Nachdem im ersten Teil der Betrach­tung geschil­dert worden war, daß schon 1883 sicher, vielleicht aber schon ab 1859 ein evange­li­scher Kirchen­chor in Oberko­chen existiert hatte, wenden wir uns nun dessen späte­rem Schick­sal zu.

Erneu­te Auflö­sung
Leider erwies sich diese neuer­li­che Gründung als chori­sche Eintags­flie­ge. Die 15 Neugrün­dungs­mit­glie­der gaben zwar ihr Bestes und absol­vier­ten die jeweils am Diens­tag- und Freitag­abend ab 8 Uhr angesetz­ten Proben. Aber der Versuch, den nach wie vor bestehen­den Männer­chor mit dem gemisch­ten Kirchen­chor unter einen Hut zu bringen, schei­ter­te »am unbesieg­ba­ren Trotz und der Gehäs­sig­keit einzel­ner Mitglie­der des Männer­chors«. Da auch der Dirigent offen­sicht­lich nicht vor Taten­drang strotz­te — »einmal wollte er nicht, an binden­de Ordnung halte er sich nicht, musika­lisch begabt ist er nicht«, so steht im Proto­koll -, geschah nach einem Jahr das für Pfarrer Wider nahezu Unfaßbare:

»Der am 6. Dezem­ber 1910 wieder­her­ge­stell­te gemisch­te Kirchen­chor hat sich trotz der Bemühun­gen des Geist­li­chen am 7. Dezem­ber, also nach einjäh­ri­gem Bestehen aufge­löst. Die kirch­li­chen Festvor­trä­ge unter­blei­ben also künftig. Selbst der Grabge­sang des Kirchen­chors, den die Gemein­de seit vielen Jahrzehn­ten gewöhnt ist, soll nach der Erklä­rung des derzei­ti­gen Lehrers aufge­ho­ben sein«, so verlau­tet das Kirchen­ge­mein­de­rats­pro­to­koll. Pfarrer Wider ist über diese Entwick­lung verbit­tert und bittet »die Herren Ältes­ten, damit der Gemein­de der sicher­lich ärmli­che Schüler­ge­sang erspart bleibe, auch ihrer­seits dem Dirigen­ten die Beibe­hal­tung seines Diens­tes nahezu­le­gen. Die Ältes­ten stimmen zu und bedau­ern ihrer­seits lebhaft das Vorgefallene«.

Doch es blieb bei der erneu­ten Auflö­sung, und so waren die Evange­li­schen Oberko­chens wieder einmal chorlos, abgese­hen vom Männer­chor »Frohsinn«, der sich schlecht und recht durch die Jahre schlug, bis dann der erste Weltkrieg die gesam­te Singar­beit der Kirchen­ge­mein­de zum Erlie­gen brachte.

Grabge­sang
Einer spezi­el­len Form des Singens muß nun noch nachge­gan­gen werden, denn das Stich­wort »Grabge­sang« zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschich­te der Oberko­che­ner evange­li­schen Kirchen­mu­sik. Oft ging es dabei um die finan­zi­el­le Seite der Sache. Dies darf nicht verwun­dern, stammen ja unsere Erkennt­nis­se überwie­gend aus den Ratspro­to­kol­len und diese befas­sen sich vorwie­gend mit finan­zi­el­len Dingen. Auch waren die Oberko­che­ner allge­mein mit irdischen Gütern nicht allzu reich geseg­net. Sie mußten für den Broter­werb hart arbei­ten. Die Äcker waren stein­reich, die Arbeit in den Wäldern mühsam, der tägli­che Fußmarsch zum Bergwerk am Braunen­berg weit. Die Töpfe­rei florier­te zwar zeitwei­se, geriet aber mit begin­nen­der Indus­tria­li­sie­rung ins Hinter­tref­fen. Verdienst­aus­fall durch Singen bei Beerdi­gun­gen mußte also kompen­siert werden.

Der erste Hinweis auf den Grabge­sang findet sich am 8. Januar 1884. Dort ist davon die Rede, »dem Lehrer für Einübung der Leichen­ge­sän­ge und Chordi­rek­ti­on 10 Mark jährlich« zu geben. Die Sänge­rin­nen und Sänger wurden »in der Regel mit einem Vesper von den Leidtra­gen­den entschä­digt, das sie im Wirts­haus Einnah­men oder abholen lassen konnten«.

