Unser Mitglied Wilfried Müller, Jahrgang 1952, ist seit 1969 im Bereich »Organi­sa­ti­on« bei der Firma Leitz GmbH & Co KG tätig — schwer­punkt­mä­ßig: »Weltwei­te Einfüh­rung von kommer­zi­el­len EDV-Syste­men«. Er ist hausge­bo­re­ner Neu-Oberko­che­ner und hat als Urein­woh­ner vom Sonnen­berg unzwei­fel­haft bereits große altober­ko­che­ner Antei­le erwor­ben. Anläss­lich seines 60. Geburts­tags hat er sich selbst als Geburts­tags­ge­schenk, und uns als aus seiner Sicht zunächst Außen­ste­hen­de, zur Freude einen 3‑teiligen Bericht geschrie­ben, der uns in alte Zeiten zurück­ver­setzt, Zeiten, die stell­ver­tre­tend für die Geschich­te vieler Mitbür­ger nicht nur die eigenen Kinder­jah­re des Verfas­sers, sondern auch die Kinder­jah­re Oberko­chens auf dem Weg vom Dorf zur Stadt beleuchten.

Dietrich Bantel

Es war einmal — Kindheit und Jugend auf dem Sonnen­berg (Teil 3)

1963 — 1969

Ich war jetzt 11 Jahre alt und durfte nach bestan­de­ner Aufnah­me­prü­fung in das Progym­na­si­um Oberko­chen wechseln. Jeden Tag ging ich die Strecke vom Sonnen­berg in den Tierstein und zurück und manch­mal nachmit­tags das ganze nochmals. Wenn ich heute an der Schule vorbei­kom­me, frage ich mich ernst­haft, ob überhaupt noch jemand »per pedes« in die Schule kommt. Es gab neue Lehrer und neue Mitschü­ler und vor allem Schüle­rin­nen (das kannte ich bisher überhaupt nicht). Es gab die Lehrer von »unbeliebt«‚ »schwie­rig« über »väter­lich« und »selbst­herr­lich« bis hin zu »jung und dynamisch« sowie »sehr beliebt«. (Jeder kennt die Namen und kann sie problem­los zuord­nen). Hr. Thiem erklär­te uns anhand der Gaus’schen Normal­ver­tei­lungs­kur­ve, dass wir bis zum Abitur höchs­tens noch 18 von den jetzt 30 Schülern wären. Das war natür­lich eine bombi­ge aufbau­en­de Motiva­ti­on für die nächs­ten Jahre. Wie er mir später einmal erklär­te ging es damals nicht um »Fordern und Fördern«, sondern nur um Ausle­se (und das in einem Land das als Ressour­ce nur den Geist seiner Bürge­rIn­nen hat). Neben der Regel­schul­zeit gab es da auch noch den Schul­chor, der von Volkmar Schrenk und von Otto Fischer gelei­tet wurde. Wenn man im Chor mitsang, bekam man eine besse­re Schul­no­te im Fach Musik. Das nützte bei mir nichts. Eines Tages sagte Hr. Fischer, ich solle doch nicht mehr kommen, ich würde auch so meine 5 bekom­men. Habe ich wirklich so schlecht gesun­gen, dass meine Stimme als terro­ris­ti­scher Anschlag gewer­tet wurde?

In diesen Jahren begann auch die Kunst des »Kirche-Schwän­zens«. Mittwochs war in der ersten Schul­stun­de Kirch­gang angesagt. Bald nutzen Alfred Schlei­cher und ich die Zeit, um Oberko­chen in dieser Zeit mit dem Rad, bei Wind und Wetter, geogra­phisch zu erfor­schen. Sonntags war die Sache schwie­ri­ger. Bei gutem Wetter wurden weite­re örtli­che Exkur­sio­nen durch­ge­führt und im Winter gab es im gut geheiz­ten Warte­raum des Bahnhofs Zuflucht. Diese sonntäg­li­chen Fluch­ten waren aber nicht ungefähr­lich. Wir mussten aufpas­sen, dass uns niemand aus der Familie sah und zuhau­se mussten wir manch­mal erzäh­len was der Pfarrer Forster gepre­digt hat. Aber mit hinrei­chend Phanta­sie ausge­stat­tet, war das kein Problem.

