Auf den ersten Blick scheint die Aufga­be, die teilwei­se stürmi­sche Entwick­lung Oberko­chens nach 1945 im Rahmen eines Stadt­bu­ches darzu­stel­len, verhält­nis­mä­ßig einfach zu sein. Einige markan­te Punkte zeich­nen sich nämlich sofort deutlich ab:

  • schon 1946, bedingt durch eine ganze Reihe glück­li­cher Umstän­de, Ansied­lung der Firma Carl Zeiss
  • jahre­lang größte Wachs­tums­ge­mein­de Baden-Württembergs
  • allmäh­li­che Minde­rung der anfangs großen Wohnungs­not, zuletzt durch Erschlie­ßung von Neubau­ge­bie­ten auf der »Heide« und im Wolfertstal
  • im Gegen­satz zu den anderen 1110 Städten und Gemein­den unseres Bundes­lan­des praktisch keine Verän­de­run­gen durch die teilwei­se heftig umstrit­te­ne Gemein­de­re­form ab dem Jahres­be­ginn 1967
  • im Vergleich zu den umlie­gen­den Gemein­den günsti­ge Finanz­la­ge (neben einer Großfir­ma zahlrei­che Mittel- und Klein­be­trie­be), stets erfreu­lich gerin­ge Arbeitslosenzahl
  • reges kultu­rel­les Leben, gut ausge­bau­tes Schulwesen
  • und vor allem auch: meist frucht­ba­re und faire Zusam­men­ar­beit zwischen den Gemein­de­rats­frak­tio­nen und einer umsich­ti­gen Verwaltung.

Dem steht aller­dings — nicht zuletzt als Folge des »Mauer­bau­es« an jenem 13. August 1961 — eine zurück­ge­hen­de oder allen­falls stagnie­ren­de Einwoh­ner­zahl mit nicht zu unter­schät­zen­den mittel­fris­ti­gen Proble­men vielschich­ti­ger Art entge­gen. Weiter­hin: bei einem Waldan­teil von 65% an der Gemar­kungs­flä­che wird das Waldster­ben gerade in Oberko­chen mit beson­de­rer Aufmerk­sam­keit verfolgt werden müssen, und die Wunden, welche bei der Sturm­wurf­ka­ta­stro­phe Ende Febru­ar 1990 rund um die Stadt geschla­gen worden sind, werden noch für gerau­me Zeit an die Unbere­chen­bar­keit der Natur­mäch­te erinnern; der Umwelt­schutz erfor­dert rasch immer aufwen­di­ge­re Maßnahmen.

Von einer rundum heilen Welt im Falle Oberko­chens zu sprechen hieße also die Augen vor der Reali­tät verschlie­ßen. Wir werden uns im folgen­den bei allem berech­tig­ten Stolz über »unsere kleine Stadt« auch davor hüten müssen, deren Entwick­lung in der Nachkriegs­zeit aus dem vereng­ten Blick­win­kel heraus allzu rosig zu sehen. Im Sommer 1974 eröff­ne­ten »Ostalb/Einhorn«, die für Heimat und Kultur im Ostalb­kreis sehr ergie­bi­gen Viertel­jah­res­hef­te, die Vorstel­lung der einzel­nen Nahbe­rei­che mit Oberko­chen. Was Hermann Baumhau­er damals generell für die Behand­lung heimat­ge­schicht­li­cher Zusam­men­hän­ge heraus­ge­stellt hat, sollten wir gerade beim Betrach­ten der jüngs­ten Vergan­gen­heit in diesem Beitrag nicht aus den Augen lassen: »Auf solche Weise die eigene Sache darstel­len zu können, kann zweifel­los Gefah­ren mit sich bringen: die lokal­pa­trio­ti­sche, betriebs­blin­de Überschät­zung, die lobred­ne­ri­sche Verzeich­nung von Sachver­hal­ten, die Heraus­stel­lung von Kleinig­kei­ten usw. Jedem sitzt nun mal das eigene Hemd am nächs­ten, das eigene Heim ist ihm das liebs­te, und die eigenen Aufga­ben überblickt er am genau­es­ten.« Anderer­seits brauchen jedoch gerade an ein (lesba­res) Heimat­buch nicht durch­gän­gig unper­sön­lich-distan­zier­te Maßstä­be angelegt werden, denn — um nochmals Baumhau­er zu zitie­ren — »das Fluidum des persön­li­chen Engage­ments, das einem Thema den Glanz verleiht; dieses Fluidum möchten wir bei allem Streben nach sachge­mä­ßer Infor­ma­ti­on und Objek­ti­vi­tät … gerade auch in solchen Selbst­dar­stel­lun­gen nicht vermissen.«

