Der Anfang.

Dieses Haus bekam seine Bauge­neh­mi­gung am 7. März 1953. Nach seiner Fertig­stel­lung (wohl noch 1953, denn damals wurde tw. in rasan­tem Tempo gebaut) zog als erstes das Möbel­ge­schäft „Czasny“ ein.

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Werbe­an­zei­ge Möbel­ge­schäft Czasny (Archiv Müller)

Die neuzu­ge­zo­ge­nen Mitbür­ger brauch­ten neue Möbel und zwar schnell und preis­wert – und das war Czasny’s Geschäfts­mo­dell. Jedoch war das auf Dauer nicht genug und so verliert sich die Spur dieses Geschäf­tes relativ schnell im Nebel der Zeit.

Die Familie Schön­herr erstell­te und bewohnt das Haus bis heute. Zuerst bewohn­ten Maria und Wilhelm Schön­herr mit ihren Kindern Gerda, Helga, Wilhelm und Bernhard das Gebäu­de und betrie­ben hier ihre Malerwerk­stät­te. Später wohnten hier noch Rita und Anton Pointer, Maria Hermann, Liesbeth Klee und Gerdi Hirsch. Heute wird das Haus von Bernhard Schön­herr bewohnt. Der „alte Meister“ starb am 21. Juni 2002.

Die Fotogra­fen.

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Filmta­sche Perutz Vorder­sei­te Kristen 1954 (Archiv Müller)

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Der junge Meister Kristen (Archiv Stelzenmüller) 

Im August 1954 zieht DIE fotogra­fi­sche Instanz in Oberko­chen in dieses Haus ein – Grete und Rudolf Kristen. Sie began­nen ihr Geschäft in der Heiden­hei­mer Str. 29

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Foto Kristen in der Heiden­hei­mer Straße, daneben der Schnei­der Fischer (Archiv Müller)

vermut­lich im Jahr 1948 und brauch­ten dringend mehr Platz. Im neuen Domizil im Dreißen­tal trat das Geschäft natür­lich auch in mein Leben. Ich kaufte dort unsere Fernseh- und Radiozeitschriften.

Später dann auch die verschie­de­nen Comics unserer Kindheit und Jugend­zeit wie Nick Knatter­ton, Falk, Sigurd, Tarzan, Akim, Tibor, Mickey Mouse, Super­man, die Cowboy- und Jerry Cotton-Heftchen, Komis­sar X und nicht zu verges­sen: Fix und Foxi. Zum Leidwe­sen meines Deutsch­leh­rers Thiem inter­es­sier­te ich mich auch für die Revol­ver­blätt­chen von G.F. Unger, Louis L‘Amour und Kolle­gen und brach­te einen etwas sport­li­chen Schreib­stil in meine Aufsät­ze. Das konnte am Gymmi nicht akzep­tiert werden und führte zu entspre­chen­den Noten, auch wenn der Lehrer­kon­vent manche Aufsät­ze besser bewer­te­te als der Klassen­leh­rer selbst. Noch heute führt das gelegent­lich bei unsern Klassen­tref­fen zu lusti­gen Erinne­rung­s­poin­ten. Grete Kristen war auch als Radfah­re­rin gefürch­tet. Sie besaß ein sehr sehr großes Damen­fahr­rad von der Sorte wie sie nach der Währungs­re­form gefer­tigt wurden. Und wenn sie anzuhal­ten gedach­te machte sie das immer mit einem Sprung in die Fahrbahn – aber hallo, da war immer Gefahr im Verzug. Natür­lich war Rudolf Kristen der örtli­che Haus- und Hoffo­to­graf. Passbil­der, Porträts, Famili­en – und Kommu­ni­on-/Konfir­ma­ti­ons­bil­der wurden in seinem Atelier herge­stellt. Außer­dem sah man ihn auf jedem Oberkoch­ner Fest um die Gescheh­nis­se auf den Film zu bannen. Kristen hatte auch einen Filmau­to­ma­ten beim Schmid­jörg­le aufge­hängt, aus dem man die benötig­ten Rollfil­me ziehen konnte.

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Haus Schmid­jörg­le mit Filmau­to­mat 1971 (Archiv Müller)

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Haus Schmid­jörg­le mit Filmau­to­mat 1971 — Vergrö­ße­rung (Archiv Müller)

Der Bruder von Rudolf, Alfred Kristen, war gelern­ter Schrei­ner und arbei­te­te bei Wigo in Oberko­chen. Er hat auch die Einrich­tung für seinen Bruder im neuen Domizil herge­stellt. In Neres­heim hat er Passbil­der für die Härts­fel­der gemacht und Rolf Stelzen­mül­ler hat sie für ihn entwi­ckelt. Morgens gebracht, abends abgeholt.

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das gab es früher auch noch

27 Jahre lang lief das Geschäft in der Dreißen­tal­stra­ße bis Rudolf 1971 starb und Grete 1975 ihm folgte, als sie bei einem Autoun­fall auf der B19 zwischen Unter­ko­chen und Aalen starb.