Jetzt gab es aber auch neben der Schul­zeit reich­lich Freizeit, die man nicht nur zum Lernen nutzte, sondern auch, um mit den neuen Freun­den­In­nen »herum­zu­hän­gen«. Ganz beson­ders gerne war ich bei Chris­tia­ne »Chris« Gärtner zu Besuch. Deren Eltern erschie­nen mir so was von modern und aufge­schlos­sen und so trafen wir uns oft bei Chris, um Hausauf­ga­ben zu machen oder um franzö­si­sche Chansons zu hören. Die Liebe zu dieser Musik ist mir bis heute geblie­ben und selten habe ich einen Lebens­lauf so vorge­schrie­ben gesehen wie bei Chris — sie ist dann tatsäch­lich in Paris gelan­det, wo sie heute noch lebt. Der andere Ort zum »Abhän­gen« war die Eisdie­le Arnol­do (siehe Bericht 525) Aber »Herum­hän­gen« koste­te auch Geld und musste verdient werden, denn ein Taschen­geld von 2 DM war doch ein sehr enges Budget, davon konnte ich nicht mal ins Kino gehen. So begann ich zuerst mit Zeitschrif­ten-Austra­gen. Ich trug die Wochen­zeit­schrif­ten für einen Stutt­gar­ter Verlag und, als Nachfol­ger für Uwe Norkus, den Brabandt-Lesezir­kel aus (damals habe ich das mit dem Fahrrad erledigt, heute wird er mit dem Auto ausge­fah­ren). Damit war ich nahezu täglich beschäf­tigt und verdien­te recht gutes Geld, weil die Leute gutes Trink­geld gaben, beson­ders im Winter und bei schlech­tem Wetter. Eines Tages bekam ich eine beson­de­re Adres­se zur Liefe­rung angewie­sen »Hut Heiden­hei­mer Straße 150«. Ich suchte und suchte und fand die Adres­se nicht und so behielt ich die Zeitung für mich selber. Später habe ich erfah­ren, dass die Familie im Seegar­ten­hof wohnte. Nie und nimmer wäre ich da jede Woche hinaus­ge­fah­ren. Mit 14 Jahren habe ich dann auch zum ersten Mal hautna­hen Kontakt zur Arbeits­welt der Erwach­se­nen bekom­men. Ich wollte eigenes Geld verdie­nen und begann daher in den Sommer­fe­ri­en in der Alumi­ni­um- und Metall­gie­ße­rei Egerter in der Aalener Str. 80 zu arbei­ten. Eine solche Arbeits­welt konnte ich mir für mich in späte­ren Jahren nicht vorstel­len. Nach 3 Wochen hatte ich, bei einem Stunden­lohn von 2 DM, 360 DM verdient und konnte mir mein erstes eigenes Radio kaufen: Einen Grundig Satel­lit Boy. Mit diesem zog ich dann auch durch die Straßen, um die Mitbür­ge­rIn­nen an meiner Musik teilha­ben zu lassen. 1967 und 1968 arbei­te­te ich im Bäuerle-Sägewerk in der Mühlstras­se (schräg gegen­über vom Haus Mannes). Hier mussten wir gesäg­tes Holz stapeln, umsta­peln und kommis­sio­nie­ren. Die letzten Ferien übte ich mich dann im Nichts­tun, da ja die Lehrzeit anstand und mir ja schließ­lich »den Ernst des Lebens« beibrin­gen sollte. In diesem Alter durfte ich auch am Freitag­abend für den »Kegel­club Sonnen­berg« auf der Kegel­bahn in der »GRUBE« Kegel aufstel­len. Man musste flink und konzen­triert sein, damit die Kegel­brü­der zufrie­den waren. Es gab gutes Geld und einen Einblick in die Freizeit­welt unserer Väter.

