Zusel, Hutt und Wollenbube

Leserin­nen und Leser werden vielleicht an der Überschrift schon bemerkt haben, es geht ums Schimp­fen, was die alten Oberko­che­ner ebenso verstan­den wie alles andere Volk. Zwar hatte die Gemein­de­ord­nung aus dem Jahr 1578 »Gottes­läs­tern mit Fluchen bei Mann- und Weibs­per­so­nen« unter schwe­re Strafe gestellt«, aber einfa­ches Schimp­fen, das war Überlauf­ven­til der Seele. Und so bruttel­te je nach Tempe­ra­ment und Laune mancher und manche nur leise vor sich hin oder feuer­te wahre Schimpf­ka­no­na­den ab. Dazu ein Beispiel, das seinen Nieder­schlag im Amtspro­to­koll des Oberko­che­ner Schult­hei­ßen Schee­rer gefun­den hat.

Für die Gans
»Er sei ein unver­schäm­ter Mensch, ein Flegel, seine Frau ein wüstes Weib, eine Zusel, hab sie geschrie­en und er sei öffent­lich in der Kirch­gas­se geohr­feigt worden«, nein, nicht für die Katz’, sondern weil Ulrich H. die beiden Gänse von Katha­ri­na B. mit einer Gerte schla­gend von seinem Dinkel­acker vertrie­ben hatte, mußte er solche Pein erlei­den, und deshalb klagte er vor dem Schult­hei­ßen gegen seine Widersacherin.

Die Beklag­te wurde »vom Schult­hei­ßen vorge­for­dert und gab an, sie hüte ihr Vieh mit ihrem Vater und sei deshalb noch nicht zu Haus, wenn der Gänshir­te eintrei­be, die Gänse seien deshalb eine Zeitlang sich selbst überlas­sen. Als sie dann sehen mußte, wie ihre Gänse geschla­gen wurden, sei sie zornig gewor­den und hab die Reden verlau­ten lassen«. Zu Vertei­di­gung fügte sie noch an, »in frühe­ren Jahren sei vor dem Acker des H. ein Zäunlein vorge­macht gewesen, damit die Gäns nicht ins Feld haben laufen können, wenn es zugemacht war«.

Dieser Argumen­ta­ti­on konnte sich Schult­heiß Schee­rer nicht völlig verschlie­ßen. Er »legte dem Kläger auf, seinen Garten zu zumachen« und wenn er dennoch fremde Gänse dort antref­fe, nicht zur Selbst­jus­tiz zu greifen, sondern »diesel­ben zur Bestra­fung anzuzei­gen«. Die »Beklag­te wurde dieses mal noch mit einem Verweis wegen ihres wüsten Schimp­fens entlas­sen, wegen des Schadens durch die Gänse aber mit 15 Kreut­zern bestraft« und ihr angedroht, »bei wieder­hol­tem Schimp­fen werde sie mit 24 Stunden Arrest gestraft«.

Damit war der Famili­en­frie­de (vorläu­fig) wieder herge­stellt, denn der Angriff des H. auf die Gänse war der bekann­te Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlau­fen brach­te: Es hatte schon immer wieder Reibe­rei­en gegeben, weil »der Bruder der B. die Schwes­ter von H. zum Weib hatte und dieser ihr und ihrem Vater Armut vorwer­fe, wofür sie aber nichts könne«.

Wider die Obrig­keit
Am 22. Novem­ber des Jahres 1828, dem Cäcili­en­tag, feier­ten Oberko­che­ner Musikan­ten den Tag ihrer Patro­nin im »Golde­nen Hirsch«. Schul­meis­ter Balluff, Maurer­meis­ter Wingert und einige andere waren versam­melt und später gegen 9.00 Uhr stieß noch der alte Joseph S. zu den Feiern­den. Er hatte in Heiden­heim schon den Tag begos­sen, deshalb war er nicht mehr ganz nüchtern und wirkte auf seine Oberko­che­ner Kolle­gen, die Musik machten und auch den Bierkrug kreisen ließen, schon etwas besäuselt.

Um 10.00 Uhr am Abend kam Polizei­die­ner Gold ins Lokal zum »Abbie­ten«. Er verkör­per­te (nebst dem Schult­heiß) in Oberko­chen die König­lich-Württem­ber­gi­sche Obrig­keit; sich mit ihm anzule­gen oder ihn gar zu beschimp­fen ging schon in Richtung einer Majes­täts­be­lei­di­gung. Dennoch passier­te es. Als er verkün­de­te: »Jetzt ist es Zeit zum Gehen, begebt euch zur Ruhe«, kam er bei Staudt schlecht an. »Er hat mir nichts zu sagen«, begehr­te dieser auf und schleu­der­te der Amtsper­son entge­gen: »Du bist ein Hutt, und wer dich beauf­tragt hat, uns Musikan­ten abzubie­ten, ist auch ein Hutt«. Zu den Musikan­ten gewandt meinte er: »Spielt weiter, ich nehm’s auf meine Kappe, uns darf niemand abbie­ten«, und setzte dem Polizis­ten gegen­über noch eins drauf, indem er ihn angif­te­te: »Du Gold, du bist a reach­ter Wollabua«.

Am folgen­den Morgen gab Polizei­die­ner Gold den Vorfall bei Schult­heiß Schee­rer zu Rapport und klagte Staudt des Wider­stands gegen die Polizei­ge­walt an. »S. wurde schult­hei­ßen­amt­lich vorge­for­dert«. Er war gestän­dig, aber blieb unein­sich­tig. »Sie seien fried­lich beiein­an­der gewesen, hätten zum eigenen Vergnü­gen Musik gemacht und keines­wegs ohne Tax zum Tanz aufge­spielt, was natür­lich gesetz­wid­rig gewesen wäre. Sie seien in aller Ordnung beisam­men gewesen, was Herr Schul­leh­rer Balluff und Maurer­meis­ter Wingert bezeu­gen könnten. Den Gold habe er einen Hutt genannt und auch einen Wollen­bu­ben gehei­ßen, weil er ihm absolut nichts zu befeh­len habe«.

Darauf wurden auch Balluff und Wingert vor den Schult­hei­ßen zitiert. Balluff sagte aus, er habe den Streit nur von einer anderen Stube aus gehört, daß S. aber »den Gold einen Hutt und Wollen­bu­ben gehei­ßen habe, das sei wahr«. Im übrigen habe er versucht, den S. zur Mäßigung anzuhal­ten, was aber nicht gefruch­tet habe.

Als Sühne für die Polizis­ten­be­lei­di­gung setzte der Schult­heiß »einen Gulden Strafe wegen Schimp­fens an«, mit der Bemer­kung, »S. könne sich, wenn er glaube ungerecht bestraft zu sein, bei höherer Behör­de in der Zeit von acht Tagen beschwe­ren«. Gold und Balluff unter­schrie­ben das Proto­koll. Der Verur­teil­te sann über einen Freispruch nach, den er aber nicht vorbrach­te, denn Polizei­die­ner Gold in Rage und auf die bekann­te Palme zu bringen, war dem Musikus einen Gulden wert gewesen.

Oberkochen

Zum Foto:
Herr Stadt­bau­meis­ter i.R. Kranz hat dem Heimat­ver­ein eine größe­re Anzahl Fotos überlas­sen, die während seiner Amtszeit als Orts- und Stadt­bau­meis­ter entstan­den sind. Herzli­chen Dank dafür (und zur Nachah­mung empfohlen)!

Wir veröf­fent­li­chen zu den Berich­ten über altes kommu­na­les Gesche­hen einige Fotos aus der Bilder­spen­de von Herrn Kranz.

Foto: Bahnschlit­ten vor dem alten Rathaus im Jahre 1962

Volkmar Schrenk

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte