Wie überall in deutschen Landen stand auch bei uns in Oberkochen die Kirchweih einst in der brauchtumsmäßigen Feierlichkeit nicht an letzter Stelle der Feste, die im Jahresablauf unserer Vorfahren verzeichnet waren. Der Artikel 9 des Aalener Protokolls aus dem Jahre 1749, der bereits in einem der »Blätter zu einem Oberkochener Heimatbüchlein« erschienen ist, läßt erkennen, daß die Kirchweih damals in Oberkochen noch ganz groß gefeiert worden ist. Acht volle Tage dauerte sie. Natürlich ist hier nicht die kirchliche, sondern die Feier die außerhalb stattgefunden hat, gemeint. Nach den heutigen Begriffen war sie nichts anderes als ein Volksfest im engeren heimatlichen Raum. Aus einer Darstellung über das Brauchtum, von Dr. Veit, Freiburg, geht hervor, daß im späteren Mittelalter vier bis fünf Gemeinden zusammengekommen sind und mit großen Mahlzeiten, mit Weinschank und Tanz den weltlichen Teil der Kirchweih gefeiert haben.
Wenn wir lesen, daß in Oberkochen um das Jahr 1749 gegen eine Übertreibung dieser Festerei die Obrigkeiten der beiden Dorfteile einschreiten mußten, dann liegt die Vermutung nahe, daß Oberkochen damals ein kirchweihfestlicher Mittelpunkt der Umgebung war, der auch von auswärtigen Gemeinden besucht wurde. Nach dem oben genannten Protokoll hatte die ellwängische Regierung das alleinige Recht, über die Abhaltung des Kirchweihfestes in Oberkochen Vorschriften und Anweisungen zu erlassen.
Diese betrafen den Umfang des Weinausschankes, die Zahl der Spielleute, die für den Tanz bestellt werden durften und die Zeit, zu welcher das Tanzen beendigt sein mußte. Unter diesem Alleinrecht müssen wir uns ein Recht vorstellen, das schon lange vor der Zeit der württembergischen Grafen und Herzöge existierte. Es ist sogar nicht zuviel vermutet, wenn wir sagen, es habe sich um ein Recht aus der Zeit gehandelt, in der Oberkochen ungeteilt zur Herrschaft der Grafen von Dillingen gehört hat, also einer Zeit, in der Oberkochen noch nicht 2 Kommunalverwaltungskörpern unterstanden hatte, einem ellwängischen und einer königsbronnischen, in der es auch noch keine unterschiedlichen Konfessionen gegeben hat. In einer Klage war um 1749 bei der ellwängischen Regierung vorgebracht worden, daß der ellwängische Schultheiß es nicht beanstande, wenn an der Kirchweih mehr Wein ausgeschenkt werde, als von der Herrschaft bewilligt worden sei, auch, daß die Dauer des Festes zu lang sei und im Übermaß getanzt werde. Der Klage wurde insoweit stattgegeben, als die Dauer von 6 Tagen auf 3 Tage herabgesetzt wurde. Auch die Zahl der Weinfässer wurde dezimiert und wegen des Tanzens wurde weitere Mahnung zur Beobachtung der Vorschriften gegeben.
Aus späteren Zeiten, ja noch aus der Zeit um 1850 wissen wir, daß die Kirchweih vom Sonntag bis Montag gedauert hat und der Dienstag mit dem Namen »Nachkirbe« belegt war. Wer von den Alten erinnert sich nicht noch an die »Kirrweihen« in unserem bäuerlichen Dorf Oberkochen vor 50 und 60 Jahren? Futter und Getreide waren unter Dach, die Weischäcker waren zum großen Teil geweischt und nur noch ein paar späte Obstsorten hingen draußen; auch die Kartoffeln waren im Keller und nur noch vereinzelt fuhren die Rübenwagen. Auf den Wiesen hatten die Viehhirten ihre Feuerlein brennen und suchten sich auf den abgeernteten Kartoffeläckern Kartoffeln zum Braten. Wer am Kirchweihsamstag noch auf dem Felde war, sah nach dem nachmittäglichen Vesperläuten um vier Uhr nach dem Kirchturm, wo der Meßner um diese Zeit die weißgelbe Kirchenfahne hinaushängte. Ja — man spürte sich geradezu hineingenommen in die echt bäuerliche Behaglichkeit nach getaner Arbeit. Die Dorfstraßen waren am Kirchweihsamstag besonders sauber gekehrt und aus den Häusern duftete der feine Geruch gebackener Kuchen, denn fast jedes Bauernhaus hatte noch seinen eigenen Backofen. Aber auch die Bäcker hatten vollauf zu tun mit den vielen Zwetschgen- und Apfelkuchen und anderem Gebäck. An den, Sonntagen vor und nach dem Kirchweihsonntag hielten die Wirte ihre Hauskirchweihen der Reihe nach ab. Fast von jedem Haus durften sich die Wirte eines Besuches erfreuen.
