Dieser Tage wird wieder eines der alten Häuser Oberko­chens abgeris­sen. Es handelt sich um das Haus Jooß/Dreißentalstraße Nr. 5.

In den 1942 gefer­tig­ten Unter­la­gen der Württem­ber­gi­schen Gebäu­de­brand­ver­si­che­rung wird das Gebäu­de als 141 Jahre alt angege­ben, — das heißt, es ist heute 188 Jahre alt und somit im Jahre 1801 errich­tet, — also 2 Jahre vor dem Reichs­de­pu­ta­ti­ons­haupt­schluß (1803), durch welchen der Ellwan­ger Besitz in Oberko­chen an das Herzog­tum Württem­berg fiel. Es gab vor diesem Zeitpunkt, also 1801, noch 2 Bürger­meis­ter in Oberko­chen, und eine Zollsta­ti­on, — ja selbst verschie­de­ne Maße und Gewich­te in den beiden Ortsteilen.

1830 lebten ca. 630 Perso­nen in Oberko­chen, — um 1800 werden es nicht viel mehr als 500 gewesen sein.

Der Name Jooß taucht kurz nach 1800 (1811) zum ersten Mal in Oberko­chen auf, — ein Ludwig Chris­toph Jooß heira­te­te von Königs­bronn nach Oberko­chen. Zum Zeitpunkt der Heirat war das Haus 10 Jahre alt.

Anläß­lich des Abbruchs des Hauses Jooß habe ich in den rathäus­li­chen Bauak­ten nachge­le­sen, was zur weite­ren Geschich­te des Hauses Jooß erwäh­nens­wert ist.

Aus dem Jahre 1846 ist ein inter­es­san­ter Vorgang erhal­ten, den ich hier auszugs­wei­se zitiere:

10.6.1846: »Jakob Jooß (es muß sich um einen Sohn des L.C. Jooß gehan­delt haben), Schlo­ßer-Meister, will in seinen eigent­hüm­li­chen Würzgar­ten einen Viehstall, 16′ lang und 13′ breit erbau­en.« (1 Fuß = gut 0,3 m, — also einen beschei­de­nen Stall von ca. 5 m auf 4 m.)

Tags darauf findet sich in den Bauak­ten folgen­de Aufzeich­nung (auszugs­wei­se):

11.6.1846: »Auf die Einwen­dung des Johann Georg Tritt­ler kann in Betreff des Bauun­ter­neh­mens nicht wohl Rücksicht genom­men werden, in so ferne der fragli­che Viehstall auf das Eigent­hum des Baulus­ti­gen gebaut wird und von der hinte­ren Seite noch einen frei eigenen Neben­raum von circa 10′ hat, und von der vorde­ren Seite von einem Fahrweg und Gasse beschaf­fen ist.« Weiter heißt es:

» … da der Baulus­ti­ge Jakob Jooß, Schlo­ßer-Meister, sich von seiner Profes­si­on (Beruf) auf dem Lande nicht allein ernäh­ren kann, so ist er Noth gedrun­gen, sich mit Ökono­mie einzu­las­sen, und zu diesem Zwecke einen Stall zu bauen benöthigt ist.

…Von Seiten des Gemein­de­ra­thes sieht man sich veran­laßt, das Gesuch des Jooß zu unter­stüt­zen und den Tritt­ler mit seinem ungerech­ten Vorbrin­gen abzuweisen…«

Der unter­zeich­nen­de Bürger­meis­ter war 1846 »Chirurg und Schult­heiß« Sigmund Jonathan Maier.

Der 1846 von Maurer­meis­ter Wingert gefer­tig­te Grund­riß des Hauses Jooß zeigt das sehr einfa­che Haus, fast ebenerdig, nicht unter­kel­lert. Der beschrei­ben­de Text lautet: »Grund­riß für Schlo­ßer-Meister Jooß in Oberko­chen über den Anbau eines Viehstal­les an seine wirklich befind­li­che Wohnung.« Die Nutzflä­che des Gebäu­des bestand aus Wohnzim­mer, Schlaf­zim­mer, Küche, Schlos­ser-Werkstät­te, Kohlen-Kammer und dem sogenann­ter »Öhrn«, wie man den Eingangs­flur nannte, samt Treppe zum Dach.