Erst im Jahre 1902 wurde dies geändert. »Es wird beschlos­sen, es solle durch die Kirchen­pfle­ge von den Hinter­blie­be­nen (soweit diesel­ben bezah­len können) eine Gebühr von je 35 Pf für die Kirchen­chor­mäd­chen und von 50 Pf für die Männer einge­zo­gen und an die Betei­lig­ten ausbe­zahlt werden (den Schul­leh­rer, der mit 20 M. alljähr­lich extra bezahlt wird, ausgenommen).

Als im Jahre 1908 der Männer­kir­chen­chor gegrün­det wurde, erhob sich wieder­um die Frage »der Taxe für den Grabge­sang«. Bei Anwen­dung der bisher üblichen Sätze »hätte die Kirchen­pfle­ge bei jeder Beerdi­gung den 17 Sängern 17 mal eine halbe Mark zu bezah­len, im Jahr zusam­men schon 40 Mark«. Dies hielt der Kirchen­ge­mein­de­rat für zu hoch gegrif­fen, weshalb man auf den Ausweg verfiel, »nur eine Ausle­se der besten Sänger (Doppel­quar­tett)« singen zu lassen.

Erneut akut wurde das Problem des Beerdi­gungs­sin­gens, als sich der Männer­kir­chen­chor in einen weltli­chen Gesang­ver­ein verwan­delt hatte. Zwar hätten »Lehrer und Schüler jeder­zeit durch gesetz­li­ches Recht« zum Leichen­sin­gen verpflich­tet werden können und hätten somit Kirchen­pfle­ge und Hinter­blie­be­nen keine Kosten verur­sacht. »Der gerin­gen Schüler­zahl wegen« sah man aber von dieser Notlö­sung ab, übertrug etwas zähne­knir­schend den Grabge­sang dem Männer­chor u. setzte aber unabhän­gig von der Zahl der betei­lig­ten Sänger die Gebühr auf 8 Mark fest.

Als im Jahre 1910 wieder einmal der gemisch­te Kirchen­chor aufge­lebt war, übernahm dieser den Dienst bei Beerdi­gun­gen. Die Gebühr wurde »auf 10 Mark angeho­ben und von der gesam­ten Summe den männli­chen Sängern je 1 Mark, den weibli­chen je 50 Pfenni­ge ausbe­zahlt. Was aber übrig bleibt, sollte den weibli­chen Sängern zugute kommen«.

Doch hielt diese Lösung nicht lange vor. Nachdem der gemisch­te Kirchen­chor sich wieder einmal aufge­löst hatte, blieb nichts anderes übrig, als sich mit »Schüler­ge­sang trotz der gerin­gen Schüler­zahl von 12 und der mangel­haf­ten Stimmen« abzufinden.

Nach dem Ersten Weltkrieg, als im Jahre 1919 der Männer­ge­sang­ver­ein »Frohsinn« wieder zu neuem Leben erwach­te, erklär­te sich dieser »nur Pflege des Grabge­sangs bereit« und bot auch an, »für weniger bemit­tel­te Gemein­de­glie­der unent­gelt­lich zu singen«, eine Übung, die später vom Kirchen­chor übernom­men bis in die Siebzi­ger Jahre durch den Beerdi­gungs­chor der Kirchen­chor­frau­en weiter­ge­führt wurde.

Im Verbor­ge­nen
Wenn auch die Formen der Gesangs­aus­übun­gen in der evange­li­schen Gemein­de Oberko­chens häufig wechsel­ten — Gemisch­ter Kirchen­chor, Männer­kir­chen­chor, Männer­ge­sang­ver­ein, Schüler­chor -, verstumm­te auch während der Durst­stre­cken kirch­li­ches Singen dennoch nicht. Vor allem wurde immer wieder der Versuch unter­nom­men, die Vorherr­schaft des männli­chen Geschlechts zu durch­bre­chen, ebenfalls natür­lich mit wechseln­dem Erfolg. »Die Pfarr­frau habe einige­ma­le ihren Jungfrau­en­chor einge­übt, was allge­mein gefal­len habe, aber das könne keine ständi­ge Einrich­tung werden. Die Mädchen wechseln öfter . .« so ist am 29. Juni 1927 im Pfarr­pro­to­koll zu lesen. Für 1930 sagt der Pfarr­be­richt, neben einem »zweistim­mi­gen Schüler­chor und dem Männer­chor ist auch ein dreistim­mi­ger Mädchen­chor vorhanden«.