Auch hatte ich Lieblings­ge­schäf­te in Oberko­chen. Da waren der »Spiel­zeug-Unfried«, der mich mit Wiking-Autos und Modell­ei­sen­bahn­aus­stat­tung beein­druck­te. Da gab es die Buchhand­lung »Henne«, die mich mit Büchern von Edgar Wallace faszi­nier­te, das Kiosk »Ennepetz« in der Bahnhof­stra­ße und das Foto- und Zeitschrif­ten­ge­schäft »Kristen«. Hier beindruck­te Fr. Kristen mit ihrem Sprach­feh­ler, wenn wir wieder das neue »Fikxsch und Fokxschi« abholten.

Oberkochen

Klassen­par­tie bei Doc Enders 1967 (Archiv Müller)

Mit 15, 16 Jahren kam auch die Frage des Wochen­end­aus­gangs auf. Natür­lich zog uns die erste Disco in Aalen, das »Pub«, magisch an und es kam schon vor, dass wir da sonntag­nach­mit­tags zu Fuß nach Aalen gingen, um unsere Extre­mi­tä­ten zum Rhyth­mus der Beatmu­sik zu bewegen. Das war eine spannen­de Zeit und wir bewun­der­ten heimlich den Micha­el »Beppo« Bernl­öhr, der dort rasch eine Disco-Größe wurde. Auch Oberko­chen versuch­te uns Gelegen­hei­ten zum Tanzen zu geben. Zum einen gab es am Sonntag­nach­mit­tag einen stink­lang­wei­li­gen Tanztee in der evange­li­schen Kirche und zum anderen gab es am Freitag­abend und am Samstag­nach­mit­tag den Zeiss-Jugend­club im Jugend­wohn­heim (Heute DRK-Pflege­heim). Das hat mich mehr angezo­gen, das war spannend und es wurden viele verschie­de­ne Aktivi­tä­ten geboten (Dazu wird es später einen eigenen Bericht geben).

In diesem Alter (zwischen 15 und 17) ging es auch um Parties mit allem was dazuge­hör­te: Keine Würfel­spie­le mehr, keine Reise nach Jerusa­lem mehr — sondern Beat, schumm­ri­ges Licht, Stehblues, Küssen und Petting, erster Alkohol mit Chips und Salzstan­gen. Da gab es Parties an die ich mich gerne zurück­er­in­ne­re: die erste Klassen-Partie mit Doc Enders, der vergeb­lich versuch­te uns für »Hazy Osterwald’s Schwarz­wald­fahrt« zu begeis­tern. Die »richti­gen« Parties fanden dann bei Eckart »Biba« Irion, bei Micha­el »Milu« Ludwig und bei mir statt — manche mit bleiben­der Erinne­rung. Die beste Party fand aller­dings 1969 im Progym­na­si­um statt. Es war die erste Schul­fe­te mit Disco und Tanz im Treppen­haus, die wir erleb­ten und selbst gestal­te­ten. Die Technik hat unser Nachbar Wolfgang Dubiel entschei­dend mit organi­siert, es gab einen Discjo­ckey-Wettbe­werb, den ich knapp gegen Peter Meroth gewann. Bis weit nach Mitter­nacht wurde dem Rock, dem Blues, dem Beat Tribut gezollt und am nächs­ten Tag, während des Großrei­ne­ma­chens, haben wir vor dem Lehrer­zim­mer Mittag geges­sen — nicht ohne vorher das Lehrer­zim­mer, unter Alfred »Ali« Hentsch­kes Führung, einge­hend besich­tigt zu haben.