Dieser Beitrag strebt keine lücken­lo­se Auflis­tung aller Ereig­nis­se und Daten seit 1945 an; vielmehr sollen — in bewußt subjek­ti­ver Auswahl — Haupt­li­ni­en nachge­zeich­net und die sich daraus ergeben­den mögli­chen Zukunfts­per­spek­ti­ven angedeu­tet werden. Weil jedoch, abgese­hen von zwei kurzen Berich­ten über das unmit­tel­ba­re Kriegs­en­de, die Entwick­lung Oberko­chens von 1945–1953 (in diesem Jahr erschien erstmals das auch das Zeitge­sche­hen berück­sich­ti­gen­de Amtsblatt »Bürger und Gemein­de«) noch nirgends darge­stellt worden ist, werden diese entschei­den­den Jahre ausführ­li­cher abgehandelt.

Zusam­men­bruch und Neuanfang

»Wenn der Krieg verlo­ren­geht, wird auch das Volk verlo­ren sein. Dieses Schick­sal ist unabwend­bar. Es ist nicht notwen­dig, auf die Grund­la­gen, die das Volk zu einem primi­ti­ven Weiter­le­ben braucht, Rücksicht zu nehmen … Was nach dem Kampf übrig­bleibt, sind ohnehin nur die Minder­wer­ti­gen.« (Adolf Hitler am 15.3.1945). Welch unvor­stell­ba­res Leid der Zweite Weltkrieg bis heute über die ganze Welt gebracht hat, ist bekannt und braucht hier nicht wieder­holt zu werden.

Das vom Bauern­dorf allmäh­lich zu einer Indus­trie­ge­mein­de gewor­de­ne Oberko­chen war am Beginn des Jahres 1945 durch Evaku­ie­run­gen aus den größe­ren Städten Württem­bergs und aus Westdeutsch­land wie auch durch die ersten Flücht­lin­ge aus dem Osten mit mehr als 2500 Menschen überbe­legt. Aber erst ab Frühjahr gerie­ten die hier Leben­den durch häufi­ge Tiefflie­ger­an­grif­fe vor allem auf die Bahnan­la­gen in akute Gefahr. Der schlimms­te Monat war der April 1945.

Martha Gold erinnert sich:
»Am Oster­sonn­tag, dem 1. April 1945, gegen elf Uhr, war auf dem Bahnhof ein 60 Wagen zählen­der Zug mit KZ-Häftlin­gen einge­fah­ren, als auch schon die Tiefflie­ger angrif­fen. Acht Tote mußten nach diesem Angriff auf dem evange­li­schen Fried­hof beerdigt werden. Die Zahl der Verletz­ten ist nicht bekannt gewor­den; Zivil­per­so­nen wurden vom Bahnhofs­ge­län­de abgehal­ten. Die Grabstät­te trug einige Jahre die Inschrift: »Acht unbekann­te Tote«. Die Beschie­ßung dieses Zuges hatte schon einigen Schre­cken in die Bevöl­ke­rung gebracht. Am folgen­den Weißen Sonntag, dem 8. April 1945, läute­ten die Glocken zur Kirche, und die Sirenen heulten fast zur gleichen Zeit. Kurz danach waren die Tiefflie­ger schon über dem Ort. Unter Beschuß war wieder die Bahnlinie.

