Vor Kurzem feier­te die Schüt­zen­gil­de Oberko­chen ihr 50-jähri­ges Jubilä­um. Das war für Oberschüt­zen­meis­ter Micha­el Gold und Bürger­meis­ter Peter Traub nicht nur Anlass zum Feiern, sondern auch zum Nachfor­schen in der Histo­rie des Vereins und des Schüt­zen­we­sens in Oberkochen.

Die vereins­ei­ge­nen Gründungs­pro­to­kol­le stammen aus dem Jahr 1955, also dem Gründungs­jahr der heuti­gen Schüt­zen­gil­de. Geschicht­lich überlie­fert ist aber, dass es sowohl in unserer Gegend als auch in anderen Teilen Deutsch­lands, vor allem in Norddeutsch­land, schon zu frühe­rer Zeit, nämlich seit dem Mittel­al­ter, sogenann­te Schüt­zen­ge­sell­schaf­ten gab.

Das Schüt­zen­we­sen und die Schüt­zen­ge­sell­schaf­ten entstan­den aus dem Vertei­di­gungs­be­dürf­nis der mittel­al­ter­li­chen Städte. Da die Vertei­di­gungs­fä­hig­keit zwangs­läu­fig geübt werden musste, schlos­sen sich die Schüt­zen in Gilden, Verei­nen und Gesell­schaf­ten zusam­men, die gemein­sam ihre Schieß­fer­tig­kei­ten, z.B. bei Schüt­zen­fes­ten, trainierten.

Die Bedeu­tung dieser Gesell­schaf­ten resul­tier­te u.a. aus der Tatsa­che, dass bis zum Ende des 15. Jahrhun­derts haupt­säch­lich die Städte in den landes­herr­li­chen und kaiser­li­chen Heeren die Schüt­zen­kon­tin­gen­te zu stellen hatten. Als ältes­te deutsche Schüt­zen­ge­sell­schaft gilt die Aache­ner Karls­schüt­zen­gil­de, die sich auf das Jahr 799 zurück­führt und 1198 erstmals schrift­lich nachweis­bar ist. 320 Verei­ne des Deutschen Schüt­zen­bun­des sind vor dem Jahr 1500 gegrün­det, etwa 1000 vor dem Jahr 1700 (Quelle: Deutscher Schützenbund).

Oberkochen

Natür­lich wagten weder Oberschüt­zen­meis­ter noch Bürger­meis­ter zu hoffen, so weit zurück­lie­gend in der Vergan­gen­heit fündig zu werden, zumal Oberko­chen bis in die Neuzeit eher dörfli­chen Charak­ter hatte. Auch die seit dem 12. Jahrhun­dert über viele Jahrhun­der­te hinweg andau­ern­de Teilung Oberko­chens in einen klöster­lich-königs­bron­ner und in einen klöster­lich-ellwan­gi­schen Teil (später in einen herzog­lich-württem­ber­gi­schen und einen fürstpröbs­t­li­chen Teil) ließ zunächst den Schluss zu, dass es in Oberko­chen keine einheit­li­che Kultur des Schüt­zen­we­sens gegeben haben konnte, die zeitlich vor der Säkula­ri­sa­ti­on, also Anfang des 19. Jahrhun­derts liegt (zur wechsel­vol­len Geschich­te Oberko­chens vgl. Volkmar Schrenk: »Das Aalener Proto­koll vom 22. Novem­ber 1749« in Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag, Berich­te Nr. 359 bis 364, Bürger und Gemein­de, Jahres­band 2000).

Oberkochen

Durch den Hinweis eines Schüt­zen­ka­me­ra­den aus Ellwan­gen erhielt Oberschüt­zen­meis­ter Micha­el Gold jedoch die Infor­ma­ti­on, dass in den alten Akten der frühe­ren Fürst­prob­s­tei Ellwan­gen eine »Schüt­zen­ge­sell­schaft zu Unter- und Oberko­chen« erwähnt sei.

Dies wäre in zweier­lei Hinsicht bedeu­tend, denn erstens würden damit die Wurzeln der heuti­gen Schüt­zen­gil­de mindes­tens zwei Jahrhun­der­te zurück­rei­chen, und zweitens wäre dies ein Hinweis darauf, dass es in der Vergan­gen­heit enge Verflech­tun­gen und Verbin­dun­gen zwischen Ober- und Unter­ko­chen gegeben haben musste. Denn mit der Schüt­zen­ge­sell­schaft gab es immer­hin eine gemein­sa­me Einheit für Verteidiungszwecke.

Micha­el Gold wandte sich an Bürger­meis­ter Peter Traub mit der Bitte, die Infor­ma­tio­nen seines Schüt­zen­ka­me­ra­den aus Ellwan­gen nachzu­prü­fen. Gleich­zei­tig legte er Kopien von Urkun­den­frag­men­ten der Fürst­prob­s­tei Ellwan­gen aus den Jahren 1617 bis 1618 vor, die den Stempel des Staats­ar­chivs in Ludwigs­burg trugen. Falls durch die Origi­na­le im Staats­ar­chiv eine urkund­li­che Nennung der »Schüt­zen­ge­sell­schaft zu Unter- und Oberko­chen« bestä­tigt werden würde, wäre dies schon an sich eine kleine Sensation.