Schon im Jahre 1924 war zum Ausdruck gekom­men, der Männer­chor denke (wegen der dadurch zu erzie­len­den Einnah­men) zu sehr an den Grabge­sang. weshalb »ein evange­li­scher Mädchen­chor den Anfang zu einem gemisch­ten Kirchen­chor mache«. Doch warfen die Männer den singen­den Frauen und Mädchen immer wieder Prügel in den Weg. Der Pfarrer mußte gar einmal »sein Bedau­ern ausspre­chen über den Unfug von Sylves­ter­abend. wo der Orgel­tre­ter den Zustrom v. Luft durch ein bübisch raffi­nier­tes Verhal­ten unmög­lich gemacht habe. so daß der von Pfarrer und Pfarr­frau in Ermang­lung eines Kirchen­chors mühsam einge­üb­te und von der Pfarr­frau auf der Orgel beglei­te­te Vortrag des Frauen­chors schwer beein­träch­tigt werden sei«.

Dennoch wirkte dieser Mädchen­chor im Verbor­ge­nen und als im Jahre 1930 Frau Mathil­de Widmann, die nach über 60 Jahren heute noch aktives Mitglied des Kirchen­chors ist, damals »aus der Schule kam« und konfir­miert wurde, trat sie in den Mädchen­chor ein, der zwar im Schat­ten des Männer­chors stand, sich aber über die Jahrzehn­te hinweg erhal­ten hatte.

Evange­li­scher Männer­chor »Frohsinn«
In den zwanzi­ger Jahren unseres Jahrhun­derts blühte der Männer­ge­sang­ver­ein auf und machte seinem Namen »Frohsinn« durch­aus Ehre. Dennoch verstand sich der Verein als kirch­li­cher Chor, der einem Beschluß der General­ver­samm­lung vom 20. Febru­ar 1928 zufol­ge »im Advent, Weihnach­ten, Karfrei­tag, Konfir­ma­ti­on, Refor­ma­ti­ons­fest, Ernte- und Herbst­dank­fest, Toten­sonn­tag« die Gottes­diens­te mit seinen Gesän­gen bereicherte.

Daneben war auch Gesel­lig­keit groß geschrie­ben. Nicht nur, daß bei den General­ver­samm­lun­gen, es waren meist zwischen 30 und 40 Mitglie­der anwesend, »das gebote­ne Naß aus der Vereins­kas­se bestrit­ten wurde«, auch die jährli­chen Famili­en­aben­de trugen zum Zusam­men­halt bei.

Der Schrift­füh­rer des Vereins, Albert Kopp, hat die Ereig­nis­se in der Vereins­chro­nik getreu­lich aufge­zeich­net. Zitie­ren wir als Beispiel seinen Bericht vom 15. Januar 1930:

»Der Famili­en­abend des Ev. Männer­chors »Frohsinn« wurde am 11. Januar 1930 im Saal zum Hirsch hier abgehal­ten. Bei dicht besetz­tem Saal begrüß­te der Vorstand Wilhelm Baumgärt­ner um 7 Uhr die erschie­ne­nen Gäste und Teilneh­mer und hieß sie alle herzlich willkom­men. Das Programm umfaß­te 9 Nummern:

  1. Männer­chor: »Nimm deine schöns­ten Melodien« von Abt
  2. Anspra­che: Herr Wilhelm Baumgärtner
  3. Theater­stück: »Das Eigen­heim« von August Reif
  4. Männer­chor: »Herzel, was kränkst du dich so sehr« v. Fr. Silcher
  5. Gaben­ver­lo­sung
  6. Männer­chor: »Wo den Himmel Berge kränzen« von Ignaz Heim
  7. Theater­stück: »Griese­manns Baderei­se« von Felix Renker
  8. Männer­chor: »Schlaf wohl« von Karl Häfner
  9. Gewinn­aus­ga­be

Die zur Verlo­sung gestif­te­ten Gaben wurden von den Ehren­mit­glie­dern und aktiven Mitglie­dern gespen­det. Das Los koste­te 15 Pfenni­ge. 1000 Lose kamen zum Verkauf und waren nur zu bald ausver­kauft, verschie­de­ne Teilneh­mer hatten nicht einmal mehr Gelegen­heit, noch ein Los zu erhalten.

