Unter dem Gipfel, in einem Kessel, der nur auf einer Seite offen ist, stellen wir unsere Schi ab, klettern dann zu Fuß über den Rand des Kessels hinauf, über die Gratwäch­ten, und sind nach 5 Minuten auf dem Gipfel angelangt. Den Höhen­re­kord haben wir gebro­chen, 3000 m hoch sind wir jetzt. Wir tragen uns ins Gipfel­buch, das im Sockel des Gipfel­kreu­zes in einer Blech­schach­tel liegt, ein. Um uns sehen wir die Gipfel und Zacken des Bregen­zer Waldes, der Silvret­ta, des Parsenns. 1000 m unter uns liegt ganz winzig und in die Berge hinein­ge­zwängt, der Lüner­see mit der Hütte. Jetzt sind wir sogar über die Wolken hinauf­ge­kom­men. Einzel­ne Nebel­ge­bil­de schwim­men unter uns so sachte und feier­lich am Berg vorbei. Dann sehen wir hinab ins Ländchen Liech­ten­stein, nach Vaduz weiter oben blitzt das silber­ne Band des jungen Rheins herauf mit Chur. Nach NW sehen wir auf den Boden­see hinüber, links davon der Koloss, weil er so allein dasteht mit seinen 2500 m, Säntis. In 2 Stunden haben wir uns herauf­ge­jagt wir freuen uns über die Leistung. Es ist 4 Uhr. Es ist etwas kühl gewor­den, die Sonnen­strah­lung hat etwas nachge­las­sen, die Luft selbst ist hier oben in 3000 m ziemlich kalt (Pulver­schnee trotz warmen Wetters).

Die Abfahrt ist anfangs sehr schwie­rig. Wir müssen über einen großen Steil­hang hinun­ter, dessen Firnschnee später ½ m tief breiweich, und somit zum Kurven äußerst ungeeig­net ist. Dann aber in flotter Fahrt bergab. Zum Schluss kommen wir wieder zum Kamin. Er ist 10 — 15 m breit gut 30 Grad steil und vielleicht 200 m lang. Obenrein 2 — 3 Serpen­ti­nen und dann ab brrr. Tiefe Hocke, zurück­hän­gen, dass man nicht nach vorne stürzt. Nach drei Vierteln der wahnsin­ni­gen Schuss­fahrt schlot­tern mir die Knie und Schen­kel. Gerade jetzt in der größten Geschwin­dig­keit; sie raubt mir fast den Atem! Aushal­ten! Nicht nachge­ben! Die ganzen Beine schmer­zen von der Anstren­gung der Muskeln. Der Wille schafft’s doch. Sturz­frei kann ich diese Höllen­fahrt beenden, was mich noch jahre­lang freuen wird. In 25 Minuten haben wir diese 1000 Höhen­me­ter durchsaust.

Übernach­tung in der Hütte
Am Diens­tag­vor­mit­tag überque­ren wir den See (Lüner­see), der Heimat zustre­bend. Er hat etwa eine Eis- und Schnee­schicht von 2 m Dicke, doch war diese Masse durch das Tau und Sonnen­wet­ter am anderen Ende des Sees schon ziemlich aufge­taut, so dass wir fast einge­bro­chen wären und kaltes Nass hätten verspü­ren müssen, wenn nicht ein zufäl­lig daher­kom­men­der Mann uns einen Ausweg gezeigt hätte. Dann kochten wir nochmals ab, schür­ten Latschen­holz, sparen den Spiri­tus, um ihn nachher doch noch wegwer­fen zu müssen, weil er übrig blieb. Der Fußmarsch nach Brand, Bürser­berg, Bürs — Bludenz war landschaft­lich wunder­bar; körper­lich war’s zum Schluss ein wüster Schlauch, ich war auf den Füßen kaputt.

Im Quartier in Bürs bestell­ten wir dann Schnit­zel und zum Trinken drei! Liter heiße Milch, konnten aber nur die Hälfte bekom­men, da sie ausge­gan­gen war. Im Nu war alles aufge­räumt. Jetzt bemerk­te ich, dass das grelle Licht — ich hatte keine Schnee­bril­le mitge­nom­men — in dieser großen Höhe meinen Augen gescha­det hatte. Ich konnte nur langsam lesen, da ich die Buchsta­ben doppelt sah. Nach 2 Tagen waren sie wieder gesund, die Augen.

Am Mittwoch­mit­tag um 3 hatten wir ein Mittag­essen in Fried­richs­ha­fen. Das 1. Mittag­essen seit Gründon­ners­tag. Gute Suppe, dann Spinat mit Spiegel­eiern. Wir hauten das Zeug — Spinat habe ich bis dahin nur ungern geges­sen — hinun­ter, wie wenn wir 8 Tage lang kein Mittag­essen bekom­men hätten. Und geschmeckt hat das! Wie noch nie! Sparsam haben wir gelebt, das muss ich betonen, beson­ders, was das Essen anbetrifft, was in keinem Verhält­nis zur Gipfel­stür­me­rei steht. Ich habe außer Fahrgeld nur noch 14 Mark gebraucht. Das hatte insofern keine Folgen, indem ich in den nächs­ten 14 Tagen beim Schule­ge­hen vormit­tags 2 Speikel Brot brauch­te, jedes­mal recht Hunger hatte, und das Mittag­essen erst recht schmeckte.

8 oder 14 Tage später wird Oster­reich für den Fremden­ver­kehr vollstän­dig gesperrt. 1000 Mark Sperre. Da ham mer Glick ghat.
Solche Oster­fahr­ten dürften noch oft kommen. S’war sähr schehn.
Hurra!

Oberkochen
Oberkochen

Karl Wannen­wetsch

Dank und Glück­wunsch
Wir bedan­ken uns bei Karl Wannen­wetsch, Jahrgang 1910 (Wanne) für diesen sehr anschau­li­chen 3 teili­gen Bericht zum Thema »Wie’s früher beim Schifah­ren war«.
Wir verwei­sen auf unsere Schifahr­be­rich­te aus den 20er und 30er Jahren und wir erinnern an die Erzäh­lun­gen der Brüder Clemens und Willi­bald Grupp. Sie und andere haben ja Schige­schich­te geschrie­ben für Oberkochen.

In diesem Zusam­men­hang möchten wir vom Heimat­ver­ein darauf hinwei­sen, dass gerade die Familie Grupp über vier Genera­tio­nen hinweg bis heute mit heraus­ra­gen­den Leistun­gen sowohl im nordi­schen als auch im alpinen deutschen Schilauf verbun­den ist. Die Schi-Grupps leben quer durch die Genera­tio­nen über Regina Fickert, geb. Grupp, Rosa Fischer, geb. Grupp, Hartmut Fickert in den Siebzi­ger­jah­ren Deutscher Meister im Biath­lon (zusam­men mit Thomas Prosser sechs Jahre in der Deutschen Natio­nal­mann­schaft), und ganz aktuell den Namen Stoffel bis auf den heuti­gen Tag weiter:

Lena Stoffel ist ein über Harald Fickert, Sohn der Ida Grupp (1904 — 2000), einer Schwes­ter der Brüder Clemens und Willi­bald Grupp und Harald und Regina Fickerts Tochter Monika eine Ur-Enkelin von Ida Grupp. Lena Stoffel, 18 jähri­ge Abitu­ri­en­tin, wurde erst vor wenigen Tagen ausge­rech­net in Schruns im Monta­fon, das in der Mehrta­ges Schitour von Karl Wannen­wetsch beschrie­ben ist, Deutsche Jugend-Meiste­rin, inzwi­schen auch noch Schwä­bi­sche Meiste­rin im Slalom.

Der Heimat­ver­ein gratu­liert herzlich.

Dietrich Bantel

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