Intro.

In dieser Form der Darstel­lung beschrei­be ich mehre­re Ebenen. Vom Großen zum Kleinen werde ich die Lupe führen. Was geschah in der Welt, in Deutsch­land, in Oberko­chen und letzt­lich in meiner priva­ten kleinen Welt. Oder wie der Latei­ner sagt: „A parva ad magna“. Dazu waren umfang­rei­che wochen­lan­ge Recher­chen im Schwä­po-Archiv, in alten Amtsblatt-Ausga­ben und in meinem Hirn-Kastel (wie Mutti zu sagen pfleg­te) notwen­dig. Es war nicht immer die große Geschich­te, die uns in der Schule nahege­bracht wurde, sondern oft waren und sind es die kleinen Geschich­ten, die uns wirklich etwas sagen und die in der großen Histo­rie einge­bet­tet sind. Die ausge­wähl­ten Bilder passen nicht unbedingt zur Jahres­zahl, aber doch zum jewei­li­gen Thema.

Da die Schwä­po erst ab 1948 vorliegt, packen wir die beiden Jahre 1948 und 1949 einfach in den 50er-Jahre-Zyklus hinein. Ich hoffe, dass diese Idee in der Umset­zung gelun­gen ist und Inter­es­se und Freude beim Lesen sowie ein Graben in eigenen Erinne­run­gen entwi­ckeln wird. Mir hat’s in der Vorar­beit saumä­ßig viel Spaß berei­tet und ich habe auch durch­aus neue Erkennt­nis­se gewon­nen. Also – jetzt seid ihr dran. Ich habe jedes Jahr einem willkür­li­chen Kalen­der zugeord­net, um zu zeigen, dass es eben nicht nur den einen, den grego­ria­ni­schen gibt.

An die 50er Jahre erinne­re ich mich relativ gut, obwohl ich noch sehr jung war. Die bemerk­wer­tes­ten Dinge, aus meiner Sicht, waren die folgenden:

Essen, Trinken und das unver­meid­li­che Rauchen.

Der große Krieg war eben mal sieben Jahre her, als die ersten Meldun­gen auftauch­ten, die Deutschen seien zu dick. Das betraf aber wohl erst die, welche damals schon nicht wussten, wohin mit dem Geld. Fleisch (Schnit­zel, Braten oder Falschen Hasen) gab es bei Müllers nur am Sonntag, aber mit Suppe, Spätz­le und Soß‘ sowie ein frischer Nachtisch oder einer aus dem Einweck­glas. Vati arbei­te­te für zwei, also musste er auch für zwei essen. Bis ihn der Arzt in den folgen­den 60ern in Kur schick­te. Als Folge der sog. Fress­wel­le gab es die steigen­de Anzahl von Kuren und deren Schatten(seiten) ☺. Man suchte Lokale auf, bei denen es viel zu essen und wenig zu zahlen gab – wie z.B. die Atten­ho­fe­ner Schnit­zel­bank. Zum Geburts­tag waren die Butter­creme­tor­te, Zitro­nen­schnit­ten, der Kalte Hund und richti­ger Bohnen­kaf­fe (und kein Mucke­fuck mehr) sowie Sekt und liebli­che Weine die Highlights. Nicht zu verges­sen, der selbst­ge­mach­te Eierli­kör aus Schoko­be­chern, die anschlie­ßend geges­sen wurden – sehr nachhal­tig und die Mai- bzw. Erdbeer­bow­le. Später (womög­lich rutsche ich hier auch schon in die 60er – sei’s drum) Hawaii-Toast mit Kochschin­ken und Ananas aus der Dose, Käse-Igel, Schei­blet­ten- und Dreiecks-Käse usw. usf. Und Dr. Ötker, versetz­te die Hausfrau in den 7. Kochhim­mel. Der kalte Kühlschrank ersetz­te den kühlen Keller. Als man noch etwas mehr Geld hatte, blieb ab und zu die Küche kalt, man ging dann in den Jahn’schen Wiener­wald. Auf der Mattschei­be erschien der sehr belieb­te Fernseh­koch Clemens Wilmen­rod, der den Toast Hawaii populär machte. Auch getrun­ken wurde reich­lich und mitun­ter deutlich zu viel – und das mitun­ter auch am Arbeits­platz. Die Frauen mussten ihre Männer, deren Lohn oft noch wöchent­lich ausge­zahlt wurde, am Werks­tor abpas­sen, bevor der Götter­gat­te in der nächs­ten Kneipe alles auf den Kopf bzw. in densel­ben haute. Früher schick­te man die Kinder z.B. in den „Grünen Baum“ um offenes Bier zu holen, aber dann wurde Oberko­chen von Flaschen­bier­hand­lun­gen förmlich überschwemmt. Wir zählen 1959 sage und schrei­be 32 Flaschenbierhandlungen:

  • Bezler in der Aalener Straße
  • Bohmann in der Brunnenhalde
  • Breit­weg im Sonnenberg
  • Englert im Rosenweg
  • Fischer in der Försterstraße
  • Fritz in der Brunnenhalde
  • Fuchs in der Lenzhalde
  • Gries­ler in der Brunnenhalde
  • Grupp in der Keltenstraße
  • Hamburg in der Schillerstraße
  • Han in der Katzenbachstraße
  • Hug im Tulpenweg
  • Jakal in der Schillerstraße
  • Klein­hans im Dreissental
  • Kolb im Dreissental
  • Maurer im Weingarten
  • Müller im Finkenweg
  • Müller im Hasengässle
  • Neumann in der Volkmarsbergstraße
  • Peuker in der Walter-Bauersfeld-Straße
  • Plötner in der Jenaer Straße
  • Ruff im Zeppelinweg
  • Schreck in der Schillerstraße
  • Schüt­ze im Gerhard-Hauptmann-Weg
  • Schwab in der Brunnenhalde
  • Speth in der Volkmarsbergstraße
  • Staschek in der Panoramastraße
  • Strobel in der Mühlstraße
  • Teichelm­ann, Carl-Zeiss-Straße
  • Weiß im Gerhard-Hauptmann-Weg
  • Wen im Zeppelin
  • Ziemons im Kapellenweg

Die Viren in den 50ern und 60ern.

Aber nicht nur Menschen reisten, auch Viren taten und tun das bis heute. Die Asiati­sche Grippe brach im Jahr 1957 in China aus. In Asien machte sich Panik breit. Das Virus bahnte sich inner­halb kürzes­ter Zeit seinen Weg nach Japan und auf die Philip­pi­nen sowie nach Indone­si­en wo fast 20 Prozent der Bevöl­ke­rung erkrank­ten. Der Erreger gelang­te dann per Schiff nach Austra­li­en und auf dem Landweg über Indien und Pakistan nach Europa (Fliegen war damals noch kein großes Thema). Ende der 60er wieder­hol­te sich das Ganze und erhielt nun den Namen Hongkong-Grippe. Damit zählen die Asiati­sche und die Hongkong-Grippe nach der Spani­schen Grippe (etwa 50 Millio­nen Tote) zu den größten Pande­mien des 20. Jahrhun­derts. Insge­samt forder­te die Pande­mie dieser Jahre weltweit etwa 1,5 Millio­nen Tote. Allein in Deutsch­land starben damals rund 30.000 Menschen.

Geraucht

wurde was das Zeug hält, von jung bis alt, ohne Rücksicht auf Verlus­te. Am Arbeits­platz, zu Hause, in den Restau­rants, in den Amtsstu­ben – überall. Und eine Werbung wurde dafür gemacht, das können wir uns heute nicht mehr vorstel­len. Nahezu täglich erschie­nen in der Schwä­po ganzsei­ti­ge! Werbe­kam­pa­gnen für die Zigaret­ten, ganz beson­ders für jene mit Virgi­nia­ta­bak – das war wohl etwas beson­ders für den Mann von Welt. Wir wollten ja auch nicht wegen jener Kleinig­keit in die Luft gehen und mancher griff daher zur HB. Meine erste (Zigaret­te) war 1968 die Peer 100. Eine schöne lange Zigaret­te in Slimli­ne-Form, von der Werbung mit einem tollen Lifesti­le-Gefühl ausge­stat­tet. Nachdem ich 10 Jahre lang reich­lich geraucht hatte, denn bei der Marine koste­te 1 ganze Stange schlich­te 5 DM, hörte ich 1978 von heute auf morgen auf. Die alten Männer rauch­ten Zigar­re (Weiße Eule aus Königs­bronn) und schlotz­ten ihr Vierte­le dazu. Auch die Pfeifen­rau­cher waren nicht zu überse­hen, war aber mehr für dieje­ni­gen, die sich etwas abheben wollten – manche au oifach Oageber mit Täsch­chen ums Handgelenk.

Abschlie­ßend noch ein paar Raucher­sprü­che aus der damali­gen Zeit: Siehst du die Gräber – dort im Tal, das sind die Raucher von Reval / – dort im Schnee, das sind die Raucher von HB / – dort im Ländle, das sind die Raucher von Rothhänd­le und abschlie­ßend noch: Willst du den Tod aus erster Hand, dann rauche Peter Stuyvesant.

Reisen und Urlaub.

Sobald die Menschen wieder mehr Geld in der Tasche und ein Auto hatten, ging es über den Brenner nach Bella Italia, um neben der gewal­ti­gen Aufbau­ar­beit in Deutsch­land ein wenig Dolce Vita in Itali­en zu genie­ßen. Dazu haben viele der heute Älteren tiefsit­zen­de positi­ve Erinne­run­gen an die schöne Sommer­zeit an der Rivie­ra. Wer aller­dings nicht in Miete wohnte, sondern ein Häusle baute, musste sich das damals schon fast vom Munde abspa­ren, denn für viele war doch das eigene Häusle wichti­ger als drei Wochen Itali­en. B’sonders d’Schwoaba sind da doch pragma­ti­scher und sparsa­mer gewesen als z.B. die Rhein­län­der oder die Ruhrpottler.

Bauen.

Das war überall ein Thema. Jeder brauch­te besse­re Wohnver­hält­nis­se als sie sich nach Kriegs­en­de darbo­ten. Die Aufga­be der Gemein­de­ver­wal­tun­gen bestand darin Baracken- und sog. Elends­quar­tie­re rasch aufzu­lö­sen und Hausei­gen­tü­mer renovier­ten und moder­ni­sier­ten ihre Häuser. In Oberko­chen entstan­den dabei komplet­te neue Siedlungen.

Kalen­der.

Es gab und gibt auf der Welt viele Kalen­der, nicht nur den grego­ria­ni­schen, nachdem die heuti­ge Geschäfts­welt primär arbei­tet. Um das einmal zu zeigen, habe ich jedem Jahr irgend­ei­nen Kalen­der zugeordnet.

Hinweis zum Chine­si­schen Jahr.

Sie können das nicht so einfach für Ihr Geburts­jahr ablei­ten, denn alles richtet sich nach dem Chine­si­schen Neujahr und das ist unter­schied­lich von Jahr zu Jahr zwischen dem 21. Januar und dem 20. Februar.

1947 im Jahr des Schweins – Römischer Kalen­der VII idus Iunii MCMXLVII

Oberko­chen.

Anfan­gen muss ich aber trotz­dem im Jahr 1947 – genau am 7. Juni – denn da haben meine Eltern in der damals typischen Art, wie es in Oberko­chen üblich war, gehei­ra­tet. Ohne dieses Datum würde es diesen Bericht nicht geben.

Oberkochen

1947 – Die Dorfhoch­zeit von Hilde­gard, der Schnei­de­rin aus dem Sudeten­land, und Georg, dem Hebam­men-Schorsch aus Brastel­burg (Archiv Müller)

1948 im Jahr der Ratte – Byzan­ti­ni­scher Kalen­der 7456/57

Welt.

Am 30. Januar wurde Mahat­ma Ghandi erschos­sen und der Staat Israel am 14. Mai gegründet.

Oberkochen

Der 1. F.C. Köln verewigt auf einem Oberkoch­ner Garagen­tor (Archiv Müller)

Deutsch­land.

Ganz arg wichtig – durch Zusam­men­schluss des Kölner BC 01 und der SpVgg Sülz 07 entstand der 1. FC Köln. Ein ehemals erfolg­rei­cher Verein, der heute nach neuen Erfol­gen förmlich dürstet. Endlich kam das neue Geld, das alte taugte nichts mehr. Am 21. Juni wurde in den Westzo­nen die DM einge­führt und die wertlo­se RM hatte nur noch in den Ostzo­nen Gültig­keit. Über Nacht füllten sich die Schau­fens­ter mit Waren und alle waren erstaunt wo diese Dinge überall so plötz­lich herka­men. Am 24. Juni begann die Berli­ner Blocka­de. Ernst Reuter wurde Regie­ren­der Bürger­meis­ter von Berlin. Am 11. Dezem­ber gründe­te sich die FDP. Am 31. Dezem­ber fand inner­halb der Luftbrü­cke die 100.000te Landung statt, Deutscher Fußball­meis­ter wurde der 1. FC Nürnberg und alle sangen „Der Theodor im Fußball­tor“ mit Theo Lingen.

