Frage zu Bild 16:
Wie hieß das große Gebäu­de im Hinter­grund des Fotos? Wo stand es, wann wurde es errich­tet und wann abgeris­sen?
Von wann stammt das Foto ca. ?
Wer betrieb die große Gärtnerei?

Oberkochen

Lösung zu Bild 16: (BuG v. 29.4.1988)
Das in unserem Foto im Hinter­grund erkenn­ba­re Gebäu­de ist in den Unter­la­gen der Gebäu­de­brand­ver­si­che­rung von 1942 als »1941 errich­te­tes »Gefolg­schafts­ge­bäu­de« mit dem Namen »Martha-Leitz-Haus«, auf der Ostsei­te mit Kinoan­bau« bezeich­net. Es wurde von der Firma Fritz Leitz errich­tet und mit Geneh­mi­gung vom 15.10.1980 von der Firma Carl Zeiss abgeris­sen. Die große Gärtne­rei war firmen­ei­gen und unter­stand, sowie das Martha-Leitz-Haus, einem Herrn Franz Xaver Schäfer. Die Gärtne­rei erstreck­te sich vom Martha-Leitz-Haus Richtung Meisengasse/Dreißental.

Das »Martha-Leitz-Haus«

Oberko­che­ner, die aus eigenem Erleben Bescheid wissen, wenn das Stich­wort »Martha-Leitz-Haus« fällt, sind heute 60 — 65 Jahre alt und älter.

Die Firma Fritz Leitz hatte sich bis spätes­tens 1938 (juris­ti­sche Trennung von Gebrü­der Leitz) in einen Rüstungs­be­trieb zur Ferti­gung von Flugzeug­tei­len (Dornier, Messer­schmitt und Heinkel) umgestellt, der mit großer Geschwin­dig­keit expan­dier­te. (Bei Kriegs­en­de über 1000 Mitar­bei­ter im Werk Oberko­chen und in Zweig­be­trie­ben in Giengen/Brenz und Burgrie­den bei Laupheim). Fritz Leitz war Wehrwirt­schafts­füh­rer, der Betrieb Fritz Leitz Muster­be­trieb im Dritten Reich im nur knapp 2000 Einwoh­ner zählen­den Oberkochen.

Im Zuge dieses gewal­ti­gen Wachs­tums wurde 1941 ein großzü­gig geplan­tes Gemein­schafts­haus (»Gefolg­schafts­haus«) errich­tet, das nach der Ehefrau des Fabri­kan­ten »Martha-Leitz-Haus« benannt wurde. Aus den, zunächst nur für Firmen­an­ge­hö­ri­ge gedach­ten Kantinen‑, Veran­stal­tungs- und Gesell­schafts­räu­men samt Kino entwi­ckel­te sich in den Vierzi­ger­jah­ren eine Art Kultur­zen­trum, das auch der Öffent­lich­keit zugäng­lich war. Es gab für ein paar Pfenni­ge Filmvor­füh­run­gen und natür­lich die propa­gan­dis­ti­sche Wochen­schau zu sehen. Viele Oberko­che­ner erinnern sich noch ihrer ersten Filmerleb­nis­se in diesem Haus.

Später fanden im »Martha-Leitz-Haus« auch öffent­li­che Großver­an­stal­tun­gen der NSDAP statt. Auf dem First des Gebäu­des stand, lange, ehe eine zweite dann auch aufs Rathaus gesetzt, wurde, die erste Sirene. Aktivi­tä­ten auf lokaler, höherer und höchs­ter Ebene sind, wo wurde mir vor länge­rer Zeit berich­tet, von einem Mitar­bei­ter der Firma Fritz Leitz in Film und Foto festge­hal­ten worden.