In engem Zusam­men­hang mit dem Ausgang begann jetzt natür­lich die Frage der angemes­se­nen Kleidung. Anzug und Krawat­te, wie es Hartmut Müller im Zeiss-Club liebte, war mir ein Graus und Jeans waren erst im Kommen. Notwen­dig waren Hosen mit einem Schlag und zwar mindes­tens 25–30 cm. Das machte was her. Oben enger wie eng und unten einen Riesen­schlag. So konnte Man(n) loszie­hen. Jetzt waren noch die Haare zu stylen. Das war aller­dings schwie­rig. Es gab in Oberko­chen keinen Friseur, der in der Lage war, eine Beatles-Frisur auf den Kopf zu zaubern. Friede­mann Blum hat alle probiert (von Hahn bis Kainz) — unbefrie­di­gend. Also blieb uns nur der Weg zum Frauen­fri­seur (!) und Gnade in unseren Augen fand nur der Friseur­meis­ter Blenk, der aus Friede­mann einen »Paul Mc Cartney« zauberte.

Ein High-Light in der Oberko­che­ner Stadt­ge­schich­te war der 1. Mai-Scherz 1968. Es wurde von einer verschwo­ren Gemein­schaft auf dem Dach des Pro-Gymna­si­ums eine Piraten­flag­ge gehisst (wie man sieht waren wir damals der Zeit über 40 Jahre voraus, denn die Piraten­par­tei ist erst relativ neu). Da aber zu dieser Zeit die NPD im Land um die 10 % im Wahlkampf errun­gen hatte, wurde die Toten­kopf­flag­ge falsch gedeu­tet und mit einem nicht vorhan­de­nen politi­schen Hinter­grund in Verbin­dung gebracht. Wir fuhren am 2. Mai ins Schul­land­heim und wurden erst nach Rückkehr mit den Ermitt­lun­gen konfron­tiert. Es wurden von der Schul­lei­tung alle Regis­ter gezogen, um die Schul­di­gen ausfin­dig zu machen. Gottsei­dank wurde von einer Krimi­na­li­sie­rung durch eine Anzei­ge Abstand genom­men, aber einige der Ertapp­ten mussten dann zur Strafe im Vorfeld der Arbei­ten für die Stadt­er­he­bung mitar­bei­ten. Trotz­dem, es war und ist in meinen Augen noch immer der beste 1. Mai-Streich, der je in Oberko­chen unter­nom­men wurde.

In diesem bedeu­ten­den Jahr 1968 bekamen wir endlich ein eigenes Badezim­mer. Das tägli­che Waschen und wöchent­li­che Baden in »edlem Zink« konnte endlich gegen tägli­ches Duschen auf »moder­ner Keramik« einge­tauscht werden. Das war dann schon ein Quanten­sprung und mit 16 fand ich die alther­ge­brach­te Weise der Körper­rei­ni­gung schon sehr veraltet.

Raum zur geisti­gen Entfal­tung bot die Schüler­zei­tung »Scola­s­so«, bei der ich auch kurz im »Summer of 69« zusam­men mit Peter Maiwald in der Rubrik »Popmu­sik« zusam­men­ge­ar­bei­tet habe. Das hätte ich früher anfan­gen sollen, denn da hatte ich Talent, aber noch kein richti­ges Interesse.

Jetzt muss ich noch kurz erklä­ren, wie ich zu meinem Spitz­na­men »Billie« kam. Durch meine guten Aufsät­ze bei den Aufnah­me­prü­fun­gen galt ich wohl als Anwär­ter auf den Schef­fel­preis. Da ich mich aber in puber­tä­ren Jahren eher mit »Jerry Cotton«, Western­li­te­ra­tur von G.F.Unger und anderer Machwer­ke vertraut machte, fand dieser trivia­le Stil Eingang in meine Schul­auf­sät­ze. Zur Freude meiner Mitschü­le­rIn­nen und zum Missmut meiner Lehrer wurden meine Aufsät­ze als abschre­cken­des Beispiel vorge­le­sen und teilwei­se in den Lehrer­kon­fe­ren­zen behan­delt. Oberstu­di­en­rat Rudolf Thiem wies mir dann, den aus der Weltli­te­ra­tur bekann­ten Namen »Billie the Kid« zu. Alte und sehr alte Freun­de und ‑innen kennen mich auch heute noch unter diesem hart erarbei­te­ten Künstlernamen.

