protes­tan­ten fiel. (Es war aber ein Katho­lik aus Unter­ko­chen, wie sich später herausstellte.)

Oberkochen

Die Wallfahrt zum »Wiesen­herr­gott« muß bedeu­tend gewesen sein, obwohl ihr die Amtskir­che Wider­stand entge­gen­setz­te, wohl weil sie ein Ausufern der Volks­fröm­mig­keit befürch­te­te, war doch der Anlaß, durch den das Bildnis in den Ruf der Wunder­tä­tig­keit geriet, außer­or­dent­lich fragwür­dig. (Eine »nerven­kran­ke« Mülle­rin wurde durch den Anblick des gegei­ßel­ten Heilands geheilt.)

Die Nachbar­s­pfar­rer waren ebenfalls gegen die Wallfahrt, sie freilich, weil durch die Wallfah­rer viele Stolgel­der in die Kapel­len­pfle­ge nach Oberko­chen abflos­sen. Ganz unrecht hatten sie wohl nicht, wenn wir die Einnah­men der Kapel­len­pfle­ge im Jahr 1793 mit 868 Gulden angege­ben sehen, die der Kirchen­pfle­ge dagegen nur mit 413 Gulden.

Vom pädago­gi­schen Inter­es­se des 18. Jahrhun­derts war vorhin die Rede. Im Zusam­men­hang mit der umfas­sen­den »Fürst­lich Ellwan­gi­schen Schul­ord­nung« von 1749 — dies die zweite Einwir­kung des Kurfürs­ten in diesem Jahr — sah sich die katho­li­sche Kirchen­ge­mein­de mit der Notwen­dig­keit konfron­tiert, neben der Kirche ein neues Schul­haus zu bauen. Nach zwei vollen Jahren elenden Papier­kriegs (der Kurfürst Franz Georg behielt sich für jede Phase der Planung die ausdrück­li­che persön­li­che Geneh­mi­gung vor) konnte am 28.6.1755 endlich mit dem Bau begon­nen werden. Die Pläne sowie den Kosten­vor­anschlag von 779 Gulden 25 Kreuzer hatte Arnold Fried­rich Prahl, der Stadt- und Landbau­meis­ter des Kurfürs­ten, erstellt. (Zum Vergleich: Für 300 Gulden konnte man damals einen Morgen Acker­land kaufen.)

Finan­ziert wurde der Schul­bau durch Holzein­schlag im Peters­hau. Für 1200 Gulden wurde das einge­schla­ge­ne Holz schließ­lich nach Unter­ko­chen verkauft. Die Stiftungs­pfle­ge hatte sehr damit gerech­net, daß die Oberko­che­ner Bauern die Spann­diens­te kosten­los machen würden. Doch dies hatten sie im Frühjahr beim Bau des Pfarr­hofs schon überreich­lich getan, was genug ist, ist genug. Jetzt waren sie nur noch bereit, einen Sonder­preis von 30 Kreuzern statt der sonst üblichen 40 Kreuzer zu machen.

Wie gesagt, die Unter­hal­tung der Schule und die Lehrer­be­sol­dung lag bei der Heili­gen­pfle­ge. Der Lehrer und Mesner bekam 66 Gulden jährlich, dazu noch einen Malter Dinkel und das Schul­geld, das die Kinder zu bezah­len hatten. (Ein Kreuzer pro Woche von Michae­lis bis Georgi.) Für die armen Kinder wurde das Schul­geld vom Amt Kocher­burg bezahlt. Im übrigen unter­stand der Lehrer voll und ganz der geist­li­chen Schul­auf­sicht, die in der Schul­ord­nung von 1749 ausdrück­lich bestä­tigt wurde: »…Sollte sich ein übelge­sit­te­ter Schul­meis­ter einschlei­chen, so hat unser Geist­li­cher Rath auf dessen ohnaus­ge­stell­te Abset­zung anzutragen…«

Wir sollten das 18. Jahrhun­dert nicht verlas­sen, ohne auch einen Blick auf die sozia­le Situa­ti­on der Pfarrei gewor­fen zu haben. Das Jahrhun­dert hatte mit einer »kleinen Eiszeit« begon­nen, die bis etwa 1730 anhielt: kalte Winter, kalte Sommer, Mißern­ten, Teuerung! Beson­ders betrof­fen waren die landlo­sen Tagelöh­ner, aber auch die bäuer­li­che Klein­wirt­schaft, die im wesent­li­chen nur für den Eigen­ver­brauch und nicht für den Markt produ­zie­ren konnte; weniger litten indes die schon recht zahlrei­chen landwirt­schaft­li­chen Neben­er­werbs­be­trie­be, bei denen die Männer in den Erzgru­ben und Eisen­wer­ken arbei­te­ten und so doch ein bißchen Geld ins Haus brachten.

Die Haupt­auf­ga­be der beiden Kirchen war, die schlimms­te Not im Dorf zu lindern. Was jedoch in der gemein­sa­men Armen­kas­se war, reich­te bei weitem nicht für Armen des Dorfes, geschwei­ge denn für die Scharen betteln­den Volkes aus den Städten, die vom Armen­vogt oft genug mit Gewalt vertrie­ben werden mußten.

Ab 1730 began­nen schließ­lich gute Jahre mit guten Ernten und auch guten Löhnen. Doch bereits ab 1770 ist eine Umkeh­rung dieses Trends zu verzeich­nen. Wieder brach­te eine verhäng­nis­vol­le Serie von Mißern­ten »schar­fe Teuerung« und massen­haf­te Verar­mung. Damit wir uns ein Bild machen können: Ein Simmri Korn (15 Liter) koste­te sechs Gulden, das sind — bei aller Proble­ma­tik der Umrech­nung — an die 120,— DM. Und Brot war das Grund­nah­rungs­mit­tel, weil sich die Kartof­fel zum damali­gen Zeitpunkt noch nicht durch­ge­setzt hatte.

Angesichts dieser Not und Bedrän­gung ist es nicht verwun­der­lich, wenn die Volks­fröm­mig­keit in aller­lei zum Aberglau­ben tendie­ren­den religiö­sen Aktio­nen rasche­re Tröstung und wirksa­me­ren Schutz suchte, als die Amtskir­che selbst gewäh­ren konnte.

Dieser Zustand der Not zog sich über die Jahrhun­dert­wen­de bis in die ersten beiden Jahrzehn­te des 19. Jahrhun­derts hinein, ungeach­tet der gewal­ti­gen politi­schen Verän­de­run­gen durch den Reichs­de­pu­ta­ti­ons­haupt­schluß und durch das Ende des Heili­gen Römischen Reiches Deutscher Nation. Als am 10. Septem­ber 1802 württem­ber­gi­sche Solda­ten in Ellwan­gen einmar­schier­ten, hatte das tausend­jäh­ri­ge geist­li­che Fürsten­tum aufge­hört zu bestehen. Nicht innere Gebre­chen — die wohlge­mein­ten und zum Teil vorbild­li­chen Refor­men began­nen sich bereits auszu­wir­ken, sondern der Macht­wil­le Napole­ons brach­te das Ende: Durch die Säkula­ri­sa­ti­on wurden alle geist­li­chen Herrschaf­ten aufge­löst und ihre Gebie­te den Napole­on willfäh­ri­gen Großen zugeschla­gen. Oberko­chen nun also ganz württem­ber­gisch, Wiedervereinigung!

1817 wurden durch das Edikt König Wilhelms I. alle Feudal­las­ten und die Leibei­gen­schaft aufge­löst, doch die an ihre Stelle treten­de »Neusteu­er­bar­keit« brach­te die Klein- und Mittel­bau­ern in solche Verschul­dun­gen, daß durch die immer zahlrei­che­ren Vergan­tun­gen die ohnehin große Not noch verschärft wurde.

Mit Kreuz und Fahnen wurde in diesem Jahr der erste Frucht­wa­gen der neuen Ernte einge­holt, mit einem großen »Te Deum« dankte man Gott für die gute Ernte, und reich­li­che Spenden bei der anschlie­ßen­den Opferung für die Armen ließen auch diese wieder hoffen. Nach dem Wiener Kongreß 1815 und der durch die restau­ra­ti­ve Politik Metter­nichs erzwun­ge­nen politi­schen Absti­nenz des deutschen Bürgers erfolg­te die Hinwen­dung zur Inner­lich­keit, zur Roman­tik, zum Verein und zum Lied. In Oberko­chen gründe­te Pfarrer Lauth (1803−1832) zusam­men mit dem rühri­gen Schul­meis­ter Balluff den Katho­li­schen Kirchen­chor Oberko­chen. Balluff führte den Chor gleich zu hohem Ansehen. Weite­re Höhepunk­te brach­ten die Jahre 1860–1880, in denen der Chor unter den Lehrern Moras­si und Gutmann regel­mä­ßig bei auswär­ti­gen Auftrit­ten und selbst­ver­ständ­lich auch für die Gestal­tung der Festgot­tes­diens­te daheim hohes Lob erfuhr. Im Cäcili­en­ver­ein fand der Chor seine finan­zi­el­le Stütze durch zahlen­de Mitglie­der. Vor allem konnte er sich dadurch auch dem »profa­nen« Gesang und Theater­auf­füh­run­gen zuwen­den, eine Tradi­ti­on übrigens, die sich unter hervor­ra­gen­den Dirigen­ten bis in die unmit­tel­ba­re Gegen­wart fortsetzte.

Die Stiftungs­pfle­ge war in diesen Jahren beson­ders mit den Sorgen um das Schul­haus und zuneh­mend mit der immer dringen­der werde­nen Kirchen­re­no­vie­rung befaßt.

1830 wurde ein Plan zur Erwei­te­rung des Schul­hau­ses mit einem Voranschlag von 560 Gulden vorge­legt und im Laufe der Zeit auch verwirklicht.

Schon Pfarrer Karl Desal­ler (1846−1867) — eine Würdi­gung dieses erstaun­li­chen Mannes siehe unter »Oberko­chen 1847« — und mehr noch Pfarrer Breiten­bach (1867 — 1897) konnten sich der Tatsa­che nicht verschlie­ßen, daß die Barock­kir­che, wiewohl immer noch schön und anhei­melnd, nun doch zu eng und so baufäl­lig war, daß nur noch ein völli­ger Neubau Remedur schaf­fen konnte. Zudem wurden auch die Vorstel­lun­gen des Oberamts immer dring­li­cher, aus gesund­heits­po­li­zei­li­chen Gründen den katho­li­schen Fried­hof an den Ortsrand zu verle­gen, denn im ganzen Oberamt befin­de sich der Fried­hof nur noch im Oberko­chen bei der Kirche in Ortsmitte.

Natür­lich sah man das alles ein, doch noch immer drück­ten die Lasten frühe­rer Baumaß­nah­men, und so schob man die entschei­den­de Beschluß­fas­sung so lange vor sich her, bis die polizei­li­che Schlie­ßung der Kirche drohte.

Nun mußte erst einmal die lange schon umstrit­te­ne Frage der Baulast geklärt werden. Die könig­li­che Finanz­ver­wal­tung winkte sogleich ab: Ja, das König­reich Württem­berg sei natür­lich Rechts­nach­fol­ger der ehema­li­gen Fürst­props­tei Ellwan­gen, doch die Oberko­che­ner Kirche sei immer nur zehnt­pflich­tig, nie jedoch inkor­po­riert gewesen. Hierauf klagte der Stiftungs­rat im Herbst 1895 beim König­li­chen Verwal­tungs­ge­richt in Stutt­gart und bekam mit Urteil vom 12. Mai 1896 Recht: Als allei­ni­ger »parochus« hatte der Fürst­propst tatsäch­lich alle Pfarrei­en seiner Herrschaft inkor­po­riert — die Ortspfar­rer waren jeweils nur die Pfarr­ver­we­ser — und somit habe das König­reich Württem­berg mit der Säkula­ri­sa­ti­on von 1803 auch eindeu­tig Baupflicht und Baulast aller Pfarr­kir­chen übernom­men. Doch nun wiesen die Finanz­be­am­ten darauf hin, daß dies insofern völlig unerheb­lich sei, als die Pfarr­ge­mein­de St. Peter und Paul zu Oberko­chen die zur Geltend­ma­chung ihres Anspruchs festge­setz­te Klage­frist nunmehr um immer­hin 40 Jahre überschrit­ten habe, ein »allfall­si­ger« Anspruch an die Staats­kas­se somit verjährt und hinfäl­lig gewor­den sei. Doch wolle man »in Ansehung der Notla­ge der Gemein­de« und ohne durch Rechts­ti­tel gezwun­gen zu sein, gnaden­hal­ber und »unter Enthe­bung aller künfti­gen Ansprü­che« die Summe von 12 000 Mark erlegen. Diese harte Entschei­dung wurde schließ­lich nach einem neuer­li­chen Rechts­schritt des Stiftungs­rats am 7. Novem­ber 1897 vom Reichs­ge­richt in Leipzig endgül­tig bestä­tigt. Noch ehe also die alte Barock­kir­che abgebro­chen war, hatte die neue Kirche schon ihren Namen bekom­men: »Verjäh­rungs­kir­che«.

Im Stiftungs­rat und in der katho­li­schen Bevöl­ke­rung war man mehrheit­lich der Meinung, die neue Kirche sollte im Garten der Witwe Aloisia Grupp hinter dem Schmie­de­meis­ter Maier stehen, also westlich der Haupt­stra­ße. Doch die finan­zi­el­len Verhand­lun­gen zerschlu­gen sich, so war man auf den bishe­ri­gen Platz zurück­ge­wor­fen mit all seinen Nachtei­len: Um die Kirche groß genug gestal­ten zu können, mußten im Osten umfang­rei­che Funda­men­tie­rungs­ar­bei­ten durch­ge­führt werden, ohne daß dadurch eine genaue Ostaus­rich­tung möglich gewesen wäre. Und einen ausrei­chen­den Kirch­platz konnte es so auch nicht geben.

Die Archi­tek­ten Beisbarth und Früh aus Stutt­gart entschie­den sich in ihrem Planent­wurf aus verschie­de­nen Gründen für den neuro­ma­ni­schen Stil — in Ermang­lung einer eigenen zeitge­nös­si­schen Archi­tek­tur griff man um 1900 ungeniert zu histo­ri­schen Stilen, die dann meist recht fühllos dem jewei­li­gen Zweck angepaßt wurden und vielfach zu archi­tek­to­ni­schen Monstruo­si­tä­ten führten. Dies blieb Oberko­chen erspart, denn die Archi­tek­ten richte­ten sich, folgt man Mager, in Form und Maßge­bung nach dem romani­schen Dom in Monza. Dieser, eine kreuz­för­mi­ge und dreischif­fi­ge Basili­ka aus dem 13. und 14. Jahrhun­dert, besticht trotz mancher Zu- und Umbau­ten vor allem durch die Harmo­nie der Maßver­hält­nis­se und des Dekors. Und dies konnten die Archi­tek­ten tatsäch­lich auf die Oberko­che­ner Kirche übertra­gen, was uns allen nach der überaus geglück­ten Renovie­rung 1980/81 sinnfäl­lig wurde.

Die Kosten von insge­samt 130 000 Mark erschreck­ten seiner­zeit die ganze Kirchen­ge­mein­de. Eine schwe­re Verant­wor­tung hatten sich da Stiftungs­rat, Pfarrer und Schult­heiß (zunächst Maurer­meis­ter Wingert, der in hohem Ansehen stand, dann sein Nachfol­ger Betzler) aufge­la­den. Pfarrer Bucher, seit 1897 in Oberko­chen, gelang es dennoch, durch unermüd­li­che und offen­bar höchst erfolg­rei­che Bettel­pre­dig­ten und Bettel­rei­sen in die nähere und weite­re Umgebung, ja in ganz Schwa­ben, und auch durch eine unglaub­li­che Motivie­rung der eigenen Pfarr­ge­mein­de doch noch eine tragba­re finan­zi­el­le Grund­la­ge zu finden — bei der Grund­stein­le­gung am 11. Septem­ber 1899 wurde jeden­falls vom Zauber­stab des Herrn Pfarr­ver­we­sers gespro­chen, der mit großer Wirkung Geld herbei­zau­be­re. Dieser unermüd­li­che Einsatz forder­te freilieh seinen Tribut: Er hatte seine Kräfte so sehr verbraucht, daß er schon 1902 aus dem kirch­li­chen Dienst ausschei­den mußte.

