Der Bericht zur »Oberen Mühle« (BuG v. 22.4.88) veran­laß­te Leser zu so inter­es­san­ten Reaktio­nen, daß wir heute einen 2. Bericht zur Oberen Mühle veröf­fent­li­chen können.

Zum ersten liegen uns mittler­wei­le 3 verschie­de­ne Bilder zu dem im Jahre 1953 abgeris­se­nen markan­ten Gebäu­de vor, von denen wir heute zwei veröf­fent­li­chen. Die Queran­sicht, etwa in der zweiten Hälfte der Zwanzi­ger-Jahre entstan­den, zeigt die Mühle gegen den Ort. Das kleine Bauwerk gegen­über der Mühle ist die ehema­li­ge »Gypsmüh­le« jenseits des Kocher­ka­nals. Müller Lindner hatte 1847 um Geneh­mi­gung ersucht, sie in sein dort bereits bestehen­des Wasch- und Backhaus einbau­en zu dürfen. An dieser Stelle entstand später die Ziehe­rei Laißle/Günther. Die 1830 von Geome­ter Wilhelm Stoll aufge­nom­me­ne Karte vom Juli 1830 zeigt das Gebäu­de 122 »Obere Mühle« mit 4 einge­zeich­ne­ten Mühlrä­dern und die damals bereits bestehen­den Gebäu­de jenseits des Kocher­ka­nals. Kocher und Kanal bilden nach ihrer Wieder­ver­ei­ni­gung hinter der Mühlen­halb­in­sel einen kleinen See.

Zum zweiten erhiel­ten wir von Herrn Kuno Gold einen inter­es­san­ten, schon vor länge­rer Zeit geschrie­be­nen Bericht, den Frau Charlot­te Günther, Tochter des Fabri­kan­ten Gottlieb Günther verfaß­te. Aus ihm geht hervor, daß Herr Günther erst einige Zeit nach dem Zeitpunkt des Erwerbs bzw. der Übernah­me des Anwesens, das damals, wie berich­tet, dem Fabri­kan­ten Hugo Laißle gehört hatte, in Oberko­chen ansäßig wurde.

Diesen Bericht, der mit dem 1.1.1895 beginnt, möchten wir ebenfalls veröf­fent­li­chen. Herr Willy Günther von der Firma Günther und Schramm und Enkel des Firmen­grün­ders, — Frau Charlot­te Günther, die Verfas­se­rin nachste­hen­der Zeilen, ist seine Tante, — stell­te uns ein völlig unbekann­tes Bild der »Oberen Mühle« zur Verfü­gung, das dem Alter der darauf abgebil­de­ten Perso­nen nach kurz nach der Jahrhun­dert­wen­de entstan­den sein muß. Gottlieb Günther befin­det sich unter den im Bild erkenn­ba­ren Personen.

Bericht von Frau Charlot­te Günther:
1895, am 1.1., (die Übernah­me des Fabrik­be­triebs von Hugo Laißle hatte bereits im Jahre 1894 statt­ge­fun­den), traf der Möbel­wa­gen meiner Eltern hier, von Bonn kommend, ein. Wie lange mag er unter­wegs gewesen sein? Nach ein paar Tagen sollte er wieder nach dort abfah­ren; inzwi­schen war es so kalt gewor­den, daß etliche Pferde den angefro­re­nen Wagen mit verein­ten Kräften flott machen mußten.

Vater und Mutter Günther, mit Sohn Willy und Tochter Mathil­de, die Mutter unserer Mutter, und die Schwes­ter unserer Mutter, Tante Emma mit Namen Berta­lot, deren Vorfah­ren als Hugenot­ten einst ihres Glaubens wegen aus Frank­reich ausge­wie­sen worden waren, kamen mit der Bahn in die neue schwä­bisch Heimat, — Oberkochen.

Vater war Ingenieur und wollte sich selbstän­dig machen. Er hatte von dem seithe­ri­gen Besit­zer, Hugo Laißle, die dreisto­cki­ge Mühle mit Erdge­schoß und Dachsto­ckebe­ne fünfge­schos­sig, die zum Kloster Königs­bronn gehört hatte, erwor­ben. Die 2. Etage wurde ihre Wohnung. Später erfolg­te eine Renovie­rung und Richtung Süden wurde ein Anbau errichtet.

Inzwi­schen war unser ältes­ter Bruder Willy von seinem Ingenieur­stu­di­um mit Vermerk »summa cum laude« zurück­ge­kom­men und entlas­te­te Vater im Büro.

Die erste Grippe­wel­le, 1918, raffte ihn inner­halb von 3 Tagen hinweg. Er war erst 26 Jahre alt gewesen.

Unser Bruder Erich (der späte­re Mitbe­grü­der der Firma Günther und Schramm) war im Krieg auf einer Schreib­stu­be, eines Hüftlei­dens wegen. Er wurde dann entlas­sen und im Betrieb einge­setzt. Vater war schon alt und war sehr stark eingespannt.

Genau­zie­he­rei und Wellen­fa­brik war die Bezeich­nung des Unter­neh­mens. Ein größe­res Rohla­ger von Eisen in vieler­lei Dimen­sio­nen war Voraus­set­zung. Mit Loren wurde es in die Beiztrö­ge geschafft, — Salzsäu­re, — anschlie­ßend in ein Wasser­bad. Der nächs­te Gang war in die Schmie­de; es wurde geglüht, ein Ende des Materi­als alsdann zugespitzt und einzeln durch vorge­ar­bei­te­te Matri­zen, die in allen Abmes­sun­gen im Betrieb von Schlos­sern herge­stellt wurden, gezogen.

