Oberkochen

Das Foto aus dem Jahr 1941 zeigt Josef Prosser im Alter von 16 Jahren. In diesem Jahr wurde der junge Josef Prosser Lehrling bei der Werkzeug­fa­brik Bäuerle in Oberkochen

Josef Prosser, geb. am 1. August 1925

Diesen Bericht hat der 92 Jahre alte Oberko­che­ner Bürger Josef Prosser auf Bitte des Ehren­vor­sit­zen­den im Alter von 91 Jahren auf 10 verschie­den großen Seiten (hier als PDF hinter­legt, bitte klicken) in gut lesba­rer Handschrift für den Heimat­ver­ein nieder­ge­schrie­ben. Grund dafür war ein länge­res Gespräch mit dem Verfas­ser im Jahr 2012 gewesen, das anläss­lich der Überga­be von einigen Expona­ten fürs Heimat­mu­se­um statt­ge­fun­den hat, darun­ter auch solchen seines Bruders Rupert – zum Beispiel eine Trocken­milch­do­se, die aus einer ameri­ka­ni­sche Quelle unter geheim­nis­vol­len Umstän­den bis heute erhal­ten blieb.

Oberkochen

Diese Büchse erinnert die alten Oberko­che­ner an die Geschich­te mit dem „Kaffee-Wunder“ von 1945, wie sie im Heimat­buch von 1986 berich­tet ist.

Josef Prosser, schon seit langen Jahren Witwer, kann sich noch immer selbst versor­gen, arbei­tet, wenn es die Witte­rung zulässt, in seinem Garten und kann mit gutem Gewis­sen von sich behaup­ten, dass es ihm nie langwei­lig ist. Dieses im Folgen­den wörtlich in Druck­schrift übertra­ge­ne Schrift­stück fasst Josef Prosser selbst als „Lebens­lauf“ auf. Den Text hab ich nach einem langen Gespräch mit Herrn Prosser so belas­sen, wie ich ihn erhal­ten habe. Genau genom­men enden die 10 handschrift­li­chen Seiten bald nach dem 2. Weltkrieg.

Auf mich mit 82 Jahren vergleichs­wei­se „jungen Kerl“, der mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gerade mal 10 Jahre alt war, wirkte es erschüt­ternd, aus der Feder und dem Mund eines 10 Jahre älteren Mitbür­gers zu erfah­ren, was für ihn im hohen Alter aus seinem Leben – neben der Pflege seines herrli­chen Spalier­obs­tes, seiner üppig tragen­den Beeren­sträu­cher und seiner herrli­chen Blumen – als „wichtig“ und „bleibend“ erach­tet wird, und wie fürch­ter­lich ihn die Kriegs­jah­re geprägt haben. Beim Erzäh­len geriet der 92 Jahre alte Mann mit lebhaf­ter Stimme immer wieder wie unwill­kür­lich in diese schlim­men Zeiten zurück. Auswen­dig hatte er jeden Ort und jede Jahres­zahl – und sei es im tiefs­ten Polen oder am Schwar­zen Meer – glasklar parat. – Sein gesam­tes Fotoar­chiv sind 30 oder 40 vergilb­te und abgegrif­fe­ne Schwarz­weiß- und einige Farb-Fotos.

Sein Leben nach diesen unglaub­li­chen Kriegs­jah­ren, die er leben­dig überstan­den hat, ist bei seinem vitalen Erzäh­len wie ein unwirk­li­cher Alptraum an mir vorüber­zo­gen, – bis dann nach dem Krieg sein entschie­den mehr als zur Hälfte, fast zu drei Vierteln, selbst gebau­tes Haus im Nelken­weg stand.

Oberkochen

Das Foto zeigt das Gebäu­de Nelken­weg 15, das in den frühen Fünfzi­gern vorwie­gend in Eigen­leis­tung gebaut wurde. Das Foto stammt aus dem Winter 1952/53 und zeigt, dass dieses Gebäu­de damals das letzte Bauwerk in dem noch vor 1945 von der Firma Fritz Leitz geplan­ten und später mit Blumen­na­men verse­he­nen Siedlungs­teil zwischen Bühl und Katzen­bach Richtung Wolfert­s­tal gewesen ist.

Derzeit lebt er dort zusam­men mit seinem Sohn. Seine vor fast 13 Jahren verstor­be­ne Frau liegt auf einem Fried­hof nahe dem Wohnort seiner Tochter bei Gaildorf, wo auch er einst liegen wird. Das ist – in der aktuel­len Zusam­men­schau mit seinen Erzäh­lun­gen vom Krieg ein völlig verän­der­tes Leben – ein Leben wie nach einem totalen Filmschnitt. – Dabei ist Josef Prosser nur einer von Millio­nen von Solda­ten, die im Glauben an eine „gute Idee“ ins Verder­ben getrie­ben wurden. Viele melde­ten sich sogar freiwil­lig. Er hat diese Zeit überlebt, – aber diese Zeit hat sein weite­res Leben bis in die tiefs­ten Tiefen seines Unter­be­wusst­seins und seiner Erinne­run­gen bestimmt und wird auf diese Weise auch die letzten Tage seines Lebens bestimmen.

