Origi­nal ist ja jeder Mensch. Dieser braucht aus der Gemein­schaft nicht unbedingt heraus­zu­ra­gen. Der Leser wolle mir Ungenau­ig­kei­ten da oder dort nachsehen.

1.) Im Schwei­zer Hof (Katzen­bach­str. 3) wohnte der CHINA-MAX, ein statt­li­cher schnurr­bär­ti­ger Mann. Er war 1900 mit bei dem Expedi­ti­ons­korps in China, das den dorti­gen Boxer­auf­stand — Ermor­dung des deutschen Gesand­ten — mit deutschen Fäusten nieder­schlug. Eine grüne Uniform mit einem großran­di­gen Schlapp­hut beein­druck­te die Oberko­che­ner, die großen­teils von der großen Welt besten­falls vom Schul­un­ter­richt her und da und dort aus der Zeitung etwas erfuh­ren. Übrigens: Sein Sohn Eugen, Fußball­tor­jä­ger beim TVO nach dem Zweiten Weltkrieg, war der »CHINA«; er verstand es, im Streit­fal­le sehr gut, boxend sich zu verteidigen.

2.) Vor etwa 60 Jahren lebte in dem mühlber­ge­le­ab­wärts angebau­ten Gebäu­de­teil des Hohent­wiel — HANS. Er war ein alter hagerer schon etwas gebrech­li­cher Mann mit einer dünnen Stimme. Wir Kinder kannten seinen bürger­li­chen Namen nicht einmal. Eines Tages kamen zwei Dorfbu­ben, der Ludwig und der Hans, auf die große Idee, den Mann in seine burgar­ti­ge Behau­sung (knarren­de niede­re Eingangs­tür, enge steile Stiege, winzi­ge Fenster) einzu­sper­ren. Sie hatten bald einen passen­den Prügel zur Hand, klemm­ten diesen unter die Türschnal­le, gingen auf Sicher­heits­ab­stand und hörten sich alsbald genuß­voll das Zetern und Jammern und Schimp­fen des Alten an. Dia Lausbuaba!

3.) Der MICHEL war ein Kleinst­bau­er im Brunkel drunten. Fabrik­ar­beit half ihm durchs Leben zu kommen. Eines Sommers Abend schlen­der­ten etliche junge Oberko­che­ner an Michels Minibau­ern­haus vorbei, schau­ten zur offenen Stall­tür rein, und was sahen sie? Der brave Michel mühte sich beim Melken, das garnicht klappen wollte. Wahrschein­lich hatte er am warmen Abend sich ein gutes Bier geneh­migt; er saß an der Rücksei­te der Kuh auf dem Melksche­mel, versuch­te so von hinten herein zwischen den Kuhfü­ßen die Euter­stri­che zu fassen, was ungemein schwie­rig — jedoch den paar Zuschau­ern ein Heiden­spaß war.

4.) Wenn Kinder vor Taten­drang fast nicht zu bändi­gen waren, drohte man ihnen mit tiefer Stimme: »Wenn der GRUBWIRTSFRANZMANN kommt aus den Mazedo­nen!« Dies half fast immer. — Im Gasthaus »Grube« hängt im Gastraum ein schönes Bild von ihm, der im Ersten Weltkrieg in Mazedo­ni­en einge­setzt war.

5.) Der alte Fabri­kant GRUPP marschier­te täglich nach dem Mittag­essen so gegen viertel zwei von der Wohnung zur über einen Kilome­ter entfern­ten Fabrik, in Richtung Königs­bronn. So mancher Wander­bur­sche, Handwerks­bur­sche war damals auf der Straße unter­wegs; sie waren auf der »Walz«. Eines Tages wurde der einfach geklei­de­te Fabri­kant mit hartge­ar­bei­te­ten Händen von so einem Wander­ge­sel­len in Nähe der Fabrik angespro­chen: »Grüß dich Kolle­ge, woher? Wohin des Wegs? usw.« darauf der alte Herr: »Was? Kolle­ge? — Dau staht mei Fabrik!« Und zum Kocher­ka­nal weisend erklär­te er, daß da lauter Benzin laufe, denn da drinnen habe ich eine Turbi­ne, die die ganze Fabrik antreibt, lauter Benzin!« gab ihm ein Geldstück.… ade!