Wir haben bereits vernommen, daß besonders auch der Tanz zu den Kirchweihtagen gehörte und die Jugend sich auch daran gütlich tat, nicht minder als sie es heute tut; aber im Vergleich zu heute hatten die Dinge um den Tanz eine besondere Seite. Noch um die Mitte des letzten Jahrhunderts holte der Bursche sein Mädchen mit Musik und einer Flasche Wein in der Hand zum Kirchweihtanz ab. Als es noch Kunkelstuben gab wurden dort die Mädchen von den Burschen mit Musik abgeholt. Daß es an der Kirchweih auf dem Tisch auch Bockbraten gab, läßt der alte Vers vermuten: »Wenn Kirrweih kommt, wenn Kirrweih kommt, nau schuißt mei Vater en Bock«. Von den Redensarten kennen wir noch: »Jetzt hats nausglangt wie an dr Kirrweih und dau ist nex übrig bliebe« Oder: »Des ist besser als an der Kirrweih gar nex,« oder »s’wurd au wieder Nacht wia an dr Kirrweih.«
Dieses wenige an Erinnerungen an unsere alten Kirchweihbräuche regt vielleicht manchen Leser an, zu der nachdenklichen Frage nach Ursprung und dem Sinn des Kirchweihfestes überhaupt. Dazu möchte hier in Kürze noch folgendes gesagt sein: Der Name Kirchweih verrat schon von selbst, daß der Ursprung des Festes im kirchlichen Raum zu finden ist. Das Brauchtum um das Kirchweihfest war in alten Zeiten grundsätzlich religiös orientiert. Die Literatur über volksfrommes Brauchtum bekundet, daß das religiöse Gefühl bei den Deutschen stärker und kraftvoller gewesen sei wie bei vielen anderen Völkern der Erde. Ihre Ausdrucksformen gestalteten sie äußerst bildhaft. Schon das Frühmittelalter gibt davon Zeugnis, aber seine ganze Entfaltung finden wir im späteren Mittelalter, besonders wenn es galt, Kirchenfeste zu feiern. Um das Kirchweihfest hatte sich bald ein Kranz von Gebräuchen gebildet oder wie der Chronist sagt, eine »Profanfeier«.
Das Kirchweihfest stammt aus der Zeit weit vor der Glaubensspaltung in Deutschland. Es war das Fest, das früher jede Gemeinde an dem Tag feierte, an dem seine Kirche einmal eingeweiht worden war. Später wurde dann ein einheitlicher Tag eingeführt. Bei unseren Vorfahren früherer Jahrhunderte war die Kirche wirklich alleiniger geistiger Mittelpunkt. Hier war für sie das Allerheiligste. Im sonntäglichen Gottesdienst fehlte in einer Dorfgemeinde niemand. Das ganze Leben mit all seiner Last, seinen Freuden und seinen Leiden war nach dorthin orientiert. Der mittelalterliche Mensch in seinem kindlich-frommen Sinn fühlte sich geborgen in seiner Kirche. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn er gerade am Kirchweihfest eine überströmende Dankesfreude zum Ausdruck brachte und er an dieser nicht nur die Seele teilnehmen lassen wollte in stillem Gebet, sondern auch der Leib sollte seinen Anteil an der Freude haben. Die große Bedeutung von der Kirche her lag darin, daß er die Festesfreude vom Altar in die Gemeinschaft hinaustrug. Ein vorzüglicher Kenner der Kultur des Mittelalters schreibt, daß Feste wie das Kirchweihfest, wirklich Feste der Gesamtheit waren, nicht gewöhnliche Feste ohne tieferen Sinn.
Andererseits ist bekannt, daß der mittelalterliche Mensch es auch fertig brachte, über das Maß hinaus zu fasten. Heute wissen wir, daß das Kirchweihfest im kirchlichen Raume nichts eingebüßt hat, daß aber vom profanen Teil nur noch kleine Spuren sich zeigen. Selbst die noch vor Jahren gebräuchlichen Kirchweihen der Wirte mit ihren Gänsebraten, ihrem Sauerkraut und Bratwürsten verblassen Zusehens. Da und dort liest man wohl noch Einladungen zu einer Wirtskirbe. Immer mehr aber liest man jetzt auch das abgewandelte »Einladung zum Jahresessen«. In dieser scheinbar unwichtigen Änderung fällt nicht auf, daß es hier um das Ende eines Stückes uralten Volksbrauchtums geht, das unsere Vorfahren in ihrem Jahresablauf nicht wegzudenken vermocht haben.
Franz Balle