Über einen langen Zeitraum von mindes­tens 3 Genera­tio­nen hinweg, nämlich von 1846 bis 1926, sind keine bauli­chen Änderun­gen bei den Akten aufzu­fin­den. Fest steht aller­dings, daß eben der Viehstall von 1846 in einem Bauplan mit Datum vom 22.5.1926 anläß­lich der Aufsto­ckung des östli­chen Gebäu­de­teils nicht mehr enthal­ten ist. Ein größe­rer Stall befin­det sich in geschlos­se­ner Bauwei­se Dreißen­tal­auf­wärts an das Haus angefügt. Mit demsel­ben Datum von 1926 werden eine Veran­da und ein Abort­an­bau errichtet.

20 Jahre später, 1 Jahr nach Kriegs­en­de, wird, mit Bauge­neh­mi­gung vom 22.5.1946, der westli­che Gebäu­de­teil aufgestockt.

Eine einschnei­den­de Verän­de­rung ist im Jahr 1957 belegt. Mit Datum vom 26.8.1957 geht es um den Einbau eines Ladens und den Einbau eines Cafés in das nicht mehr benütz­te Stall­ge­bäu­de. Die Landwirt­schaft hatte man aufge­ben müssen, weil es sich zum einen nicht lohnte, den relativ kleinen Betrieb auf moder­ne Geräte und Maschi­nen umzurüs­ten, und weil zum andern die Lage mitten im Ort angesichts der rapide zuneh­men­den Motori­sie­rung der Straße auf länge­re Sicht ungeeig­net erschien. Es war die Zeit, in der in Oberko­chen eine ganze Reihe von landwirt­schaft­li­chen Unter­neh­mun­gen den Betrieb einstel­len mußten. Hierüber werden wir zu gegebe­ner Zeit berichten.

Georg Jooß begann 1957 aufgrund von mündli­chen Abspra­chen mit dem Bauen, ohne die baurecht­li­che Geneh­mi­gung abzuwar­ten. Der damali­ge Stadt­bau­meis­ter Weber bemän­gel­te dies und auch die Tatsa­che, daß nicht, »einge­baut« sondern »abgeris­sen und neu gebaut« wurde. Bei Neubau gelten andere Vorschrif­ten als bei Umbau. So mußte der Bau seiner­zeit einge­stellt und der teilwei­se bereits erstell­te Bau wieder abgeris­sen werden. Bei der endgül­ti­gen Bauaus­füh­rung des Café »Muh« mußte aus verkehrs­tech­ni­schen Gründen die rechte Hauskan­te ca. 1.50 m weiter nach hinten versetzt werden, was den berühm­ten »Café-Muh’schen Fassa­den­knick« von »Muh«/II im Erdge­schoß ergab. Unser Foto zeigt das nicht zur weite­ren Ausfüh­rung gekom­me­ne »Muh«/I vor dem Abriß. Im Fachwerk­gie­bel des Hauses Jooß ist die Giebel­form des zuvor abgeris­se­nen Stall­ge­bäu­des ablesbar.

Oberkochen

Das »Muh«, soviel steht fest, ist nicht, wie man in Oberko­chen oft witzel­te, in den »Schtahl« eigebaut worden, sondern es handel­te sich um einen Neubau des Cafés.

Mit Datum vom 1.10.59 (Kamin, Bad), und vom 5.7.68 (Anbau Balkon, Einbau Heizöl­tank) sind noch 2 kleine­re Verän­de­run­gen vermerkt.

Unser dokumen­ta­ri­sches Bild vom 18.7.1957 aus den Bauun­ter­la­gen des Rathau­ses zeigt, Dreißen­tal­ab­wärts, durch ein kaum 1 m breites »Gänge­le« vom Haus Jooß getrennt das Haus Gold, das am 24. April 1945 zusam­men mit einer Anzahl weite­rer Gebäu­de durch Artil­le­rie­be­schuss nahezu völlig zerstört wurde. Das Haus Jooß blieb unver­sehrt, — nur die Uhr von der Ahne ist von der Wand »gehagelt«. Das Haus Gold wurde nach dem Krieg wieder aufge­baut. Zwischen Haus Gold und Haus Uhl (Ecke Dreißen­tal- und Heiden­hei­mer Straße, heute GUBI,) stand damals noch ein Holzschup­pen, der zum Anwesen Uhl gehör­te. Das links im Foto angeschnit­te­ne Gebäu­de ist das Haus Wingert (Draier) jenseits der Heiden­hei­mer Straße. Dahin­ter sind 2 Holzschup­pen (Wingert und Schrei­ner Hug) erkenn­bar. Dahin­ter steht quer das Gebäu­de Bäuerle. Am rechten Bildrand hinter der Verscha­lung steht das Gebäu­de Welt, — heute Brenner. Die Strom­lei­tun­gen liefen zu dieser Zeit noch von Dach zu Dach.