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Grete Kristen (Amtsblatt)

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Rudolf Kristen (Amtsblatt)=

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Der junge Fotogra­fen­meis­ter (Archiv Müller)

Dann übernah­men Rolf und Martha Stelzen­mül­ler das Geschäft und führten es in moder­ne­re Zeiten. Rolf kam 1969 über verwandt­schaft­li­che Bezie­hun­gen nach Oberko­chen und fand bei Kristen eine Anstel­lung als Photo­graph. Viel zu verdie­nen gab es damals nicht. Die Hochzeit von Rolf und Martha wurde selbst­ver­ständ­lich von Grete und Rudolf fotografiert.

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Das Fotogra­fen­haus im Winter Dez. 2011 (Archiv Müller)

Zur Erinne­rung: Anfangs war der Eingang links und das Studio rechts, ab 1984 war das umgekehrt. Nun gab es aber auch durch Carl Zeiss nicht nur viele Kunden sondern auch Probleme.

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Die wollte ich immer haben, aber zu teuer für mich – Die Contax RTS im Porschedesign
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Und die habe ich mir als erste gekauft – Die Yashi­ca TL Elektro X – stolz wie Bolle

Denn Zeiss verkauf­te firmen­in­tern Contax- und Yashi­ca-Kameras und empfahl seinen Mitar­bei­tern, sich doch die Anwen­dung vom örtli­chen Fachhan­del erklä­ren zu lassen. Super, dachte sich Rolf Stelzen­mül­ler, so kann man’s auch machen. So kann ich ja kein Geschäft machen. Es gab aber noch schlaue­re Kunden­In­nen. Beim „Schle­cker“ eine Kamera kaufen und beim „Stelzen­mül­ler“ fragen wie’s funktio­niert. Das geht ja gar nicht und ist ein absolu­tes No-Go. Rolf riet ihr die Kamera zurück­zu­brin­gen, denn die Frau wusste nicht mal, dass sie eine Digital­ka­me­ra gekauft hatte. Geschwei­ge denn, dass sie wusste, was ein PC ist oder wie man das schreibt. Eine halbe Stunde Beratung kostet dann schon mal 20 € – na wenn’s sei muaß, aber bringa tuats au nix. ☺

Haupt­schwer­punkt war in den 70er und 80er Jahren die Indus­trie­fo­to­gra­fie mit der Verar­bei­tung im eigenen S/W Labor sowie die Atelier­fo­to­gra­fie. Kunden waren u. a. die Firmen der örtli­chen Indus­trie wie z.B. Leitz, Oppold, Schmid, Bäuerle, Wannen­wetsch und Okoma.

Hier war auch der Vertei­ler der BILD-Zeitung für Oberko­chen bis ca. 1978. Das bedeu­te­te, von hier aus wurde die BILD-Zeitung auch in andere Geschäf­te verteilt. Die BILD-Zeitung hatte ja schließ­lich einen BILDungs­auf­trag für die Bevöl­ke­rung. Viele Arbei­ter und Angestell­te deckten sich morgens entspre­chend ein: Am Bahnhofs­ki­osk, im Enepetz-Kiosk, bei Kristens und bei Stelzen­mül­lers. Ich erinne­re mich an einen Arbei­ter bei Zeiss, der jeden Morgen über 50 Exempla­re einkauf­te, damit sich jeder bei Zeiss bei Zeiten seine Meinung BILDen konnte.

Die Arbeits­zei­ten waren anstren­gend und wer ein Geschäft hatte, musste sich regen. Erst wurde um 6 Uhr geöff­net, dann um 7 Uhr, später um 7:30 und letzt­lich um 8 Uhr. Ab Viertel nach Neun war Hochbe­trieb, Zeiss hatte Pause und „Mann und Frau“ hatten am Tresen zu stehen, um dem Kunden­an­sturm bedie­nen zu können – denn Zeit zu warten hatte natür­lich niemand. Die Pause war kurz.

Die Geschich­te der verschwun­de­nen Rollei 35.

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Der Renner Rollei 35 – auch ich hatte eine (Archiv Müller)

Plötz­lich war sie weg – die Kamera vor der Verpa­ckung. Später brach­te ein Kunde eine Kamera des gleichen Modells zum Filmwech­sel und siehe da – die Serien­num­mer entsprach der verschwun­de­nen Kamera. Meldung an die Polizei, es kam zu einem Prozess, der Mann wurde der Hehle­rei angeklagt und die Kamera fand wieder den Weg in die Verpa­ckung und letzt­end­lich zu einem Kunden, der dafür auch bezahlt hat. So eine Kamera hatte ich auch während meiner Marine­zeit. Sie war klein, handlich und machte mit ihrem Tessar-Objek­tiv tolle Bilder.

Die Geschich­te vom Überfall.

