»Nächs­ten Sonntag, nachmit­tags 4 Uhr, findet hier im Schell­mann­schen Lokal eine allge­mei­ne Versamm­lung behufs Gründung eines katho­li­schen Arbei­ter­ver­eins statt, wozu ein Redner aus Stutt­gart erschei­nen wird«, so besagt eine kleine Notiz in der Aalener »Kocher-Zeitung« am 29. Oktober 1897.

Gründungs­ver­samm­lung
Am Sonntag, dem 31. Oktober 1897 ging es in der »Schell« an der Bahnhof­stra­ße hoch her. Aber nicht wie sonst oft nach Feier­abend dominier­ten die Häfner, meist noch in »Bollen­ho­sen« ihr Zunft­lied singend »Was frag ich nach der Welt, aus Dreck mach ich mein Geld«, sondern »zahlrei­che Arbei­ter und Bürger von Oberko­chen, aber auch Gäste und Mitglie­der katho­li­scher Arbei­ter­ver­ei­ne der Nachbar­schaft« füllten den Raum in erwar­tungs­vol­ler Spannung.

Pfarr­ver­we­ser Kappler — die Pfarr­stel­le war nach dem Ausschei­den des Ehren­bür­gers Pfarrer Breiten­bach noch nicht wieder besetzt — eröff­ne­te die Versamm­lung und stell­te den Redner vor, es war der damali­ge Arbeits­se­kre­tär Matthi­as Erzberger

Oberkochen

aus Butten­hau­sen, Landkreis Münsin­gen, der später auch in der großen Politik mitmisch­te. Matthi­as Erzber­ger führte »in gewand­ter und volks­tüm­li­cher Sprache aus, wie notwen­dig in sturm­be­weg­ten Zeiten die Gründung von Abeiter­ver­ei­nen ist, die sich zur Aufga­be machen, die sozia­le Stellung des Arbei­ter­stan­des und die materi­el­len Inter­es­sen der Arbei­ter zu fördern und letzte­re enger anein­an­der anzuschlie­ßen und Religio­si­tät und Sittlich­keit zu fördern«. Katho­li­sche Arbei­ter­ver­ei­ne haben landauf, landab 137.000 Mitglie­der, so stell­te Erzber­ger weiter fest. Gemein­sa­mes Vorge­hen sei notwen­dig, um z. B. eine Verbes­se­rung der Versi­che­rungs­ge­set­ze zu errei­chen. In Stutt­gart gebe es ein Büro, das Arbei­tern Rat und Auskünf­te ertei­le, was in einem Viertel­jahr über 1200 mal gesche­hen sei. Auch die Schutz­kom­mis­si­on der Arbei­ter­ver­ei­ne, die in den Betrie­ben Mangel aufzei­ge wie etwa »bei Arbeits­räu­men, in Bezie­hung auf Gesund­heits­ge­fähr­dung, Überan­stren­gung, Frauen­ar­beit u. dgl., arbei­tet segens­reich und sorgt für Abhilfe«.

Matthi­as Erzber­ger zog alle Regis­ter seiner Bered­sam­keit. »Er wußte durch manchen passen­den Witz und drasti­sche Beispie­le seine Zuhörer in Spannung zu halten, so daß seine Ausfüh­run­gen ihre Wirkung nicht verfehl­ten«. Am Ende des Berichts wird gesagt, »es ließen sich sofort 106 Arbei­ter einschrei­ben, der Verein kann also gegrün­det werden!«

Und so kam es: Der Verein konsti­tu­ier­te sich und bereits am 6. Novem­ber 1898 konnte der katho­li­sche Arbei­ter­ver­ein Oberko­chen seinen ersten Geburts­tag in Form des 1. Stiftungs­fes­tes feiern.

Reakti­on auf evange­li­scher Seite
Zwar war die staat­lich-bürger­li­che Einheit Oberko­chens nach Jahrhun­der­te währen­der Trennung im Jahre 1803 Wirklich­keit gewor­den, die konfes­sio­nel­le Spaltung blieb jedoch bestehen. Und so war jede Kirchen­ge­mein­de, auch wenn es durch­aus gemein­sa­me Bestre­bun­gen gab, darauf bedacht, ihre Inter­es­sen zu wahren. So schlägt sich die Gründung des katho­li­schen Arbei­ter­ver­eins auch im Proto­koll des evange­li­schen Kirchen­kon­vents nieder.

Zwar war bei der Gründung im Jahr 1897 gesagt worden, »katho­li­sche Arbei­ter­ver­ei­ne befin­den sich keines­wegs im Gegen­satz zu den evange­li­schen. Im Gegen­teil, es ist erfreu­lich, wenn beide Konfes­sio­nen gemein­sam ein Bollwerk gegen den gemein­schaft­li­chen Gegner errich­ten«. Dennoch hätte man evange­li­scher­seits gerne gesehen, wenn kein solcher Verein gegrün­det worden wäre, weil er »zwar in erster Linie zur Abwehr sozia­ler Mißstän­de dienen solle, er aber zugleich, wenn auch ohne Spitze gegen die Evange­li­schen, wenigs­tens nach den bishe­ri­gen Erfah­run­gen, den Einfluß der anderen Seite stärke«. Also überleg­te man, ob nicht in Oberko­chen auch ein evange­li­scher Verein für Arbei­ter, wie er z. B. in Aalen bestand, gegrün­det werden könne. Doch, so meinte der Kirchen­kon­vent, »verbie­te sich die Gründung eines evange­li­schen Arbei­ter­ver­eins angesichts der kleinen Zahl evange­li­scher Arbei­ter von selbst«. Als Ersatz dafür wolle man von Zeit zu Zeit sich »zu Abenden edler Gesel­lig­keit, auch unter Betei­li­gung des Kirchen­chors, zusam­men­fin­den, um den Zusam­men­halt der evange­li­schen Gemein­de zu stärken«.

Volkmar Schrenk

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