Wir veröf­fent­li­chen heute einen Bericht, den uns BuG-Leserin Luitgard Hügle aus Itali­en zusand­te, — »Kindheit«. Gemeint sind die Jahre etwa von 1945 bis 1950, — also genau die Zeit, in der Oberko­chen an der Grenze vom alten einheit­li­chen Dorf und einer atembe­rau­ben­den Entwick­lung in die Zukunft stand.

Das zeitlich zu diesem Bericht passen­de Foto stammt von Herrn Robert Wolff und ist auf der Rücksei­te »Oberko­chen im Jahre 1947« beschrif­tet. Die Ansicht zeigt den letzten Moment des unver­än­der­ten Dorfs, das zu dieser Zeit noch ca. 2000 Einwoh­ner hatte. Auf den Wiesen, Gärten und Feldern im Vorder­grund erstre­cken sich heute der Gerhart-Haupt­mann-Weg, die Walther-Bauers­feld-Straße, die Schil­ler­stra­ße u.a., — der Flurna­me für diesen großen, damals noch unüber­bau­ten Bereich heißt »Bühl«. Das Bauland nannte man »Bühl/Gutenhach«. Der Guten­bach ist erkenn­bar. Das Foto ist gesto­chen scharf und man kann auf dem Origi­nal mit dem Vergrö­ße­rungs­glas jedes einzel­ne Gebäu­de gut erken­nen, — sodaß die Jahres­an­ga­be 1947, die offen­bar nicht gesichert ist, überprüft werden könnte. Das »Bergheim«, rechts in der Mitte gegen den Bildrand, scheint einge­rüs­tet zu sein. Zwischen Martha-Leitzhaus und Dreißen­tal­stra­ße, dem Bereich, der heute von Carl Zeiss völlig überbaut ist, erste­cken sich noch die Garten­an­la­gen der Firma Fritz Leitz.

Oberkochen

Dietrich Bantel

Kindheit
Wenn man mich fragte: »wem gehörst denn du« antwor­te­te ich stolz »am Gruppa Paul und dr Becka Lena« was mit einem Schmun­zeln quittiert wurde und mich bald glauben ließ, jeder­mann in Oberko­chen kenne mich. Natür­lich kannte man mich, das heißt, man wußte, wem ich gehör­te und wo man »hinein« gehör­te war wichti­ger als der Name.

In diesen Kindheits­jah­ren war ich viel unter­wegs im Dorf, teils mit Boten­gän­gen beauf­tragt, teils einfach auf der Suche nach einer Vergnü­gung. Beson­ders gern ging ich zum Holza Schus­ter. Der Straße zu war ein kleines Fenster, in dem neue »gelbe« Stiefel standen, die der Schus­ter selbst herge­stellt hatte. Wenn man in den Raum trat war es zuerst sehr dunkel aber hinten raus, wo der Schus­ter saß, ging ein Fenster raus ins Gärtle. Der Schus­ter saß auf seinem Schemel, angetan mit einem großen specki­gen Leder­schurz und vor sich den niedri­gen Tisch mit vielen inter­es­san­ten Sachen, da hatte es einen Leimtopf, Ahle in allen Größen, Holznä­gel und Stahl­nä­gel, Eisele und Absatz­fle­cke. Aber noch inter­es­san­ter war, wenn der Holz erzähl­te oder gar vormach­te, wie er als Pfarrer von der Kanzel zu den Leuten gespro­chen hätte, denn Pfarrer wäre er viel lieber als Schus­ter gewor­den — und man konnte sich ihn auch ganz gut vorstel­len, auf der Kanzel!

Anders die Rößles Wirtin. Die hat schimp­fen können! Am Rößle kam ich oft vorbei. Einmal bin ich rüber zum »Dreiher« gesprun­gen — doch zu schnell war ein Auto da und ich lande­te auf der Motor­hau­be des VW. Da hättet Ihr die Rößles­wir­tin hören sollen! Weiter runter das Gäßle dem Kocher zu kam man zum Huga Schrei­ner. Die Frauen dort haben uns Kindern wunder­ba­re Pullover gestrickt. Im Gang und die Treppe rauf roch es dumpf und merkwür­dig — vielleicht nach Wolle und Motten­pul­ver. Oben in der Stube saßen die Schrei­ne­re und ihre Töchter an den Fenstern, die zum Kocher runter­gin­gen und strick­ten die schöns­ten Sachen — und neben­her haben sie erzählt was so alles passiert.

In der gegen­über­lie­gen­den Sammel­stel­le hat man erst später Milch holen können. Damals noch bekamen wir jede Woche eine Flasche Milch im Ochsen. Oft stand ich lange in der Küche neben der Tür mit meiner leeren Riesen-Maggi-Flasche in der Hand und warte­te bis man Zeit hatte, diese mit Milch zu füllen. Dabei beobach­te­te ich den Küchen­be­trieb: den Ochsen­wirt, wie er vom Feld kam und den Stiefel­zie­her hinter dem Küchen­b­ufett hervor­hol­te, die alte Ochsen­wir­te wie sie Ihre Füße (Beine) verband und die Anna, die auf dem großen Herd kochte und abschmeckte.

Lieber als in den Ochsen ging ich zu Frau Hägele, von der wir auch ab und zu Milch bekamen. Es war ein weiter Weg zum letzten Haus des Dorfes, aber Frau Hägele nahm mich mit über den schlam­mi­gen Hof zu den Hühnern, Enten und Gänsen und schenk­te mir wohl auch mal ein Ei. Ein Ei habe ich auch einmal von der Elsbeth in der Unteren Mühle bekom­men. Viel wichti­ger bei ihr war aller­dings das Mitfah­ren-Dürfen im Mühlen-Aufzug. Überhaupt war die ganze Mühle mit ihrem Gerat­te­re beein­dru­ckend und die Fahrstuhl-Fahrt war das Höchs­te eines Besuches bei der Elsbeth.

Wenn der Schnee schmolz suchte man die vielen Wasser­rin­nen und Bächlein, zum Beispiel auch im Schübel. Dort im großen Obstgar­ten der Ahne hatte Alfons ein tolles Bewäs­se­rungs­sys­tem angelegt. Nahm man ein Rasen­stück­le aus einem der Gräben und setzte es in einen anderen, so floß das Wasser in eine andere Richtung. Am Ende der Wasser­grä­ben, kurz vor dem Guten­bach, dort wo sich heute der städti­sche Kinder­gar­ten befin­det, hatte der Alfons, als die Mulde aufge­füllt worden war, einen Garten angelegt. Große Stauden mit sattgrü­nen Blättern standen darin. Im Spätsom­mer wurden sie an Seilen zum Trock­nen aufge­hängt. Ob es wohl der einzi­ge Tabak­an­bau in Oberko­chen war?

Langwei­lig wurde es einem nie: man konnte zum Kirchen­schmied gehen, um zuzuse­hen wie ein Pferd beschla­gen wurde oder in die Kirch­gas­se, um zuzuse­hen wie beim unteren Hug gemos­tet wurde oder man schau­te den Buben zu wenn sie »spech­tel­ten« — wenn sie aller­dings den Boden weich machten, mußte man als Mädchen natür­lich weggucken!

Luitgard Hügle, Italien

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