6.) Zur KLARA-BETE brach­ten im Sommer die Himbeer­leu­te ihre Ernte. Die süße Ware wurde in Litern gemes­sen und bezahlt — Beeren­sam­mel­stel­le. So gab es bei den vielen kinder­rei­chen Famili­en doch ein kleines Zugeld. Die Bete fuhr auch mit einem großräd­ri­gen Kinder­wa­gen Hafne­rei­er­zeug­nis­se zur Kundschaft in die Stadt. Sie war so — mit ihrer Gesprä­chig­keit verbun­den — gewiß ein Oberko­che­ner Origi­nal. Erzählt wird folgen­de familiä­re Begeben­heit: Die Bete war mit ihrer Ware auswärts. Ihr Mann, der KLARA, mußte des Abends die Kinder versor­gen und scham­ber­te nach dem Abend­essen allesamt ins Bett. War da doch ein Kerlchen, das nicht parie­ren wollte. Mit etlichen Hieben aufs Gesäß klapp­te es doch. Als die Bete heimkam, die Kinder­schar muster­te, kam es auf: der wider­spens­ti­ge Bub gehör­te ja dem Nachbarn…

7.) Pfingst­markt war in Oberko­chen. Vor der alten Schul­te­se (Schult­heiß­in) ihrem Haus war ein LUKAS aufge­stellt. Schon Vormit­tags stand der alte JOOSS — damals noch bei besten Mannes­kräf­ten — beim Lukas, beäug­te ihn — fragt der Lukas-Mann, ob er hauen wolle — »ja, schon, aber« — »i schlag dr n ja doch kaputt« — »Was?! Den haust du nit zemma! Kannst haua !« Der Jooß holt aus, haut darauf, es schellt oben kurz und schon ist er hin, der Lukas! Dem Lukas­mann kommt das Weinen, packt die Trümmer ein, geht mit Schaden heim. —

Beim Jooß seiner Leich war der Sarg mit zwei gekreuz­ten Geweh­ren geschmückt — Jooß war Veteran von 1870 gewesen.

8.) Der POLIZEIDIENER (Gold) schell­te 1914 in Oberko­chen die Mobil­ma­chung aus. Bei der Öschpro­zes­si­on, beim jährli­chen Bittgang am Markus­tag nach Unter­ko­chen, bei der Fronleich­nams­pro­zes­si­on führte er die Spitze in Festuni­form mit umgeschnall­tem Säbel und dem Helm auf dem Kopf an. Er war eine statt­li­che, beleib­te, schnurr­bart­be­wehr­te, würdi­ge Amtsperson.

9.) Der PETER PAUL war Kirchen­ord­ner. Bei der Prozes­si­on zum Balles-Kreuz drohte über den Linden­first ein Gewit­ter herein­zu­bre­chen. Wolken­schwär­ze, Blitz und Donner wirkten auf die Kreuz und Fahnen voran­tra­gen­den Minis­tran­ten und Kinder. Während die Erwach­se­nen am Kreuz noch zum Stati­ons­ge­bet versam­melt blieben, marschier­ten Kreuz, Fahnen und die Kinder­schar flott dorfwärts — die Prozes­si­on drohte ausein­an­der­zu­bre­chen. Da jammer­te der brave Ordner: Sappe­ra­ment , sappe­ra­ment, iatz gangat dia mit’m Kreuz zom Teifl!

10.) SAPPER, Landwirt und Schmied, war damals ein angese­he­ner Gemein­de­rat; seine Meinung war geschätzt. Bei einer Gemein­de­rats­sit­zung war einer der Herren einge­nickt. Über den behan­del­ten Tages­ord­nungs­punkt mußte abgestimmt werden. Der Einge­nick­te wachte jäh auf, wurde unmit­tel­bar um sein Votum befragt. »I stimm wie Sapper!« war sein Bescheid. Dieser kluge Spruch lebte in Oberko­chen bei passen­der Veran­las­sung noch viele Jahre fort.

11.) Der STOI-HANS wohnte im Katzen­bach. Sein Broter­werb war das Steine­klop­fen. Längs des ganzen Tiefen­tal­sträß­les wurden in Zeitab­stän­den vom Gäul-Bauer Gentner Kalkbruch­stei­ne auf die Schot­ter­plät­ze angefah­ren und etwa als Meter­wür­fel schön aufge­schich­tet. Dann kam der Stoi-Hans mit Schlä­gel und Hammer und einem alten Polster­sack zum Drauf­sit­zen und hieb das ganze Zeug klein. So saß er viele Stunden klopfend auf dem langsam wachsen­den Schot­ter­hau­fen und, wenn es endlich Feier­abend war, ging er mit steifen Beinen heimwärts. Gerade die steife Gangart beein­druck­te die Bauern­kin­der. STOI-HANS!

