Ein Rückblick auf die fast 450jährige Industriegeschichte Oberkochens
16. Jahrhundert
Der Reisende aus dem Welschland, der an einem Spätfrühlingsabend des Jahres 1552 an der Rodhalde aus dem Walde tritt, glaubt, endlich sein Ziel vor Augen zu haben. Am Ursprung des kleinen Flüßchens unter ihm leuchtet Feuer, steigt Rauch empor, erklingen helle Hammerschläge. Er hofft, daß dort zwei kräftige Arme willkommen sind, daß er dort Lohn und Brot finden wird, denn schon seit vielen Jahren wird in seiner Heimat fachkundiges Hüttenpersonal für das von Abt Melchior Ruof gegründete Königsbronner Eisenwerk geworben.
Daß das Dörflein unter ihm im Tal jedoch Oberkochen heißt und das Flüßchen der Schwarze Kocher genannt wird, erfährt er beim Abstieg von einem Köhler, der auf dem Weg zu einem der zahlreichen Meiler ist, deren Rauchfähnchen überall aus dem Wald emporsteigen und unserem Reisenden schon verraten haben, daß er sich seinem Ziel nähert.
Es beginnt zu dunkeln, unser Reisender muß sich beeilen. Über einen steilen Pfad hat er bald den Ort erreicht. Schon leuchten hinter einigen Fenstern die Kienspanfackeln auf. Von einem Hirten und seinem Hund bewacht, drängt sich am Dorfbrunnen eine große Viehherde. Der Mesner läutet zum Uffemerge (Ave Maria). Nun muß jeder, der noch draußen einer Arbeit nachgeht, hereinkommen. Nach den letzten Fuhrwerken werden dann die Gatter an den Ortseingängen verschlossen. Unser Reisender fragt nach einem Obdach, er findet es in der »Taferne«, dem alten Wirtshaus des Dorfes. Schon früh am anderen Morgen bricht er nach Königsbronn auf. Doch zunächst will er bei der Schmelzhütte am Kocherursprung nach Arbeit fragen. Er hat Glück, ein erfahrener Schmelzer wird noch gesucht, denn die Hütte ist erst vor wenigen Wochen in Betrieb genommen worden.
Peter von Brogenhofen (Pragenhofen) aus Gmünd, Vetzer genannt, hatte den Willigungsbrief »naher beim ursprung des kochen ein schmelzofen, hutten sampt einem leuterfeur uffzerichten« am 26. Oktober 1551 vom Ellwanger Propst Heinrich für 10 Gulden jährlich erhalten. Schon seit Jahren hatte er geplant, sich im Eisengeschäft zu betätigen, dem so mancher Gmünder Sensenschmied und Handelsherr seinen Reichtum verdankte, und das durch die neue Waffentechnik mit ihren Geschützen und Kanonenkugeln, aber auch durch eine zunehmende Verwendung für friedliche Zwecke, z.B. für Ofenplatten, Töpfe und Gewicht neuen Aufschwung bekommen hatte. Peter v. Brogenhofen ist ein unehelicher Sohn des gleichnamigen Deutschordens-Komturs, der als letzter seines Geschlechtes starb. Der junge Peter wurde von Karl V. legitimiert und in alle Rechte eingesetzt, wobei ihm auch die ellwangischen Lehen der Brogenhofen in Oberkochen zufielen.
Schürfrechte enthält der Vertrag mit der Ellwanger Propstei nicht. Diese haben im ellwangischen Amt Kochenburg schon andere erworben: die Ulmer Gewerkschafter Besserer und Ehinger. Sie sind auf dem besten Weg, sich im Kocher- und Brenztal eine Monopolstellung aufzubauen. Abgesehen von den Königsbronner Eisenwerken und dem Oberkochener Hochofen besitzen sie sämtliche Schmieden und Schmelzöfen und haben sich neben den Schürfrechten, u.a. am Burgstall und Bohlrain in Aalen, auch die Wegerechte und Holzlieferungen gesichert. Peter v. Brogenhofen holt sich, wie auch das Kloster Königsbronn, sein Erz von den Öttingern vom »Roten Stich« östlich des Grauleshofes bei Aalen. Das dort gewonnene Stuferz wird in der Oberkochener Eisenhütte vor allem zu Masseleisen verarbeitet. Mit Holzkohle wird es im Hochofen zunächst zu Roheisen erschmolzen, der sogenannten Luppe, einem glühenden, noch von Holzkohleresten durchsetzten Eisenklumpen. Die notwendige hohe Temperatur des Schmelzfeuers wird durch ein Gebläse erzeugt, das durch die Wasserkraft des Kochers betrieben wird. Anschließend wird das Roheisen in einem Läuterfeuer entkohlt und in Masseln gegossen.
Als Arbeitskräfte werden je ein Schmelzer, Ofenknecht, Gießer, Aufsetzer und Schlackenführer benötigt.

Kurz nachdem das Kloster Königsbronn seine Eisenschmiede, wie es heißt, »aus manget berkverstendiger leut« und der daraus resultierenden schlechten wirtschaftlichen Situation an die von Herzog Ulrich favorisierten Württemberger Eisengrein und Moser verpachtet hat, gibt auch Peter v. Brogenhofen seine Schmelzhütte am Ursprung des Schwarzen Kochers auf. Moser und Eisengrein übernehmen sie vermutlich erst pachtweise und erwerben sie endgültig dann im Jahre 1564 für 1550 Gulden. Zusätzlich haben sie zehn Gulden jährlich an die Propstei und eineinhalb Gulden Zins an die Gemeinde Oberkochen zu entrichten.
Waren es die gleichen Schwierigkeiten wie beim Eisenwerk Königsbronn, die Vetzer zur Aufgabe bewogen haben? Gab es Schwierigkeiten bei der Kohlebeschaffung? Oder war der Konkurrenzdruck zu groß?
Letzterem scheinen 1557 die Ulmer Gewerkschafter gewichen zu sein, denn sie verkaufen ihre Werke und Schürfstätten an die Württemberger Gewerkschaft, der neben Herzog Christoph, dem Sohn und Nachfolger Herzog Ulrichs, die Gesellschafter Eisengrein, Moser und Daur angehören, und die nunmehr alle fünf Eisenwerke des Kocher- und Brenztales in ihren Händen vereinigt. Die Werke arbeiten mit guten Gewinn; z.B. werden im Jahre 1565/66 13 227 Gulden erwirtschaftet. Im Jahre 1565 werden in Oberkochen 32 Zentner Ofenstücke, 396 Zentner Ofenplatten, 55 Zentner Kugeln und 4 788 Zentner Masseleisen hergestellt. Königsbronn, das im Gegensatz zu Oberkochen auch Schmiedeeisen erzeugt, produziert 557 Zentner Ofenstücke, 334 Zentner Ofenplatten, 3 903 Zentner Masseleisen und 3 272 Zentner geschmiedetes Eisen. In Unterkochen werden 1667 Zentner geschmiedetes Eisen hergestellt.
Kein Wunder, daß der ebenso streitbare wie geschäftstüchtige Ellwanger Propst Christoph an die Gründung eines Konkurrenzbetriebes in Oberkochen denkt, von dem er sich einen jährlichen Gewinn von rund 1000 Gulden verspricht. Doch bevor er diese Pläne verwirklichen kann, stirbt er im Jahre 1584. Mit seinem Nachfolger kommt es dann zu Vergleichen über schwelende Streitigkeiten, bei denen es u.a. auch um die Schürfrechte am Roten Stich geht. Für das Schlackenwaschen in Oberkochen muß ein Kanal angelegt werden, »damit sich das vom Schlackenwaschen verunreinigte Wasser wieder selbst reinigen kann«. Den Gewerken wird die Holznutzung und das Abkohlen an der Tiefentaler Halde zugestanden. Als die Württembergische Gewerkschaft gegen Ende des Jahrhunderts zerbricht, erzielen allein die beiden Werke Ober- und Unterkochen (als Tausch getarnt, um das Vorkaufsrecht des Ellwanger Propstes zu umgehen) 78 350 Gulden bei ihrem Verkauf an Herzog Friedrich von Württemberg.
Mit der Übernahme der Eisenwerke durch den württembergischen Landesherrn und damit den Staat geht für die Eisenindustrie im Kocher- und Brenztal eine von vorwiegend privaten Unternehmern geprägte Zeit zu Ende.
17. und 18. Jahrhundert
Juli 1645:
Der große Krieg wütet nun schon 28 Jahre und lastet schwer auf dem geplünderten und zerstörten Land. Am späten Nachmittag nähert sich ein Trupp Reiter von Norden her dem Dorf. Die wenigen Bewohner, knapp hundert von ehemals 500 sind es, die der Krieg und die Pest verschont haben, verstecken sich ängstlich in ihren Häusern. Wieder sind es Welsche, französische Dragoner, auf der Suche nach versprengten bayerischen Soldaten, Fliehenden aus dem gestrigen Treffen bei Allerheim nahe Nördlingen. Die Reiter tränken ihre Pferde und bereiten sich ein Nachtlager im verfallenden Laborantenhaus am Kocherursprung.

Schon lange schweigen die Hämmer am Ursprung des kleinen Flüßchens. 1634, nach der ersten Nördlinger Schlacht, ist der Hochofen stillgelegt worden, vor allem wegen der täglichen Durchzüge und Plünderungen — im Jahr 1635 ist die bei der Schmelzhütte noch vorhandene Kohle samt 50 Werkstücken von einem in Königsbronn liegenden kaiserlichen Stückhauptmann weggeholt und zur Herstellung von Munition verwendet worden — aber wohl auch wegen akuten Holzmangels. Weil es kein »erwachsenes Holz« mehr in Oberkochen gibt, das zum Schmelzen benötigte Holz unter Schwierigkeiten und teuer beschafft werden muß, wird schon jahrelang nicht mehr in vollem Umfang produziert. Statt der früheren 14 bis 16 Zentner durchschnittlich pro Tag wurden zuletzt nur noch sechs bis acht Zentner geschmolzen. 1644 bricht man den 21 Fuß (etwa sechs m) hohen und in der Führung 20 Fuß breiten, inzwischen verwahrlosten Hochofen samt Läuterfeuer ab. Er soll in Unterkochen wieder aufgebaut werden, das noch genügend Holzvorräte besitzt.
Nach einer wechselvollen Geschichte bei sich häufig ablösenden Besitzern —1614 wurde das Oberkochener Eisenwerk nach einem längeren Streit mit Württemberg um das ellwangische Lehen noch von der Ellwanger Propstei in Besitz genommen — ziehen nun Krieg und Holzmangel einen Schlußstrich unter das erste Kapitel der Oberkochener »Eisenindustrie«. Als 1649/50 der Wiederaufbau der Eisenwerke im Kocher- und Brenztal beginnt, entsteht — offensichtlich kurzzeitig — am Kocherursprung noch einmal eine Schlackenwäsche.
1745 macht Arnold Friedrich Prahl, Landbaumeister und Landkapitän der Fürstpropstei Ellwangen und neben diesen Tätigkeiten vielseitiger Unternehmer, erneut den Versuch, die noch vorhandenen Schlackenhalden in Oberkochen durch Gründung einer Schlackenwäsche auszubeuten; sie scheint jedoch ihren Betrieb auch bald wieder eingestellt zu haben.