Nach der feier­li­chen Kirch­wei­he am 25. Oktober 1900 durch Bischof Paul Wilhelm von Keppler zogen sich die Arbei­ten an der Innen­aus­stat­tung der Kirche noch fast zehn Jahre hin. Die Ausma­lung gestal­te­ten Kunst­ma­ler Reihing aus Stutt­gart und der Kirchen­ma­ler Maier aus Neuhau­sen: Farben­froh die Ornamen­tie­rung der Bögen und der Apsis, in der Kalot­te Chris­tus in der Mandor­la vor einem präch­ti­gen Sternen­him­mel, monumen­tal die Apostel an den Innen­wän­den des Mittel­schif­fes und im Chor (nach romani­scher Tradi­ti­on erinnern sie an den aposto­li­schen Ursprung der Kirche), und im Beuro­ner Stil schließ­lich über dem Triumph­bo­gen die Huldi­gung der Heili­gen vor dem Lamm Gottes. Bemer­kens­wert waren auch die Stiftun­gen: Die Kanzel, die von Moritz Schlach­ter aus Ravens­burg geschaf­fe­nen Kreuz­weg­sta­tio­nen (im senti­men­ta­len Stil der Zeit, gewiß, doch von erstaun­li­cher Quali­tät!) und, sehr wichtig, der vergol­de­te Kronleuch­ter mit 36 Flammen, denn der elektri­sche Strom wurde schließ­lich erst 1910 instal­liert. Aus diesem Grunde hatte die Orgel von Franz Eckert, Pader­born, mit zwei Manua­len und 17 klingen­den Regis­tern auch nur eine pneuma­ti­sche Mecha­nik. Das Geläu­te schließ­lich mit vier Glocken von Kiesel, Heilbronn, war auf fis-gis-ais-cis gestimmt, dazu kam die aus der alten Kirche stammen­de »Mauser­glo­cke« (von Ingenieur Mauser aus New York gestif­tet), die als Betzeit­glo­cke unzäh­li­ge Kinder­spie­le auf der Straße abrupt beendete.

Pfarrer Heilig (1910−1925), der sich um den Innen­aus­bau der Kirche verdient gemacht hatte, ließ 1910 auch die Wiesen­ka­pel­le renovie­ren und die von Bildhau­er Kaiser aus Iggin­gen geschaf­fe­nen Kreuz­weg­sta­tio­nen aufstel­len. Denn noch immer kamen am St. Ulrichs­tag, dem 4. Juli, und am St. Alexis­tag, dem 17. Juli, jedes Jahr die Wallfah­rer vom Härts­feld herun­ter. Sie sollten nun, durch das Geden­ken der Passi­on des Heilands geläu­tert, an den eigent­li­chen Sinn der Wallfahrt erinnert werden.

In diese Zeit vor dem Ersten Weltkrieg fällt auch die Gründung des Kranken­pfle­ge­ver­eins Oberko­chen. Wenn auch im wesent­li­chen eine Selbst­hil­fe­ak­ti­on, ist dieser Verein doch Ausfluß christ­li­cher Caritas und somit eng mit der Kirchen­ge­mein­de verbun­den. 1906 zogen die ersten beiden Franzis­ka­ne­rin­nen aus Reute in das alte Schul­haus bei der Kirche ein, das durch den Schul­haus­neu­bau in der Dreißen­tal­stra­ße freige­wor­den war. Die Schwes­tern widme­ten sich der Kranken­pfle­ge, aber sie richte­ten auch eine »Indus­trie­schu­le« ein. Ab 1907 traten immer mehr evange­li­sche Mitglie­der im Kranken­pfle­ge­ver­ein in Erschei­nung — die erste ökume­ni­sche Aktion in Oberko­chen, wenn wir vielleicht absehen vom »Hagel­fei­er­tag«, den beide Kirchen seit 1749 gemein­sam feier­ten und an dem die beiden Geist­li­chen predig­ten. Doch waren damals die beiden Kirchen­ge­mein­den noch weit von dem herzli­chen Einver­neh­men entfernt, das heute ihr Verhält­nis zuein­an­der auszeichnet.

Dies zeigt uns ein Blick in den Pfarr­be­richt des evange­li­schen Pfarrers Wider aus dem Jahr 1914: »… Spötter und Religi­ons­ver­äch­ter gibt es in der Gemein­de verein­zelt, ohne daß sie dem kirch­li­chen Leben der Gemein­de gefähr­lich werden könnten, dafür sorgt der beherr­schen­de Einfluß der katho­li­schen Geist­lich­keit, vor der hier jeder Religi­ons­ver­äch­ter die Segel strei­chen müßte…« Weiter, so Pfarrer Wider, zeich­ne sich die katho­li­sche Mehrheit (1002:265) nicht gerade durch beson­de­res Wohlwol­len aus; die »Römischen« pfleg­ten zwar die Gesel­lig­keit, doch nur unter sich, denn tauch­ten zufäl­lig einmal Evange­li­sche im »Vatikan« auf, blieben sie sich selbst überlas­sen. Zunei­gung werde nur dem Geldbeu­tel der Evange­li­schen entge­gen­ge­bracht, so durch die Einfüh­rung der Schul­kos­ten­ge­mein­schaft, durch die sich die Evange­li­schen in den nächs­ten zwanzig Jahren mit 15000 Mark an der Abtra­gung der Bauschuld an der katho­li­schen Schule im Dreißen­tal betei­li­gen müßten. Am 24. Oktober 1910 übernah­men die Franzis­ka­ne­rin­nen eine »Klein­kin­der­schu­le«, die im unteren Schul­saal des Schwes­tern­hau­ses für 14316,36 Mark einge­rich­tet wurde. (160 Mark davon waren übrigens eine Spende des Königs­paa­res in Stutt­gart.) Zwei Jahre später waren es immer­hin schon 126 Kinder, die von den Schwes­tern betreut wurden.

Es war eine liebens­wür­di­ge Zeit, die Jahrzehn­te vor dem Ersten Weltkrieg. Wenn es auch die meisten nicht gerade üppig hatten, litt doch niemand wirkli­che Not. Es war auch eine unter­neh­mungs­lus­ti­ge Zeit, sieht man auf die Bautä­tig­keit und die Geschäfts­grün­dun­gen, eine festes­freu­di­ge Zeit auch: die vielen Veran­stal­tun­gen und Theater­auf­füh­run­gen der Verei­ne, wie liebte man das Geprän­ge geist­li­cher und weltli­cher Feiern mit ihren vielfäl­ti­gen Zeremo­nien. Welcher Sinn für Würde und Form spricht aus den alten Photo­gra­phien! Gesel­lig­keit prägte das Zusam­men­le­ben, jede Einwei­hung geriet zum wahren Volks­fest, und, immer­hin, auf knapp 1300 Einwoh­ner kamen 10 Wirtschaf­ten, die — Sünden­pfüh­le ohnehin — nach dem Geschmack der beiden geist­li­chen Herrn viel zu häufig frequen­tiert wurden. Aufbe­geh­ren der Jungen gegen die allzufest­ge­füg­te Ordnung, ja, aber keine Entfrem­dung der Genera­tio­nen. In der Kirchen­ge­mein­de zumal erfuhr jeder seine Identi­tät und seine gesell­schaft­li­chen Bezüge; Randgrup­pen wie Alte, Behin­der­te oder auch die Jugend existier­ten nicht, sie waren alle in die Großfa­mi­lie und in die Dorfge­mein­schaft integriert. Somit, sieht man von manchen doktri­nä­ren Verhär­tun­gen ab, war dies auch eine christ­li­che Zeit.

All dem setzte der Krieg 1914 ein Ende. Schon nach den ersten Tagen der kollek­ti­ven Begeis­te­rung setzte die Ernüch­te­rung ein. 145 Männer und Frauen nahmen am 9. Septem­ber 1914 an der Kriegs­wall­fahrt auf den Schönen­berg teil: Nach der Messe um 2.30 Uhr begann der sechs­stün­di­ge Weg. Die immer häufi­ger eintref­fen­den Todes­nach­rich­ten von den Fronten erschüt­ter­ten die Gemein­de, sicher waren auch alle von der Abschieds­pre­digt von Pfarrer Heilig für die Glocken berührt, die mit Befehl vom 1. März 1917 beschlag­nahmt, vom Turm geholt, nun »in den Tod gehen« sollten. Trotz aller Umwäl­zun­gen hatte nach dem Krieg merkwür­di­ger­wei­se niemand das Gefühl, daß sich Grund­le­gen­des verän­dert hätte: Nichts lag in Trümmern, nichts mußte von Grund auf neu errich­tet werden — selbst die, die aus dem Infer­no des Stellungs­krie­ges und der Gasan­grif­fe zurück­ka­men, der äußers­ten Entfer­nung von allem Mensch­li­chen also, fügten sich, so hört man, rasch und reibungs­los in die intak­te Ordnung des Dorfes ein. Die Glocken mußten ersetzt werden, ja. Die erste kam schon 1919, zwei weite­re drei Jahre später. Ihre Inschrif­ten zeigen die Nachwir­kun­gen des Krieges: »Den Opfern des Krieges das Opfer der Heimat« und »In Not und Tod ruf ich zu Gott«.

In dem von Pfarrer Heilig 1923 initi­ier­ten »Katho­li­schen Burschen­ver­ein« waren die Handwerks­bur­schen die geschlos­sens­te und aktivs­te Gruppe; schon drei Jahre später gründe­ten sie eine Gesel­len­ab­tei­lung inner­halb des Vereins, die sich neben Spiel und Sport gerne dem Laien­spiel widme­te, unver­ges­sen ihr »Bettel­stu­dent« bei einer Weihnachts­fei­er der Pfarr­ge­mein­de. Als sie 1927 jedoch den ganzen Burschen­ver­ein in »Katho­li­schen Gesel­len­ver­ein« umbenen­nen wollten, konnten sie sich nicht durch­set­zen. Sie schei­ter­ten insbe­son­de­re am neuen Pfarrer Alfons Riek (1925−1936), der die Jugend­ar­beit offen­sicht­lich auf eine breite­re Basis stellen wollte, er favori­sier­te deshalb einen »Jungmän­ner­ver­ein«. Inner­halb dieses, wenn man so will, Dachver­bands arbei­te­ten die Gesel­len beson­ders eng mit den Turnern der DJK-Abtei­lung zusam­men. Der Höhepunkt dieser Zusam­men­ar­beit war zweifel­los 1930 die Ausrich­tung des 8. Gauturn- und Sportfestes.