Die Schul­jah­re verlie­fen für mich von erfolg­reich bis erfolg­los. Es begann der Genera­tio­nen­kon­flikt zwischen Söhnen und Väter und ich hatte mich wild entschlos­sen meine puber­tä­ren Kämpfe mit allen Männern (von Vater bis Lehrer) auszu­kämp­fen. Das geht in der Schule selten gut. Meine Leistun­gen und die Anfor­de­run­gen dieser Männer waren nicht kongru­ent und so kam was kommen musste. Ich durfte die eine und andere Extra­run­de drehen und 1969 die Schule mit der Verwei­ge­rung der »Mittle­ren Reife« verlas­sen. Was soll’s. Allei­ne der Name: »Mittle­re Reife« (Nichts Halbes und nichts Ganzes). Und so ging ich »ohne Reife«, andere mit »mittle­rer Reife« und die Abi-Klasse mit der »vollen Reife«, dem Reife­zeug­nis, die Schule. Was nun? Müllab­fuhr, Straßen­keh­rer oder ähnli­ches, was man mir angedroht hatte. Nichts derglei­chen. Ich wusste zwar, was ich nicht wollte, aber was ich wollte, das wusste ich damals noch nicht. Nur mein Freund Micha­el Ludwig sagte mir, dass es sonnen­klar sei, dass ich Manager werden würde. Und so kam es dann auch, denn der Kegel­bru­der meines Vaters, namens Adolf Reber, sorgte dafür, dass ich ein Vorstel­lungs­ge­spräch bei Hr. Bengel von LEITZ bekam. Wie das verlief weiß ich nicht mehr, das Ergeb­nis war jeden­falls ein Lehrver­trag als Indus­trie­kauf­mann. Und von da an, ging’s nicht bergab, sondern bergauf.

Da meine Schul­zeit nicht in einer Abschluss­klas­se endete wurde ich auch später nie zu irgend­wel­chen Klassen­tref­fen einge­la­den, weil ich einfach immer »dazwi­schen fiel«. Kein Wunder, denn ich hatte ja »keine Reife«. So habe ich es mir später dann als Aufga­be gemacht, allen Schülern und Schüle­rin­nen, aus meiner Schul­zeit eine Platt­form zu regel­mä­ßi­gen Treffen anzubie­ten (egal ob Baum‑, Volks­schu­le oder Gymna­si­um) und so treffen wir uns heute noch regel­mä­ßig im Natur­freun­de­haus, um der alten Bezie­hun­gen willen und muss sagen, dass sich der Aufwand lohnt und diese Erkennt­nis mit den Jahren, die ins Land zeihen, wächst. Übrigens, heute haben wir alle die volle Lebens­rei­fe erreicht.

1969 bis 1973
Wie lässt sich das Jahr 1969 am besten beschrei­ben? Ganz einfach: Die Beatles waren am Ende und ich am Anfang! Am 1. Sep 1969 begann der sog. »Ernst des Lebens« unter dem Motto »Lehrjah­re sind keine Herren­jah­re« und ich begann bei der Firma GEBR. LEITZ in Oberko­chen eine Ausbil­dung zum Indus­trie­kauf­mann. Wir fanden dort eine raue, aber durch­aus herzli­che Erwach­se­nen-Welt unter Führung der HH Kümmer­le, Bengel, Reber, Holz und Wirth vor. Es war eine Welt, in der viel gearbei­tet, aber auch kräftig gefei­ert wurde. Vieles war neu und wurde schnell erlernt. Auch das Bezie­hungs­ge­flecht, das unter­ein­an­der bestand, mussten wir rasch durch­drin­gen, um nicht in zu viele Fettnäpf­chen zu treten. Die Lehrzeit wurde durch Besuche der Kaufmän­ni­schen Berufs­schu­le am Galgen­berg in Aalen bereichert.