Oberko­chen.

(1) Das Thema „Bad“ fand das erste Mal den Weg in die Presse und das gleich gewal­tig. Wir sollten nach langem Hin und Her doch ein Freiluft- und Schwimm­bad in unmit­tel­ba­rer Verlän­ge­rung des Sport­plat­zes bekom­men. Der TVO wurde Bauherr und die Stadt übernahm die Finan­zie­rung. Wer‘s glaubt wird selig ☺ (2) Vom Rodstein stürz­te ein 19-Jähri­ger ab. Die Sonne hatte ihn müde gemacht und durch eine unglück­li­che Bewegung stürz­te er im Schlaf ab, ohne dabei das Bewusst­sein zu erlan­gen. Leicht verletzt schlug er nach 14 Meter auf und wusste gar nicht was gesche­hen war. (da sag ich nur: Kinder, Betrun­ke­ne und Schla­fen­de). Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf ☺. (3) Seit Juni war das neue Geld – die DM – da. In großen Kisten wurde es unter schwers­ter Bewachung mit Maschi­nen­ge­weh­ren der US-Army in Aalen angelie­fert – die ersehn­te Währungs­re­form war da und was es alles ab diesem Tag zu kaufen gab. Den Menschen war das mitun­ter unbegreif­lich. (4) Ab 1. Juli gab es endlich besse­res Bier mit einem Stamm­würz­ge­halt von 1,5 bis 1,7 %. Für 50 g Brotmar­ken konnten 1,5 Liter Bier bezogen werden. Aha, daher also „Flüssi­ges Brot“. (5) Massi­ve Diskus­sio­nen gab es, weil BM Bosch das Martha-Leitz-Haus an die Zeiß-Opton-Werke vermie­tet hatte, und diese jetzt im Festsaal einen großen Zeichen­saal einrich­ten wollten. Die Gemüter der Oberkoch­ner erhitz­ten sich. Leitz erhob beim Innen­mi­nis­te­ri­um Einspruch und diesem wurde statt­ge­ge­ben. Der Festsaal blieb erst mal und die Gemein­de behielt ihr einzi­ges Kultur­zen­trum. (6) Im Kapel­len­weg Nr. 7 wurde dem Mühlen­be­sit­zer Schee­rer eine Bauge­neh­mi­gung für ein Haus erteilt, in dem nach Fertig­stel­lung die erste Apothe­ke (Irion) im Ort einzie­hen wird.

Oberkochen

Das Haus, in dem die erste Apothe­ke behei­ma­tet war (Archiv Müller)

(7) Das erste Kinder­fest nach dem Krieg wurde an einem Werktag gefei­ert. Die Betrie­be hatten nachmit­tags geschlos­sen. Im Festzug finden wir die Musik­ka­pel­le, Radfah­rer, Bauern, Winzer, Jäger, Schäfer, Handwer­ker, Kamin­fe­ger, die 7 Schwa­ben, Bären­trei­ber, Hasen, leben­de Blumen und Schmet­ter­lin­ge sowie den Volkmars­berg­turm und den Lehrlings­zug vom WIGO, Sänger­bund und Turnver­ein schlos­sen den Umzug ab. Die 550 Kinder (bis 14 Jahre) hatten ihren Spaß mit Wurst und Brezeln bei Sport und Spiel. (8) Die Vergnü­gungs­steu­er wurde um die Hälfte gesenkt. (9) Das folgen­de passier­te zwar nicht in OKO, muss aber erwähnt werden. Der berühm­te VfB-Fußbal­ler Robert Schli­enz verun­glück­te in Aalen auf Höhe der Gmünder Straße 88 so schwer, dass ihm der linke Arm komplett amputiert werden musste. Einige Jahre später habe ich ihn im neuen Kocher­sta­di­on für den VfB spielen sehen – der Mann ließ sich nicht unter­krie­gen. (9) Der Musik­ver­ein gab nach langjäh­ri­ger Pause unter August Eisen­l­ohr ein tolles Konzert in „d’r Schell“.