Die Erstkom­mu­ni­kan­ten dieses Jahres werden ihren Weg zur Kirche und von der Kirche und das beklem­men­de Gefühl der kreisen­den Flugzeu­ge während des Gottes­diens­tes wahrschein­lich nie verges­sen. An diesem Sonntag machten Einhei­ten der Waffen-SS hier Rast. Vor den meisten Häusern an der Haupt­stra­ße hatten sie sich nieder­ge­las­sen. Es ist vermu­tet worden, daß der am Mittwoch darauf folgen­de Angriff der SS gegol­ten haben könnte. Am Mittwoch, dem 11. April, folgte dann der schwe­re Tiefflie­ger­an­griff auf die Gemein­de. Die Tiefflie­ger waren so schnell hier, daß sie fast gleich­zei­tig mit den Sirenen die akute Luftge­fahr mit ihren Bordwaf­fen verkün­de­ten. Die Dorfstra­ße war an diesem Nachmit­tag sehr belebt. Vor der Metzge­rei »Zum Lamm« standen etwa 100 Perso­nen um Fleisch- und Wurst­wa­ren an. Die Straße war noch nicht frei, als die ersten Bomben fielen. Fünf Bomben wurden insge­samt gezählt. Den schwers­ten Schaden richte­te die beim Rathaus in die Gebäu­de Heiden­hei­mer Straße 12 und 14 einschla­gen­de Bombe an.

Oberkochen

Im verhält­nis­mä­ßig kleinen Keller des Hauses Heiden­hei­mer Straße 12 (Eugen Winter, Herrgotts­häf­ner) hatten sich die im Hause weilen­den Angehö­ri­gen der Famili­en Winter, Fischer und Brunn­hu­ber (12) und Brunn­hu­ber (14), sowie Straßen­pas­san­ten einge­fun­den. Der Keller faßte nicht alle Perso­nen; einige standen auf der Keller­trep­pe und im sogenann­ten Hausgang. Aus den Trümmern der vollstän­dig zerstör­ten Häuser Heiden­hei­mer Straße 12 und 14 mußten acht Tote gebor­gen werden: Die Ehefrau Marie Winter, geb. Fischer, 37 Jahre alt; deren Mutter There­sia Fischer, geb. Sachsen­mai­er, 64 Jahre alt; deren Enkel­kin­der Josef Brunn­hu­ber, vier Jahre alt, Paul Brunn­hu­ber, zwei Jahre alt, Bruno Winter, drei Jahre alt; die bei der Familie Winter weilen­de Hausge­hil­fin Maria Frey, 15 Jahre alt; und die aus dem Nachbar­haus Brunn­hu­ber (14) in den Keller gekom­me­nen Geschwis­ter Maria Brunn­hu­ber, 20 Jahre alt, und Mathil­de Brunn­hu­ber, elf Jahre alt: Schwer verletzt war Frau Aloisia Winter, geb. Fischer.«

Oberkochen

Wie überall mußten auch in Oberko­chen auf Befehl der Ameri­ka­ner nach deren Einmarsch am 24. April sofort alle Waffen, Photo­ap­pa­ra­te, Hitler­fah­nen und Flaggen, zum Teil auch die Radio­ap­pa­ra­te abgelie­fert werden; von 21 bis 6 Uhr herrsch­te strik­tes Ausgehverbot.

Abgese­hen von Augen­zeu­gen­be­rich­ten sind wir, was die ersten Monate und Jahre der Nachkriegs­zeit angeht, ehe 1948/49 die beiden Aalener Zeitun­gen erschie­nen, fast ausschließ­lich auf die Gemein­de­rats­pro­to­kol­le ab Sommer 1945 angewie­sen (die Aufzeich­nun­gen über die Sitzun­gen während der vorher­ge­hen­den Zeit waren verbrannt worden). Aus ihnen ergibt sich folgen­des Bild:

Unter Leitung des damals bereits 66jährigen Alt-Schult­hei­ßen und frühe­ren Oberko­che­ner Bürger­meis­ters Richard Frank († 1966), der im Dezem­ber 1933 zwangs­wei­se zur Ruhe gesetzt worden war, traten am 6.6.1945, sechs Wochen nach dem Einmarsch der Ameri­ka­ner, acht von Frank berufe­ne »Gemein­de­bei­rä­te« zu einer ersten Sitzung zusam­men. Es galt dabei, die größte Not zu lindern und den Ausschrei­tun­gen und Einbrü­chen vor allem von seiten der etwa 1000 bishe­ri­gen auslän­di­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen und Zwangs­ar­bei­tern in den hiesi­gen Rüstungs­be­trie­ben entge­gen­zu­tre­ten. Bereits Anfang Juli konnte dann auch die Zahl der unbewaff­ne­ten Hilfs­po­li­zis­ten verrin­gert werden, »da sich durch den Abzug der Auslän­der die Sicher­heits­ver­hält­nis­se gebes­sert haben.«

