In der Beschreibung des Oberamts Aalen aus dem Jahre 1854 ist u. a. vermerkt, Oberkochen sei ein Marktflecken und es fänden in ihm jedes Jahr zwei Krämer- und Viehmärkte statt. Aus diesem nicht uninteressanten Vermerk können wir schließen, daß einst das wirtschaftliche Denken in unserem heimatlichen Raum nicht nachhinkte, und daß sich unsere Vorfahren die Chancen ihrer Zeit ungesäumt zu Nutze gemacht haben. Gleichzeitig läßt uns diese Feststellung aber auch fragen nach den geschichtlichen Vorgängen, aus denen heraus unser Heimatdorf Oberkochen einmal in die Reihe der Marktorte eingereiht worden ist und wie es zu seinen zwei Märkten gekommen ist, von denen heute nur noch einer jedes Jahr wiederkehrt unter dem Namen »Pfingstmarkt«. Weil an diesem Gegenstand wohl allgemeines Interesse bestehen dürfte, hat mich Herr Bürgermeister Bosch vor einiger Zeit mit der ehrenvollen Aufgabe betraut, diesen Fragen nachzugehen und eine Antwort darauf in »Bürger und Gemeinde« erscheinen zu lassen. Ich habe den Inhalt dieses Artikels im Wesentlichen zusammengetragen aus den Staatsarchiven in Stuttgart und Ludwigsburg, dem Ortsarchiv Oberkochen und dem Archiv des Landratsamts in Aalen. Ferner standen mir im städtischen Archiv Geislingen/St. wissenschaftliche Werke aus dem Bereich der Wirtschaft und des Verkehrs zur Verfügung.
Es war im Jahrzehnt nach den Kriegen Napoleons, da saß als erster König auf dem württembergischen Königsthron Friedrich I. Von diesem Herrscher ist bekannt, daß er sehr bestrebt war, in seinem neu gebildeten Lande Württemberg das wirtschaftliche Leben zu fördern. Dazu zählte auch seine große Bereitwilligkeit, Anträge von kleineren Landorten um Verleihung des Marktrechts zu genehmigen. In Ausnutzung dieser Gelegenheit hat der damalige Magistrat (Gemeinderat) von Oberkochen zu Anfang des Jahres 1816 über das kgl. Oberamt Aalen an die Regierung in Stuttgart das Ersuchen gerichtet, jährlich zwei Vieh- und Krämermärkte abhalten zu dürfen. Dem Ersuchen wurde mit einer Verfügung des Departements der Inneren Sektion der Communverwaltung vom 9. September 1816 stattgegeben. Aus dem Wortlaut der Verfügung geht hervor, daß die Gemeinde Oberkochen ab sofort die Erlaubnis hatte, am Pfingstmontag und an einem Tag im Oktober je einen Vieh- und Krämermarkt abzuhalten.
Daraufhin fand in Oberkochen eine wichtige Sitzung des Magistrats statt und zwar am 4. Oktober 1816. Im ersten Teil dieser Sitzung wurde über ein Schreiben der Stadt Gmünd verhandelt. Die Gmünder hatten sich dagegen gewandt, daß Oberkochen am 3. Sonntag im Oktober einen Markt halten dürfe, weil sie am gleichen Tage doch schon lange einen solchen hielten. Sie verlangten Oberkochen solle seinen Markt um 8 Tage verschieben, Doch die Oberkochener lehnten dies Verlangen ab. Wie es aber hinterher dazu kam, daß der Herbstmarkt dann doch auf den 10. September verlegt wurde, ist nicht vermerkt (siehe auch unten).
Im zweiten Teil dieser Sitzung wurde folgendes beschlossen:
- Die Anschaffung der Bretter für die Marktstände soll durchgeführt werden und ein Platz für die Aufbewahrung soll gefunden werden.
- Die Marktstände sollen aufgestellt werden rechts und links der Landstraße hinauf und hinab über die stehende Linde mitten im Ort.
- Es sollen auf dem ersten Markt die Krämersleute standgeldfrei bleiben.
- Es sollen Viehprämien gegeben werden und zwar für die teuersten zwei Ochsen 2 Gulden 42 Kr., für die teuersten zwei Stiere 2 Gulden und für das teuerste einjährige Rind 1 Gulden.
Im weiteren geschichtlichen Verlauf finden wir noch folgende Aufzeichnungen:
Am 25. Juli 1831 beschloß das bürgerliche Kollegium Oberkochen, mit dem Zimmermann Baltes Mühlberger einen Akkord wegen der Marktbretter zu vereinbaren. Mühlberger sollte sie aufbewahren und instand halten. Er durfte dafür das Standgeld für sich einkassieren. Am 17. Mai 1839 war der Akkord abgelaufen. Mühlberger verwahrte künftig die Bretter nur noch für 2 Gulden im Jahr. Am 19. Januar 1870 protestierte die katholische Gemeinde wegen der Absicht, den Herbstmarkt auf den 8. September zu legen (»Mariä Geburt« war Feiertag). Endlich hatte noch ein letzter Schriftwechsel um den Pfingstmarkt im Jahre 1926 stattgefunden Damals stellte die Gemeinde Oberkochen den Antrag bei der Verwaltungsbehörde, den vor Jahren noch gehaltenen und seit Jahren eingegangenen Viehmarkt wieder abhalten zu dürfen. In ihrer Begründung findet sich u. a. der Vermerk, früher seien auf dem Oberkochener Viehmarkt bis zu 60 Stück Vieh aufgetrieben worden. Das Oberamt hatte zwar an Bedürfnis und Zweckmäßigkeit Zweifel, weil seit 1899 keinerlei Vieh mehr aufgetrieben worden war, meinte aber am Schlusse seines Schreibens, wenn die Gewerbetreibenden in Oberkochen sich aus der Wiederabhaltung einen Nutzen versprächen, wolle es nicht dagegen sein.
Bezüglich des Herbstmarktes hatte anscheinend der obengenannte Protest der Kirchengemeinde Erfolg, denn wir lesen, daß dieser später am 10. September stattgefunden hat, bis er im Jahre 1880 durch eine Verzichterklärung der Gemeinde Oberkochen vom 24 September erlosch. Eine Begründung zu der Verzichterklärung konnte nicht vorgefunden werden, aber es kann mit großer Wahrscheinlichkeit vermutet werden, daß dieser Markt schlecht mit Vieh beschickt war und es den Oberkochener Bauern doch in erster Linie um eine wirtschaftliche Belebung ihres Sektors zu tun war. Die Schuld an der geringen Beschickung der Oberkochener Märkte kann den damaligen großen Viehmärkten in Aalen, Ellwangen und Heidenheim zugeschoben werden. Dies geht übrigens aus einem späteren Schriftwechsel hervor. Der Pfingstmarkt dagegen ist bis heute geblieben und hat somit ein Alter von 142 Jahren erreicht.
Es dürfte hier ein kurzer geschichtlicher Rückblick auf die Bedeutung der alten Marktrechte angebracht sein, schon deshalb, weil zu allen Zeiten Orte mit Marktrecht im wirtschaftlichen Raume des Volkes ihre besondere Bedeutung hatten. Die ersten Märkte fanden am Schnittpunkt wichtiger Handelsstraßen statt, oft auch an politischen und kirchlichen Mittelpunkten. Bald wurden die Märkte mit besonderen Vorrechten ausgestattet Es gab z. B. einen Marktfrieden. Das war in Zeiten der Unsicherheit ein vom König zugesicherter Schutz. Die Verleihung des Marktrechts war eine hochwichtige Sache und geschah nur durch den König. Im Laufe der Entwicklung war meistens Marktrecht mit Stadtrecht verbunden Ein Beispiel ist Heidenheim, das im Jahre 1356 sein Stadt- und Marktrecht erhalten hat. Die Herren auf den Burgen hatten schon bald erkannt, daß ein Markt in der Nähe ihrer Burg ein wirtschaftlicher Vorteil für sie war und wo immer es ging, verschafften sie den Siedlungen in ihrer Nähe beim König das Marktrecht. Von hier aus können wir es auch verstehen, daß z. B. Königsbronn schon im 13. Jahrhundert ein Marktflecken gewesen sein soll.

Über Königsbronn stand einst die nicht unbedeutende Burg Herwartstein. Die Burgherren hatten ein Interesse daran, daß Leute, Waren und Geld in ihr Gebiet kamen. Oberkochen dagegen lag still zwischen seinen Aalbuch- und Härtsfeldbergen. Auf seinen Bergen stand keine Burg und in seinen Tälern kein Kloster und auch sonst war niemand, der es wirtschaftlich zu einer besonderen Bedeutung über das Land- und Forstwirtschaftliche hinaus gebracht hätte. Heute allerdings scheint es, als ob das Schicksal sich beeile, im einst so stillen Oberkochen das Versäumte aufzuholen. Wenn auch heute das Marktrecht nicht mehr die überragende Bedeutung hat wie in früheren Zeiten, so ist es doch eine Sache, auf die eine Gemeinde einen gewissen Stolz haben darf, weil eben ein Marktrecht davon Zeugnis gibt, daß am Platze einst wirtschaftliches Leben und Streben geherrscht hat, das über das alltägliche Maß hinausgeragt hat, und auch hier gilt das Wort: »Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen«.
Darum wollen wir froh sein um unseren Pfingstmarkt, der noch erhalten geblieben ist, auch wenn er sich in manchen Jahren nur noch in einer kleinen Aufmachung präsentiert hat. Er hat sich eingebürgert und gehört zum Dorf. Er hat im Jahresablauf mitten im Frühling seinen Platz unter uns. Wie war es vor 60 Jahren noch? Fühlten wir da an diesem Pfingstmontag mit seinem Pfingstmarkt nicht so etwas wie eine frohgestimmte Atmosphäre, in die alt und jung hineingezogen war in froher dörflicher Gemeinsamkeit. Man kannte damals das heute so beliebte Kinderfest noch nicht. Was war das doch für ein Leben und Treiben dort in der Mitte des Dorfes zwischen dem Hirschwirt und dem Schmiedjörgle, wo die Krämerstände so allerlei feilboten, der billige Jakob seine Späße machte und der Brezgenblase aus Aalen jedem Vorbeigehenden zurief: »Du Antone, komm, nemm au deir Kathtre a Brezg vom Blase mit«. Da traf man den Vetter und die Bas, den Ahne und die Ahne und die Kinder bevölkerten in Massen den Platz denn jedes Haus war damals noch kinderreich. Die Jugend war geschlossen da und promenierte in Gruppen lachend und scherzend durch das Marktgetriebe. Man machte einander Freude, wenn es auch nur mit einem billigen Magenbrotgücklein, einem Zugerstoi oder einem Bären dreckstanglein geschah. Der Luftballon, die Luftschlange, Pfeifen, Trompeten und eine Menge anderer Dinge gehörten zum Marktlärm und Marktbild. Dem Ganzen aber hätte etwas Wichtiges gefehlt, wenn nicht der Grund aus Essingen mit seinem Kinderkarussell den Hof vor dem »Lamm« belebt hätte. Es gab nur dieses eine Karussell und es hatte noch keinen Motor, der es getrieben hätte. Vier bis fünf glückliche Buben durften es schieben. Als Lohn durften sie beim Auslauf der Tour immer aufspringen. Gar mancher Anwärter für dieses Schieben kam nicht zum Zug und konnte nur mit betrübtem Blicke gucken und es gab damals noch Büblein, deren ganze Pfingstmarktherrlichkeit im Gucken bestanden hat. Wer nämlich von der Mutter nur zwei Pfennige Marktgeld bekommen hatte, dem langte es keine Karusselltour, denn diese kostete 3 Pfennige. Wer am Morgen dann glücklicher Besitzer von 5 Pfennigen war, dem langte es eine Tour und zwei Zuckerstoi. Natürlich gab es auch andere Bubenschicksale, aber allgemein war das Geld rar, man wußte es zu schätzen und man kannte auch noch das Sparen des Pfennigs. Trotzdem aber ist uns Alten von heute allen der Pfingstmarkt eine liebe Erinnerung geblieben, an der wir uns immer wieder erwärmen dürfen, als an etwas, das ein freudiges Gemeinschaftserlebnis geworden ist und das nur die Heimat schenken kann.
Franz Balle