Diesen damali­gen Mitar­bei­ter haben wir jetzt im Allgäu aufge­sucht, wo sein Sohn ein Höhen­re­stau­rant führt. (Oberel­leg bei Wertach). Der hochbe­tag­te Mann, ein Jahrgang 1899, heißt Franz Xaver Schäfer. Er war im Sozial­we­sen und fürs Martha-Leitz-Haus, spezi­ell für die Kanti­ne, zustän­dig, — als leiden­schaft­li­cher Fotograf aber auch fotogra­fisch für die Firma tätig, — ein »Mädchen für alles« bei der Firma Fritz Leitz. Im Gegen­satz zum »Krimi­na­ler« PX (Fischer) nannte man ihn den FX (Franz Xaver). Wie wir später sehen werden, hatte er auch noch einen anderen »Spitz­na­men«. Wir haben ihn aufge­sucht, weil wir wissen wollten, ob bei ihm aus der Zeit des 2. Weltkriegs noch irgend­wel­che Dokumen­te existieren.

Leider sind höchst inter­es­san­te Dokumen­te wie zum Beispiel ein von ihm gedreh­ter 16mm-Film, 1942 anläß­lich der Bestat­tung des Firmen­chefs in Oberko­chen entstan­den, verschwun­den, — ausge­lie­hen, irgend­wann, und nicht mehr zurück­er­hal­ten. Dassel­be gilt für ein dickes Fotoal­bum mit Bildern des Oberko­chen dieser Zeit. Einiges blieb jedoch erhal­ten und wurde von Herrn Schäfer dem Heimat­ver­ein zur Einsicht­nah­me zur Verfü­gung gestellt, — darun­ter auch Filme.

Herr Schäfer erzähl­te 3 Stunden lang aus Zeiten, die für manchen weiter zurück­lie­gen als der 30-jähri­ge Krieg. Ein Teil seiner unwahr­schein­lich leben­di­gen Schil­de­run­gen hielt der sachli­chen Prüfung nicht völlig stand, — viele andere wurde bis ins Detail bestä­tigt. Überm Erzäh­len vergaß er, sein Mittag­essen zu sich zu nehmen, wofür er Schel­te von der besorg­ten Schwie­ger­toch­ter er hielt. Dafür zünde­te er sich in aller Ruhe einen Stumpen an. Ein echtes aber auch eigen­wil­li­ges Original.

Über die Firmen­lei­tung hatte Herr Schäfer Verbin­dun­gen zur Reichs­film­kam­mer nach Berlin. Er organi­sier­te Filmma­te­ri­al auch noch in schwie­ri­gen Zeiten, als es fast nicht mehr zu bekom­men war. »Da hat mr scho amol mit a paar Göcke­le schmie­re müsse«. Vor allem aber war Herr Schäfer zustän­dig für die Belie­fe­rung der Kanti­ne. Über die Jahre war eine riesi­ge firmen­ei­ge­ne Gärtne­rei entstan­den; vom »Martha-Leitz-Haus« in Richtung Dreißental/Meisengasse, wo er wohnte (Nr. 3, — heute Elmer Oskar). Diese Gärtne­rei unter­stand ihm. (Unser Foto). Das gesam­te Gelän­de ist heute von der Firma Carl Zeiss überbaut.

Beson­ders stolz berich­te­te Herr Schäfer von seiner Bohnenzucht.

44 000 Bohnen­stan­gen will er dort stehen gehabt haben, was übrigens von befrag­ten Oberko­che­nern nicht einmal ausge­schlos­sen wurde. Die Überpro­duk­ti­on, auch Salat, sei nach Stutt­gart auf den Markt gelie­fert worden. Zusam­men mit einem franzö­si­schen Pfarrer, einem Kriegs­ge­fan­ge­nen (sie waren in Baracken auf dem Gelän­de der Firma Fritz Leitz unter­ge­bracht, u.a.) züchte­te er vermit­telst Röntgen­strah­len spezi­el­le Bohnen­sor­ten, — weiß, rot und blau blühend, faser­los und rießen­groß (!) Die Röntgen­ap­pa­ra­te, — einen halbzent­ner­schwe­ren Schutz­schurz mußte man tragen, — dienten eigent­lich dazu, Rohlin­ge für den Flugzeug­tei­le­bau (Fahrwer­ke) auf ihre Gußqua­li­tät hin zu unter­su­chen. Man stell­te Teile her, die 110%ig einwand­frei sein mußten. Mitten rein in die techni­schen Erinne­run­gen fiel Herrn Schäfer sein Bohnen­wer­be­spruch von damals ein:

Soll die Bohnen­ernt sich lohnen,
stecke Schäfers Stangenbohnen.