Der allseits bekann­te „Bär“ (Martin Gold) betrat das Geschäft und sprach im Spaß „Überfall – Geld her“. Martha Stelzen­mül­ler hörte das im hinte­ren Bereich und war besorgt um das schwer verdien­te Geld und um ihren Mann. Sie dachte sich „Mir lasset ons nix wegnem­ma“ und lief zur Hinter­tür um die Nachbarn zu alarmie­ren. Frau Sieglin­de Betzler schlich sich langsam zur Vorder­tür, schau­te hinein, öffne­te die Tür, ging selbst­be­wusst hinein und sprach den Räuber auf gut schwä­bisch an „Bär du Seggel, was mach’sch denn doa?“

Die Schau­fens­ter oder Ausla­gen wie man das früher auch nannte beher­berg­ten u.a. links ausge­stell­te Bilder und rechts Fotoap­pa­ra­te und Bilder­rah­men. Beim rechten Schau­fens­ter hing noch eine Art Brief­kas­ten, in den man Filme zum Entwi­ckeln einwer­fen konnte. Ein Hingu­cker Mitte der 80er Jahre war die Ausstel­lung im Schau­fens­ter mit Bildern über Alt-Oberko­chen, dekoriert mit alten bäuer­li­chen Gerät­schaf­ten von Herrn Posmik, unter Mithil­fe von Freund Isidor Rettenmeier.

Vielleicht entstand aus dieser Aktion die Idee zu den Jahres­ka­len­dern. Leider hat Rolf keine Beleg­ex­em­pla­re aufge­ho­ben. Ich habe einige der Kalen­der erwor­ben (2009 bis 2012 je incl.), aber mir fehlen die vorhe­ri­gen Jahrgän­ge. Wer kann da weiter­hel­fen, damit ich meine Sammlung erwei­tern kann? Die Kalen­der kommen natür­lich nach dem Scannen umgehend an die Eigen­tü­mer zurück.

Das Atelier hatte auch eine Studio-Katze. Aller­dings keine rassi­ge zwei- sondern eine haari­ge vierbei­ni­ge, die sich oft im Geschäft breit­mach­te und sich an allen (un)möglichen Stellen räkel­te und sich regel­mä­ßig vom anstren­gen­den Leben eines Katers erholen musste.

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Die Studio­kat­ze mit Namen Sam. (Archiv Stelzenmüller) 

Techni­sche Ausstattung

Für die foto-technisch Inter­es­sier­ten ist der folgen­de Abschnitt. Rolf hat von Kristens folgen­des Equip­ment übernom­men und bis Ende der 70er Jahre benutzt:

  1. Platten­ka­me­ra auf Holzsta­tiv Format 10 x 15 sowie für Passbil­der 6 x 9 Planfilm sowie
  2. eine Linhof 13/18 Kamera
    → danach musste neu inves­tiert werden
  3. eine Rollei SL 66 für Passbil­der und Außen­auf­nah­men, Dias 6/6 als Referenz­auf­nah­men für Prospek­te für das Bauge­schäft Mayer in Giengen
    → Mitte 80er bis Mitte 90er wurde investiert
  4. in eine Zenza Broni­ca 4,5 x 6 mit Zentral­ver­schluss
    → Ab ca. 2005
  5. kam eine Pentax Ist DS mit 6 Megapi­xel (alle vorhan­de­nen Objek­ti­ve konnten verwen­det werden) in die Ausstat­tung
    → Ab ca. 2008
  6. eine Fuji S 9600 für Passauf­nah­men. 9 MP und
  7. eine Pentax K10D mit 10 Megapi­xel
    → Ab ca. 2010
  8. kam eine Pentax KX mit 12 Megapi­xel dazu
    → und ab ca. 2011 eine Samsung GX 20 mit 16 MP
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Ein Kunde mit Hang zur analo­gen Welt (Archiv Müller)

Das Ende kam dann Ende März 2012. Es wurde immer schwie­ri­ger, das Alter melde­te sich auch und notwen­di­ge Inves­ti­tio­nen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, wurden immer inten­si­ver und unterm Strich wurde es auch nicht mehr. Zudem wurden die Knipser immer mehr und die Fotogra­fen immer weniger. Das Zeital­ter der Smart­Phones war angebro­chen. Und so fiel die Entschei­dung „Schicht im Schacht“. Es wurde alles verkauft was noch einen Kunden fand. Ich ergat­ter­te noch einige Bilder­rah­men und alte Fotogra­fien, die mir wichtig erschie­nen. Im Inter­net fand ich noch folgen­de Anmerkung:

„War ein super Laden. Hat aber leider alters­hal­ber aufge­ge­ben und sein Geschäft geschlos­sen. Schade.“

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Bye Bye Rolf und Martha – so wie wir beide in Erinne­rung behal­ten (Archiv Müller)

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Bye Bye Rolf – so wie wir ihn in Erinne­rung behal­ten (Archiv Müller)

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Bye Bye Martha – so wie wir sie in Erinne­rung behal­ten (Archiv Müller)

Gibt es ein schöne­res Kompli­ment, das einem sagt, dass man seinen Job gut gemacht hat? Der Laden wurde für den Nachfol­ger ausge­räumt und seitdem können wir dort bei der „Puste­blu­me“ alles rund um die Blume kaufen.

Erinne­rungs­fo­tos aus dem Inneren des Geschäftes

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Rolf’s Büro Backstage (Archiv Müller)

Ich grüße wie immer vom Sonnen­berg und Rolf mit Martha von Königs­bronn, das sie zu ihrem Alters­ru­he­sitz erkoren haben.

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