Anderer­seits verdient die Herzlich­keit, mit der sich damals zahlrei­che franzö­si­sche, belgi­sche und hollän­di­sche Gefan­ge­ne von ihren Quartier­ge­bern verab­schie­det haben, ausdrück­li­che Erwäh­nung. Eine inter­es­san­te Einzel­no­tiz v. 7.11.1945 besagt übrigens, daß ein russi­scher Überwa­chungs­of­fi­zier die Pflege der Gräber von fünf verstor­be­nen Sowjet­rus­sen auf dem hiesi­gen evange­li­schen Fried­hof durch die Gemein­de verlang­te. Sie sind noch heute in gutem Zustand.

Zumin­dest für die Zeit bis 1950 tauchen in den Proto­kol­len des Gemein­de­ra­tes immer wieder diesel­ben — kaum zu lösen­den — Proble­me auf: die schon im Juni 1945 berufe­ne »Holzver­tei­lungs­kom­mis­si­on« kam mit freiwil­li­gen Appel­len, sich an Waldar­bei­ten zu betei­li­gen, nicht weit; deshalb sollten, »um ein größe­res Quantum Holz zu schla­gen, vor allem (ehema­li­ge) Partei­ge­nos­sen zum öffent­li­chen Arbeits­ein­satz« über das Arbeits­amt Aalen heran­ge­zo­gen werden. Als das nicht den erhoff­ten Erfolg hatte, wurde am 19.10.1945 verfügt: »Jede männli­che Person von 17–60 Jahren hat ohne jede Ausnah­me sechs rm Holz zu fällen, im Weige­rungs­fal­le werden die Lebens­mit­tel­kar­ten entzo­gen, für 1946 wird eine Holzzu­wei­sung nicht erfol­gen.« Fast gleich­zei­tig nahmen die Raubüber­fäl­le und Plünde­run­gen erneut derart zu, daß eine Nacht­wa­che von sechs Mann gebil­det werden mußte.

Mit großem Eifer ging man daran, die notwen­digs­ten Einrich­tun­gen zu schaf­fen und reinen Tisch zu machen. Vor allem wollte man »die gefähr­li­chen und schmut­zi­gen Wühlar­bei­ten bei den Nazielemen­ten im Keime ersti­cken« (noch im Mai 1949 mußte der Gemein­de­rat in »Spruch­kam­mer­nach­ver­fah­ren« Auskunft über die politi­sche Vergan­gen­heit mehre­rer Bürger geben).

Was die Wieder­her­stel­lung elemen­ta­rer Einrich­tun­gen angeht, wurde umgehend ein Vorstand für die Milch­sam­mel­stel­le berufen, der Darle­hens­kas­sen­ver­ein setzte seine Arbeit fort. Die Straßen­bau­ver­wal­tung Ellwan­gen wurde aufge­for­dert, sich um die unmit­tel­bar vor dem Einmarsch gespreng­te Kocher­brü­cke zu kümmern, die rasch errich­te­te Notbrü­cke war am Zusam­men­bre­chen. Der Bürger­meis­ter und seine Beirä­te bemüh­ten sich vor allem auch um Reise­er­laub­nis für Famili­en etwa aus Freiburg i. Br. oder aus dem Saarge­biet, die in ihre frühe­re Heimat zurück­keh­ren wollten. Dann galt es, die elektri­sche Straßen­be­leuch­tung wieder instand­zu­set­zen und vorab den durch den Beschuß am 11.4.1945 schwer geschä­dig­ten Famili­en zu helfen.