Die Maschi­nen wurden anfäng­lich durch ein Mühlrad mit 10 Metern Durch­mes­ser (?) betrie­ben. Ein Kanal, abgetrennt vom Kocher, lief noch lange durch unser Anwesen. Nach Anschaf­fung eines Dampf­kes­sels, der sich in einem extra Gebäu­de befand, wurden die Maschi­nen mit Dampf betrie­ben und das Mühlrad später still­ge­legt. (Die Planzeich­nun­gen für den Dampf­kes­sel befin­den sich beim Stadt­bau­amt; sie stammen aus dem Jahr 1891. Der Antrag auf Errich­tung eines Dampf­kes­sel­hau­ses war schon 1891 von Hugo Laißle gestellt worden. DB.) Das Wasser­rad sorgte derweil für Strom und die Füllung einer Batte­rie für Nacht­strom im Wohnhaus und auch im Betrieb. Zu jener Zeit war ansons­ten noch Petro­le­um usus.

Die nächs­te und letzte Trieb­kraft unter unserem Vater war dann ein Dieselmotor.

Weiter oben war die Rede von der Ziehe­rei; nun sei weiter­be­rich­tet: Die Richte­rei schloß sich an. Ob das in einem Gang oder mehre­ren gehen mußte, weiß ich nicht mehr. Nach diesem Gang wurden die Wellen zur Waage getra­gen, — je schwe­rer, desto mehr Arbei­ter trans­por­tier­ten die Wellen »im Gleich­marsch« in das Unter­ge­schoß der alten Mühle, wo sie auf einer riesi­gen Waage abgelegt und gewogen wurden. Einige Handgrif­fe waren dann noch nötig, — so das Einfetten.

Oberkochen

Dann kamen die Wellen auf den Trans­port­wa­gen, — je nach Gewicht die entspre­chen­de Anzahl. Mit Pferden kam dann die Fuhre zur Bahn und von da in die Güter­wa­gen, — wieder per Hand!

Im Laufe der Zeit hatte Vater noch eine große Glühe­rei für Bandei­sen samt einem riesi­gen Schlot erstel­len lassen, gegen­über der Ziehe­rei und Wellen­fa­brik. (Siehe Foto).

Oberkochen

Durch den 1. Weltkrieg, 1914 — 1918, waren die Mittel in den Jahren 1922/23 sehr knapp gewor­den und Vater sah sich nach einem Geldge­ber um; er wollte keinen Arbei­ter auf die Straße setzen müssen. Es dauer­te sehr lange, bis sich jemand fand, — ein Herr Weinmann aus Zweibrü­cken. Bespre­chun­gen hin und her, — Druck nach allen Seiten. Der Vertrag kam zustan­de. Aber dann wurden wir unter erneu­ten Druck gesetzt, — hatten nichts mehr zu sagen. Eines Tages war alles aus. Pleite! Empör­te Arbei­ter! Unser angeb­li­cher »Helfer« hatte sich selbst gehol­fen und sich zwischen­zeit­lich zudem den Titel eines Commer­zi­en­rats gekauft. Das Datum war der 30.10.1928. Ein grausa­mes Ende für uns. Vater starb bald danach. Bis auf ein Stück Land und ein Haus als neue Wohnstät­te (Dreißen­tal­stra­ße 18) hatten wir nichts mehr. Der andere aber gar nichts.

Mein Bruder Erich Günther gründe­te dann am 1.2.1930 zusam­men mit Emil Schramm die Nachfol­ge­fir­ma »Günther und Schramm«.

Soweit der Bericht der inzwi­schen 80-jähri­gen Frau Charlot­te Günther. Herr Willy Günther war so freund­lich, uns den Bericht auf sachli­che Richtig­keit hin durchzusehen.

Zum dritten möchten wir einige Zeilen aus einem Brief veröf­fent­li­chen, der uns Anfang Mai aus Itali­en erreich­te. Frau Luitgard Hügle, in Barbe­ri­no Val d’Elsa (Firen­ze) ansäßig, schreibt unter anderem:

… Mit großem Vergnü­gen lese ich nun die Beschrei­bun­gen aus der »alten Zeit«, denke darüber nach, was ich aus dieser Epoche noch weiß oder mir aus Erzäh­lun­gen bekannt ist. Ganz beson­ders anregend war nun der Artikel über die »Obere Mühle«. Auch ich wußte nicht, daß es sich bei diesem Gebäu­de um eine ehema­li­ge Mühle handel­te. Aber das war ein lusti­ges Haus! Viele Kinder in meinem Alter wohnten dort (Famili­en Kurz, Fähnle, Hund .…) und das Tolls­te war, daß man bei Kocher­hoch­stand im Keller des Hauses mit dem Wasch­zu­ber Boot fahren konnte! Das war natür­lich eine Attrak­ti­on ohnegleichen … .

Das liebens­wür­di­ge Echo einer BuG-Leserin aus Itali­en hat uns beson­ders gefreut. Frau Luitgard Hügle ist eine Tochter des in den 60-er Jahren bei einem Autoun­fall tödlich verun­glück­ten Paul Grupp.

Dietrich Bantel

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