In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gab es vier Mühlen in Oberkochen: die “Öl- und Schleifmühle”, die “Obere Mühle”, die “Untere Mühle” und die “Kreuzmühle”.
Die “Öl und Schleifmühle” lag am Abfluß des Ölweihers an der heutigen Leitzstraße. Eine erste Erwähnung als Schleifmühle findet sich (nach der Beschreibung des Oberamtes Aalen, Stuttgart 1854, S. 297 bereits 1498. Im Jahr 1725 ist von einer Ölmühle die Rede, in den folgenden Jahr-zehnten kam noch eine Gipsmühle hinzu.
Auch die Kreuzmühle entstand ursprünglich als Öl und Gipswerk. Sie wurde 1845 erbaut und etwa 50 Jahre später zu einer Getreidemühle umgerüstet.
Wesentlich älter sind die »Obere und die Untere Mühle«. Gemeint sind damit die Mühlen »Zimmer-mann« und» Scheerer«.
Die Mühlen in unserer Gegend waren über Jahrhunderte auf die Wasserkraft angewiesen. Der Kocher spielte in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle, und auch die Obere und die Untere Mühle (Zimmermann und Scheerer) siedelten am Kocher an. Sie befinden sich aber nicht direkt am Flußbett. Ein Kanal zweigt vor der Oberen Mühle ab, führt an der Unteren Mühle vorbei und mündet danach wieder in den Kocher ein. Die Obere Mühle (Zimmermann) existiert heute nicht mehr. Die weiter in Richtung Unterkochen gelegene Untere Mühle ist dagegen noch vorhanden und voll funktionsfähig.
Manchmal führt die Bezeichnung Untere Mühle für das Scheerersche Anwesen zu Verwirrung, weil diese Mühle “doch viel weiter oben am Kocher liegt” als die zweite, heute noch bekannte Mühle, die Kreuzmühle. Die Begriffe “oben” und “unten” beziehen sich aber nicht auf die heutigen (Scheerer und Kreuzmühle), sondern auf die beiden alten Kochermühlen (Zimmermann und Scheerer).
Die Untere Mühle (Scheerer) kann auf eine sehr alte Tradition zurückblicken. Ihre erste urkundliche Erwähnung reicht ins Jahr 1358 zurück, die dortigen Müller lassen sich bis ins Jahr 1390 zurückverfolgen, wobei die Besitzerfamilie immer wieder wechselte. 1862 kaufte Caspar Scheerer, der von Beruf Ziegler war, die Untere Mühle. Ihm gehört die Ziegelhütte zwischen Oberkochen und Königsbronn. Dort hatten er und seine Vorfahren über 100 Jahre lang feuerfeste Ziegel und Backsteine gebrannt, die von besonderer Qualität waren. Sie fanden z.B. beim Ausmauern der Eisenbahnheizkessel Verwendung. Bevor 1865 die Bahnlinie von Aalen nach Heidenheim fertiggestellt worden war, transportierte Scheerer seine Produkte mit einem Pferdewagen zu seinen Kunden, zu denen z.B. die Maschinenfabrik in Esslingen zählte.
Der Lehm konnte direkt bei der Ziegelhütte gewonnen werden. Die alten Lehmgruben sind heute noch erkennbar. Um 1860 scheint die Lehmqualität aber immer schlechter geworden zu sein. Deshalb sah sich Caspar Scheerer nach einem anderen Betätigungsfeld um. 1862 stand die Untere Mühle in Oberkochen zum Verkauf an. Dem Vorbesitzer, Josef Stadelmaier, hatte das Anwesen fast 40 Jahre lang gehört. Weil dieser in Geldschwierigkeiten geraten war, mußte er die Mühle verkaufen. Da Scheerers Sohn Georg den Beruf des Müllers erlernt hate, lag es nahe, von der Ziegelei in eine Mühle überzuwechseln. 1877 ließ Scheerer die alte Mühle abreißen und an gleicher Stelle eine neue aufbauen. Die zuvor vorhandenen vier kleinen Wasserräder ersetzte er durch ein großes, das eine Breite von 2,5 Meter und ein Gefälle von 3,5 Meter aufweist. Die Kraft des Wassers wird über verschiedene Zahnräder und Gestänge auf die Mühlsteine, die heute durch Walzenstühle ersetzt sind, übertragen. Im untersten Stockwerk der Mühle stehen große Säcke, in denen die einzelnen Mahlprodukte, vom Mehl bis zum “Dreck” aufgefangen werden.
1885 verkaufte Scheerer die Ziegelhütte an Georg Widmann, dessen Nachfahren noch heute das inzwischen vergrößerte und modernisierte Anwesen betreiben.
Die Untere Mühle befindet sich damit seit mehreren Generationen und seit fast 125 Jahren im Besitz der Familie Scheerer. Nach dem Käufer der Mühle, Caspar Scheerer, hielten zuerst dessen Sohn Georg, danach dessen Enkel Caspar und bis zum heutigen Tag dessen Urenkel Hans Scheerer die Müllereitradition aufrecht.
Die einzelnen Familien mahlten etwa drei- bis viermal im Jahr. Für einen bestimmten Tag “bestellten” sie die Mühle vor. Wenn das vereinbarte Datum gekommen war, transportierten sie mit Schubkarren, Kuhwagen, oder was immer sie sonst zur Verfügung hatten, ihr gedroschenes Getreide zur Mühle. Je nach Familiengröße handelte es sich jeweils um zwei bis fünf Sack, wobei ein Sack etwa 75 Kilogramm wog. Nach der Ernte bis in die Weihnachtszeit und von Neujahr bis Ostern und oft noch darüber hinaus lief die Mühle ununterbrochen. Viele Leute mußten sogar in der Nacht kommen, um ihr Getreide mahlen zu können. Erst in den Wochen vor der nächsten Ernte ging es etwas ruhiger zu.
Es war üblich, selbst zu mahlen oder zumindest kräftig mitzuhelfen. Wer die Mühle benützte, mußte einen “Mahllohn” entrichten. Es gab verschiedene Formen der Bezahlung. Bargeld war dem Müller am liebsten, doch eben das hatten die meisten seiner Kunden am wenigsten. So wurde der Müller meist in Naturalien entlohnt, oder er behielt ca 5% des Getreides als Mahllohn ein. Etwa weitere 5 % des Getreides sind übrigens “verstaubt” oder “verdunstet”.