Oberkochen

Der Musik­ver­ein vor „d‘ Schell“ (Bahnhofs­re­stau­ra­ti­on in der Bahnhofs­stra­ße (Archiv Müller)

(10) In der Gemein­de lebten ca. 900 Flücht­lin­ge. Diese arbei­te­ten überwie­gend in Handel und Indus­trie, haben aber auch eigene Betrie­be gegrün­det. Beispie­le dafür sind: Josef Krok (Textil­händ­ler) aus Beuthen – Beklei­dungs­ge­schäft / Rudolf Kristen (Fotogra­fen­meis­ter) aus Troppau – Fotoge­schäft / Karl Berkow­ski (Schnei­der­meis­ter) aus Posen – Schnei­der­ge­wer­be / Martha Schmidt (Damen­schnei­de­rin) aus Brünn – Krawat­ten­her­stel­lung / Johann Lienert (Friseur­meis­ter) aus Olmütz – Friseur­ge­schäft / Franz Illner (Schuh­ma­cher) aus Trauten­au – Schuh­mach­er­werk­statt / Wilhelm Fritscher (Radio- und Elektro-Ingenieur) aus Lands­kron – Elektro­ge­schäft / Dr. Ludwig Borst aus Tachau – ärzt. Praxis und Elisa­beth Gebert (Dentis­tin) aus Danzig – zahnärztl. Praxis. (11) In „d’r Schell“ wurde ein Kultur­ver­ein gegrün­det, der „Veran­stal­tungs­ring“. Es ging dabei um Theater, Oper und Operet­te. Den Auftakt bilde­te der Besuch des „Freischütz“ im Konzert­saal Heiden­heim mit einem organi­sier­ten Bus. (12) Der Bahnhof hatte einen furcht­bar düste­ren dunklen Warte­saal. Eine Glühbir­ne wurde nicht angebracht, weil man dachte, dass sie sowie­so gestoh­len werden würde. Eine rasche Recher­che ergab, dass der Bahnhof in Unter­ko­chen eine Glühbir­ne hatte. Und das ging ja gar nicht. Ober sticht immer noch Unter! Also konnte diese Ausre­de keinen weite­ren Bestand haben und der Warte­saal wurde nun auch bei uns beleuch­tet und die Warten­den erleuchtet.

Meine kleine Welt.

War damals sehr überschau­bar. Mutti und Vati waren schon seit 1947 verhei­ra­tet, aber ich stand vielleicht schon auf dem Plan, aber noch nicht in Lauerstellung.

1949 im Jahr des Büffels – Hebräi­scher Kalen­der 5709/10

Welt.

Meine späte­ren Lieblings­län­der Schweiz und Thailand wurden Mitglied der UNSECO. Im April wurde die NATO gegrün­det, die 70 Jahre später mit ihrer Rolle zu kämpfen haben wird. Auf den persi­schen Schah wurde ein Atten­tat verübt und am 1. Oktober wurde die Volks­re­pu­blik China gegrün­det. (von Kind an warnte mich meine Mutter vor der „Gelben Gefahr“, weil auch sie als Kind schon in ihrer Schule immer davor gewarnt wurde).

Deutsch­land.

Sie waren schon immer sehr „oiga“ – Bayern lehnte das Grund­ge­setz ab. „Mir san mir“ – damals schon. Der Papst griff zum härtes­ten Mittel und exkom­mu­ni­zier­te alle Kommu­nis­ten und deren Anhän­ger. Am 27. August wurde die „Berli­ner Luftbrü­cke“ beendet. Im Septem­ber wurde die Deutsche Bundes­bahn gegrün­det und der erste Bundes­tag gewählt. Folgen­de Partei­en kamen in den Bundes­tag in Bonn (In Klammer die Anzahl der Sitze): CDU/CSU (139), SPD (131), FDP (32), Bayern­par­tei (17), Deutsche Partei (17), KPD (13), WAV (12), Zentrum (10), DRP (5), Unabhän­gi­ge (3) und SSW (1). Dann war es soweit, der alte Mann und Hobby­ro­sen­züch­ter Konrad Adenau­er aus Rhöndorf wurde mit einer Stimme Mehrheit (also seiner eigenen) zum ersten Bundes­kanz­ler gewählt und er würde es lange bleiben. Adidas wurde aus der Taufe gehoben, Seppl Herber­ger zum Bundes­trai­ner ernannt und Deutscher Fußball­meis­ter wurde der VFR Mannheim. Den Hit des Jahres „Capri-Fischer“ sang Rudi Schuricke und sorgte damit für einen anhal­ten­den Urlaubs-Mythos, der bis heute anhält.

Oberko­chen.