12.) Den SPETHEN-KARL weiß ich noch, wie er im Kies draußen auf seinem Hofe (Heiden­hei­mer­str. 78) mit einer Spann­sä­ge auf dem Sägbock Schlag­holz klein­säg­te. Ein langer weißer Vollbart markier­te den alten Oberko­che­ner Klein­land­wirt, ein blauer Schurz hob den Bauch zusam­men und der alte vergilb­te Stroh­hut schütz­te den kräfti­gen Kopf. Meine Schwes­ter Ida erzählt, daß man bei der Feldar­beit im Tiefen­tal oder im Langert oder im Gunder­s­tal so manches Mal den Spethen­karl aus seinem Reisig­schlag im drober stehen­den Wald laut kräftig singen hörte. Das Lied vom Hohen­zol­lern war seine Liebe. Und so läßt unsere Ida heute noch bei guter Laune zur Freude aller Mithö­rer den Spethen­karl herein.

13.) Dem Schuh­ma­cherspaul sein Opa hieß WEBER: Neben der Schuh­ma­che­rei betrieb er Fische­rei und Forel­len­zucht, bis hin zum Kocher­ur­sprung. Dort hatte er die Fisch­käs­ten und Reußen im Quell­was­ser liegen. Seine Kinder mußten zur Winters­zeit, so der Frost es zuließ, in den Zucht­käs­ten die winzi­gen Fisch­lein sortie­ren — das gab kalte Hände bis in die Füße hinab! Doch der Forel­len­fang hatte eine gute Seite. Opa Weber hatte gute Kundschaft in hohen Ellwan­ger Beamten­fa­mi­li­en. So bekam er neben­bei einen richti­gen vorneh­men Gehrock (Gasthin­te­re). Diesen hatte Weber viele Jahre lang beim tägli­chen Kirch­gang und auch bei vieler­lei Gelegen­hei­ten angezo­gen. Sogar am könig­li­chen Hof in Stutt­gart waren seine Kocher­fo­rel­len geschätzt (könig­li­cher Hoflie­fe­rant). Er wurde auch mal nach Stutt­gart einge­la­den und bekam einen Verdienst­or­den. So war Opa Weber einer der best angezo­ge­nen Männer Oberko­chens gewesen.

14.) 1881 war der Schmied­jör­gles Karl auf diese Welt gekom­men. Bald nach 1900 absol­vier­te er in Ellwan­gen die Acker­bau­schu­le. Eine grüne Uniform mit Hut trugen stolz diese Schüler. Als »gstudier­ter Bauer« kam der Schmied­jörg­le auf den elter­li­chen Hof zurück (jetzt Kreis­spar­kas­se). Er wußte nun sein Gelern­tes gut anzuwen­den. Sein Rat war gut vier Jahrzehn­te lang gefragt, gerne in Anspruch genom­men, sei es, daß ein Stück Vieh am Auflau­fen war (Trokar in den Pansen!) oder hatte eine Kuh eine kleine Rübe geschluckt, die im Schlund stecken­blieb (Schlund­rohr!) oder auch allge­mein, die Bebau­ung der Felder betref­fend. Die Schnupf­ta­baks­dus beglei­te­te den seine Meinung stets hartnä­ckig vertei­di­gen­den Bauern in der Ortsmit­te bis ins hohe Alter.

15.) Drei Jahre später ist der Schmied­jör­gles-Paul geboren. Es gibt ein altes Foto, worauf er als Fahnen­trä­ger des Gesel­len­ver­eins auf den Stufen des Kölner Domes steht (1906). Um 1908 ging er nach England, nach London, richte­te sich eine Autore­pa­ra­tur­werk­statt ein, reparier­te insbe­son­ders die Autos der Londo­ner Polizei, gab auch Fahrun­ter­richt. Sein promi­nen­tes­ter Fahrschü­ler war der Vater der engli­schen Königin. Um 1925 hatte der Englän­ders Paul einen Reisig­schlag auf der Heide droben. Noch war er krank geschrie­ben, doch schon so weit gesun­det, daß es ihn in den Schlag hinauf­trieb. Plötz­lich hört er von der Spran­zen­müh­le herauf Motor­rad­ge­knat­ter. Oh herrjeh, dös ischt ja dr Krankakontrolleur!

Saust heim; mitsamt den Kleidern schmeißt er sich ins Bett, zieht die Decke zum Hals, schnauft wie ein Kranker und schon ist der Kontrol­leur im Zimmer, hat Bedau­ern wegen der harten Schnau­fe­rei und wünscht gute Besse­rung — die Stiefel­spit­zen unten im Bett hat er gottlob nicht gesehen! 1928 baute der Englän­der weit hinten im Feld des Dreißen­tals sein Wohnhaus (Sperber­str. 17), trieb etliche Jahre mit Erfolg Seiden­rau­pen­zucht im Unter­ge­schoß seines Hauses bis ihm die Arbeit mit den Raupen doch über den Kopf wuchs. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der OLLO (Ähnle) lange Zeit ein im Ort wohlbe­kann­ter Moped­fah­rer mit einem herrli­chen fliegen­den weißen Vollbart. Im Langen­bur­ger Automu­se­um steht der engli­sche Autove­te­ran von damals.

16.) Dem GRUPPA ÄHNLE, vor 150 Jahren geboren, mußte mit 28 Jahren ein Bein amputiert werden: Männer aus der Nachbar­schaft wurden herbei­ge­be­ten, den kranken Mann auf dem Stuben­tisch daheim festzu­hal­ten derweil der Doktor ohne Narko­se (es gab sie eben nicht) am Oberschen­kel den Fuß abschnitt und absäg­te. Ein massi­ver Hartholz­fuß beglei­te­te den Bauers­mann fürder­hin durchs Leben. Maria erzählt, daß sie als Kinder auch Fronleich­nams­pro­zes­si­on gespielt hätten, indem sie Ähnles Holzfuß klauten und feier­lich singend im Hofe vor dem Hause hoch erhoben herum­tru­gen. Im 82. Jahr wurde der Ähnle beim Grasab­la­den im Stadel in einen Zeh des gesun­den Fußes gesto­chen; er bekam Blutver­gif­tung, er starb daran.

17.) Mein Vater, der GRUPPA FRANZ (1863−1925). Fortschritt­lich war der Vater schon. 1904 haben italie­ni­sche Maurer (Gastar­bei­ter!) im Viehstall eine Hurtis­be­ton­de­cke einge­baut und Luggen­loh­brun­nen­was­ser ins Haus gelei­tet. 1916 kam der elektri­sche Motor in den Stadel. Futter­schnei­den, Rüben­mah­len, Holzsä­gen, Dreschen wurden hiermit motori­siert. Eine Mähma­schi­ne ratio­na­li­sier­te die vielen Sensen­män­ner (Schnit­ter) weg. Doch die 15 groß werden­den Kinder brauch­ten neben der Nahrung, die der zehn ha Hof gerade gab, auch Kleidung, bares Geld war rar! So entschloß sich der sanges­freu­di­ge Mann, Komiker, Unter­hal­ter, Enter­tai­ner bei Vereins­ver­an­stal­tun­gen zu machen. Von Wasser­al­fin­gen bis Giengen hinauf hatte er seine Komikeraben­de, er sang seine einstu­dier­ten Lieder im Noten­frack, Noten­hut, im Bauern­hemd mit Zipfel­müt­ze, brach­te Spaß und Freude unters Volk; Hermann Spranz beglei­te­te auf dem Klavier. Und so brach­te der Vater in der so armen Nachkriegs­zeit doch etliche Märkle zu seinen Kindern heim, die mit freudi­gem Eifer dies Geld nachbeig­ten. Mutter erzähl­te, wie Vater 100 Reisig­wel­len mit dem Kuhge­spann nach Aalen führte, nach dem Verkauf sich im »FUCHS« labte und stärk­te — die Viecher bekamen ein Büsche­le Heu vor die Füße — bis er heimfah­ren wollte, war das Gespann weg! Die Kühe waren mit dem leeren Leiter­wa­gen ohne irgend­wo anzusto­ßen bis vor die Stall­tü­re zehn km weit heimmar­schiert. Ein ander Mal kam Vater in den Wald gefah­ren zum Laub holen. Mutter hatte im voraus schon draußen Laubhau­fen zusam­men­ge­recht. »ja Franz, wo hast denn deine Laubschild, deine Laubprü­gel???« Unter­wegs im bergauf waren diese wichti­gen Laubwa­gen­uten­si­li­en vom Wagen gelot­tert. Franz hatte dies nicht bemerkt, er hatte unter­wegs geschla­fen, denn er hatte noch während des Zwölf-Uhr-Läutens mit dem Freund Schell­mann in der Schel­le einen Krug Bier ausgetrunken.

18.) Der Mädder­le­shan­nes. Einmal hatte der »Mädder­le­shan­nes« (Baier­le) eine Repara­tur am Dachfirst eines Stadels durch­zu­füh­ren. Plötz­lich brach ein Ziegel, auf dem er stand, in Stücke. Der Hannes verlor das Gleich­ge­wicht und wargel­te das steile Dach hinab, stürz­te über die Rinne auf das Vordach eines kleinen Anbaus, wo er aller­lei Unheil anrich­te­te, und von dort weiter auf den Boden. Dort angekom­men stand er, ohne Schaden genom­men zu haben, wieder auf, schüt­tel­te sich, schau­te prüfend an sich hinab und stell­te fest: »Heida­bem­ber­le, jetz isch dr Schuurzbendl hee«

Nacher­zählt DB (W. Grupp)