19. Jahrhundert
Genau 300 Jahre nach Inbetriebnahme des Hochofens durch Peter Vetzer tritt in den hiesigen Gemeinderatsprotokollen ein Mann in Erscheinung, der zum Neugründer einer Oberkochener Eisenindustrie werden sollte: Jakob Christoph Bäuerle. Am 10. Februar 1852 ist vermerkt: »Christoph Jakob Bäuerle, welcher die Bohrermacherkunst sowie das Fach der Mechaniker erlernt hat, erscheint und trägt vor er seye willens auf diesem seinem erlernten Geschäfte zu wandern und habe zu diesem Zweck und zur Erlangung eines vom k. Oberamte auszustellenden Wanderbuches um ein Zeugniß nachsuchen wollen«. Weiter heißt es: »Es wird Bezeugt, daß der Bittsteller Bäuerle gut prädiziert der hiesigen Gemeinde als Bürger angehöre seiner Rückkehr hierher kein Hinderniß im Wege stehe«. Zu dieser Zeit beherbergt das Dorf Oberkochen etwa 1200 Einwohner, denen in der Aalener Oberamtsbeschreibung von 1854 Betriebsamkeit und Fleiß bescheinigt wird. Viele ernähren sich von der Landwirtschaft. Mit etwa 60 Meistern werden die in den Dörfern üblichen Handwerke, daneben aber auch schon das Hafnerhandwerk betrieben. Andere wieder arbeiten als Bergleute oder Taglöhner in den Hüttenwerken von Königsbronn und Wasseralfingen oder finden Beschäftigung als Fuhrleute, Waldarbeiter und Köhler.
Es ist eine schlechte Zeit. Die im Lande Württemberg übliche Realteilung hat zu einer stetigen Verkleinerung der landwirtschaftlichen Betriebe geführt, die kaum noch die Bauernfamilien ernähren können. Mißernten infolge von Hagel, Dürre und Nässe und eine darauffolgende Teuerung haben die Not im Lande vermehrt und zwingen viele Württemberger zur Auswanderung, vorwiegend nach Amerika. Zwar heißt es in der Oberamtsbeschreibung über Oberkochen: »Obgleich also die meisten Bauernhöfe zerstückelt und der reicheren Leute wenig sind, so erfreuen sich die meisten doch eines mittleren Wohlstandes«, aber die vielen in den Oberkochener Gemeinderatsprotokollen vermerkten Auswanderungsanträge und Zuzugsverweigerungen »wegen zu geringem Vermögen der Antragsteller« zeigen, daß es auch hier Not und Armut gegeben hat. Noch 1854 wird beschlossen und verkündet, »daß das Betteln der Kinder und jungen Leute gänzlich abzuschaffen, und blos den bedürftigen älteren Personen das Einsammeln von Allmosen wöchentlich einmal und zwar an Samstagen nur zu erlauben« ist.
Trotzdem werden Zeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs im Lande spürbar. Die Notsituation hat die Württembergische Regierung unter ihrem König Wilhelm I. zu der Überzeugung geführt, daß nur eine Entfaltung des Gewerbes die wirtschaftliche Existenz der schnellwachsenden Bevölkerung sichern und die Auswanderung aufhalten kann. Eine Konsequenz dieser Erkenntnis ist die 1848 erfolgte Gründung der königlichen Zentralstelle für Gewerbe und Handel. Untrennbar mit der Entwicklung Württembergs zu einem modernen Industriestaat ist der Name des langjährigen Direktors und Präsidenten dieser Zentralstelle, Ferdinand Steinbeis, verbunden. Neben Handel und Industrie wird von ihm vor allem das Bildungswesen gefördert, seine Schöpfungen sind die gewerblichen Fortbildungsschulen, aus denen sich später die Berufsschulen und höheren Fachschulen entwickeln. Steinbeis kommt auch nach Oberkochen. Am 17. August 1879 ermuntert er die Hafnermeister zur Einrichtung einer Zeichenschule und überzeugt sich im Jahre darauf noch einmal von deren Fortschritt. Diese ursprünglich für die Weiterentwicklung des Hafnergewerbes vorgesehene Schule wird bald von allen in Oberkochen vertretenen Gewerben genutzt und hat mit Sicherheit auch zur raschen Entfaltung des Bohrergewerbes beigetragen. Als junger Mann verbringt Steinbeis übrigens auch eine hüttenmännische Lehrzeit im Wasseralfinger Eisenwerk und in der Hammerschmiede Abtsgmünd.
Zu dieser Zeit beginnt auch die für die wirtschaftliche Entwicklung wichtige verkehrstechnische Erschließung unseres Raumes, die einen ersten Höhepunkt 1861 in der Eröffnung der Eisenbahnlinie Cannstatt—Wasseralfingen findet. 1864 wird mit der Inbetriebnahme der Strecke Aalen—Heidenheim auch Oberkochen an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Mit der Einführung der Gewerbeordnung von 1862, welche die Gewerbefreiheit mit sich bringt, wird schließlich die »Gründerzeit« des Industriezeitalters eingeläutet. Das wirtschaftliche Klima erfährt nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges und der Reichsgründung 1871, die auch endlich dem Münz- und Gewichtswirrwarr ein Ende macht, einen deutlichen Auftrieb. Das metrische System wird 1871, die Markrechnung 1875 in Württemberg eingeführt, beides sicherlich wichtige Entscheidungen für Industrie und Wirtschaft. 1875 werden im Jagstkreis, dem das Oberamt Aalen angehört, bereits 5500 Personen in der Metallverarbeitung beschäftigt. Sie ist nun nach der Textilverarbeitung zur zweitstärksten Industrie im Jagstkreis geworden.

Die letzten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts sind auch die Gründerjahre in Oberkochen. Nach Jakob Christoph Bäuerle, dem ersten Bohrerfabrikanten, wagen mit Albert Leitz, Jakob Schmid, Wilhelm Grupp, Wilhelm Bäuerle und August Oppold fünf weitere »Bohrerspitzer« den Schritt in die Selbständigkeit. Wer die Entwicklung dieser kleinen Bohrerwerkstätten verfolgt, die sich zunächst in keiner Weise von anderen handwerklichen Betrieben abheben, stellt fest, daß sich die Möglichkeit einer Wasserkraftnutzung als ein entscheidender Faktor für ihren Aufschwung erweist. Erst als es ihnen gelingt, sich diese billige Energiequelle zu erschließen, beginnt die Entwicklung zu Industriebetrieben. Jakob Bäuerle kommt im Jahre 1883 ans Wasser, als er das Gebäude Nr. 41 am Katzenbach (heute Aalener Straße 4) erwirbt. Auch der Gutenbach wird ab 1895 genutzt. Wilhelm Bäuerle, Bohrerfabrikant und Sohn Jakob Bäuerles, gründet im Hause Nr. 215 (heute Aalener Straße 45) einen Betrieb, legt einen Kanal an und staut den kleinen Bach in einem Sammelbecken. Hier drängt sich natürlich die Frage auf, warum sich diese Werkstätten nicht am Kocher niederlassen, Platz ist an seinen Ufern ja reichlich vorhanden.
Die Wasserrechte am Kocher sind jedoch längst vergeben, in sie teilen sich die Mühlen — die Schleif- und ehemalige Ölmühle am »Ölweiher«, einem Kocherquell, die »Obere«- und »Untere Getreidemühle« und die »Kreuzmühle«, bis 1865 Öl- und Gips‑, später Getreidemühle. Die Mühlenbesitzer versuchen natürlich, ihre alten Rechte zu wahren. So wird 1894 gegen das Wasserwerksgesuch des Wilhelm Bäuerle am Gutenbach Protest eingelegt, »weil seit mehr als 60 Jahren die Besitzer der Unteren Mühle das Recht haben, von Bartholomä bis Georgi (24. August bis 23. April) dieses Wasser, welches durch den Ort fließt, auf ihre Mühle zu leiten«. Der Altmüller Caspar Scheerer schreibt weiter: »bei einem niederen Wasserstande ist es eine Notwendigkeit für mich, daß ich mein altes Recht ausüben kann«. Schon damals konnte der Gutenbach durch ein dem Verlauf der oberen Katzenbachstraße folgendes Bachbett in den Katzenbach umgeleitet und über diesen dann dem Kocher und der Unteren Mühle zugeführt werden.
Albert Leitz kann bei der Verlegung seiner Werkstätte an den Ölweiher im Jahre 1884 die väterlichen Wasserrechte übernehmen. Auch der Besitzer der Oberen Mühle, Hugo Laißle, kann seine Triebwerksrechte für seine 1890 gegründete Fabrik »zur Herstellung hohler und massiver Wellen und einer Genauzieherei« nutzen. Die vorhandene Wasserkraft erweist sich allerdings zum gleichzeitigen Betrieb der Mühle und der »neuen gewerblichen Einrichtungen« als zu gering, deshalb wird die Obere Mühle 1893 stillgelegt. Der Fabrikbetrieb wird im gleichen Jahr von Gottlieb Günther übernommen. Die zunehmende Industrialisierung durchlöchert schon wenig später das Wassermonopol der Mühlen. 1907 erhalten Karl Walter für sein Kaltwalzwerk und Wilhelm Grupp für seine Bohrerfabrik Nutzungsrechte am Kocher.
Später spielt die Wasserkraft und damit der Standort für die Oberkochener Betriebe keine so entscheidende Rolle mehr. Dampfkraft, Benzin und Elektrizität bieten neue, wenn auch teurere Möglichkeiten der Energiegewinnung. 1906 beginnt Johannes Elmer (Kronenwirt), der seit 1903 am Kocher (heute Wäscherei Lebzelter) eine Ketten- und Schraubenfabrik betreibt, Oberkochen allmählich mit Strom zu versorgen. 1916 erwirbt die UJAG das »Elektrizitätswerk«, die Firma Leitz übernimmt die Fabrikationsräume des Betriebes.
Firmengründungen im 19. Jahrhundert
J. Adolf Bäuerle GmbH (1860)
Christoph Jakob Bäuerle (geboren am 2. Januar 1834), der Begründer des Oberkochener Bohrermachergewerbes, entstammt einer Familie, die mit ihm schon in vierter Generation das Schmiedehandwerk betreibt. Sein in Lorch geborener Urgroßvater Johann Christoph B. (1735−1796) war ebenso wie sein Großvater Johann Georg B. (1769−1828) Huf- und Waffenschmied in Oberkochen, sein Vater Christof B. (1803−1865) betrieb eine Werkstatt als Zeug- und Waffenschmied. Das Gründungsjahr der Schmiedewerkstatt Bäuerle wird also wohl in das 18. Jahrhundert zu datieren sein.
1860 gründet Christoph Jakob Bäuerle nachweislich eine eigene Werkstatt. In dem Gesuch für den Einbau einer 4,4 Ruthen (36 m²) großen einstöckigen Werkstatt in die hintere Seite und den Garten des 1859 »von Caspar Junginger Waldschütz Wittwe Dorothee, geb. Widmann« erworbenen 8,7 Ruthen (71 m²) großen Wohnhauses Nr. 120 in der damaligen Kirchgasse (heute Mühlstraße 26) bezeichnet sich Jakob Bäuerle schon als »Bohrerfabrikant«.
Der junge »Bohrerspitzer« ahnt nicht, daß man in ihm später den Begründer eines Industriezweiges sehen wird, der noch in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eminente wirtschaftliche Bedeutung für Oberkochen besitzen soll: der Werkzeug- und Holzbearbeitungsmaschinenindustrie.
Die Vermutung liegt nahe, daß Jakob nach der Rückkehr von der Wanderschaft, die ihn nach der Erinnerung seiner Nachkommen bis nach Wien führte, zunächst in der väterlichen Werkstatt im Hause Nr. 108 (heute befindet sich an dieser Stelle das Gebäude Aalener Str. 40) tätig ist und die Kunst des Bohrermachens an den Vater weitergibt, denn 1858 wird auch der Vater in Gemeinderatsprotokollen Bohrermacher genannt.