Der Bürger­meis­ter setzte sich darauf­hin durch Vermitt­lung von Prof. Dr. Christ­hard Schrenk, Stadt­ar­chi­var in Heilbronn und Sohn unseres Mitbür­gers Volkmar Schrenk, mit Archiv­di­rek­tor Dr. Norbert Hofmann, Staats­ar­chiv Ludwigs­burg, in Verbin­dung. Dort lagern rund 100 lfd. Meter Akten der ehema­li­gen Fürst­prob­s­tei Ellwan­gen, die damit nach den Akten über den Deutschen Orden eine der umfang­reichs­ten histo­ri­schen Akten­be­stän­de des Staats­ar­chivs darstellen.

Dank der Kopien der Urkun­den­frag­men­te und der sogenann­ten »Zimmerle’schen Aufnah­me«, einer Regis­tra­tur, die der Regis­tra­tor J.M. Zimmer­te von 1836 bis 1841 erstell­te und in der er zahlrei­che Archi­va­li­en der fürstpröbs­t­li­chen und kapit­li­schen Zentral- und Lokal­be­hör­den aufführ­te, wurde man unter dem Stich­wort »Schüt­zen­we­sen« fündig. Und schon nach kurzer Suche bahnte sich eine zweite Sensa­ti­on an.

Im Bestand B453 befand sich ein Bündel loser Urkun­den und Fragmen­te (Bü 1650 A). Dort befand sich eine Urkun­de, die aus dem Jahr 1565 stamm­te und in der eine »Schüt­zen­ge­sell­schaft zu Unter- und Oberko­chen« erwähnt wurde.

Am 15. Mai 1565 hatte Jakob von Tannen­burg, Vogt zu Kochen­burg, samt der ganzen Schieß­ge­sell­schaft zu Unter- und Oberko­chen eine Bitte an Statt­hal­ter und Räte des Ellwan­ger Fürst­probs­tes Otto von Waldburg, Kardi­nal­bi­schof von Augsburg, gerichtet:

»Dieweil nun die Zeit verhan­den, das man an allen Orten, do die Schüt­zen­gesöl­schafft­len] sein, wider­umb anfacht zum Zill zu schie­ßen,« bäten sie, den ihnen bisher gewähr­ten Vorteil (d.h. den Zuschuss zum Preis­geld), der bisher für jeden Ort 4 Gulden betra­gen habe, mit nochmals 4 Gulden aufzu­bes­sern (also eine Erhöhung des Zuschus­ses um 100%!). Da bei allen umlie­gen­den Herrschaf­ten solche Schüt­zen­ge­sell­schaf­ten »für eine erliche Gesöl­schaft gehal­ten« werde und des Schieß­sports wegen die Unter­ta­nen an den Feier­ta­gen zu Hause blieben (also ihr Geld dort verbrauch­ten), befür­wor­te­te der Vogt diese Bitte, nicht zuletzt auch deshalb, »und daz ich auch in der Gesöl­schafft bei und mit inen bin unnd ein Schieß­gesöl­len (gleich­wohl wie Euer Gnaden und Gunsten bewist, schlecht­lich gnuog) gib«.

Der Vogt bat dann nochmals für das Anlie­gen der Unter­ta­nen, beson­ders für die zu Unter­ko­chen, das ganz dem Fürst­probst unter­stand. Mit dem Geld wollten die Schüt­zen »Lindisch Hosen­du­och«, also Lündi­sches Leinen­tuch für Hosen kaufen, wobei Lund in Schwe­den damals schon nicht mehr der Haupt­han­dels­ort für diese Tuche war, sondern ganz allge­mein eine Quali­täts­be­zeich­nung für Leinwand.

Statt­hal­ter und Räte vermerk­ten auf der Rücksei­te der Urkun­de: »… soll bei meinem gnädigs­ten Herrn angehal­ten und bei Iren fürst­li­chen Gnaden befun­den werden«, d.h. die Bitte solle dem Fürst­probst vorge­legt und durch ihn entschie­den werden. Eine weitge­hend identi­sche Bitte richte­te bereits am 25. April 1565 Wolf Rudolf von Wester­stet­ten, Vogt zu Kochen­burg, namens seiner Unter­ta­nen zu Westhau­sen, Ober- und Wasser­al­fin­gen an Statt­hal­ter und Räte des Stifts Ellwangen.

Daraus lassen sich nun mehre­re Schluss­fol­ge­run­gen ziehen:

Die Schüt­zen­ge­sell­schaf­ten waren 1565 in der Fürst­prob­s­tei Ellwan­gen bereits fest etabliert.
Jeweils mehre­re Orte — hier: Ober- und Unter­ko­chen — waren in 1 Schüt­zen­ge­sell­schaft vereint.
Da 1565 der Vorteil verdop­pelt werden sollte, wurde er zuvor schon gewährt. Das lässt darauf schlie­ßen, dass der eigent­li­che Ursprung der »Schüt­zen­ge­sell­schaft zu Unter- und Oberko­chen« noch weiter in die Vergan­gen­heit zurück­reicht.
Die Wurzeln der Schüt­zen­gil­de Oberko­chen reichen somit weit in die Vergan­gen­heit unserer Stadt zurück. Und deshalb kann der Verein in diesem Jahr nicht nur sein 50-jähri­ges Jubilä­um feiern, sondern eigent­lich das 440-jähri­ge Bestehen der »Schüt­zen­ge­sell­schaft zu Unter- und Oberko­chen«, als deren Nachfol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on die Schüt­zen­gil­de Oberko­chen angese­hen werden kann. Zumin­dest aber lässt sich ihr Ursprung bis in das Jahr 1565 zurück­ver­fol­gen. Damit ist zugleich nachge­wie­sen, dass dieser Verein von nun an der ältes­te in Oberko­chen ist und in zehn Jahren sein 450-jähri­ges Jubilä­um feiern darf.

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