Offen­sicht­lich hat auch die Indus­trie mit immer­hin fast 200 Arbeits­plät­zen, das zeigt die Entwick­lung des Gesel­len­ver­eins, wenig an der sozia­len Struk­tur des Dorfes verän­dert, wohl weil auch die Fabrik­ar­bei­ter zum großen Teil als Neben­er­werbs­land­wir­te dem bäuer­lich-handwerk­li­chen Herkom­men verbun­den blieben. Folge­rich­tig konnte von allen Partei­en der Weima­rer Republik nur das katho­lisch gepräg­te Zentrum in Oberko­chen Fuß fassen, wobei freilich das politi­sche Inter­es­se und die politi­schen Aktivi­tä­ten im Dorf nicht allzu hoch veran­schlagt werden dürfen.

Ein Blick in die Akten des Kranken­pfle­ge­ver­eins macht übrigens den Aberwitz der Infla­ti­on von 1923 beson­ders deutlich: Betrug der Kassen­stand im Jahre 1923, dem Höhepunkt der Infla­ti­on, noch 25 1412 558 408 512,— Mark, waren dies nach der Währungs­re­form 1924 gerade noch 49.94 Renten­mark. Die Kirchen­ge­mein­de disku­tier­te im Jahre 1928 und dann nochmals 1930 den Bau eines neuen Schwes­tern­hau­ses — die guten Jahre der Weima­rer Republik machten sich bemerk­bar. Doch dann reich­te es 1934 doch nur zu einer gründ­li­chen Renovie­rung des alten Gebäudes.

Inzwi­schen war das Leben der katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de durch die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Macht­er­grei­fung nicht gerade leich­ter gewor­den. Nach der 1933 verfüg­ten Auflö­sung des Gesel­len­ver­eins und des Jungmän­ner­ver­eins war sicher das Schul­ver­bot für Pfarrer Mattäus Jans (1936−1949) der schwers­te staat­li­che Eingriff. Pfarrer Jans hatte 1936 das Treue­ge­löb­nis für den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat verwei­gert, deshalb mußte der Religi­ons­un­ter­richt im Sommer in der Kirche und im Winter im alten Schwes­tern­haus abgehal­ten werden, immer in der Befürch­tung, daß auch dies bald nicht mehr möglich sein könnte. Im gleichen Jahr wurde auch die vierklas­si­ge »Katho­li­sche Bekennt­nis­schu­le« mit der einklas­si­gen evange­li­schen Schule zur »Deutschen Volks­schu­le« verei­nigt. Im weite­ren kam es, sieht man von der sich immer wieder manifes­tie­ren­den allge­mei­nen Religi­ons­feind­lich­keit des Regimes ab, zu keinen nennens­wer­ten weite­ren Einschrän­kun­gen des kirch­li­chen Lebens.

1945 gab es nun tatsäch­lich Trümmer jegli­cher Art zu besei­ti­gen. Diesmal war nach dem Krieg nichts mehr wie vorher: Flücht­lin­ge und Heimat­ver­trie­be­ne verän­der­ten die Bevöl­ke­rungs­struk­tur mehr, als es zunächst den Anschein hatte; mit der Ansied­lung der Firma Carl Zeiss wurde Oberko­chen endgül­tig zur Indus­trie­ge­mein­de, der rasan­te Anstieg der Einwoh­ner­zah­len erfor­der­te ständig neue Wohnge­bie­te und neue Struk­tu­ren. Auch während des Zweiten Weltkriegs waren die Glocken beschlag­nahmt und vom Turm geholt worden. Die Weihe der neuen Glocken am 25. Septem­ber 1949 war das erste große Fest der katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de nach dem Krieg, ein Schluß­punkt, so Pfarrer Rudolf Hager (1949−58), nach der Not der Kriegs- und Nachkriegs­jah­re. Die Glocken, auf das Salve Regina-Motiv Des-Es-As-B-des gestimmt, wurden von der ganzen Gemein­de als ein Symbol der neuen Hoffnung gefei­ert. (Die erste war der Mutter­got­tes geweiht: »Salve Regina«, die zweite den Kirchen­pa­tro­nen: »Sancti Petre et Paule Aposto­li, orate pro nobis«; die dritte, von der Indus­trie gestif­tet, mahnt: »Feßle durch Beten die jagen­de Zeit! Binde die Zeit an die Ewigkeit!« Die Friedens­glo­cke »Dona nobis pacem!« wurde von der Gemein­de gestif­tet, während das Armen­see­len­glöck­lein noch vom alten Geläu­te stammte.)

Am 20. Novem­ber 1949 fand die Gründungs­ver­samm­lung der »Kolpings­fa­mi­lie Oberko­chen« statt. Ihre Konsti­tu­ie­rung war schon 1933 beschlos­sen worden, konnte aber wegen des kurz danach erfolg­ten Verbots durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten nicht mehr durch­ge­führt werden.

