Sicher erinnert sich noch manche Oberko­che­ne­rin und mancher Oberko­che­ner daran, daß früher in aller Frühe zum Kinder­fest mächtig »geböl­lert« wurde. Das bedeu­te­te den eigent­li­chen Beginn des Festes.

Anläß­lich des diesjäh­ri­gen Kinder­fes­tes, das Teil des Stadt­fes­tes gewor­den ist, haben wir uns bemüht, Infor­ma­tio­nen zu dieser alten Tradi­ti­on zusammenzutragen.

Von Herrn Albert Holz erhiel­ten wir eine fotogra­fi­sche Kostbar­keit: Eine Aufnah­me vom sogenann­ten »Böller­häus­le«, das etwa ein halbes Jahrhun­dert hoch über Oberko­chen am Waldrand der Rodhal­de unter­halb des Rodsteins stand. Das Foto stammt, dem guten Erhal­tungs­grad des Böller­häus­les nach zu schlie­ßen, aus der Zeit vor dem 2. oder während des 2. Weltkriegs; es zeigt den langjäh­ri­gen Böller­meis­ter Andre­as Blümle (Bleam­le).

Oberkochen

Errich­tet wurde das Böller­häus­le als Block­haus irgend­wann nach dem 1. Weltkrieg, wohl in den Zwanzi­ger­jah­ren, vom damali­gen Militär­ver­ein, — und geschos­sen wurde zu priva­ten Anläs­sen, auch Taufen und anderen festli­chen Ereig­nis­sen. Böller­ge­neh­mi­gung hatte auch die katho­li­sche Kirchen­ge­mein­de, die zu Fronleich­nam böllern ließ.

Geböl­lert wurde, so erinnern sich Altober­ko­che­ner, schon ehe es ein Böller­häus­le gab. Damals benutz­te man ein 2 bis 3 Meter langes Rohr, das sich am Ende trich­ter­för­mig auf 60 bis 80 cm aufwei­te­te. Das Rohr war am Anfang geschlos­sen, und ledig­lich mit einer dünnen Bohrung für die Zündung verse­hen. Es war schon immer eine große Kunst, das Rohr sachge­mäß zu stopfen. Noch weiter zurück, — das muß schon im letzten Jahrhun­dert gewesen sein, — wurde mit Kanonen geschossen.

Über Jahrzehn­te, unter­bro­chen durch die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, wo das Böllern streng verbo­ten war, war Böller­meis­ter der »alte Lenze«, Vater des legen­dä­ren Karl Lenze, der am 28.2.1933 Deutscher Meister im 50 km-Langlauf wurde. Als der strah­len­de Sieger in Oberko­chen eintraf, böller­te sein Vater natür­lich mit beson­ders großer Begeis­te­rung für seinen Sohn und ganz Oberkochen.

Lenze sen. hatte immer 2 — 3 junge Buben dabei, die beim Stopfen der Böller halfen. Einer von ihnen erinnert sich noch genau, wie das damals war vor über 60 Jahren: Die Böller­ka­no­nen wurden im Böller­häus­le aufbe­wahrt und zum Böllern natür­lich im Freien aufge­baut, — ein dickes eiser­nes Rohr mit einer ca. 4 cm weiten Bohrung als Sackloch und einer dünnen Zündboh­rung zum Sacken­de. In das Rohr wurde von vorne Schwarz­pul­ver und eine Mischung aus Steinen und Ziegel­bruch gestopft, — obenhin ein leicht entzünd­li­ches Streu­pul­ver. Gezün­det wurde vermit­telst einer ca. 3 Meter langen Holzstan­ge, an deren Ende ein Eisen­draht befes­tigt war, den man zum Glühen brach­te und aus dieser beacht­lich großen Nähe in das Zündloch »einfä­del­te«. Zum Stopfen bis zum neuen Schuß benötig­te man 3 bis 4 Minuten. Einmal wurde an Fronleich­nam ein Dreischuß­böl­ler aus Wasser­al­fin­gen ausge­lie­hen, weil nur so die exakte schnel­le Schuß­ab­fol­ge, die für die Prozes­si­on erfor­der­lich war, erreicht und garan­tiert werden konnte. — Die Stein­split­ter sind einmal bis runter zur Post geflo­gen und haben dort ein Fenster zertrüm­mert. Das war beim Turnfest der DJK (Deutsche Jugend­kraft, — eine katho­li­sche Jugend­grup­pe vor der Zeit des Dritten Reichs). Beson­ders laut waren Böller aus Holz, um die Eisen­rin­ge gelegt waren.

Einige Jahre nach dem 2. Weltkrieg wurde nochmal mit dem Böllern begon­nen. Böller­meis­ter war wieder der »Bleam­le«. Franz Wingert hatte, — das war inzwi­schen Vorschrift gewor­den, — die Spreng­meis­ter­prü­fung abgelegt und besorg­te das Pulver.

Das Böller­häus­le war zu diesem Zeitpunkt schon stark vom Zahn der Zeit gezeich­net und zerfiel. Die alten Böller waren von Liebha­bern entwen­det worden. Die neuen Böller wurden per Traktor zu der tradi­ti­ons­rei­chen Stelle unter dem Rodstein hinauf­ge­schafft. Einmal hat es ein Rohr zerris­sen, glück­li­cher­wei­se, ohne daß dabei weite­rer Schaden entstand. Bei einer großen Firma, die sich nach dem Krieg in Oberko­chen nieder­ge­las­sen hatte, wurde ein gewal­ti­ges neues Rohr mit einer 5‑cm-Bohrung angefer­tigt, — so ein wenig hinten herum. In einem Punkt war das Böllern inzwi­schen schon etwas siche­rer gewor­den. Man zünde­te mit einer etwa 1 Meter langen Zündschnur.

Nachdem sich irgend­wo im Land ein Unfall beim Böllern ereig­net hatte, hörte das Böllern auf Veran­las­sung von Bürger­meis­ter Gustav Bosch auf. Auch Pfarrer Forster hatte sich gegen das Böllern gewandt. Das war ungefähr 1964.

In den Achtzi­ger­jah­ren erhielt der Schüt­zen­ver­ein wieder eine Böller­ge­neh­mi­gung. Er verwen­det eine Böller­ka­no­ne. (Trifft nicht zu)

An der Stelle des in den Sechzi­ger­jah­ren abgetra­ge­nen Böller­häus­les, das inzwi­schen völlig zerstört war, errich­te­ten Oberko­che­ner Bürger im Jahr 1987 unter Verwen­dung der noch vorhan­de­nen Kalkstein­grund­mau­ern des alten Böller­häus­les die Josephskapelle.

Herzli­chen Dank an die Herren Albert Holz, Hans Minder, Franz Wingert und Bruno Balle für die Infor­ma­tio­nen, denen wir diesen Bericht verdanken.

Dietrich Bantel

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