Warum sind wir Menschen, egal welcher Herkunft, welcher „Rasse“, welcher Religi­on, so unbelehr­bar, dass wir das Entschei­den­de nie dazuler­nen, – auch wenn wir nun seit über 70 Jahren angeb­lich „Frieden“ haben: In unseren Köpfen ist echter „Frieden“ doch nie richtig angekom­men – und scheint heute weiter weg denn je.

Dieser Bericht ist wie gesagt einer von vielen Millio­nen, die in den letzten 72 Jahren hätten geschrie­ben werden können. Weil er indes für den Heimat­ver­ein de facto geschrie­ben wurde, in einfa­chen aber bewegen­den Worten, mag er für die ungezähl­ten nicht geschrie­be­nen Berich­te stehen. – Allein über 5 Millio­nen deutsche Solda­ten haben den 2. Weltkrieg nicht überlebt.

Herr Prosser hat meine Fragen zu seinem Bericht in einem ausführ­li­chen weite­ren spannen­den Gespräch Ende Juli 2017 beantwortet.

Dietrich Bantel

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Ein Lebens­lauf

An das Museum Oberko­chen
Von Josef Prosser – geb. 1925
Die Zahlen vor den Haupt­ab­schnit­ten stehen für die verschie­den großen Seiten des handge­schrie­be­nen unver­än­der­ten Original-Berichts.

Ich, Josef Prosser, geboren am 1. August 1925. Im Böhmer­wald, Kreis Bergrei­chen­stein. Goldbergrei­chen­stein. Eltern hatten eine kleine Landwirt­schaft. Wir sind 5 Kinder. 1 Bruder ist verstor­ben. Ich ging 5 km weit in die Mittel­schu­le nach Bergrei­chen­stein. Mit 14 Jahren kam ich zum Hitler­land­dienst nach Nieder­bay­ern in Rottach bei Passau.

Oberkochen

Das Foto zeigt eine Gruppe von 29 Jugend­li­chen, im Durch­schnitt 14 Jahre alt, die im Rahmen des „Hitler­land­diens­tes“ (Landdienst­grup­pe 22/15) wie Erwach­se­ne arbei­ten mussten. Das Foto wurde 1939 in Hartkir­chen am Inn aufge­nom­men. Der 1. Junge von links in der vorders­ten Reihe der sitzen­den Jungen ist Josef Prosser. – Der Lager­lei­ter (stehen­de erwach­se­ne Person in der mittle­ren Reihe) habe nur Anwei­sun­gen gegeben, – geschafft habe „der“ nix.

Musste wie ein Mann schwer arbei­ten. Im Winter bei hohem Schnee Mist fahren mit den Pferden und Holzma­chen. Der Bauer in Aham hatte 8 alte und 5 jünge­re (Pferde). Bauer Martin Brunner war sehr streng. Musste mit Pferden im Schnee­sturm 15 km weit Langholz fahren. Bekam Mumps, und kam ins Kranken­haus Rottal­müns­ter. Es war 1 Jahr Landdienst, und kam dann wieder nach Hause. Mit 16 (also im Jahr 1941) Jahren nahm ich vom Böhmer­wald Abschied und stieg in Bairisch­eisen­stein in den Zug und nach einer Tages­fahrt in Aalen aus. Es fährt kein Zug nach Oberko­chen, wurde mir mitgeteilt.

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Da musste ich den schwe­ren Koffer bis nach Oberko­chen schlep­pen. Bekam 1 Zimmer von der Holzbe­ar­bei­tungs­fa­brik Bäuerle und eine Lehrstel­le als Maschinenschlosser.

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Josef Prosser am 4.6.1941 im Alter von 16 Jahren als 2. Person von links zusam­men mit 3 Lehrlings­ka­me­ra­den bei der Firma Bäuerle in Oberkochen

