Wenn wir heute in der Geschich­te des Brauch­tums um 50 Jahre zurück­blät­tern, dann suchen wir die Zeit um die letzte Jahrhun­dert­wen­de. Es war die Zeit, in welcher unter anderem man noch einen Schul­tes kannte, auch einen Polizei­die­ner und einen Nacht­wäch­ter. Des Polizei­die­ners Hosen und Rock war noch mit roten Pasbel besetzt und seine Mütze glich derje­ni­gen des preußi­schen Unter­of­fi­ziers. Der Nacht­wäch­ter hatte wohl keinen Spieß mehr, aber er blies noch brav mit seinem Horn die Nacht­stun­den an. Diese Zeit mag 50 und etwas mehr Jahre zurück­lie­gen und gar manchem als lang dünken, doch denen, die damals jung waren und Fasnet spiel­ten, sie meinen gerade an der Fasnet, es sei erst gestern gewesen. Gewiß, es mögen manche Menschen fragen und schon gefragt haben, was denn die vielen, die jedes Jahr an dieser Narre­tei um die Fasnets­zeit teilneh­men, zum Ausdruck bringen wollen. Die Antwort darauf könnte und würde am besten der volks­kund­li­che Wissen­schaft­ler geben, aber wir können uns auf diesem kleinen Blatt nicht daran aufhal­ten, oder vielleicht erst später etwas, denn sonst bliebe am End kein Plätz­lein mehr übrig für das, was wir mitein­an­der plaudern möchten, über die Fasnet zu Oberko­chen vor 50 Jahren.

»Woisch no!« würden zwei Alte am Stamm­tisch mitein­an­der zu reden begin­nen, wenn sie auf das Thema »Fastnacht« kommen würden. »Ja«, würde der eine sagen, zu unserer Zeit dau hat ma no et gsaid »Fasnet«, dau hat ma so richtig Oberko­che­ne­risch gsaid: »An dr Faasnacht« (Fastnacht). Aus der Unter­hal­tung dieser beiden Stamm­tisch­freun­de könnten wir dann noch etwa folgen­des entneh­men: Vor 50 Jahren, als wir noch »Mäsch­ker­les« taten, da war unser Dorf noch recht klein. Aus der Schule wußte man es, daß es ganze 1300 Einwoh­ner damals gezählt hatte. Es gab eine Langgas­se, eine Kirch­gas­se, einen Katzen­bach, einen Brongel und dann noch s’Kies und den Rosch, das Feigen- und Jäger­gäß­le hingen so an der Seite. Das war alles was das Dorf ausmach­te, aber es war viel, denn es war eine Welt, in der zu allen Zeiten sich für die Jugend und die Kinder, unbeschwert um die Sorgen der Alten, so vieles abspiel­te auch immer wieder die »Fasnet« mit ihrem närri­schen Getue, ihrer Ausge­las­sen­heit, aber auch ihrer echten Fröhlich­keit. Da gab es noch ein Maschker­le­ben sagte der eine, am Stamm­tisch. War einmal Licht­meß vorüber, dann lag von der Narre­tei schon etwas in der Luft. Gewiß, es war eine beschei­de­ne, ja sogar eine fast primi­ti­ve Sache, wenn sich irgend­wo einer mit einer Maske­ra­de auf die Gaß getrau­te, aber es war doch eine richti­ge Sache. Diese Maske­ra­de bestand dann aus einer selbst­ge­fer­tig­ten Larv. In der oberen Hälfte waren die Augen ausge­schnit­ten, auch die Nase hatte ein kleines Ventil und das Maul und der Schnurr­bart war mit Wichse aus Gentners Wichse­schäch­tel­chen gemalt.
Als Kleidung diente ein alter Rock, eine Bluse und ein Kapott­hüt­le aus der Ahne ihrem Kasten. In der Hand hatte dieser erste Maschker eine Rute zur Abwehr der Buben- und Mädel­schar, die ihn schrei­end und johlend umring­ten. Man kannte damals noch keine India­ner und Cowboy. Aus dem Schrei­en und Johlen hörte man immer wieder von den Kleine­ren den Reim,

Misch­ker­le, Mäsch­ker­le, hopf ins Schächtele

oder auch den einen:

Heute ist die Fasenacht, wo mei Muatter Küchle backt,
wenn sie aber koine backt, pfeif i auf dui Fasenacht