Das Programm wurde flott abgewi­ckelt und hatte bei den Zuhörern sehr großen Beifall gefun­den. Haupt­säch­lich die beiden Theater­stü­cke unter Leitung von Herrn Regis­seur Lang riefen sehr große Heiter­keit hervor. Herr Pfarrer Huber dankte dem Verein mit herzli­chen Worten für jede gegebe­ne Programm­num­mer, sowohl im Singen wie im Spielen. Der Vorstand dankte den Spielern und Spiele­rin­nen, sowie dem Dirigen­ten Herrn Haupt­leh­rer Günter und sämtli­chen Mitglie­dern und Ehren­mit­glie­dern, die zum Gelin­gen der Feier beigetra­gen haben zum Schluß noch mit dem Wunsch auf frohes Wieder­se­hen im nächs­ten Jahr. Um 12 Uhr haben sich die Mehrzahl der Teilneh­mer wohlbe­frie­digt nach Hause begeben«.

Auch die Jahres­aus­flü­ge waren stets gemein­schafts­för­dern­de Ereig­nis­se. Im Jahre 1928 betei­lig­ten sich 80 Perso­nen, »aktive und passi­ve Mitglie­der« bei Fahrt und Wande­rung zur Charlot­ten­höh­le, deren Besuch auch deshalb eindrucks­voll war, weil die elektri­sche Höhlen­be­leuch­tung mehrmals ausfiel.

Trotz dieser ausge­präg­ten Vereins­struk­tu­ren verstand sich aber der »Frohsinn« jener Jahre durch­aus als kirch­lich-evange­li­scher Verein, der mit Pfarrer Huber gut harmo­nier­te. So hätten die Dinge ihren Lauf genom­men, wenn nicht — wie eingangs schon darge­stellt — politi­sche Kräfte einge­wirkt hätten.

Dritter Evange­li­scher Kirchen­chor
Was Vernunft­an­ge­bo­te und Überre­dungs­kunst frühe­rer Pfarrer nicht bewir­ken konnten, geschah im Jahre 1933 durch politi­schen Druck: Männer­chor »Frohsinn« und Mädchen­chor verei­nig­ten sich zum »Gemisch­ten evange­li­schen Kirchen­chor Oberko­chen« unter der Leitung von Haupt­leh­rer Karl Günter.

»Der Kirchen­ge­mein­de­rat erkennt den neuge­grün­de­ten Chor als Kirchen­chor an«, so schreibt Pfarrer Huber im Proto­koll von 1933. »und begrüßt ihn unter dankba­rer Anerken­nung des von dem bishe­ri­gen evange­li­schen Männer­chor zur Berei­che­rung der Gottes­diens­te und zum Zusam­men­halt der evange­li­schen Gemein­de Geleis­te­ten. Er spricht auch seine Freude darüber aus, daß der Männer­chor von seinem Vermö­gen, das nun ebenfalls aufge­löst wird, eine Stiftung von 50 M. für die Instand­set­zung der Kirchen­fens­ter in Aussicht gestellt hat. Die Ausga­ben für Noten­ma­te­ri­al des Kirchen­chors und Bezah­lung der Chorlei­ter­ge­bühr nimmt die Kirchen­ge­mein­de auf sich«.

Damit ist das jüngs­te (hier nicht behan­del­te) Kapitel der Geschich­te des Evange­li­schen Kirchen­chors Oberko­chen aufge­schla­gen. Ist auch die Vorge­schich­te des Chors reich an Irrun­gen und Wirrun­gen, an Fehlschlä­gen und mensch­li­chen Unzuläng­lich­kei­ten, war dennoch die Idee, Gottes­diens­te und kirch­li­ches Leben durch Musik und Gesang zu gestal­ten und zu berei­chern, stets leben­dig geblie­ben. Auch wenn nach wie vor der Beginn evange­li­scher Kirchen­chor­ar­beit im Dunkel der Geschich­te verbor­gen ist, wurde dennoch dokumen­tiert, daß es seit ca. 1880 evange­li­sche Chorar­beit in Oberko­chen gibt, in wechseln­den Formen zwar und mit schwan­ken­der Inten­si­tät. Dennoch war und ist stets das Motiv unserer Kirchen­chö­re leben­dig geblie­ben: »Gott loben, das ist unser Amt«.

Oberkochen

Zum Foto:
Im Jahre 1955 feier­te der evange­li­sche Kirchen­chor sein fünfund­zwan­zig­jäh­ri­ges Jubilä­um. Dabei wurden auch Sänge­rin­nen und Sänger geehrt, die damals schon 25 Jahre im Chor mitge­sun­gen haben:
v.l.n.r.: Mathil­de Widmann, Hans Kolb, Elsbeth Schee­rer, Herta Weinhart

Volkmar Schrenk

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte