Das alte evangelische Pfarrhaus hat eine fast 100jährige Geschichte erlebt. Den unmittelbaren Anstoß zu seiner Errichtung bot das traurige gesundheitliche Schicksal des im vergangenen Jahrhundert sehr beliebten und heute teilweise noch bekannten Pfarrers Dürr. Er war der letzte ständige evangelische Seelsorger, der in der ersten evangelischen Kirche von 1583 predigte und in der Wohnung im ersten Stock des Gotteshauses wohnte. Er wirkte seit 1850 in der kleinen Gemeinde und hatte fast 20 Jahre lang ohne Urlaub unter den völlig unzureichenden Wohnverhältnissen gelitten und dabei — insbesondere wegen der kühlen Feuchtigkeit — seine Gesundheit zerstört. Als er sich im August 1869 trotz der hohen zu erwartenden Kosten zu einer Kur entschloß, war es bereits zu spät. Zwei Tage darauf erlitt er einen Hirnschlag und verlor für mehrere Wochen das Bewußtsein, danach litt er an Gedächtnisschwund. Sein Zustand verschlechterte sich durch eine Lungenentzündung weiter. Die Arzt- und Apothekenkosten stürzten seine Familie in bittere finanzielle Not. Pfarrer Dürr starb am 1. Januar 1870 in Oberkochen.
Die Unzumutbarkeit dieser Wohnverhältnisse wurde nach Dürrs Ableben auch staatlicherseits anerkannt. Daß die Glockenseile mitten durch das pfarrherrliche Schlafzimmer vom Dachreiter nach unten in den Kirchenraum führten mag die Abneigung der möglichen Amtsnachfolger Dürrs zusätzlich erhöht haben. Jedenfalls kam erstmals wieder 1875 ein evangelischer Pfarrer nach Oberkochen, nachdem die alte Kirche abgebrochen und eine neue erbaut worden war. Im etwas zurückversetzten, auf der anderen Straßenseite liegenden Gemüse- und Grasgarten der evangelischen Kirchengemeinde hatte diese gleichzeitig ein Pfarrhaus errichtet.

Im Erdgeschoß dieses 2‑stockigen Gebäudes befanden sich eine Waschküche und vier Wohnräume, im ersten Stock die Küche und weitere vier Räume. Vier der acht Zimmer konnten beheizt werden. Neben dem Haus stand ein Pumpbrunnen — ein großer Fortschritt, denn bislang mußte sich die Pfarrfamilie das Wasser direkt aus dem Kocher holen. Von 1875 bis 1972 bewohnten alle 11 evangelischen Pfarrer mit ihren Familien das Oberkochener Pfarrhaus. Dies waren:
Name | Amtszeit |
Otto Reinhold Lechler | 1875 — 1882 |
Theodor Brecht | 1882 — 1894 |
Eugen Wider | 1894 — 1921 |
Karl Stöckle | 1922 — 1926 |
Ferdinand Huber | 1926 — 1935 |
Theodor Dornfeld | 1936 — 1938 |
Eberhard Goes | 1939 — 1947 |
Georg Fiedler | 1947 — 1954 |
Hans Heinrich Gottfroh | 1955 — 1961 |
Peter Geiger | 1961 — 1969 |
Bernhard Kurtz | 1970 — 1984 |
Nach 1972 stand ein neues Pfarrhaus in der Blumenstraße zur Verfügung. Sein Vorgängerbau wurde abgerissen. Zurück blieb eine schöne Grasfläche.
Dr. Christhard Schrenk
Herr Dr. Christhard Schrenk, dem wir diesen Bericht verdanken, hat vor 5 Jahren anläßlich des 400. Geburtstags der Oberkochener Evangelischen Kirchengemeinde ein kleines Büchlein zur Geschichte der evangelischen Kirchengeschichte herausgegeben. Auf Seite 57 befindet sich eine weitere Abbildung des unter Pfarrer Bernhard Kurtz abgerissenen alten Pfarrhauses.
Die Bauakten aus dem Jahr 1874 befinden sich vollständig auf dem Stadtbauamt.
Dietrich Bantel