3 Kartof­fel und ein paar Blätter Salat war mein Mittag­essen. Im Sommer 1943 kam ich zum 2. Arbeits­dienst nach Wildberg im Schwarz­wald und dann nach Heilbronn. Hat mir dort gut gefal­len. Kurz darauf kam der große Flieger­an­griff. Im Septem­ber 1942 kam ich zu Besuch der Eltern nach Hause. Nach 14 Tagen später kam ich von dort zum Mitlid­är. Die Reise führte vom Böhmer­wald bis nach Konstanz. Meine Eltern sagten wenn München angegrif­fen wurde, hörte man dumpfes Krollen. Ich nahm am 5. Oktober von zuhau­se Abschied. Kam bis München. Da waren wieder die Verbre­cher am Werk. In München wurden wir mit dem Bus zur nächs­ten Bahnsta­ti­on gefah­ren; dann ging es weiter bis Fried­richs­ha­fen, mit dem Schiff bis Konstanz. Vom Boden­see sah ich nur Nebel. Nach 14 Tagen kam ich nach Frank­reich. Ausbil­dung zum Panzer­k­re­na­dir. Ich melde­te mich zur Sturm­ar­til­le­rie Kanonen­jagd­pan­zer. Als Schlos­ser wurde ich dann für Panzer­repa­ra­tur ausge­bil­det. In Deutsch Eylau / Ostpreußen.

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Von Deutsch Eylau kam ich nach Polen, in Sando­mir an der Weichsel.

Oberkochen

Vor den Baracken in Sando­mir an der Weich­sel – Polen – 1944

Dann an den Truppen­übungs­platz Deba, Polen. In Deba wurde der Zug beladen mit Mannschaf­ten, Muniti­on und Treib­stof­fe. Waren 2–3 Wochen im Zug, bis wir am Schwar­zen Meer waren. In Kischin­off. Dann Odessa. Nach einiger Zeit kamen wir an die Schwarz­meer­küs­te nach Bessa­ra­bi­en. Ein heißes Klima 40 — 45 Grad. Malaria. Im Sommer regne­te es nur einmal. Wasser abkochen. Hatten fast nichts zu essen, trinken. Ein armse­li­ges Land. In Afrika ist es auch nicht anders als dort. So arme Leute hatten nicht einmal ein Bett. Lagen am Boden. Manche Häuser mit Schilf gedeckt. Aber im Winter soll es dort sehr kalt sein. Es gab auch keinen Wald.

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Länge­re Zeit gab es an der Front keine große Kampf­hand­lun­gen. Eine Ruhe vor dem großen Sturm. Er kam als Orkan, am 20. August 44. Der Russe kam mit hunder­ten Panzern und viele Soldaten.

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Auf der Rücksei­te dieses Fotos steht geschrie­ben: Panzer­re­pe­ra­teur – Eylau, und Odessa am Schwar­zen Meer. Bessa­ra­bi­en – Südküs­te Schwar­zes Meer, Rumäni­en, Ungarn. – Malaria. 40° — 45°. Trocken.

Die rumäni­schen Solda­ten gingen dann auch gegen uns. Riesi­ge Kolon­nen an Fahrzeu­gen und Solda­ten mußten sich zurück­zie­hen. Große Verlus­te an Mensch und Kriegs­ma­te­ri­al. Wir konnten uns nur über die Waldkar­pa­ten abset­zen. In Ostun­garn bei Tockai kamen wir heraus. Wir hatten die Werkstatt aber keine Panzer mehr. Nach einer kurzen Zeit bekamen wir wieder Panzer zum Kampf in Ungarn. Viele Repara­tu­ren. Haupt­säch­lich Motore. Es gab wieder Verlust. Bekamen neue Motore. Maibach-Motore aus Friedrichshafen.

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In Ungarn hatten wir einiger­ma­ßen gute Verpfle­gung. Über die Slowa­kei kamen wir nach Öster­reich. Am 9. Mai 1945 war im Osten der Krieg zu Ende. In einem kleinen Wäldchen hieß es Waffen wegwer­fen. Uns kamen Franzo­sen, Fremden­le­gio­nä­re entge­gen. Wie die Hühner liefen die Solda­ten ausein­an­der. Schnell abhau­en, bevor der Russe kam. Mit einem kleinen Lastwa­gen kamen wir bis Passau, mussten abstei­gen. Nördlich von Passau war meine Heimat Böhmer­wald Kreis Bergrei­chen­stein, Goldberg­stadt. Vom südli­chen Baier­wald und Böhmer­wald musste ich mich zu Fuß durch­schla­gen und kam im Eltern­haus an. (siehe Abbil­dung 9). Was für eine große Freude.

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Aber nur ein paar Tage. Mußte von den Cechen auf der Straße arbei­ten. Dann nahm mich ein ameri­ka­ni­scher Posten fest und brach­te mich nach Schüt­ten­ho­fen mit 2 Solda­ten. In einem Raum dort waren 2 Solda­ten von der SS. Mir sollten mit Ihnen nicht reden, aber wir haben uns trotz­dem unter­hal­ten. Am nächs­ten Tag wurden wir von 3 Ameri­ka­nern nach Holasch­lo­wic gebracht, fuhren weiter bis Pisek zum Russen. in eine kleine Wirtschaft. Bekamen kein Essen. Wo sind meine 2 geblie­ben? Nun kam die Nacht. Ich war allein in einer offenen Halle. Lag am Zement­bo­den. Da sagte jemand: Dort trüben dut man die Toten hin. Am Boden lag eine total­ver­schmuz­te Decke. Ich nahm sie, legte sie zusam­men, legte sie unter dem Pobo.