Auch dort gab es Lehrer, die mir bis heute in Erinne­rung sind. Der brave Gutmensch Hr. Arnold und der brachia­le wortge­wal­ti­ge Hr. Illetsch­ko. Ich kam noch in den Genuss des Erler­nens von Schreib­ma­schi­ne­schrei­ben und der, inzwi­schen verges­se­nen, Kunst der Steno­gra­phie. Die Lehrjah­re waren spannend und lehrreich, auch was die mitun­ter harsche Sprache der LEITZler unter­ein­an­der betraf. Einer Mutpro­be kam es immer gleich, wenn junge Lehrlin­ge als »Termin­jä­ger« in der Produk­ti­on tätig waren. Die Fachar­bei­ter in der Produk­ti­on waren in ihrer Art doch ein beson­de­res Kaliber, mit denen nicht immer gut Kirschen essen war — echte Kocher­ta­ler Bohrer­ma­cher wie der »Zelle« und andere halt. Was auffiel war, dass sich die Beleg­schaft in verschie­de­ne Gruppen aufteil­te. Es gab die mit dem »Blauen Done« (Arbei­ter), die Graukit­tel (Meister, Lager­per­so­nal oder AV-Leute und die Weißkit­tel (Kaufleu­te, Konstruk­teu­re). Schwarz­kit­tel gab es in Oberko­chen auch, aber die lebten im Wald.

Oberkochen

(Archiv Müller)

Wir Lehrlin­ge hatten von Anfang an eine sehr gute Bezie­hung unter­ein­an­der und verbrach­ten auch viel Freizeit mitein­an­der. Wir gingen zusam­men Kegeln, auf den Fasching, in den Ski-Urlaub, in die Disco, in die Beizen der Umgebung und feier­ten kräfti­ge Parties — wie das eben damals so üblich war. Es kam die Zeit, als ich mich entschei­den musste, wie ich mit dem Thema »Bund(eswehr)« umgehen sollte. Nachdem für mich klar war, dass ein Leben beim Heer nicht in Frage kam und eine Verwei­ge­rung mir zu aufwen­dig erschien und ein Ausbruch aus diesem engen kleinen Kocher­tal notwen­dig wurde, entschied ich mich, eine 4jährige Verpflich­tung Marine bei der Marine einzu­ge­hen. Am 1. April 1973 verließ ich 21jährig (endlich volljäh­rig) Oberko­chen in Richtung Norddeutsch­land und es begann die aufre­gens­te Zeit meines Lebens. Die nächs­ten Jahre verbrach­te ich in List (Sylt), in Kiel und mit dem Zerstö­rer MÖLDERS (D186 heute im Marine­mu­se­um Wilhelms­ha­ven zu besich­ti­gen) auf den Weltmeeren.

Nachtrag
Wie Sie gemerkt haben, bin ich vom Makro­kos­mos »Weite Welt« wieder in den Mikro­kos­mos »Oberko­chen« zurück­ge­kehrt und berich­te heute hin und wieder für den Heimat­ver­ein aus »unserer Zeit der 50er und 60er Jahre«. Ich bin jedoch mit Herz und Seele ein Reisen­der geblie­ben, um aber immer wieder im Heimat­ha­fen »Oberko­chen« festzu­ma­chen. Ich wünsche mir, dass ich Sie noch öfters auf Reisen in die Vergan­gen­heit mitneh­men kann und Sie Freude daran haben.

Wenn Sie eigene Erinne­run­gen haben und Geschich­ten kennen, die es wert sind, festge­hal­ten zu werden, melden Sie sich bei mir.

Wilfried Müller

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