(1) Zum Einjäh­ri­gen der Singge­mein­de fand im Frühjahr ein Konzert im Festsaal des Martha-Leitz-Hauses statt. (2) Kaum gings „uns“ besser, waren auch schon die Diebe unter­wegs. Im „Rössle“ wurde einge­bro­chen und ein Radio im Wert von 400 DM (!) und 2 Fl. Brannt­wein gestoh­len. (3) Der ältes­te Sohn des Gärtne­rei­be­sit­zers Mahler kam 2 Tage vor der Hochzeit seiner jünge­ren Schwes­ter aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft in Russland zurück. Die Freude können wir uns heute gar nicht mehr recht vorstel­len. (4) Die Fußbal­ler des TVO stiegen in die Bezirks­klas­se auf und machten als Favori­ten­schreck kräftig von sich reden – ein ziemlich dickes Ding.

Oberkochen

1949 Der Aufstei­ger des Jahres: Die Fußbal­ler des T.V.O. (Archiv Müller)

(5) Hoher Besuch aus Schott­land. Der Werkzeug­ma­cher Franz Grupp arbei­te­te als Kriegs­ge­fan­ge­ner bei zwei Farmers­frau­en in Schott­land und diese wollten nun „ihren“ Franz nach dem Krieg wieder­se­hen und immer wieder war von ihnen zu hören: „Dieser Mann gutt’n Mann“. Ja, die Schot­ten und die Schwa­ben, die können’s halt gut mitein­an­der. (6) Das Bild der Haupt­stra­ße wurde deutlich aufge­wer­tet. Inner­halb von ein paar Wochen entstand das Haus „Storchen­bäck“ des Bäcker­meis­ters Karl Widmann, erbaut vom Bauge­schäft Tritt­ler und der Zimme­rei Mannes. Heute keine richti­ge Zierde mehr wartet es auf Wieder­erwe­ckung. (7) St. Peter und Paul hatte nun wieder neue Glocken, nachdem der „GröFaZ“ die alten für seine erfolg­rei­che Kriegs­füh­rung benötigt hatte. (8) Auch nach dem Krieg gab es noch trauri­ge Schick­sa­le. Auf dem Gebiet zwischen Oberko­chen und Ebnat fand man, an einem Hochspan­nungs­mas­ten erhängt, den Geschäfts­füh­rer des „Deutschen Musik­ver­ban­des“ Bezirks­lei­tung Württem­berg-Ost. Überschul­det wegen seines Amtes, die Ausla­gen seiner notwen­di­gen Reisen wurden ihm nicht mehr ersetzt, sein Instru­men­ten­ver­kauf lief auch nicht mehr und priva­te Proble­me kamen hinzu. Den Krieg überlebt, aber das Leben nicht. (9) In der Gemein­de wurde fleißig gebaut. Die Menschen brauch­ten Wohnun­gen. Inner­halb von 7 Jahren stieg die Einwoh­ner­zahl von 2.000 auf 3.400. Neue Häuser wurden im „Bühl“, in der neuen Sonnen­berg­stra­ße gebaut und die Schwä­po verwech­sel­te in einem Bericht darüber in der Headline schon mal Oberko­chen mit Unterkochen ☺.

Oberkochen

Ein Journa­list kann ja schon mal Oberko­chen mit Unter­ko­chen verwech­seln – geht gar nicht (Archiv Müller)

(10) Ein Flücht­ling aus der Tsche­chei stieg bei guter Gesund­heit in das Wollen­loch ein und stürz­te beim Ausstieg ab. Nach der Bergung verstarb er abends im Kranken­haus. Später wird es dazu zu einem Prozess kommen. (11) Das Toto-Spiel erfuhr eine massi­ve Nachfra­ge. Nach der Währungs­re­form spiel­ten ca. 300 — 400, in diesem Jahr waren es bereits 600 Mitspie­ler. Die höchs­te Gewinn­sum­me im Ort in diesem Jahr betrug 900 DM und die Toto-Zentra­le in der Heiden­hei­mer Straße hatte vor dem Wochen­en­de Hochbe­trieb. (12) Paula Bezler eröff­ne­te in der Dreißen­tal­str. 37 eine Wäsche-Heiß-Mangel. (13) Die Hoover-Speisung (eine Aktion des ehema­li­gen US-Präsi­den­ten Herbert Hoover) sorgte dafür, dass 565 Schüle­rIn­nen der Volks­schu­le und 300 Lehrlin­ge aus den div. Betrie­ben mit 2 kleinen Tafeln Schoko­la­de und 200 gr. hollän­di­schen Keksen zu Weihnach­ten beglückt wurden.