Da die Oberko­che­ner Bäcker und Metzger die ständig wachsen­de Firma bald nicht mehr ausrei­chend belie­fern konnten, sorgte Herr Schäfer dafür, daß die Firma auch in dieser Hinsicht unabhän­gig wurde. Alles war da. So konnte er, wie mir Oberko­che­ner berich­te­ten, auch manchen Oberko­che­nern immer wieder etwas »zuschus­tern«, — sei es etwas aus der Gärtne­rei, seien es die zur Mangel­wa­re gewor­de­nen Zigaret­ten, oder seien es gelegent­lich auch ein paar »Märkle«, — wie man die Lebens­mit­tel­be­zugs­schei­ne nannte, gewesen. Er habe da keinen Unter­schied gemacht, wem er gehol­fen hat. Viele Oberko­che­ner haben ihren Rüben­si­rup bei ihm gekocht. Herr Schäfer habe auch die Gefan­ge­nen in hervor­ra­gen­der Weise versorgt und betreut.

Als Kreis­re­fe­rent der KdF (»Kraft durch Freude«, — die NS-Reise- und Freizeit­ge­stal­tungs­or­ga­ni­sa­ti­on) hatte er viele Fahrten, zum Beispiel nach Nürnberg u.a. organi­siert, — er hatte jedoch auch die Reise­lei­tung auf italie­ni­schen Luxus­damp­fern, z.B. der »Ozeans«, wovon er uns Fotos zeigte. Neben­bei erwähn­te er, daß man ihn dafür dann nach dem Krieg einge­sperrt habe. Noch heute erinnern sich die Oberko­che­ner an diese Reisen. Daher rührt auch Schäfers zweiter Spitz­na­me: der »KdF-Schäfer«.

Herr Schäfer war auch derje­ni­ge, der während des Kriegs im »Martha-Leitz-Haus« die Filme vorge­führt hat. Er erinner­te sich über die im Heimat­buch auf Seite 193 genann­ten Filme hinaus an Filmti­tel wie »Reitet für Deutsch­land« und »Das Bad auf der Tenne«, die immer und immer wieder vor vollem Haus gezeigt werden mußten. Die Hitler­fil­me hat seine Frau in den Tagen des Zusam­men­bruchs hinter der Firma aus Angst verbrannt.

Im April 1945, kurz vor der Beset­zung Oberko­chens durch die Ameri­ka­ner, hatte die SS auch im »Martha-Leitz-Haus« Quartier bezogen, zog jedoch kurz vor dem 23. Apri1 1945, an dem zunächst der Beschuß und dann die Einnah­me Oberko­chens erfolg­ten, in südli­cher Richtung ab. Herr Schäfer wurde von den Ameri­ka­nern, zwei Schwar­ze hielten ihn in Schach, gezwun­gen, sie durchs »Martha-Leitz-Haus« zu führen, nachdem er gefragt worden war »Du Nazi«?, und er »Ja« gesagt hatte. Im Verlauf der »Führung« brach­te Schäfer den Amis bei, daß er in Michigan/USA eine Schwes­ter habe, deren zwei Söhne in der ameri­ka­ni­schen Armee dienten, worauf­hin ihm eine Zigaret­te angebo­ten wurde, und die Hand. Die Hand nahm er an, die Zigaret­te habe er abgelehnt, — »von Euch will i nex«. Angesichts des Kinos seien die Amis schier aus dem Häuschen gekom­men. Ab sofort mußte Herr Schäfer »im Nonstop« Filme für die Amis und ihre Mädle zeigen, — vor allem das »Bad auf der Tenne« war gefragt, weil man da drin für kurze Zeit »a nackats Mädle von henta« gesehen hat, was für die damali­ge Zeit der absolu­te — heute würde man sagen »Hammer« war.