Schon unter Richard Frank, dann aber ganz beson­ders nach dessen Wahl zum Bürger­meis­ter in Unter­ko­chen unter dem am 15.3.1946 vom Gemein­de­rat mit elf von zwölf Stimmen gewähl­ten neuen Bürger­meis­ter Rudolf Eber, der später noch über Jahrzehn­te hinweg das kommu­na­le Gesche­hen Oberko­chens in verschie­de­ner Weise wesent­lich mitge­prägt hat, traten die zwei Haupt­sor­gen jener Jahre, die Siche­rung der Ernäh­rung und die Schaf­fung menschen­wür­di­ger Unter­künf­te, ganz in den Vorder­grund. So gab es z.B. für den Normal­ver­brau­cher für den ganzen Monat Novem­ber 1946 ledig­lich 6000 g Brot, 1000 g Fleisch, zwölf kg Kartof­feln und 500 g Zucker. Die Älteren erinnern sich sicher noch an das mühse­li­ge »Bucheles­klau­ben«, das Sammeln von Bucheckern, in diesem Jahre. Es lohnte sich, denn für 1 kg Bucheckern gab es ohne Anrech­nung auf die Fettra­ti­on 150 g Öl.

In einem langen Bericht des ehema­li­gen US-Präsi­den­ten Herbert Hoover v. 26.2.1947 heißt es u.a., »in der ameri­ka­ni­schen Zone kann die Ernte von 1946 außer der unmit­tel­ba­ren Versor­gung der Selbst­ver­sor­ger etwa 1100 Kalorien täglich an Nicht­selbst­ver­sor­ger liefern« (gegen­über 3000 Kalorien vor dem Krieg). Aber »der gegen­wär­ti­ge schreck­li­che Winter mit den zugefro­re­nen Kanälen und dem behin­der­ten Eisen­bahn­ver­kehr hat es unmög­lich gemacht, an vielen Orten auch nur den gegen­wär­ti­gen Stand der Ratio­nie­rung aufrecht zu erhal­ten.« Mit sicht­ba­rer Freude wurde im Proto­koll des Oberko­che­ner Gemein­de­ra­tes v. 1.7.1947 festge­hal­ten, daß nun auch hier sofort »Kinder­schul­spei­sung für Jugend­li­che von sechs bis 17 Jahren« möglich sei. Der Bitte, den dafür von den Kindern zu bezah­len­den Betrag von fünf bzw. zehn Pf. zu strei­chen, konnte wegen der schlech­ten Kassen­la­ge aber nicht entspro­chen werden.

Auch wenn es in den Proto­kol­len nicht vermerkt ist, darf im übrigen doch wohl gehofft werden, daß die damals noch recht zahlrei­chen Oberko­che­ner Selbst­ver­sor­ger den hungern­den Normal­ver­sor­gern auch ohne Bezah­lung von ihren Natura­li­en abgege­ben haben.

Weite­re Ausfüh­run­gen Hoovers, der schon 1918/19 ein Hilfs­pro­gramm für Europa entwi­ckelt hatte, ließen zwischen den Zeilen trotz aller Schär­fe wenigs­tens ein bißchen Hoffnung aufkei­men: »Wer an Rache und an die Bestra­fung einer großen Masse von Deutschen glaubt, die nicht an der Naziver­schwö­rung betei­ligt waren, kann jetzt keine Besorg­nis­se haben, denn dieses Volk ist — in seinen Lebens­mit­teln, in seiner Heizung und in seiner Unter­kunft — auf den niedrigs­ten Stand gesun­ken, der seit hundert Jahren in der Geschich­te des Westens bekannt war.«

Oberkochen

Schaf­fung von Unter­künf­ten: genau das war es, was damals in Oberko­chen alle Verant­wort­li­chen vor praktisch unlös­ba­re Aufga­ben stell­te und manch­mal gegen ihren Willen zu harten Maßnah­men zwang. Schon in der 2. Sitzung am 5.7.1945 mußten die Gemein­de­bei­rä­te (die ersten Wahlen zum Gemein­de­rat fanden erst am 27.1.1946 statt) feststel­len, daß die Zahl der wohnungs­su­chen­den Perso­nen jeden Tag größer wurde, »da verschie­de­ne Solda­ten in ihre Heimat und zu ihren Famili­en zurück­keh­ren«. Die an diesem Tage geschaf­fe­ne Wohnungs­kom­mis­si­on mußte für Schlaf­ge­le­gen­heit für durch­zie­hen­de Solda­ten im Bergheim sorgen, da die Gaststät­ten von Dauer­mie­tern belegt waren. Die Turnhal­le war »voller Unrein­lich­keit und Ungezie­fer«. Schließ­lich wurde im Oktober »ein jeder Zuzug, mit Ausnah­me der zugewie­se­nen Flücht­lin­ge vom Osten« ganz gestoppt. Im Sommer 1946 wurde die Aufnah­me von entlas­se­nen nicht­an­säs­si­gen Solda­ten auf Dauer abgelehnt; dassel­be galt »für Flücht­lin­ge aus den neupol­ni­schen Gebie­ten, die in der engli­schen und russi­schen Zone unter­ge­bracht werden sollen.« Die Baustof­fe waren bewirt­schaf­tet, eine Dring­lich­keits­lis­te sollte einiger­ma­ßen Übersicht schaf­fen. Immer­hin war erstaun­li­cher­wei­se schon ab Frühjahr 1946 eine größe­re Zahl von Bauge­su­chen eingegangen.