Meine kleine Welt.

Unver­än­dert drehte ich meine Runden in einer Warte­schlei­fe. Hätte auch woanders landen können, hatte mir aber Oberko­chen vorge­nom­men und musste daher noch etwas warten.

1950 im Jahr des Tigers – Kopti­scher Kalen­der 1666/67

Welt.

Am 25. Juni begann der Korea­krieg, der die Welt bis heute beschäf­tigt. König Bhumi­pol wurde im Alter von 18 Jahren als Rama IX gekrönt und blieb das bis zu seinem Tod 2016. Kaum bekannt – der Club Méditera­née entstand damals schon. Fußball­welt­meis­ter in Brasi­li­en wurde Urugu­ay (ein kleines Land mit großen Fußballern).

Deutsch­land.

Am 30. April wurden die letzten Lebens­mit­tel­kar­ten (Zucker) abgeschafft, Fried­rich Flick begna­digt und Hans Globke (ein alter Ober-Nazi) Adenau­ers wichtigs­ter Mann. Den Amis war das inzwi­schen egal, es gab wichti­ge­res, als alte Nazis zur Verant­wor­tung zu ziehen. Vor allem die Juris­ten ließ man laufen. Die komplet­te Mannschaft SG Dresden-Fried­rich­stadt einschl. Helmut Schön flüch­te­te nach Berlin und Deutscher Fußball­meis­ter wurde der VFB Stutt­gart. Annelie­se Rothen­ber­ger (die Lieblings­sän­ge­rin von Vati) sang „La Le Lu“.

Oberko­chen.

(1) In der Viehhal­tung ging es auch wieder aufwärts. 28 Pferde, 393 Rinder, 170 Schwei­ne, 83 Ziegen, 3 Schafe und 2.114 Hühner wurden in der Gemein­de gehal­ten. (2) Der Gipser­meis­ter Ferdi­nand Burkhardts­mai­er verstarb 59jährig an einem Schlag­an­fall. Der gebür­ti­ge Oberbett­rin­ger kam 1919 nach Oberko­chen und gründe­te ein angese­he­nes Geschäft. 1925 errich­te­te er ein Wannen­bad in der Heiden­hei­mer Str. 39. Beruf­lich erfolg­reich, aber von Schick­sals­schlä­gen gezeich­net (selbst Kriegs­teil­neh­mer im I. verlor er zwei Söhne im II. Weltkrieg und 2 Kinder im Jugend­al­ter). Vielleicht war das alles zu viel für ihn. (3) Der Zeiß-Opton-Kinder­gar­ten entstand im Kapel­len­weg in dem Haus, in dem Willi­bald Mannes sen. früher seine Zimme­rei betrieb.

Oberkochen

Das Haus hinter den VIP’s beher­berg­te den ersten Zeiss-Kinder­gar­ten (Archiv Müller)

(4) Samstags um 17:40 Uhr wurde im Radio immer ein Glocken­ge­läut übertra­gen. In diesem Jahr kam der Aufnah­me­wa­gen nach Oberko­chen, um die neuen Glocken im Mittags­ge­läut aufzu­neh­men und ein paar Monate später zu senden. (5) Das Ende der Wiesen­ka­pel­le war gekom­men. Das Sägewerk vom Bäuerle brauch­te mehr Platz und daher wurde im Weingar­ten eine neue Kapel­le gebaut. Der Fabri­kant hatte sich selbst­re­dend zur Finan­zie­rung des neuen Schmuck­stücks bereit­erklärt. Das Grund­stück kam von Anton Balle und die feier­li­che Einwei­hung nahm Pfarrer Hager am Abend vor Chris­ti Himmel­fahrt vor. (6) In der Heiden­hei­mer und Aalener Straße sowie im Schul­hof der Volks­schu­le und am Bergheim wurden neue Linden gepflanzt. Die Linde hatte schon immer für die Menschen eine beson­de­re Bedeu­tung. (7) Karl Elmer hatte einen Auftritt im Radio Stutt­gart und berich­te­te mit seinem kerni­gen Humor über seine Zeit als Hochzeits­la­der, das Amt, dass er seit 1918 ausüb­te. Auch sein Vater und Urgroß­va­ter übten dieses Amt jeweils schon sehr lange aus. Bis damals hatte Karl zu nicht weniger als 2 Golde­nen, 6 Silber­nen und ca. 400 bis 500 Grünen Hochzei­ten geladen. (8) Die erste Apothe­ke wurde im Kapel­len­weg eröff­net. Ulrich Irion, der Vater meines Schul­freun­des Eckhardt, eröff­ne­te diese am 15. Juli, nachdem er vorher in Aalen (Völter) und Metzin­gen (Stadt­apo­the­ke) gearbei­tet hatte. Er ist auch der Vater unseres Eberhard Irion, der bis vor ein paar Jahren, als Nachfol­ger seines Vaters, die Volkmars­berg-Apothe­ke geführt hat. (9) Zeiß Opton baute eine 3.500 qm große Shed-Halle auf dem Gebiet der ehema­li­gen Gärtne­rei Schäfer.