Und dann begann die Bautä­tig­keit von Pfarrer Rudolf Hager. Zunächst wurde die Wiesen­ka­pel­le abgebro­chen, die, ohnehin renovie­rungs­be­dürf­tig, immer mehr von den Holzsta­peln des Sägewerks der Firma Bäuerle umzin­gelt wurde. An ihrer Stelle entstand im Weingar­ten die Kapel­le »Maria Schutz« — am 31. Juli 1950 von Pfarrer Hager einge­weiht. Nun erwies sich auch die Orgel als so schad­haft, daß ein Neubau von den Orgel­bau­ern Gebrü­der Reiser aus Biber­ach durch­ge­führt werden mußte. Die neue Orgel (3 Manua­le, 17 klingen­de Regis­ter, 2440 Pfeifen) wurde »ein Werk von hoher Qualität..liturgisch..im Stil einer süddeut­schen Barock­or­gel, eine wahre Königin der Instru­men­te«. (Rudolf Heller)

Das schon 1928 geplan­te neue Schwes­tern­haus konnte nun nach dem Baube­schluß des Kirchen­stif­tungs­ra­tes vom 24. Juli 1953 unter bemer­kens­wer­ter Mithil­fe der ganzen Kirchen­ge­mein­de endlich reali­siert werden. In diesem Zusam­men­hang möchte ich die Zahlen von 1980 nennen, durch die das selbst­lo­se Wirken der Franzis­ka­ne­rin­nen aus Reute ersicht­lich wird: 4 336 Hausbe­su­che, über 1000 Beratun­gen, dazu die ambulan­ten Behand­lun­gen und andere pflege­ri­sche Maßnahmen.

Seine Haupt­auf­ga­be sah Pfarrer Hager von Anfang an in der Renovie­rung der Pfarr­kir­che, schon 1953 schreibt er: »…Es wird nun freilich bald aller­höchs­te Zeit, die Kirchen­re­stau­rie­rung gründ­lich in die Hand zu nehmen.« Und das tat er dann auch. Will man sich zu seiner Kirchen­re­no­vie­rung kritisch äußern, muß man zuvor auf seine Zeit schau­en: Die katho­li­sche Kirchen­ge­mein­de in Oberko­chen hat sich seit Kriegs­en­de nicht nur in der Bevöl­ke­rungs­zahl, sondern auch in ihrem Selbst­ver­ständ­nis geändert. Wie überall in den fünfzi­ger Jahren erfolg­te auch in Oberko­chen durch die verstärk­te Mitwir­kung der Laien am Gottes­dienst und die Rückbe­sin­nung auf die wesent­li­chen Grund­zü­ge des christ­li­chen Glaubens die Hinwen­dung zu einer neuen Sachlich­keit im kirch­li­chen Bereich. Alles Gefühl­vol­le, Senti­men­ta­le, Trösten­de wurde suspekt und mußte einer mehr oder weniger abstrak­ten Symbo­lik weichen. Die neuen Kirchen began­nen sich an Nüchtern­heit und Kargheit der Ausstat­tung zu überbie­ten. Wir sehen die Renovie­rung von 1957 wohl deshalb als mißlun­gen an, weil die Auswir­kun­gen der Beton- und Glasar­chi­tek­tur sich auch auf die alten Kirchen erstreck­ten, die in dieser Zeit renoviert wurden. Kein Wunder, daß die ledig­lich schmü­cken­den und erzäh­len­den Malerei­en, die alten Farbfens­ter und all die gotischen, barocken und neuro­ma­ni­schen Zeugnis­se einer gefühl­vol­le­ren Frömmig­keit in einer heute als bilder­stür­me­risch empfun­de­nen Weise entfernt wurden. Nüchtern, glatt­flä­chig, in Weiß und Grau, belebt nur von den stark farbi­gen, etwas gewollt abstra­hie­ren­den neuen Fenstern bot sich die renovier­te Kirche den Gemein­de­mit­glie­dern dar.

Der Trend zu neuen und zeitge­mä­ße­ren Formen der Litur­gie und zu einer stärke­ren Demokra­ti­sie­rung des kirch­li­chen Lebens setzte sich unter Pfarrer Konrad Forster (1958−1972) fort. Vor allem die Verwirk­li­chung der Beschlüs­se des II. Vatika­ni­schen Konzils und eine stärke­re Hinwen­dung zu gesell­schaft­li­chen Fragen kennzeich­nen das Wirken des neuen Pfarrers: Schon 1958 regte er die Gründung eines Ortsver­ban­des der »Katho­li­schen Arbei­ter­be­we­gung« (KAB) an, die aus den katho­li­schen Arbeit­neh­mer­ver­ei­nen von Bischof Kette­ler hervor­ge­gan­gen war und die sich an die indus­tri­el­len Arbei­ter wendet. Die KAB vertritt die katho­li­sche Sozial­leh­re, wie sie in den Sozial­enzy­kli­ken grund­ge­legt ist, sie ist gleich­zei­tig die organi­sa­to­ri­sche Grund­la­ge für den ökume­nisch angeleg­te Arbeits­kreis »Kirche und Arbeits­welt«, der sich seiner­seits mit religiö­sen, aber auch arbeits­recht­li­chen und sozial­po­li­ti­schen Themen befaßt.

Immer deutli­cher stell­te sich heraus: Sollte sich die Kirchen­ge­mein­de als leben­di­ge Gemein­schaft empfin­den, bedurf­te es eines Gemein­de­zen­trums als Forum dieser verstärk­ten gesell­schaft­li­chen Aktivi­tä­ten. Nach umfang­rei­chen Planun­gen und Bemühun­gen um die Finan­zie­rung — unver­ges­sen die »Grüne-Punkt-Aktion« — wurde im Oktober 1967 das »Rupert-Mayer-Haus« mit dem Kinder­gar­ten »Sankt Micha­el« eingeweiht.

Und schließ­lich löste ein Jahr später der aus einer direk­ten Wahl der inzwi­schen 4 700 Katho­li­ken hervor­ge­gan­ge­ne und mit allge­mei­nen demokra­ti­schen Beschluß­rech­ten ausge­stat­te­te Pfarr­ge­mein­de­rat (ab 1972 Kirchen­ge­mein­de­rat) den bisher von der Ortskir­chen­steu­er­ver­tre­tung bestell­ten Kirchen­stif­tungs­rat ab.

In der Amtszeit von Pfarrer Rudolf Vogt (1973−1976) begann die Diskus­si­on um eine neuer­li­che Kirchen­re­no­vie­rung. Von ziemlich weitge­hen­den Vorstel­lun­gen — eine Altar­in­sel unter der Vierung, zentra­le Anord­nung der Kirchen­bän­ke unter Aufhe­bung des Mittel­gangs — gelang­te man dann unter Pfarrer Jan Snoeren (seit 1977) zu einfühl­sa­me­ren und stilge­rech­te­ren Lösun­gen. Nach dem Renovie­rungs­be­schluß des Kirchen­ge­mein­de­rats von 24. Novem­ber 1977 began­nen die Bauar­bei­ten unter der Leitung von Archi­tekt Willi­bald Mannes. Mit der Neufas­sung der Skulp­tu­ren und der Farbge­bung in der Kirche betrau­te man Herrn Elsäßer, mit der Neuge­stal­tung des Altar­rau­mes Herrn Tagwer­ker. In zwei Pfarr­ver­samm­lun­gen am 17. April 1978 und am 19. Novem­ber 1979 wurde das vom Bauaus­schuß und den Exper­ten der Diozö­se und des Landes­denk­mal­sam­tes erarbei­te­te und jeweils aktua­li­sier­te Konzept vorge­tra­gen und ausführ­lich diskutiert.

Bei der Altar­wei­he am 3. Juni 1981 durch Bischof Georg Moser erleb­ten die Oberko­che­ner einen Kirchen­raum, dessen archi­tek­to­ni­sche Schön­heit durch eine neue Wandglie­de­rung, eine warme und doch zurück­hal­ten­de Farbge­bung und durch eine stilvol­le Ausstat­tung aufs glück­lichs­te hervor­ge­ho­ben wurde. Das seelsor­ger­li­che Wirken von Pfarrer Jan Snoeren — gleicher­ma­ßen auf die Wieder­be­le­bung alter und teilwei­se vernach­läs­sig­ter Formen der Frömmig­keit und des sakra­men­ta­len Lebens gerich­tet wie auf Neuerung und Öffnung — fand im Motto der Haupt­mis­si­on vom 14.–29. Novem­ber 1981 »Glauben wagen« seinen adäqua­ten Ausdruck. Daß die Missi­on von beiden Kirchen­ge­mein­den auf ökume­ni­scher Basis gestal­tet wurde, war ein spekta­ku­lä­res Ereig­nis ohne Beispiel im Lande. Bemer­kens­wert war auch die Art der Durch­füh­rung: Die in häusli­chen Gesprächs­krei­sen — bei gegen­sei­ti­ger Teilnah­me von katho­li­schen und evange­li­schen Chris­ten — unter der Leitung der Missio­na­re bespro­che­nen Themen­krei­se wurden vorher in zahlrei­chen »Bezirks­ver­samm­lun­gen« von den Gläubi­gen selbst erarbei­tet — eine Missi­on von unten nach oben!

Der ökume­ni­sche Gedan­ke ist in Oberko­chen längst über das Stadi­um der gegen­sei­ti­gen Tolerie­rung hinaus­ge­gan­gen, eine eindrucks­vol­le Liste gemein­sa­mer Aktivi­tä­ten beweist dies: Es gibt ökume­ni­sche Gottes­diens­te je abwech­selnd in der evange­li­schen und katho­li­schen Kirche, ökume­ni­sche Gottes­diens­te auch bei Jahrgangs­fei­ern, beim Stadt­fest; die beiden Kirchen­ge­mein­de­rä­te treffen sich zu gemein­sa­men Sitzun­gen, eine gemein­sa­me wöchent­li­che Bibel­stun­de gibt es, ebenso den ökume­ni­schen Jugend­kreis, teilwei­se gemein­sa­men Religi­ons­un­ter­richt im Gymna­si­um, die ökume­ni­sche Nachbar­schafts­hil­fe und in Fortset­zung der Missi­on die häusli­chen Gesprächskreise.

Ergänzt und erwei­tert wird diese Öffnung der Kirchen­ge­mein­de nun auch durch die Hinwen­dung zur Dritten Welt: Seit Jahren erweist sich die kirchen­ge­meind­li­che Caritas auch in der Partner­schaft mit einer Slum-Pfarrei in Nairobi.

Bewah­rung und Offen­heit — keine schlech­te Voraus­set­zung für den Weg unserer katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de in eine hoffent­lich geseg­ne­te und fried­vol­le Zukunft.

Quellen:

  • Verschie­de­ne Ausar­bei­tun­gen zur Geschich­te Oberko­chens, beson­ders von Albert Seckler, Dietrich Bantel, Josef Balle, Alfons Herrmann, OL Mager, Susan­ne Feil, Pfarrer Hager
  • Staats­ar­chiv Stutt­gart (Ludwigs­burg)
  • Christ­hard Schrenk, 400 Jahre Evange­li­sche Kirchen­ge­mein­de Oberkochen
  • Beschrei­bung des Oberamts Aalen von 1854

Rudolf Heite­le