Warum dann aber Jakob Christoph Bäuerle 1863 mit seiner Familie für ein knappes Jahr noch einmal Oberkochen verläßt, »zum Zwecke seines Aufenthaltes in Stuttgart«, wie ein Gemeinderatsprotokoll und die Kirchenbücher belegen, bleibt unerfindlich. 1864 jedenfalls wird er als wohnhaft in der Stuttgarter Brunnenstraße 17, bei dem Wagner Albert Holoch, registriert. Diente ihm der Aufenthalt vielleicht zur Weiterbildung in einer der Gewerbeschulen des Landes?
In den Jahren 1879–1882 wohnt und arbeitet Jakob Chr. Bäuerle im Hause Nr. 84 in der Katzenbachgasse (heute befindet sich an dieser Stelle das Haus Katzenbachstraße 4), das er seinen Bedürfnissen entsprechend ausbaut. 1882 gelingt es Jakob Chr. Bäuerle durch Erwerb des am Katzenbach gelegenen Hauses Nr. 41 (heute Nähboutique Steckbauer, Heidenheimer Straße 4), ans Wasser zu kommen. 1883 wird ihm die Genehmigung erteilt, »ein 1,40 m hohes, 0,4 m breites oberschlächtiges hölzernes Wasserrad zum Betrieb eines Blasbalges einzusetzen und hierzu die Wasserkraft des Katzenbaches zu benutzen«. Bäuerles Betrieb erfährt nun einen schnellen Aufschwung, eine breite Palette verschiedener Bohrer, wie etwa Nagel‑, Winden‑, Schlangen- und Krautbohrer — vorwiegend für Wagner, Schreiner und Zimmerleute — werden produziert. Als 1893 der älteste der drei Söhne, Adolf, die Werkstatt übernimmt (Jakob Christoph Bäuerle starb am 13. November 1891), haben bereits zwei Lehrlinge Jakobs eigene Werkstätten gegründet: 1876 Albert Leitz und 1882 Jakob Schmid. August Oppold, der ebenfalls bei ihm eine Lehrzeit absolviert hat, eröffnet seine Werkstatt im Jahre 1896. 1895 gründet auch der zweite Sohn von Jakob Chr. Bäuerle, Wilhelm, einen eigenen Betrieb, der nach seinem Tode im Jahre 1927 aufgegeben wird.

Adolf Bäuerle begnügt sich nicht mit der Herstellung von Handbohrern. Er beginnt bald mit der Produktion von Maschinenwerkzeugen für die Holzbearbeitung und 1926 mit dem Bau einfacher Maschinen. Unter seiner Leitung werden die ersten größeren Fabrikgebäude zwischen dem Gasthaus »Lamm« und der Feigengasse und an der Bahnhofstraße erstellt. 1929 erwirbt er die 1890 gegründete Präzisionszieherei von Gottlieb Günther. Die Weltwirtschaftskrise, unter der auch die anderen Oberkochener Firmen zu leiden haben, wird gemeistert. Nach dem Tode Adolf Bäuerles übernehmen seine Söhne Albert und Otto 1933 den Betrieb, der im Jahre 1935 rund 60 Mitarbeiter beschäftigt. Von hohem betriebswirtschaftlichem Nutzen erweist sich die in den Jahren 1934/35 errichtete Gießerei; sie verringert die Produktionskosten und verschafft dem Unternehmen größere Unabhängigkeit. Im Jahre 1942 entsteht in Überlingen/Bodensee ein als Zulieferer fungierender Zweigbetrieb. Zur Ausweitung der Kapazität werden 1949 in Böbingen/Rems ein weiterer Betrieb und eine Gießerei errichtet. Die Firma Bäuerle zählt 1955 zu den Marktführern des Industriezweiges Holzbearbeitungsmaschinen in Deutschland und beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter.

Infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten muß dieses älteste Oberkochener Industrieunternehmen im Jahre 1974 die Produktion in Oberkochen aufgeben. Die Blankstahlzieherei wird nach Böbingen verlagert, wo die Söhne Otto Bäuerles († 1965), Otto und Albert, mit 70 Mitarbeitern der alten Tradition getreu die Produktion von Holzbearbeitungsmaschinen fortsetzen, während Adolf Bäuerle, Sohn des 1979 verstorbenen Ehrenbürgers Albert Bäuerle, die Abteilung Stahlbau als eigenständige Firma in Oberkochen (Bäuerle Stahlbau GmbH) weiterführt.
Gebrüder Leitz GmbH u. Co. (1876)
Der Firmengründer Albert Leitz ist der jüngste Sohn des im Jahre 1845 aus Esslingen am Neckar zugezogenen Schwertschleifers Franz Friedrich Leitz, der sich am Ölweiher niedergelassen hat und dort eine Schleiferei betreibt. Nach seiner Lehre als Bohrermacher und Zeugschmied bei Jakob Christoph Bäuerle geht Albert Leitz im Jahre 1871 auf Wanderschaft. Diese führt ihn zunächst nach Stuttgart, dann sogar bis nach Wien, schließlich noch nach Reichenberg und Ingolstadt. Um einen fünfjährigen Wissens- und Erfahrungsschatz reicher, gründet er nach seiner Rückkehr im Jahre 1876, wohl im Hause Nr. 116 in der Kirchgasse (heute Mühlstraße 32), seine erste Werkstatt. Hier fertigt er neben Handbohrern unterschiedlichster Art auch Schneidmesser und Beile an. Bereits ein Jahr nach der Werkstattgründung gehen bei Albert Leitz die ersten Aufträge aus der Schweiz ein. 1880 heiratet er die Tochter seines Lehrherrn, Heinrike Bäuerle, und erwirbt das Haus und die Werkstatt in der Kirchgasse. Im Jahre 1884 verkauft er dieses Grundstück an den Bohrermacher Michael Wirth und übersiedelt in die väterliche Werkstatt an den Ölweiher, wo er die Kraft des reichlich aus dieser Karstquelle strömenden Wassers für seinen Betrieb zu nutzen versteht. Vorausschauend beginnt er schon mit der Herstellung von Maschinenbohrern, um den Betrieb der einsetzenden Mechanisierung in der Holzbearbeitung anzupassen. Öffentliche Anerkennung findet Albert Leitz von Anfang an. Schon 1881 erhält er bei der Württembergischen Landesgewerbeausstellung in Stuttgart eine Belobung. Weitere Auszeichnungen sind in den nächsten Jahren u.a. 1898 die »Königlich Bayerische Staatsmedaille« für »vorzügliche Holzbohrer aller Art« oder 1903 die Verdienstmedaille der Handwerkskammer in Oppeln/Schlesien. Die Entwicklung des Betriebes führt steil aufwärts; um die Jahrhundertwende arbeiten in der »Württembergischen Holzbohrerfabrik A. Leitz Oberkochen« 20 Werkzeugmacher, das Programm umfaßt 50 Arten von Hand- und Maschinenbohrern. Die nächsten Jahre sind gekennzeichnet durch eine Programmausweitung auf Maschinenmesser, Messerköpfe und Spannbackenwerkzeuge, 1908 kommen Massiv-Fräser hinzu. Als Albert Leitz 1910 sein erstes patentiertes Fräswerkzeug auf den Markt bringt, ist die Umwandlung vom Handwerks- zum Industriebetrieb bereits vollzogen.
1912 legt Albert Leitz die Firma in die Hände seiner Söhne Albert jun. und Fritz. Der dritte Sohn gründet 1921 die Vertriebsfirma Emil Leitz. Die jungen Inhaber verstehen es, die Erzeugnisse ihrer Firma der fortschreitenden Mechanisierung und Industrialisierung im holzverarbeitenden Gewerbe anzupassen und das Exportgeschäft zu intensivieren. Es ist nicht zuletzt der Werkzeugfabrik Gebrüder Leitz mit ihren nun ca. 180 Mitarbeitern zu danken, daß Oberkochen neben Schmalkalden und Remscheid sich nach dem 1. Weltkrieg zu einem Zentrum der Werkzeugindustrie für die Holzbearbeitung entwickelt. Dennoch bleibt auch sie nicht vom Strudel der Weltwirtschaftskrise verschont. Die dreißiger Jahre bringen wieder eine Belebung — 1936 wird ein mehrstöckiges Fertigungsgebäude errichtet — doch sie führen auch zum Ausscheiden von Fritz Leitz aus dem gemeinsamen Betrieb, der 1938 eine eigene Firma, die »Fritz Leitz Maschinen- und Apparatebau«, gründet, in der bis zum Kriegsende mit ca. 1000 Mitarbeitern u.a. Flugzeugteile und Aggregate hergestellt werden.
Eine außerordentliche Expansion erfährt die Werkzeugfabrik Gebrüder Leitz nach dem zweiten Weltkrieg. Unter der Regie von Leonhard Stützel, dem Schwiegersohn von Albert Leitz, und Karl Kümmerle, die seit dem Tode von A. Leitz († 1951) dem Unternehmen vorstehen, werden für die Verarbeitung neuer Werkstoffe, wie Spanplatten, Hartfaserplatten und Kunststoffe, hart-metallbestückte Hochleistungsfräswerkzeuge entwickelt. Es entstehen in den sechziger Jahren Produktionsstätten in Riedau/Österreich und in Unterschneidheim/Ries. Zwei weitere Betriebe werden 1974 in Italien und Österreich gegründet. Für den 1973 verstorbenen Leonhard Stützel wird Dr. Dieter Brucklacher in die Geschäftsleitung berufen. 1979 entsteht eine weitere autonome Produktionsstätte in Säo Sebastiäo do Cai/Brasilien.

1984 wird der Neresheimer Betrieb der Firma WIGO übernommen. Insgesamt gehören zur Leitz-Gruppe heute sieben Produktionsstätten in vier Ländern, 17 werkseigene Verkaufszentralen und über 100 Servicestationen mit insgesamt 2700 Mitarbeitern, von denen in der Oberkochener Muttergesellschaft Gebr. Leitz GmbH & Co., einschließlich der in das Stammhaus integrierten Vertriebstochter Emil Leitz GmbH, 410 beschäftigt sind.
Zu dem seit einigen Jahren bestehenden Leitz-Firmenverband zählen neben der Leitz-Gruppe die Firmen W. Fette GmbH in Schwarzenbek bei Hamburg und (seit 1991) Böhlerit GmbH & Co.KG in Kapfenberg/Österreich. Die Firma Fette stellt Werkzeuge für die Metallbearbeitung sowie Tablettiermaschinen für die Pharmaindustrie her; Böhlerit ist einer der ältesten Hersteller von Hartmetallen, die für die Herstellung von Holzbearbeitungswerkzeugen eine zunehmende Bedeutung haben. Im Leitz-Firmenverband sind über 4600 Mitarbeiter tätig. In diesen Daten manifestiert sich die einzigartige Entwicklung einer Firma, die, ausgehend von einer kleinen Oberkochener Bohrerwerkstatt und nach wie vor im Besitz der Nachkommen des Firmengründers, zum führenden Hersteller von Holzbearbeitungswerkzeugen in Europa geworden ist.

Jakob Schmid GmbH & Co. Werkzeugfabrik (1882)
Das drittälteste Unternehmen der Werkzeugbranche in Oberkochen wird von Jakob Schmid gegründet. Auch er hat bei Jakob Christoph Bäuerle die »Kunst des Bohrermachens« erlernt, bevor er sich im Jahre 1882, im Alter von dreiundzwanzig Jahren, nach seiner Rückkehr vom Militärdienst selbständig macht. Seine Werkstatt befindet sich zunächst im Hause Nr. 84 in der Katzenbachgasse (heute Katzenbachstr. 4). Vier Jahre später zieht er in sein eigenes neuerbautes Haus in der Jägergasse (heute Dreißentalstr. 7, Optik Seiler). Da sich Schmids Betrieb dort keine Möglichkeit zur Nutzung von Wasserkraft bietet, müssen Schleif- und Schmirgelbock sowie der Blasebalg von Hand betrieben werden. Diese Arbeit wird zunächst von der Ehefrau, später von den heranwachsenden Söhnen übernommen. 1908 setzt der Betrieb — als erster in Oberkochen — einen schon vom Elmer’schen Elektrizitätsnetz gespeisten Elektromotor ein; der Standort fällt nun gegenüber den anderen Unternehmen an Kocher, Guten- und Katzenbach nicht mehr nachteilig ins Gewicht. Jakob Schmid ist es jedoch nicht vergönnt, den Erfolg dieser Investition zu erleben, er stirbt wenige Wochen später an den Folgen eines Schlaganfalles.
Der einundzwanzigjährige Sohn Josef übernimmt die Werkstatt, unterstützt vom jüngeren Bruder Karl. Sie stellen Handbohrer her, vergrößern die Werkstatt, und Josef Schmid legt seine Meisterprüfung im Bohrermacherhandwerk ab. Der Erste Weltkrieg bringt Rückschläge, nicht zuletzt durch die Einberufung der Brüder zum Militärdienst. Der schon früh wegen einer Verwundung zurückkehrende Karl führt die Werkstatt zunächst allein weiter. Gemeinsam setzen Josef und Karl dann mit dem jüngsten Bruder Jakob in den Anfangsjahren der Weimarer Republik den Aufbau des Betriebes erfolgreich fort. So können sie noch 1928 kurz vor der Weltwirtschaftskrise eine neue Fabrikhalle am heutigen Firmenstandort Dreißentalstr. 19 errichten.
Zu dieser Zeit werden schon über 20 Mitarbeiter beschäftigt, die außer Handbohrern auch Maschinenbohrer, Spannbackenwerkzeuge und die dazugehörenden Messer herstellen. Dieses Programm wird nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert. Es werden Schaftwerkzeuge für stationäre Oberfräsmaschinen und hartmetallbestückte Fräser und Fräserkombinationen entwickelt. Der 1953 zum Ehrenbürger der Gemeinde Oberkochen ernannte Josef Schmid stirbt im Jahre 1960. 1973 wird in Elchingen/Härtsfeld eine zweite Fertigungsstätte errichtet und in diesen Jahren dem Programm ein umfangreiches Sortiment von Werkzeugen für Handoberfräsen angegliedert. Ende der achtziger Jahre wird das Fertigungsspektrum durch Werkzeuge für CNC-gesteuerte Maschinen ergänzt. In den beiden Betrieben Oberkochen und Elchingen sind heute ca. 200 Mitarbeiter beschäftigt. Geschäftsführer sind seit 1960 Josi Kurz (geb. Schmid) und Rudolf Eber.

Wilhelm Grupp GmbH & Co KG (1890)
Wilhelm Grupp beginnt 1890 im elterlichen Anwesen am Katzenbach im Haus Nr. 62 (heute Schulstraße 2) wie die anderen Betriebe auch mit der Herstellung von Handbohrern. 1895 erwirbt er das Haus Nr. 120 in der Mühlstraße, in dem 1860 Jakob Christoph Bäuerle den Grundstein für die Oberkochener Industrie legte. Er vergrößert die vorhandene Werkstatt in den Jahren 1899 und 1905 und treibt mit einem Benzinmotor Schleif‑, Schmirgel- und Polierböcke an.
Ein entscheidender Schritt für die Weiterentwicklung des Betriebes ist 1908 der Kauf des Geländes entlang der Heidenheimer Straße unterhalb des Kocherursprungs, das ihm die Möglichkeit zur Nutzung der Wasserkraft bietet. Der vorwärtsdrängenden Entwicklung der holzverarbeitenden Industrie entsprechend stellt er die Produktion auf die Herstellung von Maschinenwerkzeugen um und erweitert 1925 — als erster in Oberkochen — sein Programm auf Holzbearbeitungsmaschinen. Vor allem das Maschinenprogramm, für das in vielen Ländern Patentschutz erlangt wird, untermauert den guten Ruf der Firma, die 1937 bereits 120 Mitarbeiter beschäftigt. 1940 eröffnet Grupp in Neresheim auf dem Härtsfeld einen Zweigbetrieb. Während des Krieges wird die Produktion weitgehend auf Rüstungsgüter umgestellt. Als 1943 der Firmengründer stirbt, übernehmen seine Söhne Wilhelm († 1966), Christian († 1954) und Heinrich († 1975) die Firma. Beachtenswerte Neuentwicklungen auf dem Werkzeugsektor, vor allem bei Sägen, kennzeichnen die Jahre nach dem Kriege. 1949 bringt Grupp die erste rückschlagarme Kreissäge und das erste hartmetallbestückte Sägeblatt auf den Markt. In Ebnat wird ein weiterer Betrieb eröffnet; 1951 erreicht die Mitarbeiterzahl mit 720 kurzzeitig den Höchststand. In diesem Jahr ist die Firma Wilhelm Grupp größter deutscher Hersteller von Werkzeugen und Spezialmaschinen. Der nun folgenden Konzentration auf hartmetallbestückte Fräswerkzeuge und Sägeblätter für hochtourige Maschinen schließt sich ein spezielles Werkzeugprogramm für die Fensterherstellung im Wendeplattensystem an. 1955 wird die Produktion von Fräs- und Drehmaschinen für die Metallbearbeitung begonnen, später werden auch zeitweise Fleischereimaschinen hergestellt.
Es ist bedauerlich, daß die Firma Wilhelm Grupp mit dem Markenzeichen WIGO in der dritten Generation 1984 ihre Tore für immer schließen muß. Nahezu hundert Jahre hat sie für Oberkochen eine wichtige Rolle gespielt, ihr Gründer, Wilhelm Grupp, gehört noch zu den Pionieren der hiesigen Werkzeugindustrie. Die Oberkochener Betriebsgebäude sowie die meisten der rund 130 Mitarbeiter werden von der Firma Carl Zeiss übernommen, der Neresheimer Betrieb mit seinen 70 Beschäftigten geht in den Besitz der Firma Leitz über.
August Oppold GmbH u. Co. KG (1896)
Der fünfte im Bunde jener Männer, die die Industrialisierung Oberkochens einleiten, ist August Oppold. Auch er verdankt Jakob Bäuerle, in dessen Betrieb er lernt und schließlich Meister wird, sein Wissen. In der Hufschmiede seines Vaters gegenüber dem alten Rathaus gründet er 1896 seine erste Werkstatt und beginnt mit dem Fertigen von Handbohrern. Acht Jahre später verlegt er die Werkstatt an ihren heutigen Standort Ecke Heidenheimer Straße/Wacholdersteige. Schon 1912 erfolgt bei Oppold mit der Herstellung von Maschinenbohrern die Anpassung an die fortschreitende Entwicklung in der Holzbearbeitungsindustrie; damit verbunden ist eine Vergrößerung und Mechanisierung des Betriebes. 1934 werden 30 Mitarbeiter beschäftigt, die nun auch Fräswerkzeuge und Spezialmesserköpfe herstellen.

Nach dem Tode des Firmengründers im Jahre 1939 übernimmt sein Sohn Ludwin Oppold wenige Monate vor Kriegsausbruch die Firma. Ludwin Oppold zeichnet Ideenreichtum aus. Als einer der ersten versucht er, statt des schweren Stahles für die Körper und Teller der Zapfenschneidmaschine Leichtmetall anzuwenden. Im nachbarlichen Betrieb auf Zimmermeister Brunnhubers Maschinen werden die ersten Konstruktionen erprobt und immer wieder verbessert. Am Ende einer jahrelangen systematischen Entwicklungsarbeit stehen schließlich die rückschlagarmen Sicherheitsfräswerkzeuge, die in der Fachwelt Aufsehen erregen, später weitgehend richtungsweisend bei der Ausarbeitung von Konstruktions- und Prüfvorschriften der Berufsgenossenschaft werden und den über Deutschland hinausreichenden Ruf der Firma als Hersteller von unfallsicheren Hochleistungsfräswerkzeugen begründen. Viele Jahre befaßt sich Oppold mit der Technik der Fensterherstellung, in deren Folge im Zusammenwirken mit Maschinenherstellern spezielle Systemwerkzeuge für eine rationelle und wirtschaftliche Fertigung verschiedener Fenstertypen konstruiert werden. Heute werden für die Fenster und Türenproduktion modernste Wendeplatten-Werkzeuge (Wefix-Fräseinheiten) angeboten. Die Firma wird jetzt vom Schwiegersohn Ludwin Oppolds, Dipl.-Ing. (FH) Helmut Schrammel, geleitet. Sie unterhält Betriebsstätten in Oberkochen und Heidenheim und eigene Vertriebsfirmen in Frankreich, England und Holland. Von den 150 Mitarbeitern sind ca. 100 in Oberkochen beschäftigt.

20. Jahrhundert
Der Anfang ist gemacht, der Boden bereitet. Wir haben bereits die Entwicklung der im 19. Jahrhundert gegründeten Firmen bis in unsere Zeit, in ein Jahrhundert verfolgen können, das wie kein anderes durch revolutionäre technische Entwicklungen, aber auch durch politische und wirtschaftliche Katastrophen gekennzeichnet ist.
Für Industrie und Gewerbe sind die Jahre bis zum ersten Weltkrieg noch eine Zeit des Fortschrittes und der Entfaltung. Auch die Oberkochener Firmen prosperieren: Die Entwicklung von Bäuerle, Leitz und anderen vom Handwerks- zum Industriebetrieb findet ihren Abschluß, sieben neue Unternehmen werden in diesem Zeitraum gegründet.
Eine erste Zäsur bringt 1914 der Erste Weltkrieg, der 1918 mit dem Untergang des Deutschen Kaiserreiches endet. Die darauffolgende Inflation bringt viele Menschen um ihre Ersparnisse und blutet das Land aus. Mit der Einführung der Rentenmark kann zwar nicht der politischen, doch der wirtschaftlichen Instabilität ein Ende bereitet werden. Dennoch hat die große Geldknappheit auch manchen Konkurs zur Folge. In den nun einsetzenden »Goldenen Zwanzigern« erholt sich die württembergische Wirtschaft relativ schnell; auch die meisten Oberkochener Betriebe überstehen die schwierigen Nachkriegsjahre ohne nachhaltige Folgen.
Von 1907 bis 1925 hat sich die Zahl der Beschäftigten in Industrie und Handwerk in Württemberg — bezogen auf die Gesamtbevölkerung — von 17,8 auf 23,4 % erhöht. Württemberg erreicht einen höheren Industrialisierungsgrad als fast alle anderen Länder des Deutschen Reiches. Für die metallverarbeitende Industrie bleibt allerdings der Beschäftigtenzuwachs relativ gering. Eine Ausnahme stellt der Maschinenbau dar, welcher neben der Textilindustrie zur großen Wachstumssäule dieser Zeit wird.
Das Intermezzo der wirtschaftlichen Blüte geht 1929 ziemlich abrupt mit der Weltwirtschaftskrise zu Ende. Die Kündigung kurzfristiger amerikanischer Kredite führt auch in Deutschland zu Firmenzusammenbrüchen und Massenarbeitslosigkeit. Diese erreicht ihren Höhepunkt 1932/33, als im Reich 6 Millionen Arbeitslose gezählt werden. Metallindustrie und Maschinenbau haben auch in Württemberg zu leiden, wie wir aus den »Lebensläufen« der Oberkochener Firmen erfahren. Doch wird das württembergische Wirtschaftsleben wegen des hohen Anteils der Verbrauchsgüterindustrie nicht in einem solchen Ausmaß von der Rezession betroffen wie das übrige Reich. Die Oberkochener »Bohrerspitzer« können sich trotz aller Schwierigkeiten behaupten, keine der Werkzeugfabriken geht in Konkurs.
In den dreißiger Jahren ist Oberkochen neben Remscheid und Schmalkalden zum dritten Zentrum der Werkzeugindustrie geworden, das 1935 bei 1750 Einwohnern nahezu 500 Industriebeschäftigte zählt. Die Arbeitsbeschaffungsprogramme des »Dritten Reiches« bringen eine erneute allgemeine wirtschaftliche Belebung, doch diese Scheinblüte ist nur von kurzer Dauer. 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Die totale kriegswirtschaftliche Ausrichtung der Wirtschaftspolitik begünstigt nicht gerade die weniger rüstungswichtige Oberkochener Werkzeugindustrie. Ein Wachstum haben lediglich jene Betriebe zu verzeichnen, die sich mit der Annahme von Rüstungsaufträgen auf die veränderte wirtschaftspolitische Situation einstellen. Dazu gehören die 1938 gegründete Firma »Fritz Leitz Maschinen- und Apparatebau«, die ca. 1000 Beschäftigte zählte, sowie die Firmen Wilhelm Grupp und J.A.Bäuerle. Die totale Katastrophe am Ende des Zweiten Weltkrieges ist fast unbeschreiblich: Millionen Tote, Kriegsgefangene und Heimatvertriebene, unvorstellbare Zerstörungen, Demontagen, wertloses Geld, Hunger und Not, das Land von alliierten Truppen besetzt. Und doch beginnt schon drei Jahre später mit der Währungsreform das »Wirtschaftswunder«, ein Phänomen, unvorstellbar für alle, die das Ende dieses Krieges miterlebten. Diese »zweite Gründerzeit«, die sich schon 1946 ankündigt, wäre ohne den großen Zustrom der heimatvertriebenen Arbeitskräfte und Unternehmen kaum möglich gewesen. So verdankt auch Oberkochen fast alle Firmengründungen nach dem Krieg Neubürgern.
Ein Markstein in der Geschichte der Industrialisierung Oberkochens ist schließlich die Niederlassung der Firma Carl Zeiss, die 1946 in den leerstehenden Räumen der Firma Fritz Leitz den Neuaufbau im Westen beginnt. Diese Neuansiedlung verändert die Struktur der Gemeinde tiefgreifend und ist letzlich Voraussetzung für das rapide Wachstum und die spätere Stadterhebung Oberkochens. Carl Zeiss und die nach der Währungsreform stark expandierende bodenständige Industrie haben zu Beginn der sechziger Jahre Oberkochen zur größten Wachstumsgemeinde in Württemberg werden lassen. 1968, im Jahre der Stadterhebung, ist die Bevölkerung auf 8 600 Einwohner angewachsen, die Stadt bietet 7 000 Arbeitsplätze. Damit ist der Wandel vom ländlichen Dorf zur Industriestadt endgültig und überzeugend vollzogen.
Firmengründungen im 20. Jahrhundert:
KWO-Werkzeuge GmbH, Wannenwetsch (1903)
Als selbständiger Handwerker beginnt auch Karl Wannenwetsch 1903 am Ortsausgang Richtung Aalen (heute Aalener Straße 44) in einer neugegründeten Werkstatt, Handbohrer herzustellen. Er hat bei Albert Leitz das »Bohrer-spitzen« gelernt und danach einige Jahre in dessen Betrieb gearbeitet. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges beschäftigt Karl Wannenwetsch schon sieben Mitarbeiter.
Der Neubeginn nach der Heimkehr aus dem Krieg wird ihm durch Krankheit und den fehlenden Elektromotor — er ist zu Kriegszwecken konfisziert worden — sehr erschwert. Die aufkommende Inflation und die stark gewordene Konkurrenz der eisenverarbeitenden Industrie in Remscheid und Schmalkalden mit ihrer Massenproduktion von Handbohrern tragen ein übriges dazu bei. Als Einmannbetrieb arbeitet Karl Wannenwetsch weiter, ab 1927 nimmt er auch einzelne Typen von Maschinenbohrern in sein Programm mit auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg übergibt er seinem Sohn, Karl Wannenwetsch jun., den Betrieb. Dieser hat bei seinem Vater das Bohrermachen erlernt, später eine kaufmännische Ausbildung erhalten und ist danach in verschiedenen Industriebetrieben tätig gewesen. Schon 1950 wird das Programm auf Fräser für Handoberfräsen erweitert.
Der Aufschwung ist unverkennbar, der Betrieb wird vergrößert; 1960 sind 43 Mitarbeiter auf die Herstellung von Maschinenbohrern und Schaftwerkzeugen, auch in hartmetallbestückter Form (für die Bearbeitung moderner Plattenwerkstoffe), spezialisiert. Anfang der siebziger Jahre wird mit der Fertigung von Werkzeugen für professionelle Heimwerkermaschinen begonnen. 1978 übernimmt der Enkel des Firmengründers, Dipl.-Volkswirt Ulrich Wannenwetsch, die Geschäftsführung des Betriebes, in dem er seit sechs Jahren tätig ist. Unter seiner Regie verdoppelt sich der Umsatz, steigt der Exportanteil auf 50%, wird eine neue Halle gebaut und die Belegschaft erheblich erweitert. Gefertigt werden heute vor allem Maschinenbohrer, speziell Bohrer für Bohrautomaten der Möbelindustrie und Schaftfräser in Stahl und hartmetallbestückt (auch Wendeplattensysteme). Hinzu kommt ein breit ausgebautes Heimwerkerprogramm. Die Firma unterhält zwei eigene Verkaufsniederlassungen in Frankreich und England und beschäftigt zur Zeit 110 Mitarbeiter.
Röchling — Kaltwalzwerk KG (1906÷07)
Ein weiteres bedeutendes Unternehmen, das sich aber hinsichtlich seiner Produktion nicht in die Reihe der bisher beschriebenen Oberkochener Betriebe einordnen läßt, ist das in den Jahren 1906/07 entstandene Kaltwalzwerk im Gewand »Schwörz«. Auch dieser Betrieb suchte noch die Wasserkraft des Kochers zu nutzen und über Turbinen den benötigten Strom zu erzeugen. Gründer der Firma ist Karl Walter, ein Kaufmann aus Aalen. Er veräußert den noch kleinen Betrieb nach den Rückschlägen, die ihm aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Nachkriegszeit erwachsen, 1928 an die in Völklingen (Saarland) ansässigen Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke. Dieser Konzern verhilft dem Betrieb zu Größe und Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelingt es, die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens durch Erweiterung der Kapazität, durch Einführung von Spezialprodukten und nicht zuletzt durch die Anwendung moderner Technologie weiter zu erhöhen.
Das Kaltwalzwerk ist das einzige seiner Art in Süddeutschland. Mag auch der Weg vom Stahlwerk, beziehungsweise Walzwerk, in dem das in Ringform gelieferte Warmband hergestellt wird, bis Oberkochen weit erscheinen, so liegt das traditionelle Absatzgebiet, der gesamte süddeutsche Raum, für den kaltgewalzten Bandstahl umso näher. Bandstahl in Ring- oder Stabform wird für Stanz‑, Biege- und Tiefziehzwecke in der Metallwaren‑, Automobil‑, Büromaschinen‑, Baubeschlag‑, Spielwaren- und Uhrenindustrie benötigt. Darüber hinaus werden im Kaltwalzwerk Spezialprodukte — Bonderbänder mit einer speziellen Oberflächenveredelung — hergestellt, die in der ganzen Bundesrepublik und im Ausland abgesetzt werden.

Hauptabnehmer für die Produkte des Kaltwalzwerkes ist heute die Nagellager-Industrie, die mit diesen Lagern vorwiegend Automobilfirmen beliefert. Unter Josef Rosenberger und Kurt Schmidt, die seit 1964 das Oberkochener Kaltwalzwerk mit seinen derzeit 133 Mitarbeitern leiten, wird die Monatsproduktion von 650 t auf über 2000 t gesteigert.
Seit 1991 ist Holger Kühn anstelle von Kurt Schmidt technischer Leiter des Kaltwalzwerkes.
Carl Zeiss (1946)
Ein wichtiger Meilenstein für die industrielle Entwicklung Oberkochens ist die Ansiedlung der Firma Carl Zeiss im Jahre 1946.
Zur Vorgeschichte:
Im Juni 1945 mußten auf Befehl der amerikanischen Besatzungsmacht die Geschäftsleitung und ein aus 85 Personen bestehender wissenschaftlicher und technischer Mitarbeiterstab mit ihren Familien die alte Thüringer Universitätsstadt Jena verlassen, in der 1846 der Mechaniker Carl Zeiss seine Optische und Mechanische Werkstätte gegründet hatte, die unter seiner und des Wissenschaftlers Ernst Abbes Leitung zum bedeutendsten optisch-feinmechanischen Unternehmen herangewachsen war. Mit diesem Mitarbeiterstab wurden auch 41 Führungskräfte des zur Carl-Zeiss-Stiftung gehörenden Schwesterunternehmens »Jenaer Glaswerk Schott & Gen.« nach Heidenheim gebracht. Mit diesem »Exodus« wollten die westlichen Alliierten den auf Grund der Verträge von Jalta nach Thüringen einrückenden Russen einen Teil des wissenschaftlichen Potentials der Zeiss-Werke entziehen: »We take the brain«. Die Wissenschaftler und Konstrukteure wurden auf Heidenheim und die umliegenden Dörfer verteilt und dort notdürftig untergebracht. Die mitabtransportierten 360 000 Zeichnungen, die Frucht jahrzehntelanger Arbeit, sahen sie nie wieder, sie wurden in die USA gebracht. Fast zehn Monate vergingen, bis die Gruppe, inzwischen verstärkt durch einige Jenaer Flüchtlinge, die Erlaubnis zum Arbeiten und zum Aufbau einer Fertigung für feinmechanisch-optische Erzeugnisse erhielt. Man entschloß sich, die leerstehenden Räume der Firma Fritz Leitz in Oberkochen zu mieten und hier den Neubeginn zu wagen, ohne Unterlagen, ohne Werkzeuge und Maschinen, mit nichts als dem Wissen und dem Willen zum Wiederaufbau. Am 4. Oktober 1946 wird die Firma Opton Optische Werke Oberkochen GmbH, gegründet, die man wenig später, am 1. Februar 1947, in Zeiss-Opton Optische Werke Oberkochen GmbH, umbenennt. Die Schwierigkeiten, denen sich die aus Professor Bauersfeld, Dr. Küppenbender und Dr. Henrichs bestehende Geschäftsleitung gegenübersieht, sind fast unbeschreiblich: Maschinen müssen beschafft, Rohstoffe besorgt werden in einer Zeit, in der Geld keinerlei Wert besitzt und sich nur durch Kompensation Ware beschaffen läßt. Vor allem müssen die in die USA gebrachten Arbeitsunterlagen, soweit für den Beginn erforderlich, wieder erstellt werden. Das Fabrikationsprogramm muß anfänglich noch den Weisungen der amerikanischen Besatzungsmacht entsprechen; erlaubt sind zunächst Produkte, die dem Gesundheitswesen dienen, wie Brillengläser, medizinisch-optische Geräte und Mikroskope, daneben außerdem — praktisch als Ausnahme — auch photographische Objektive. Der Arbeitsschwerpunkt des ersten Jahres liegt in den wissenschaftlichen Abteilungen, den Laboratorien und Konstruktionsbüros, denn zunächst sind neue Geräte zu entwickeln, Fertigungsunterlagen zu erstellen und die für die Produktion notwendigen optischen und mechanischen Spezialmaschinen zu konstruieren und zu bauen. 1948 — im Jahr des eigentlichen Produktionsanlaufs — ist die Belegschaft schon auf 1300 Personen angewachsen. Mit der am 1. Juni 1948 auf russischen Befehl verfügten Enteignung der Jenaer Stammwerke Zeiss und Schott verliert auch die 1889 von Ernst Abbé gegründete Zeiss-Stiftung als Eigentümerin beider Werke endgültig ihre Existenzgrundlage in Jena. Für die Geschäftsleitungen der Firmen Zeiss und des Schwesterunternehmens Jenaer Glaswerke Schott & Gen., das inzwischen in Zwiesel und Landshut wieder mit der Produktion optischen Glases begonnen hat (erst 1952 wird das neue Glaswerk in Mainz in Betrieb genommen), gilt es, die Stiftung nicht nur als Industrieunternehmen, sondern auch als Sozialwerk zu retten. Die im Stiftungsstatut verankerten sozialen Ideen Ernst Abbes mit Neunstundentag (acht Stunden ab 1900), Kündigungsschutz, bezahltem Urlaub, Krankengeld, Gewinnbeteiligung, Invaliditäts- und Altersversorgung waren am Ausgang des letzten Jahrhunderts bahnbrechend und eilten der staatlichen Gesetzgebung um Jahrzehnte voraus. Ein Fortbestand der Stiftung ist unter diesen Umständen nur im Westen Deutschlands denkbar, denn hier wirken mit den evakuierten Geschäftsleitern die Bevollmächtigten der Zeiss-Stiftung, und nur hier kann sie auf der rechtlichen und ideellen Basis ihres Statutes fortbestehen. Die baden-württembergische Landesregierung bestimmt daher 1949 Heidenheim zum Sitz der Stiftung.
Am 1. Mai 1954 kann Professor Bauersfeld als Senior der Stiftung bei einer Feier im Oberkochener Werksgelände im Beisein des Bundespräsidenten Theodor Heuss verkünden, daß »die Carl-Zeiss-Stiftung wiedererstanden ist und daß ihre Weltfirmen Zeiss und Schott außerhalb der Zone der Unfreiheit und des Terrors wieder aufgebaut sind«.
Der wirtschaftliche Wiederaufstieg ist nun schon so weit gediehen, daß an diesem Tag die statutarischen Pensionrechte für die Arbeiter und Angestellten verkündet werden können. »Auf schwäbischem Boden wuchs dem Werk Abbes ein neues Haus«, schreibt die Werkszeitung. Das Unternehmen, das nun wieder den alten Namen »Carl Zeiss« trägt, zählt nun schon 2850 Beschäftigte, etwa ein Drittel sind ehemalige Jenaer Zeiss- Mitarbeiter, die im Laufe der Jahre den Weg in den Westen gefunden haben. Dieser vorwiegend aus Meistern, Vorarbeitern und hochqualifizierten Facharbeitern bestehenden Gruppe kommt eine bedeutende Rolle beim Aufbau der Fertigung zu.
Die gemieteten Räume reichen nicht mehr aus. 1950 wird mit dem Shedhallenbau der erste Schritt zur Erweiterung der Firma getan, andere Bauten folgen. Längst schon ist das Fertigungsprogramm der Anfangsjahre erweitert worden. Neben Brillengläsern , Photoobjektiven und Mikroskopen werden nun wieder ophthalmologische und mikrochirurgische Geräte, Photometer, Refraktometer, Interferometer, Nivelliere, Theodoliten, Photogrammetrische Kameras und Auswertegeräte, Elektronenmikroskope sowie Feldstecher produziert. 1957 wird die ehemalige Remonte-Kaserne in Aalen als Brillenglasfabrik eingerichtet und Zug um Zug durch Neubauten erweitert, im gleichen Jahr wird die zur Zeiss-Gruppe gehörende Mikroskop-Fabrik R. Winkel GmbH in Göttingen anläßlich ihres hundertjährigen Bestehens Teil des Stiftungs-Unternehmen Carl Zeiss. Seit 1955 ist dieses Werk Fertigungsstätte aller Zeiss-Mikroskope. Heute nehmen die Stiftungsbetriebe Zeiss und Schott wieder eine führende Stellung auf den Weltmärkten ein. Die Stiftung beschäftigt weltweit ca. 35 000 Mitarbeiter, davon entfallen auf die Zeiss Gruppe, d.h. die Firma Carl Zeiss mit ihren Tochterunternehmen ca. 17 000. Tochtergesellschaften sind die Firmen Anschütz & Co. GmbH Kiel, M. Hensoldt & Söhne Wetzlar, die Marwitz & Hauser GmbH Stuttgart, das ProntorWerk Alfred Gauthier GmbH in Wildbad, die Dr.-Ing. Höfler Meßgerätebau GmbH Ettlingen, das Heinrich Wöhlk Institut für Contact-Linsen GmbH & Co. in Schönkirchen, Carl Zeiss Jena GmbH, in den USA Titmus Optical Inc. und Humphrey Instruments Inc. sowie die ungarische MOM. Hinzu kommen noch 29 Vertriebs- und Servicegesellschaften in aller Welt.
Das Stiftungsunternehmen Carl Zeiss hat zur Zeit in den Werken Oberkochen, Aalen, Göttingen, Bopfingen und Nattheim rund 7 500 Beschäftigte. Mehr als 1 200 Oberkochener Einwohner finden in diesem bedeutenden Industrieunternehmen des Ostalbkreises Arbeit.
Mit der deutschen Wiedervereinigung kann nun endlich auch ein Schlußstrich unter die 45jährige Trennung der Zeiss Unternehmen in Ost und West gezogen werden. Im November 1991 werden mit der Treuhandanstalt die Verträge für die neugegründete Carl Zeiss Jena GmbH unterzeichnet, an der das Stiftungsunternehmen Carl Zeiss, Oberkochen, mit 51% beteiligt ist und die unternehmerische Führung hat. Weiterer Gesellschafter ist die dem Lande Thüringen gehörende Jenoptik GmbH. Carl Zeiss Jena GmbH beschäftigt ca. 3000 Mitarbeiter in den traditionellen Geschäftsfeldern des Jenaer optischen Instrumentenbaues.

Da es nicht möglich ist, im Rahmen dieses Berichtes das gesamte Lieferprogramm an optischen, feinmechanischen und elektronischen Erzeugnissen aufzuführen, soll stellvertretend die Nennung der Geschäfts- und Produktbereiche einen Eindruck von der Programmvielfalt vermitteln:
Mikroskope, Elektronenoptische Geräte, Medizinisch-Optische Geräte, Vermessung, Industrielle Meßtechnik, Optische Prozeßtechnik, Optische und Elektronische Systemkomponenten, Augenoptik, Ferngläser, Sondertechnik, Astronomische Instrumente / Planetarien / Systeme und Komponenten. Mit diesen Produkten erzielt das Stiftungsunternehmen Carl Zeiss 1991/92 einen Umsatz von 1,4 Milliarden DM, der Exportanteil beträgt 50%.
Anhang:
Geschäftsleiter der Firma Carl Zeiss seit 1946:
Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Dr. rer.nat.h.c. Walther Bauersfeld 1946–1959
Dr. rer.pol.h.c. Paul Henrichs 1946–1959
Dr.-Ing. Dr.-Ing.E.h. Heinz Küppenbender
Ehrenbürger der Stadt Oberkochen 1946–1972
Prof. Dr.phil. Dr.rer.nat.h.c. Gerhard Hansen 1952–1965
Dr. rer.pol. Dr. rer.nat.h.c. Gerhard Kühn
Ehrenbürger der Stadt Oberkochen 1960–1973
Dr.-Ing. Dr.-Ing.E.h. Dr.-Ing.E.h. Kurt Räntsch 1965–1971
Dr.-Ing. Martin Ahrend 1969–1974
Dr.phil. Horst Skoludek 1971–1992
Dr.rer.pol. Hans Eberhard Scheffler 1973–1976
Dr.rer.nat. Gert Littmann 1974–1992
Prof. Dr.-Ing. Jobst Herrmann seit 1976
Wolfgang Adophs 1978–1988
Gustav Pieper 1984–1990
Dr. jur. Hans-Kurt Fugert seit 1988
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Thomas F. Bayer seit 1990
Dr.rer.nat. Hans Richard Weinheimer seit 1990
Karl Gold, Werkzeugfabrik GmbH (1953)
Die Werkzeugfabrik Karl Gold ist eine der späteren Firmengründungen der angestammten Holzbearbeitungsindustrie. Karl Gold hat bei der Firma Leitz eine Lehre als Werkzeugmacher absolviert, bei seiner Lehrfirma, später bei der Firma Oppold Berufserfahrung gesammelt und die Meisterprüfung im Maschinenbau abgelegt, bevor er sich 1953 im elterlichen Anwesen an der Heidenheimer Straße Nr. 42 mit einer größeren Werkstatt selbständig macht.
Dort stellt er zunächst Werkzeuge für die maschinelle Holzbearbeitung her, aber auch Sondermaschinen, z.B. für die Zigarrenfabrikation und das Tischlerhandwerk. Später, gegen Ende der fünfziger Jahre, nimmt er auch Fräswerkzeuge für die maschinelle Holzbearbeitung in das Programm auf; der Maschinenbau wird wieder aufgegeben.
1978, nach dem Bau einer modernen Fertigungsstätte im Gewand »Schwörz«, beschäftigt der Betrieb schon dreißig Mitarbeiter, die zunächst Werkzeuge mit auswechselbaren Messern, Wendeplatten-Falzköpfe, Wendeplatten-Fräsgarnituren und Profilmesserköpfe, später auch HSS- und hartmetallbestückte Fräser herstellen. Verschiedene Standardwerkzeuge im Wendeplattensystem kommen hinzu, ebenso Werkzeugsätze für die gebräuchlichen Fenstertypen, für die Längs‑, z.T. auch für die Winkelbearbeitung in Wendeplattenausführung. Karl Gold stirbt im Jahre 1982. Die Nachfolge tritt sein Sohn Josef Gold an, der im elterlichen Betrieb als Werkzeugmacherlehrling begonnen und die Meisterprüfung als Mechaniker abgelegt hat. In der Firma sind heute 54 Mitarbeiter beschäftigt.
Gummi-Pfütze — Formartikel, Gummi-Metallverbindungen GmbH (1953)
Ein Abstellraum des Gasthofes »Ochsen«, spärlich möbliert mit Tisch, Ofen und Schraubstock, wird zur »Keimzelle« der Firma Gummi-Pfütze. Hier beginnen im März des Jahres 1953 Willi und Rosl Pfütze mit der Herstellung von Dichtungsringen für Molkereiarmaturen. Sie gehören zu den vielen Oberkochener Neubürgern aus Mitteldeutschland, die nach dem Krieg versuchen, sich eine neue Existenz aufzubauen.
Zwei Jahre bleiben sie im »Ochsen«, dann ziehen sie in einen 28 Quadratmeter großen Raum in der Katzenbachstraße und beginnen dort 1965 — unterstützt von zwei Hilfskräften — mit der Herstellung von Schutzkappen für Nivellierköpfe. Als sie 1968 in die Sperberstraße umziehen, beschäftigen sie schon sieben Mitarbeiter und erweitern ihre Produktionspalette auf Gummi-Metallverbindungen, wie sie in der Optik, der Medizin, in der Getränkeindustrie und in Molkereien benötigt werden. 1977 stirbt Willi Pfütze. Sein Sohn Helmut übernimmt mit seiner Frau Heidi den Betrieb. 1980 wird im Gewerbegebiet »Schwörz« eine moderne Fertigungsstätte errichtet, in der nunmehr zehn Mitarbeiter mit der Herstellung von vulkanisierten Formartikeln — Spezialprodukten, die auch im Hause entwickelt werden — beschäftigt sind. Zweihundert Sorten Gummi finden Verwendung, wobei Gummi-Metallverbindungen nach wie vor eine Spezialität der Firma sind.
Metallguß Oberkochen (1953)
Im Jahre 1953 pachtet der aus Eger (Sudetenland) stammende Karl Egerter in der Keltenstraße die kleine Schnell’sche Messinggießerei. Damit erfüllt sich der bis dahin bei der Firma Zeiss tätige agile Betriebsingenieur den Wunsch nach Selbständigkeit. Drei Jahre später bereits erstellt er im Gewand »Schwörz« eine Gießerei mittlerer Größe, wobei er das Interesse der Firma Zeiss an einer Gießerei in Werksnähe berücksichtigt. Mit seinen 15 Mitarbeitern stellt Egerter hauptsächlich Aluminiumgußteile her, doch werden auch andere Metalle verarbeitet. Rund 60% der Aluminiumgußproduktion gehen an die Firma Zeiss, die somit für die Gießerei zum wichtigsten Abnehmer wird. Durch ihre Relief-Kunstgüsse aus Aluminium wird die Firma Egerter in weiten Bevölkerungskreisen bekannt.
1984 übernimmt der aus Nordrhein-Westfalen stammende Gießereitechniker Georg Hoffmann den Betrieb, der nach einer zweijährigen Interimszeit der Verpachtung wieder neu aufgebaut werden muß. Die Firma beliefert rund 60 Kunden, darunter namhafte Betriebe der weiterverarbeitenden Industrie. Es können Gußstücke bis zu 200 kg in Aluminium gegossen werden, daneben wird der Ausbau auf Kokillen- und Niederdruckguß vorangetrieben. 1988 wird der Betrieb aufgegeben, die Gebäude übernimmt die Firma Anton Grupp, Metallbau.
Beier GmbH (1965)
Im März des Jahres 1965 eröffnen die aus Leobschütz/Schlesien stammenden Ingenieure und Brüder Siegfried und Eckhard Beier in der Elmer’schen Hafnerwerkstatt ein Ingenieurbüro mit angegliederter Elektrowerkstatt. Zunächst nebenberuflich werden mit Hilfskräften in den Abend- und Wochenendstunden Motorreparaturen ausgeführt und Schützensteuerungen hergestellt. Daneben wird auch schon mit der Konstruktion von Steuerungen begonnen. Als sie die ersten Mitarbeiter fest anstellen können, sind die Gebrüder Beier schon Mieter des Gebäudes Aalener Str. 19, des früheren Jugendhauses, das sie 1970 erwerben.
Nachdem sie dieses Haus an die Stadt verkauft haben, ziehen sie 1977 mit 24 Mitarbeitern in gemietete Räume der Firma Okoma; 1978 wird die Abteilung Meßelektronik gegründet; die Mitarbeiterzahl wächst auf 40 an. Der stetige und beständige Aufschwung ermutigt die Inhaber zum Kauf eines größeren Baugeländes im Gewand »Schwörz«. Im April des Jahres 1982 zieht dann der Betrieb mit seinen insgesamt 70 Mitarbeitern in eine eigene moderne Fabrikationshalle auf dem ehemaligen Terrain des städtischen, vormals Bäuerle’schen Gutshofes um.
Heute beschäftigt die Firma Beier 82 Mitarbeiter mit der Entwicklung, Projektierung, Konstruktion und Produktion von elektrischen und elektronischen Steuerungen, Geräten der Meß‑, Steuer‑, Regel‑, Feinwerk- und Registriertechnik sowie Hard- und Software für Mikroprozessor- und Personalcomputersysteme, die in den verschiedensten Branchen Anwendung finden.
Werner Schwimmer (1963)
1963 wagte der aus Jena stammende und seit 1956 in Oberkochen lebende Werner Schwimmer den Schritt in die Selbständigkeit. Im 40 qm großen Keller des »Kirchenschmiedes« gegenüber der katholischen Kirche beginnt er mit der Fertigung von Drehteilen als Zulieferbetrieb. Einen Partner findet er nach einem knappen halben Jahr in Wolfgang Werner. Der Raum wird bald zu klein, deshalb weichen sie in ein Haus in der Weingartenstraße aus, dort beschäftigen sie dann schon 4–5 Mitarbeiter. Als sie in die Katzenbachstraße an’s »Sappereck« umziehen, sind daraus schon acht geworden. 1967 trennen sich die Wege der beiden Geschäftspartner, Werner Schwimmer wählt das Risiko und führt den Betrieb mit drei Mitarbeitern im Hause Sauter neben der Spedition Fischer allein weiter. 1976 kann er ein eigenes Haus errichten, in dessen Untergeschoß er eine Werkstatt installiert.
Als mit dem inzwischen Meister gewordenen Sohn ein mit den modernsten Fertigungstechniken vertrauter Mitarbeiter zur Verfügung steht und auch die Elektroinstallation des Wohnhauses eine Ausweitung des Betriebes, in dem nunmehr 12 Mitarbeiter an vier CNC-Maschinen arbeiten, nicht mehr zuläßt, wird an den Bau eines Fabrikgebäudes gedacht. Der 1986 begonnene Bau in der Schwörz wird 1987 fertiggestellt. Dort sind nunmehr 20 Mitarbeiter mit der Herstellung von Drehteilen beschäftigt, die in der Elektroindustrie, dem Automobil- und Getriebebau Verwendung finden, Abnehmer sind u.a. die Firmen Bosch und Philips. Flexibel reagiert Schwimmer auf den Markt, die zunächst relativ starke Abhängigkeit von der Autoindustrie im Zuliefergeschäft wird erheblich reduziert.
Neben Einzelteilen liefert die Firma auch verkaufsfertige Produkte, wie z.B. Leuchter für die Firma WMF. Ein kleines eigenes Geräteprogramm für medizinische Zwecke (Schlauchpumpen für die Nierendialyse, Laborgeräte) ergänzt das Fertigungsspektrum, das in seiner durchdachten Mischung wenig krisenanfällig ist.
Jelonnek, Transformatoren und Wickelgut GmbH (1966)
Gunter Jelonnek kommt 1945 aus Berlin nach Oberkochen und heiratet hier die aus einer Oberkochener Handwerkerfamilie stammende Lotte Kopp. Jahrelang arbeitet er in einer Stuttgarter Transformatorenfabrik. Der wohlmeinende Rat eines Branchenvertreters, »es in Oberkochen selbst zu machen«, gibt schließlich den entscheidenden Anstoß für die Firmengründung. 1966 beginnen Gunter und Lotte Jelonnek in ihrer Wohnung in der Heidenheimer Straße 44, unterstützt durch eine Helferin, mit dem Wickeln von Transformatoren. 1967 mieten sie in der Dreißentalstraße 41 einen ausgebauten Schuppen, ziehen aber nach zwei Jahren wieder zurück in die Heidenheimer Straße, zunächst in einen 50 m² großen Anbau hinter dem heutigen Drogeriemarkt Schlecker — dort beschäftigen sie schon zehn Mitarbeiter — und später, 1971, wieder in das Elternhaus von Frau Jelonnek. Dann verunglückt Gunter Jelonnek im Jahre 1976 tödlich. Doch Lotte Jelonnek gibt nicht auf und meistert die schwierige Lage. Ihr steht der einundzwanzigjährige Sohn Klaus zur Seite, der, gerade von der Bundeswehr entlassen, seine Studienwünsche ohne Zögern aufgibt. 1979 nehmen sie den Schwiegersohn und Schwager Rudolf Hurler mit in die Geschäfteführung auf, der heute gemeinsam mit seiner Frau das Unternehmen leitet. Äußeres Zeichen ihres Erfolges ist der 1985 im Gewerbegebiet »Schwörz« eingeweihte neue Betrieb mit 800 m² Nutzfläche, in dem 20 Mitarbeiter beschäftigt sind. Zum festen Kundenkreis gehören namhafte Firmen wie Carl Zeiss, Voith, Siemens und SEL, ANT Bosch Telecom und Picker, für die auch Entwicklungen übernommen werden. Die Flexibilität des Unternehmens, das sich der handwerklichen Tradition verpflichtet fühlt, läßt auch Einzelfertigungen zu.
Okoma Maschinenfabrik GmbH (1975)
Im Juni des Jahres 1975 gründen Kurt Büttner und Max Wirth die Firma Okoma. Kurt Büttner stammt aus Zeulenroda/Thüringen, war in den fünfziger Jahren als Konstrukteur bei der Firma Bäuerle, später bei Wannenwetsch und zuletzt als Geschäftsführer bei der Maschinenfabrik Georg Funk in Waldhausen beschäftigt. Der Oberkochener Max Wirth war Außendienst-Abteilungsleiter, bevor er sich mit einer eigenen Handelsfirma, in der er auch Bäuerle-Produkte vertrieb, selbständig machte.
Zusammen erwerben sie das Tischlerei-Maschinenprogramm und die Fabrikationsräume der inzwischen nach Böbingen verlagerten Firma J. Adolf Bäuerle und setzen in der Bahnhofstraße mit dreißig Mitarbeitern die Produktion dieser Maschinen fort. Der gute Ruf, den diese Maschinen in der Fachwelt genießen, vermindert für das junge Unternehmen das Startrisiko. Entscheidend für die Etablierung des Betriebes erweist sich die Verbindung zur Firma Funk, für die zunächst der Vertrieb einer speziellen Fensterherstellungsmaschine übernommen wird. Für diese Spezialmaschine, eine winkelförmig angeordnete Kombination von Schlitz- und Fräsmaschine nach einer Idee von Kurt Büttner, die einen automatischen Ablauf der Fensterproduktion ermöglicht, wird bereits nach einem halben Jahr das Herstellungsrecht erworben. Das System wird bei Okoma für die Fensterindustrie als computergesteuerte Fertigungsstraße, aber auch für kleine Handwerksbetriebe ausgebaut. Außerdem entwickelt die Firma das Standard-Maschinenprogramm weiter. Nach dem Ausscheiden von Max Wirth (1983) ist Kurt Büttner alleiniger Geschäftsführer der Okoma Maschinenfabrik, die zu dieser Zeit etwa 100 Mitarbeiter beschäftigt.
Trotz des vielseitigen Fertigungsprogrammes geht das Unternehmen 1988 in Konkurs. Konkursmasse und Mitarbeiter werden zunächst — um die bei der Okoma eingebrachten Lieferleistungen und das know how zu retten — von der Beier GmbH übernommen, die die Okoma Maschinenfabrik aber auch nur ein Jahr weiterführen kann und 1989 endgültig aufgeben muß. Der Firmenname und die Produkte gehen an ein Heidelberger Unternehmen über. Mit der Firma Okoma geht die lange Tradition des Holzbearbeitungsmaschinenbaues in Oberkochen endgültig zu Ende.
Bäuerle Stahlbau GmbH (1977)
1977 gründet Adolf Bäuerle, Sohn des 1979 verstorbenen Ehrenbürgers Albert Bäuerle, in den Gießerei- und Ziehereigebäuden des ehemaligen Oberkochener Familienunternehmens die »Bäuerle Stahlbau GmbH«. Die Basis des Betriebes bildet die Dünnblech- und Gußständer-Produktion der Werkzeug- und Maschinenfabrik J.A. Bäuerle, die aus dem 1974 nach Böbingen verlagerten Werk herausgelöst und nun von Adolf Bäuerle zu einer selbständigen Firma in Oberkochen ausgebaut wird. Die Bäuerle Stahlbau GmbH spezialisiert sich mit Schweißkonstruktionen und Blechbearbeitungen als Zulieferbetrieb für den Maschinenbau. Mit 25 Mitarbeitern werden Ständer und andere Maschinenteile hergestellt, die in dieser Verfahrenstechnik wesentlich individueller gestaltet und besser der Modell- und Maschinenvielfalt angepaßt werden können als die früher üblichen Gußteile. Da das Betriebsgelände keine Erweiterungsmöglichkeiten bietet, wird 1983 eine weitere Werkstatt im Aalener Industriegebiet in Betrieb genommen, die, mit zwei 10 t‑Kränen ausgerüstet, der Bearbeitung schwerer Maschinenteile dient. Mit einer computergesteuerten Brennschneidemaschine und einem ebenfalls rechnergesteuerten Fräs- und Bohrwerk hat sich Bäuerle Stahlbau auf die Erfordernisse der Zukunft eingestellt.
Oberkochen heute
Das einstige Bauern- und Hafnerdorf Oberkochen ist heute eine bedeutende Industriestadt. Die hier ansässige Industrie genießt Weltruf. Während der Name Carl Zeiss wohl bei allen Bevölkerungsschichten im In- und Ausland bekannt sein dürfte, gelten Leitz, Schmid, Oppold und andere Firmen zumindest der Fachwelt als Inbegriff für Qualität, die höchsten Ansprüchen gerecht wird. Die Industriebetriebe sind exportorientiert: 30,40, bei manchen Betrieben sogar über 50% der Produktion werden an ausländische Abnehmer geliefert. Oberkochen verdankt der Industrie viel. Konnten bereits die vor dem 1. Weltkrieg vorhandenen Betriebe sichere Voraussetzungen für dauerhaften Wohlstand und ein beständiges Wachstum schaffen, und wurde Oberkochen schon damals neben den bedeutend größeren Städten Remscheid und Schmalkalden als eines der drei nationalen Zentren der Werkzeugindustrie für die Holzbearbeitung genannt, so markiert dennoch erst die Ansiedlung der Firma Zeiss 1946 den eigentlichen Einschnitt in der Geschichte der Stadt. Die Einwohnerzahl stieg explosionsartig an: Während sie 1939 noch 2 002 Einwohner betragen hatte (wovon immerhin 979 in der Industrie beschäftigt waren), so sollte sie sich in kaum mehr als 15 Jahren verdreifachen. Anfang 1955 zählte die Gemeinde 5 722 Bürger, ihnen standen bereits 5 192 Industriearbeitsplätze zur Verfügung. Der Aufschwung, mit dem Oberkochen in ganz Württemberg kein Gegenstück hat, hielt an bis in die späten sechziger Jahre, als die nunmehr zur (Industrie-)Stadt gewordene Gemeinde beinahe die 9 000-Einwohner-Grenze erreichte. Von den im Jahre 1970 gezählten 6 834 Industriebeschäftigten arbeiteten 4 919 (72%) bei Carl Zeiss, täglich pendelten (im Jahre 1966) 3 552 Beschäftigte zu ihrem Oberkochener Arbeitsplatz ein, die Zahl der Auspendler betrug demgegenüber nur 397.
1987, im Jahre der letzten Arbeitsstättenzählung, fanden bei allgemein weniger günstiger Wirtschaftslage bei 7 900 Einwohnern 8 311 Personen in Oberkochen Arbeit, davon 6 359 im verarbeitenden Gewerbe. Von den 8 311 in Oberkochen Beschäftigten kamen 5 105 von außerhalb; die Arbeitslosenquote betrug zu dieser Zeit 3,4%. Notwendige Rationalisierungsmaßnahmen der Industrie und die Auswirkungen der derzeitigen Rezession ließen diese Arbeitslosenquote allerdings auf 4,7% (Stand 30.6.1992) ansteigen.
Für die neu hinzukommenden Beschäftigten wurden allein in den Jahren 1948 bis 1970 insgesamt 2 178 Wohnungen erstellt, das sind 76,9% des Gesamtbestandes von 1970. Von diesen baute oder förderte 1152 (also 52,9%) die Firma Carl Zeiss. Die Industrie trug auch zum Aufbau kultureller Einrichtungen bei — es seien nur genannt die Stichworte Carl-Zeiss-Kulturring, Volksbildungswerk, Optisches Museum — neben einer Vielzahl von sozialen Einrichtungen. Zahlreiche Firmengäste aus dem In- und Ausland ließen Gastronomie und Hotelwesen aufblühen.
Lassen wir unseren Blick abschließend noch einmal zurückschweifen durch die Jahrhunderte, bis zu den Anfängen der Oberkochener Industriegeschichte. Auf unseren Reisenden aus dem Welschland etwa, wenn er aus dem Walde hervortritt und den Hochofen am Kocherursprung sowie die vielen rauchenden Meiler an den Hängen unter sich erblickt. Ihm ist sicher nicht bewußt, daß er in diesem Augenblick Zeuge des Beginns einer Entwicklung wird, die den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit charakterisiert und diese von nun an bestimmen soll, einer Entwicklung, die unter seiner eigenen tatkräftigen Mitwirkung vorangetrieben wurde: der Industrialisierung der Ostalb.
Es läßt sich gleichwohl keinesfalls behaupten, daß die Industrialisierung stets kontinuierlich fortgeschritten wäre; konsequent jedoch verlief diese Entwicklung allemal. Die Aufgabe der Erzverhüttung im Jahre 1634 betraf in erster Linie die Gemeinde Oberkochen, denn in den umliegenden Gemeinden wurde die Verhüttung von Eisenerz weiterhin betrieben. Noch heute bestehen in Königsbronn und Wasseralfingen die »Schwäbischen Hüttenwerke«. Oberkochen war lediglich von der aktiven Teilnahme an den industriellen Entwicklungen ausgeschlossen, doch war es seinen Einwohnern nicht verwehrt, diese mit Interesse zu verfolgen, gegebenenfalls in den Schmelz- und Schmiedebetrieben der Nachbardörfer Arbeit zu suchen, diesen Holzkohle zu liefern oder Erzfuhren zu übernehmen.
Zwar konnte Württemberg noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als reiner Agrarstaat bezeichnet werden, doch bildete die Ostalb zu jener Zeit eine der Inseln industrieller Aktivität. Auch Jakob Christoph Bäuerle hatte die Nähe zur eisenverarbeitenden und eisenschaffenden Industrie in den Nachbarorten gesucht, die ihm Material für seine Bohrer liefern konnte. So gesehen war die Gründung der ersten Bohrerwerkstätte in Oberkochen der Beginn einer neuen Ära im Rahmen der industriellen Entwicklung; sie war ein Neuanfang, eine »Stunde Null« jedoch war sie nicht.
Auch die Ansiedlung der Firma Carl Zeiss im Jahre 1946 darf insofern nur als Kulminationspunkt einer hundertjährigen Entwicklung gesehen werden, die ihre Wurzeln in einer wesentlich längeren industriellen Tradition findet. Wohl kaum hätte sich dieses Unternehmen in jenem Dorf nahe dem Kocherursprung niedergelassen, wären nicht leerstehende Werksgebäude vorhanden gewesen; es ist auch nicht auszuschließen, daß Zeiss von der industriell-technischen Vorbildung der Bevölkerung zu profitieren hoffte. Jedenfalls fand der Betrieb unmittelbar nach dem Kriege eine solide Grundlage vor, die er für den Ausbau seiner Kapazität zu nutzen verstand.
Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, daß Oberkochen eine »junge« Stadt mit langer Industriegeschichte ist, einer Geschichte mit Höhen und Tiefen, die den Ort und seine Industriebetriebe miteinander verschweißt hat. Oberkochen hat — und das gilt auch für die heutige wirtschaftlich schwierige Zeit — Glück mit der Struktur seiner Industriebetriebe: Sie sind umweltfreundlich, arbeitsintensiv, sie erzeugen hochwertige, den Erfordernissen der Zeit angepaßte technische Produkte und sie haben in wirtschaftlich besseren Jahren in die Zukunft investiert. Möge der Stadt dieses Glück auch weiterhin beschieden sein.
Nachwort:
Es liegt in der Natur der Sache, daß in einem Bericht über die Industrialisierung Oberkochens vor allem die Unternehmer, die Firmengründer und ihre Nachfolger Erwähnung finden. Nicht vergessen werden darf dabei die Rolle der vielen Arbeiter und Angestellten, die mit Erfindungsgabe, Fleiß und selbst in Krisenzeiten bewährter beispielhafter Solidarität zum Gedeihen der Unternehmen und zur Industrialisierung ihrer Heimat beigetragen haben. So erinnert sich zum Beispiel die Unternehmensleitung der Firma Leitz in der anläßlich ihres 100jährigen Bestehens herausgegebenen Chronik dankbar daran, daß es damals in der Weltwirtschaftskrise »nicht zuletzt die freiwilligen Verzichte und Einschränkungen der Arbeitnehmer waren, die in dieser Phase der Konkurse, der Arbeitszeitverkürzungen und der erschreckendsten Arbeitslosigkeit wesentlich zum Überleben der Firma beigetragen haben«. Ähnliches ließe sich sicher auch von anderen Firmen berichten.
Literatur:
Manfred Thier: Geschichte der Schwäbischen Hüttenwerke. Verlag Heimat und Wirtschaft, Aalen und Stuttgart 1965
Dr. Neuscheler: Dorfleben im oberen Kochertal vor 200–300 Jahren. Der Spion von Aalen, Blätter für Heimatkunde, Januar 1928, Verlag W.A. Stierlin, Aalen
Kgl.statistisch-topographisches Bureau (Herausgeber): Beschreibung des Oberamts Aalen, Stuttgart, J.B. Müller 1854
Albert Bohn Hundert Jahre Industrie. Der Kreis Aalen, Verlag Heimat und Wirtschaft, Aalen 1957
Dr. Konrad Theiss (Herausgeber): Heidenheim 1867–1967, Verlag Heimat und Wirtschaft, Aalen 1967
Helmut Christmann: Ferdinand Steinbeis, Gewerbeförderer und Volkserzieher. Heidenheimer Verlagsanstalt 1970
Dr. Hans Schmid: Gemeindegeschichte in der Industriegeschichte. Einwohnerbuch Oberkochen 1965
Robert Wolff: Von Bohrerspitzern zu weltbekannten Firmen — Über die einheimische Industrie von Oberkochen. Ostalb 6, 4. Jahrgang/Sommer 1970 Schwäbischer Heimatverlag
Kuno Gold: Holzbearbeitungswerkzeuge — Impulse, die von Oberkochen ausgehen. HOB 11/83, S. 76–78
Gebr. Leitz (Herausgeber): Leitz 100 Jahre.
Dr. Julius Keil: August Oppold. Die westdeutsche Wirtschaft und ihre führenden Männer. Land Baden-Württemberg, Teil III Wirtschaftslesebuchverlag Dr. Keil GmbH, Frankfurt 1963
Weitere Quellen:
Kirchenbücher des Ev. Pfarramtes Oberkochen; Gemeinderatsprotokolle der Gemeinde Oberkochen und andere Gemeindeakten des 19. Jahrhunderts, wie Kauf- und Steuerbücher; Triebwerksakten des Umweltschutzamtes Aalen; Unterlagen des Staatlichen Vermessungsamtes Aalen, des Stadtarchives Stuttgart und des Hauptstaatsarchives Stuttgart; Firmeninformationen. Allen diesen Stellen, Ämtern und Firmen sei an dieser Stelle herzlich für ihre Hilfsbereitschaft gedankt.
* Die Namen der Personen auf den Gruppenbildern verdanken wir größtenteils Herrn Kuno Gold, Oberkochen.
Marika Kämmerer, Dr. Joachim Kämmerer