Oberkochen

Heiden­hei­mer Straße 29 – Links der Schnei­der Fischer und der rechts der Fotograph Kristen – viel später hatte der Fotograph Mercal­di hier sein Geschäft (Archiv Müller)

(10) Schnei­der­meis­ter Josef Fischer hatte durch Umbau eines ehema­li­gen Landwirt­schafts­be­trie­bes ein Geschäft mit 2 großen Ausstel­lungs­fens­tern erbaut. Das Geschäft, das Anton Fischer 1892 gegrün­det hatte, befand sich früher in der Mühlstra­ße. (11) Im Sonnen­berg wurde unter großem Einsatz kräftig weiter­ge­baut. (12) In der Heiden­hei­mer Str. 26 eröff­ne­te Frau Held ein Feinkost­ge­schäft. (13) Undank ist der Welt Lohn – schon immer. So wird ein Bericht der Schwä­po betitelt. Ein Fremder bat in einem christ­li­chen Haus um eine kleine Gabe. Er erhielt Brötchen und Brezeln mit Butter sowie eine frische Gurke. Zornig warf er alles beim Gehen in den Garten und schrie: „Es sei an der Zeit, dass ein neuer Krieg ausbricht.“ Vielleicht war er unzufrie­den oder einfach nur „gagga“. Wer weiß, aber so eine Geschich­te schaff­te es in diesen Tagen schon mal in die Zeitung. (14) Die Kölner Humoris­tin und Parodis­tin Lena Engel­hardt, seit 1947 in Oberko­chen ansäs­sig, beging ihr 40jähriges Bühnen­ju­bi­lä­um. Sie begann ihre Laufbahn an großen Häusern als Soubret­te, wechsel­te dann zum Varie­té und zur Klein­kunst. Ihre Verbin­dung nach Köln pfleg­te sie weiter­hin und hatte auch gelegent­lich einen karne­va­lis­ti­schen Auftritt in ihrer Heimat­stadt. (15) Die Chris­tus-Figur und das dahin­ter­lie­gen­de Bild der Stadt Jerusa­lem am „Herrgotts-Häfner-Haus“ wurde restau­riert. Verant­wort­lich dafür war der Kunst­ma­ler Anton Lang, der zusam­men mit Heinrich Sievers auch die Ausma­lung der Maria-Schutz-Kapel­le im Weingar­ten übernahm. (16) Die Volks­zäh­lung 1950 brach­te u.a. folgen­de Ergeb­nis­se was unsere Gemein­de betrifft: 2.357 ha Fläche, 1.181 Haushal­te, 3.681 Einwoh­ner, 664 Heimat­ver­trie­be­ne, 2.434 katho­li­sche und 1.144 evange­li­sche. Ihr Brot verdien­ten sich 2.556 bei Indus­trie und Handwerk, 266 im Handel, Geld, Versi­che­rungs­we­sen, Verkehr, 251 im Öffent­li­chen Dienst und 223 in Land- und Forstwirtschaft.

Meine kleine Welt.

Meine Eltern kauften das Grund­stück Nr. 2328 mit einer Größe von 4 Ar und 71qm für 635 DM vom Wigo, der für seine Mitar­bei­ter Grund­stü­cke zur Verfü­gung stell­te. Das Fertig­haus wurde im selben Jahr für 11.125 DM gekauft, per LKW gelie­fert und in engagier­ter Männer­ar­beit selbst aufge­baut. Vielleicht dachten sie schon an mich?

Oberkochen

1950 Das Haus Sonnen­berg­str. 34 – Das Zuhau­se bis 2019 des „Billie vom Sonnen­berg“ (Archiv Müller)

Das war der erste Teil und ich hoffe, dass es Euch gefal­len hat. In Kürze folgen die Teile 1b und 1c.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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