Von Herrn Hans Betzler (Greeabaum­wirts-Hans) erhiel­ten wir ein altes vergilb­tes Foto, das uns Herr Stelzen­mül­ler fotogra­fisch aufbe­rei­tet hat, und das im Mittel­punkt unseres heuti­gen Berich­tes steht. Es ist aller Wahrschein­lich­keit nach in der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg entstan­den und stellt den sogenannten

Lugen­beu­tel­ver­ein

dar, der sich anläß­lich des »Kiesrum­mels« am Faschings­diens­tag vor dem Gasthaus zum »Grünen Baum« in der Langgass (heute Heiden­hei­mer­stra­ße, Metzge­rei Lerch, vormals Zimmer­mann) einem uns noch unbekann­ten Fotogra­fen gestellt hat. Im »Kies« also ist schon vor Genera­tio­nen die Wiege der Oberko­che­ner Fasnet zu suchen, und auch heute noch liefert der Ortsteil »Kies« so bedeu­ten­de Leute wie den verdien­ten Butler »Sir Kies« und den »Schorsch vom Kies«, — Ehren­el­fer­rat und Oberko­che­ner Bundestagsabgeordneter.

Da wir nach Möglich­keit für die nächs­te Fasnets­run­de schon Näheres über dieses Foto erfah­ren möchten, bleibt uns nichts anderes übrig, als das Bild schon heute zu veröf­fent­li­chen; man kann ja auch mal aus der Reihe narret sein.

Herr Hans Betzler, heute wohnhaft in Balin­gen, ist der Sohn des seiner­zei­ti­gen »Greeabaum­wirts«, der schon 1938 verstor­ben ist. Das Foto hing jahrzehn­te­lang hinter Glas gerahmt im »Grünen Baum«. Im Garten hinter dem »Grünen Baum« haben einst die Gründer des Oberko­che­ner Turnver­eins (TVO, gegrün­det 1903) geturnt und trainiert. Die meisten Gründungs­mit­glie­der des TVO waren Mitglie­der im Lugen­beu­tel­ver­ein. Auf einem 1953 anläß­lich des 50-jähri­gen Jubilä­ums des TVO entstan­de­nen Foto sollen noch viele Mitglie­der des Lugen­beu­tel­ver­eins abgebil­det sein.

Der Leiter­wa­gen ist mit Zweigen, Bändern und Schlei­fen geschmückt. Auf einem hohen Aufbau stehen 13 ziemlich ernst­mi­e­ni­ge Männer, teils mit Frack und Zylin­der, teils in Uniform mit Schild­müt­ze oder Barett und Säbel. Unter dem Vergrö­ße­rungs­glas erkennt man eine masken­haft bemal­te Person. Eine Reihe von Perso­nen haben künst­li­che Bärte. Einer trägt einen Bauern­kit­tel. Auffal­lend ist die hellbe­man­tel­te jünge­re Person mit dunkler Zipfel­müt­ze im Vorder­grund, die offen­bar zur Lärmerzeu­gung 2 Kachel­de­ckel zusam­men­schlägt. Ein Junge mit Zipfel­müt­ze ist im rechten Bildrand angeschnit­ten. Ein Mann mit Stroh­hut hält die beiden einge­spann­ten Gäule. Auf dem vorde­ren der beiden Gäule hockt im Damen­sitz ein kleiner Junge mit Hut. Zwischen dem Hinter­teil des hinte­ren Pferdes und einem weite­ren stehen­den Mann mit dunklem Hut lugen 3 Kinder hervor, die, sowie ein kleines aus dem offenen Fenster des oberen Stock­werks des »Grünen Baums« heraus­schau­en­des Mädchen, Zaungäs­te der Handlung sind.

Im oberen Stock des »Grünen Baums« war früher ein Saal, unten später ein Fenster mit Ausla­gen der Metzge­rei. Im Haus links neben dem »Grünen Baum« war der Sattler Seitz, rechts ist das Haus von Josef Wingert.

Und nun zum Kern der Sache.
Warum hieß der Lugen­beu­tel­ver­ein Lugen­beu­tel­ver­ein?
So wurde mir erzählt: Der »Verein« bestand aus jungen Männern, die sich einen Spaß daraus machten, erfun­de­ne »Nachrich­ten« über die lieben Oberko­che­ner Mitbür­ger zu verbrei­ten. Oft drehten sie echte Neuig­kei­ten ins Gegen­teil um und sorgten dafür, daß heiße Gerüch­te entstan­den, bei dem die Opfer gelegent­lich zunächst der Hochach­tung ihrer Mitbür­ger, meist aber gleich ihrem Gespött ausge­lie­fert waren. Ein Altober­ko­che­ner faßte die Tätig­keit des Lugen­beu­tel­ver­eins schlicht und einfach so zusam­men: Der Lugen­beu­tel­ver­ein verbrei­te­te sogenannte

Oberkochen

Wie zum Beispiel die, daß der XY wieder einmal eine »Mords­kischt« beinan­der ghett häb (gehabt habe), und auf dem Heimweg bei der … ins Schlaf­zim­mer fensch­terln wöllen häbe (gewollt habe), — in seinem Suff jedoch dem zufäl­lig vorbei­pa­troul­lie­ren­den Polizei­die­ner genau vor dessen Füße hinge­ha­gelt sei, worauf dieser ihn bei den Ohren genom­men und ohne weite­re Umstän­de in die Ausnüch­te­rungs­zel­le im Rathaus einge­sperrt häbe, wo er zur Zeit noch seinen Rausch ausschlafe.

Wahr war an der ganzen Geschich­te höchs­tens, daß der XY einen »Ballen« hatte. Die Schau­er­mär­chen, die die Mitglie­der des Lugen­beu­tel­ver­eins verbrei­te­ten, began­nen meist mit der unver­fäng­li­chen Frage: »Henn’r au scho gheert?«

Die Phanta­sie der Menschen scheint in der Zeit, als es kaum Zeitun­gen gab, auf jeden­fall kein Radio und kein Fernse­hen, noch stärker gearbei­tet zu haben, als dies heute der Fall ist. Anderer­seits ist verbürgt, daß kein gerin­ge­rer als der Stutt­gar­ter OB Rommel erst kürzlich zum Obereh­ren­lu­gen­beu­tel eines nicht allzu­weit entfernt ansäs­si­gen Lugen­beu­tel­ver­eins ernannt worden ist.

Und nun unsere Frage: Wer kann die Perso­nen auf dem Foto identi­fi­zie­ren?
Infor­ma­tio­nen erbit­ten wir an Telefon 73 77.

Dietrich Bantel

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