Ich bin mir bewußt, daß dieser Bericht keine astrei­ne Geschichts­schrei­bung ist; einiges mag durch die 43 Jahre, die dazwi­schen liegen, verbrämt sein. Aus diesem Grund möchte ich auch keines­falls Herrn Schäfers Geschich­te von Udet unter­schla­gen. (Ernst Udet, ein deutscher General, war einer der erfolg­reichs­ten Jagdflie­ger des 1. Weltkriegs und nach 1922 im Flugzeug­bau und als Kunst­flie­ger tätig, — seit 1938 Gener­al­luft­zeug­meis­ter. Er wurde für den Mißer­folg während der Luftschlacht um England während des 2. Weltkriegs verant­wort­lich gemacht).

Schäfer: ».… ich hatte mitbe­kom­men, daß der Udet, — Sie wissen schon: der bekann­te deutsche Jagdflie­ger, etwas vor hatte für das Begräb­nis des am 20.1.1942 verstor­be­nen Firmen­chefs und Wehrwirt­schafts­füh­rers Fritz Leitz auf dem evange­li­schen Fried­hof in Oberko­chen, das einem Staats­be­gräb­nis glich. Der Trauer­zug reich­te von der Firma Fritz Leitz bis zum Fried­hof. Ich filmte das Ganze. Und tatsäch­lich: ich sah die Maschi­ne Udets anflie­gen, während des Begräb­nis­ses; er näher­te sich im Gleit­flug, kam ganz tief herun­ter und warf einen Kranz ab, der genau auf dem Grab lande­te, — und zog wieder hoch .…«

Den Film hat es zweifel­los gegeben, — leider fehlt er heute; die Szene mit Udet jedoch hat dem Lexikon nicht stand­ge­hal­ten: Udet war bereits im Jahr 1941 in Berlin, — 45-jährig, durch Selbst­mord aus dem Leben geschieden.…

Beim Abbruch des »Martha-Leitz-Hauses«, 1980, hatte Herr Schäfer die Firma Wingert davon in Kennt­nis gesetzt, daß sich im Dach beim Einmarsch von ihm versteck­te Waffen befin­den. Diese wurden tatsäch­lich gefun­den, — desglei­chen ein Jagdge­wehr, das, wohlein­ge­fet­tet, in einer Fiese­ler-Storch-Fahrge­stell­röh­re an einem Dachspar­ren befes­tigt worden war. Er besitzt es noch heute.

Oberleh­rer Umbrecht berich­tet in seiner Aufzeich­nung für die Ortschro­nik (Abdruck in BuG v. 23.4.65) von Ausschrei­tun­gen nach der Beset­zung Oberko­chens im Zusam­men­hang mit der Freilas­sung von Kriegs­ge­fan­ge­nen, wobei auch einzel­ne Oberko­che­ner ihren Teil abbekom­men als von Plünde­run­gen die Rede ist, die auch das »Martha-Leitz-Haus« betrafen.

Ab 1946 ließ sich die 1945 aus Jena auf Befehl der ameri­ka­ni­schen Besat­zungs­macht umgesie­del­te Firma Carl Zeiss in den leerste­hen­den Fabri­ka­ti­ons­ge­bäu­den der Firma Fritz Leitz nieder. Vielen, die zwischen 1946 und 1980 bis zum Abbruch des »Martha-Leitz-Hauses« in diesem Gebäu­de gearbei­tet haben, war nicht mehr bekannt, welche Geschich­te sie umgab, — insge­samt kein fröhli­ches Kapitel im Oberko­che­ner Geschichtsbuch.

Dietrich Bantel

Frage zu Bild 17:
Wo und wann entstand diese Fotografie?

Oberkochen

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