Ja, der erste Maschker war fast immer ein Ereig­nis für die Schul­ju­gend; meist tauch­te er im Rosch auf, dort um den Holzwart­be­cken herum. Doch schon bald sah man auch die Katzen­bä­cher und die Langgäß­ler Maschker in der Kirch­gas­se und umgekehrt. Man kannte den Gumpen­don­ners­tag, den rußigen Freitag und den schmal­zi­gen Samstag. Es waren die Tage vor der eigent­li­chen Fastnacht. Am Fastnachts­tag selbst traten die kleinen Maschker­les­grup­pen, die nun all die Vorta­ge soviel Lärm gemacht hatten in den Hinter­grund, denn an diesem Tag kam die Narren­grup­pe der jungen Burschen durch das Dorf gezogen. Da waren dann auch die Alten gespannt darauf, wer nun gespielt wurde, wer nun herein­ge­nom­men war in den Ulk und das Narren­spiel des Jahres. Meist war es eine Sache, die im Ablauf des Jahres eine zeitlang das Dorfge­schwätz gewesen war. Daher stammt auch der Spruch »den spielt man an der Fastnacht« Gerne war dazu ein Pritschen­wa­gen genom­men, der die Bühne darstell­te. Unter dem Drum und Dran des ganzen Aufzugs gab es gar manch inter­es­san­te Figur zu sehen. Zu ihnen gehör­te auch oft der Schul­tes, der Polizei­die­ner und der Nacht­wäch­ter, aber auch mancher von den Gemein­de­rä­ten mußte herhal­ten und nicht zuletzt der Schul­meis­ter. Alle Gestal­ten waren dem Dorf entnom­men und alle spiel­ten ihr »Narrets­ei« so recht urwüch­sig Oberko­che­ne­resch. Wie köstlich war doch einmal die Figur des Nacht­wäch­ters M. Deinin­ger und die des alten Polizei­die­ners Wingho­fer bei einem Spiel um das Fensterln. Ein paar alte Hexen fehlten auch nie. Auch das Handwerk hatte seine Vertre­ter, so die Schnei­der und Schuh­ma­cher. Die ganze Narren­grup­pe am Fastnachts­diens­tag bestand aus jungen Männern. Mädels oder gar Frauen hatten sich wohl nie getraut, mitzu­ma­chen. Eigent­li­che Masken- oder Kostüm­bal­le, im Sinne der heuti­gen, gab es damals in Oberko­chen nicht. Allen­falls konnte man es eine Kappen­sit­zung heißen, wenn an manchem Abend und der Fastnacht selbst, irgend­wo Gruppen zusam­men kamen um Fasching zu feiern, wobei oft ein buntes Käppchen und eine rote Papier­na­se die ganze Narren­aus­rüs­tung war. Von den Bauern­söh­nen aber konnte man dabei manchen sehen, der im Aufzug des Ururgroß­va­ters erschie­nen war, der roten Weste mit Silber­knöp­fen, weiße Strümp­fe und der Zipfel­kap­pe. Selbst­ver­ständ­lich wurde getanzt, gefes­tet und viel Narre­tei getrie­ben und zwar bis zur letzten Minute der Polizei­stun­de vor dem Aschermittwoch.

Für manchen war dann der Morgen des Ascher­mitt­wochs ein wirkli­cher Katzen­jam­mer­mor­gen. So wie es damals vor 50 Jahren war, mag es auch heute noch sein. Einmal im Jahr will Scherz und Frohsinn sich im Ulk und der Narre­tei austo­ben, wie aller Orts in deutschen Landen so auch zu Oberkochen.

Fast könnte man meinen, es entsprin­ge einem Natur­ge­setz. Bei diesem Gedan­ken lassen wir nun doch noch einen Chronis­ten in einigen Sätzen zum Wort kommen über »die Fastnacht« und den ihr folgen­den Ascher­mitt­woch im Brauch­tum des Volkes. Wer vom Anfang des Faschings­brau­ches etwas wissen möchte, der muß diesen im kirch­li­chen Raume des Mittel­al­ters suchen und von hier noch weiter zurück mit dem Unter­schied, daß er dort einen anderen Sinn finden wird. Jeden­falls hängt der Brauch in seiner heuti­gen Form mit dem Fasten­ge­bot der Kirche zusam­men. Schon die christ­li­chen Urgemein­den hatten sich Enthalt­sam­keit im Genuß von Speisen aufer­legt und zwar als Sühne­op­fer. Dieses Fasten, ob freiwil­lig oder unfrei­wil­lig, bedurf­te im Laufe der Zeit einer geord­ne­ten Ausrich­tung. Die Kirche schuf diese Ordnung in einer wohldurch­dach­ten und mögli­chen Fasten­ord­nung. Unter den Fastta­gen war bekannt­lich das 40-tägige Oster­fas­ten das strengs­te und längste.

Der mittel­al­ter­li­che Mensch, der es mit dem Gebote ernst nahm, faste­te streng. Vor allem enthielt er sich der Fleisch­spei­sen. Es ist u. a. aus dem Ende des 13. Jahrhun­derts berich­tet, daß in Oberdeutsch­land die jungen Leute am Oster­tag aus Freude darüber, daß die Fasten­zeit vorbei war und sie wieder Fleisch essen durften, aller­lei Ausge­las­sen­heit getrie­ben haben u. a. auch das Schla­gen der Vorüber­ge­hen­den mit sogenann­ten Pritschen und auch mit Ruten. Was damals am Ende der Fasten­zeit Brauch war, verleg­te sich ab dem Jahre 1400 auf die Zeit vor der Fastenzeit.

Aus dieser Zeit ist aus einer Chronik folgen­des berich­tet: »Als aber in Basel eine »new gewohn­heit« einriß, im Advent verlarvt zu gehen und ehrba­re Leute zu überfal­len, verbot der Rat den Unfug im Jahre 1418: »Das soll niemand mehr gestat­tet sein, heißt es, außer in der Fastnacht«. An einer anderen Stelle ist berich­tet: »Das Fasten nahm seinen Anfang am Ascher­mitt­woch, das ist am Mittwoch nach dem Sonntag Quinquage­si­ma.« Ursprüng­lich feier­te man die Nacht vor dessen Beginn. Bei der bekann­ten Sucht, Feste zu erwei­tern, dehnte das Volk diese Vorfei­er allmäh­lich auf mehre­re Tage aus nach rückwärts, so daß zuletzt aus der einen Fastnacht drei Fastnachts­ta­ge wurden.

Die streng religiö­se Auffas­sung des mittel­al­ter­li­chen Menschen läßt es aber anderer­seits wieder verste­hen, daß er nach dem Fastnachts­trei­ben zu besinn­li­chem Ernst zurück­kehr­te und am Ascher­mitt­woch demütig nieder­knie­te und sein Haupt mit Asche bestreu­en ließ; dieser Brauch dürfte fast ebenso alt sein wie die Fastnacht. Mehr darüber wird in einem späte­ren Artikel zu behan­deln sein.

Franz Balle

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