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Ich war allein in der offenen Halle. Daneben war ein Flücht­lings­la­ger. Viele Frauen. Da sagte ein Soldat: Heute Nacht geht wieder ein Geschrei los. Tatsäch­lich. Russi­sche Solda­ten holten Frauen heraus für eine Nacht. Meine späte­re Frau Angela war auch drin. Männer legten sich über die Frauen. Morgens mussten wir antre­ten. Es waren ungefähr 50 Solda­ten. Der Lager­kom­man­dör war ein Ceche, vermut­lich ein KZ-Mann. Ich stand mit meinen 2 Solda­ten in vorders­te Reihe. Ich kann nicht immer mündlich Perso­nen gegen­über mich vertei­di­gen. Was jetzt kam: Da hielt die Welt den Atem an. Ich sagte wir 3 sollten vom Ami in Holasch­lo­vic im Böhmer­wald entlas­sen werden. Da kam der Hammer. Der Lager­lei­ter ging auf meine Äuserung ein.

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Ein junger Ceche brach­te uns 3 zum Ameri­ka­ner. Am runden Tisch war ein Offizier, unten ein großer schwar­zer Hund, davor 1 Wecken. Ein Soldat hat ihn geschnapt. Als der Ami kurz hinaus ging wir haben den Wecken später geges­sen. Wir hatten großen Hunger. Auf freiem Feld waren Erdgru­ben, darüber Fichten­stäm­me und Reisig. Darin waren wir 14 Tage. Gut, dass es nicht gereg­net hat. Dann kam ein Bus. Vorne ein Ami sprach deutsch; fragte mich, ob ich in Öster­reich war. Ich sagte nein.. Am nächs­ten Tag wurden wir 3 aufge­la­den. Der Lastwa­gen brach­te mich in meine Heimat­ge­mein­de Langen­dorf. Er fuhr weiter. Wo die 2 dann gelan­det sind, weiß ich nicht.

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Große Freude war es, als ich wieder zuhau­se war.

Oberkochen

Das Geburts­haus von Georg Prosser. Es gehör­te zu einem kleinen aus 3 kleinen Bauern­häu­sern bestehen­den Weiler, der zu Bergrei­chen­stein gehör­te – im 3. Reich „Bayeri­sche Ostmark“ genannt, kurz vor der tsche­chi­schen Grenze. – Ein Jahr später, 1946, wurden alle Deutschen verjagt.

Der Ameri­ka­ner hat in Potsdam zugestimmt, daß alle 3 Millio­nen Sudeten­deut­sche ihre Heimat verlas­sen müßen. Im Frühjahr 1946 wurden wir mit Lastwa­gen zum Bahnhof, kurz vor der Grenze bei Furth im Wald gebracht und in Viehwa­gons verla­den. In Furth im Wald ging es nach Deutsch­land. Kamen in Lager in Nieder­bai­ern bei Lands­hut. Die Bauern mußten eine Flücht­lings­fa­mi­lie aufneh­men. Der Bauer war in Gefan­gen­schaft. Seine beiden Schwes­tern und Verwand­te trieben den Hof um. Die 2 Schwes­tern waren gute Perso­nen. Ich arbei­te­te dann bei einem großen Bauern. Es war ein sehr schöner Hof. Sein einzi­ger Sohn fiel in Stalingrad.

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In meinem Beruf gab es dort keine Arbeit. Per Zug ging ich wieder nach Oberko­chen. Mit großem Fleiß bauten ein Haus in Oberko­chen. Mein Bruder Rupert war ein sehr guter Zimmer­mann. Mehr als die Hälfte haben wir 3 gemacht. Bekam von der Kreis­spar­kas­se 1000 Kredit zu 8% Zinsen und 8 tausend von der Lakra zinsver­bil­lig­ten Kredit. 1954 holte ich mir meine Eltern und Geschwis­ter zu mir in die Dachwoh­nung. – Meine Eltern hatten bei Bergrei­chen­stein / Goldberg­stadt eine kleine Landwirt­schaft. 10 Stück Vieh und so weiter. Meine Eltern bekamen vom Lasten­aus­gleich nur 8 tausend Mark und die wurden an die Ausgleichs­ren­te angerech­net. Somit blieb vom ganzen Vermö­gen 0 übrig.

Josef Prosser

Manuskript von Josef Prosser (bitte klicken!)

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Josef Prosser – einst und heute 92-jährig

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