Mittei­lun­gen
Vorletz­te Woche wurde ein weite­res, nicht ganz so altes Haus, das alte »Schus­ter­haus«, Schul­stra­ße 4/6, Fischer (Woidle) — Stock, abgebro­chen. Nach den Unter­la­gen der Gebäu­de­brand­ver­si­che­rung von 1942 stammt das Haus, das von vielen Oberko­che­nern als wesent­lich älter angese­hen wurde, aus dem Jahre 1822.

Beim Aufgra­ben in der Haupt­stra­ße stießen die Bauar­bei­ter auf die alte Oberko­che­ner Holzröh­ren-Wasser­lei­tung. In Unkennt­nis dessen, was die Holzröh­ren darstell­ten, fuhr man sie offen­bar zum Auffüll­platz Wanne.

Glück­li­cher­wei­se erhielt der HVO noch recht­zei­tig Kennt­nis von der bösen Geschich­te und konnte über den Stadt­bau­meis­ter bewir­ken, daß zumin­dest ein ca. 1 m langes Teilstück von einem ursprüng­lich ca. 2 m langen Deichel für den HVO gebor­gen wurde. Dank gilt Herrn Schmau­der, der sich seitens der Baufir­ma für die Sache verwen­det hat. Herr Schmau­der gab an, daß die alten Holzroh­re nur etwa 70 cm tief unter dem alten Straßen­ni­veau liegen und lagen. Das uns jetzt vorlie­gen­de Stück, heimat­mu­se­ums­ver­däch­tig, ist bereits beim Ausbau der Ortsdurch­fahrt im Jahre 1970 von einer Bagger­schau­fel beschä­digt worden. Das Rohr ist innen mit einer dünnen dunklen Flüssig­keit getränkt, die ca. 5 mm ins Holz einge­drun­gen ist. »Deichel« wurden aus Stamm­holz (Fichte, bei uns weniger wahrschein­lich, Kiefer) gefer­tigt und mit spezi­ell hierfür in Oberko­chen von den Bohrer­ma­chern (Vorläu­fer­in­dus­trie für unsere Holzbe­ar­bei­tungs-Indus­trie) geschmie­de­ten riesiglan­gen »Deichel­boh­rern« längs­ge­bohrt. Die Längs­boh­rung im Kern des Stammes misst ungefähr den Durch­mes­ser einer Coca-Cola-Dose.

In einem Bericht in BuG vom 7.11.1958 schreibt Herr Dipl.-Ing. Eberhardt von der VEDEWA Stutt­gart anläß­lich der Einwei­hung des Hochbe­häl­ters im »Weingar­ten«: »Die Gemein­de Oberko­chen besitzt seit etwa 1918 eine zentra­le Wasser­ver­sor­gung. Vorher mußte das für Haus und Hof benötig­te Wasser — soweit keine priva­ten Wasser­ver­sor­gungs­an­la­gen vorhan­den waren — an den öffent­li­chen Brunnen geholt werden. Die Brunnen wurden von verschie­de­nen ergie­bi­gen Quellen gespeist, deren Wasser früher mittels »Holzdei­chel« und später mittels gußei­ser­ner Röhren den öffent­li­chen Brunnen zugelei­tet wurde.« Was »früher« und »später« in Jahres­zah­len bedeu­tet, versu­chen wir heraus­zu­fin­den. Die jetzt gefun­de­nen Deichel stammen wohl aus dem letzten Jahrhun­dert. Mögli­cher­wei­se sind sie noch älter.

Der Heimat­ver­ein bittet darum, daß Passan­ten, denen Auffäl­li­ges zur Kennt­nis gelangt, umgehend entwe­der das Stadt­bau­amt oder den HVO (7377) verstän­di­gen, damit sich ähnli­che Pannen nicht wiederholen.

Diese Bitte gilt für alle der derzei­ti­gen sehr zahlrei­chen Baustel­len, vor allem im Ortskern. Da das mittel­al­ter­li­che Oberko­chen fast völlig überbaut ist, haben wir keine andere Chance, etwas hierüber zu erfah­ren, als alle Baustel­len, die in die Tiefe gehen, genau­es­tens zu beobach­ten und sofort Meldung an die Stadt zu veran­las­sen, wenn Anhalts­punk­te dafür da sind, daß etwas »angegra­ben« wurde.

Das zu einer großen Baustel­le gewor­de­ne Oberko­chen könnte, bis wieder Ruhe in die Stadt einge­kehrt ist, statt der 3 gelben Rosen, 3 hübsche kleine graue Maulwür­fe im Stadt­wap­pen führen, — oder?

Dietrich Bantel

Oberkochen

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