Der zerbro­che­ne Krug
Beim Ochsen­wirt Pfisterer sitzen am 30. Novem­ber 1827 spät noch — »es ist 8 Uhr in der Nacht« — einige Oberko­che­ner im Schein der Erdöl­lam­pe am Gasttisch: Joseph G., Sebas­ti­an F., Franz B. und einige andere. Von Persön­li­chem und Allge­mei­nem wird geredet, Lokal­po­li­tik und ein wenig Dorfklatsch würzen die Gesprä­che. War da nicht erst vor kurzem bekannt­ge­wor­den, eine Hafners­frau »kurie­re Krank­hei­ten empathisch« und habe enormen Zulauf. Namen von Geheil­ten werden gehan­delt, sogar »Herrn Pfarrer Lauthens Dienst­magd« war darun­ter, oder eine »Weibs­per­son aus Königs­bronn, die einen Gulden dafür bezahlt hat«. Selbst der Oberko­che­ner Revier­förs­ter ließ so sein Zipper­lein behan­deln, zwei Unter­ko­che­ner waren im Schut­ze der Nacht ins Hafner­haus geschli­chen und selbst ein »inzwi­schen verstor­be­ner Ziege­ler aus Aalen« hatte Linde­rung gesucht, was aber offen­sicht­lich nicht viel genützt hatte.

Natür­lich wurde nicht nur geschwätzt, sondern auch dem frisch gebrau­ten Bier zugespro­chen und die Zungen lösten sich. Woher er denn seine Blattern­nar­ben im Gesicht habe, wollte da F. von seinem Nachbarn G. wissen. Ob die Wunder­hei­le­rin habe nicht helfen können, spotte­te er. Der so Angegan­ge­ne bekam einen roten Kopf, lenkte aber das Gespräch auf ein anderes Thema. Der neue Lehrer der katho­li­schen Schule hatte vor einiger Zeit gehei­ra­tet, Balluff hieß er und war von den Fildern nach Oberko­chen gekom­men, offen­bar ein sehr musika­li­scher Mann. Vor ein paar Wochen habe er ein sehr schönes Weib heimge­führt, die Tochter des Dewan­ger Schult­hei­ßen, so wurde erzählt, und damit eine recht gute Partie gemacht.

Dieses Thema war dem F. ein »gefun­de­nes Fresse­le«. Er hakte sofort ein und meinte, G. habe es nicht so weit gebracht und sich mit einer armen Witwe aus dem Brunkel begnü­gen müssen. Nun nahmen die Dinge ihren Lauf: Aus Stiche­lei­en wurden Belei­di­gun­gen, Hänse­lei­en gerie­ten zu »Schimpf­wor­ten, wie sie dem Belei­dig­ten seit seiner Militär­zeit und Verhei­ra­tung nicht mehr zu Ohren gekom­men waren«. G. wurde nicht nur noch röter, er sah auch rot und »versetz­te dem bösar­ti­gen F. im Zorn einen Schlag mit dem Bierkrug«.

Am folgen­den Morgen machte Polizei­die­ner Gold seinem Chef Schult­heiß Schee­rer folgen­de Meldung: »Gestern Nacht sind beim Pfisterer Joseph G., Bauer, und Sebas­ti­an F., Bauer, mittelst Wortwech­sels anein­an­der­ge­kom­men, so daß G. dem F. mit einem Halbmaß­krug an den Kopf geschla­gen hab, daß dersel­be im mehre­re Stück zerbro­chen sei, wovon der Fischer Wunden bekom­men und stark geblu­tet hab. Der Orts-Chirurg Maier hab den F. behan­delt und verbun­den«. Diesen Fall mußte Schult­heiß Schee­rer selbst begut­ach­ten. Als er sich gerade auf den Weg machen wollte, kam etwas klein­laut »Täter G. aufs Rathaus und schil­der­te das Gesche­he­ne« aus seiner Sicht. Er sei »wegen der höhni­schen Spott­re­den des F. zornig gewor­den und habe ihm mit seinem Bierkrug eines versetzt. Er bereue seine Tat«.

Mit dem Geständ­nis des Täters in der Tasche »begab sich der Schult­heiß zur Wohnung von F. Er traf densel­ben auf seinem Bett liegend an«. Seine Frau und der auch herbei­ge­ru­fe­ne Chirurg Maier gaben Auskunft. »F. habe durch den Schlag sieben Wunden erhal­ten, davon drei am Kopf und an den Augen­li­dern; ob nachtei­li­ge Folgen entste­hen könnten, lasse sich jetzt noch nicht beurteilen«.

Nach der Beweis­auf­nah­me war es an Schult­heiß Schee­rer, den Fall zum Abschluß zu bringen. Als geschick­ter Takti­ker schlug er zunächst vor, G. möge die Arztkos­ten überneh­men, dem F. einen Taglöh­ner als Aushilfs­kraft bis zur Genesung anstel­len und 11 Gulden Strafe bezah­len. Dies erschien G. nun doch etwas zu hart. Er wandte ein, F. habe ihn »in höchs­tem Maße gereizt, außer­dem seien sie verwandt und was gesche­hen war, werden nimmer­mehr gesche­hen, wenn es nicht schon gesche­hen wäre. Er bereue seine Tat und bitte um eine gelin­de­re Strafe«. Der Schult­heiß ließ sich erwei­chen. »setzte auf Zureden die Strafe auf vier Gulden fest« und begrenz­te die Zeit für die Einstel­lung der Hilfs­kraft auf acht Tage. So kam die Angele­gen­heit nach Verhei­lung der Wunden wieder in Ordnung. Schult­heiß Schee­rer hatte sich einmal mehr als verständ­nis­vol­ler Richter gezeigt, nur der zerbro­che­ne Krug war auf der Strecke geblie­ben. Aber Ochsen­wirt Pfisterer konnte dies verschmer­zen, die Oberko­che­ner Hafner freuten sich, einen neuen Krug liefern zu dürfen, — und die Biersteu­er wurde erst viel später erfun­den und eingeführt.

Oberkochen

Zum Foto:
Herr Stadt­bau­meis­ter i.R. Kranz hat dem Heimat­ver­ein eine größe­re Anzahl Fotos überlas­sen, die während seiner Amtszeit als Orts- und Stadt­bau­meis­ter entstan­den sind. Herzli­chen Dank dafür (und zur Nachah­mung empfohlen)!

Wir veröf­fent­li­chen zu den Berich­ten über altes kommu­na­les Gesche­hen einige Fotos aus der Bilder­spen­de von Herrn Kranz.

Foto: Gebiet Bühl — Guten­bach am Tierstein vor der Bebau­ung im Jahre 1956.

Volkmar Schrenk

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