Die großen Schwie­rig­kei­ten, in Oberko­chen einen Wohnraum zu finden, mußten auch die im Sommer 1945 zunächst nach Heiden­heim überge­sie­del­ten führen­den Zeiss-Mitar­bei­ter aus Jena erken­nen, denn es gelang nur unter größten Anstren­gun­gen, allmäh­lich in Oberko­chen genügend Wohnraum zu finden.

Im Frühjahr 1947 mußte ein Mehrein­schlag im Gemein­de­wald durch­ge­führt werden, um Möbel für Neubür­ger herstel­len zu können, »da viele Neubürg­erfa­mi­li­en überhaupt nicht im Besit­ze eines Schran­kes sind.« Wenige Monate später hatte sich das Wohnungs­pro­blem nochmals derart durch erzwun­ge­ne Neuzu­gän­ge und viele Eheschlie­ßun­gen verschärft, daß es im Gemein­de­rat eine harte Diskus­si­on darüber gab, ob nicht »durch polizei­li­chen Zwang Umlegun­gen von Unter­mie­tern« erreicht werden sollten. Die Lehrer (der Unter­richt hatte am 2.10.1945 wieder begon­nen) beklag­ten sich wieder­holt über Störun­gen im Schul­haus durch einquar­tier­te Mitbe­woh­ner, die sich nicht an die Hausord­nung hielten.

Der Zustrom hielt an; noch im Frühjahr 1950 mußte allein Nord-Württem­berg 8000 Flücht­lings­fa­mi­li­en aus Schles­wig-Holstein aufneh­men. Auch zu diesem Zeitpunkt, als sich andern­orts die Verhält­nis­se zu norma­li­sie­ren began­nen, war es für Oberko­chen nur unter größten Schwie­rig­kei­ten möglich, mit Hilfe der altein­ge­ses­se­nen Indus­trie wenigs­tens zehn Famili­en ein Dach über dem Kopf zu ermög­li­chen. Welche Störun­gen des Famili­en­le­bens insge­samt, aber auch welche Gefähr­dun­gen der Gesund­heit das Zusam­men­pfer­chen vieler z.T. wildfrem­der Menschen mit sich brach­te, wird aus zahlrei­chen Einzel­be­mer­kun­gen der Proto­kol­le aus dieser schlim­men Zeit deutlich.

Unter diesen Umstän­den war es kein Wunder, daß damals über 200 000 Deutsche — darun­ter auch mehre­re Einwoh­ner Oberko­chens — auswan­dern wollten. An der Spitze der Wünsche stand Argen­ti­ni­en vor den USA und Südafri­ka. Anderer­seits war die Tatsa­che, daß sich bereits ab 1948 schnell über 135 Oberko­che­ner dem Heiden­hei­mer Theater­ring anschlos­sen, ein hoffnungs­vol­les Zeichen dafür, daß man sich nicht unter­krie­gen ließ. Immer­hin verkehr­ten zu dieser Zeit werktags zwischen Aalen und Heiden­heim schon wieder zehn Perso­nen­zü­ge (Eilzü­ge oder Verbin­dun­gen am Sonntag gab es nicht). Wer aller­dings gar nach Ulm wollte, brauch­te für 64 km volle zwei Stunden. Ein eigener Pkw war ein unerfüll­ba­rer Wunsch: mit ledig­lich 2,4 % aller in Württem­berg-Baden zugelas­se­nen Kraft­fahr­zeu­ge bilde­te der Kreis Aalen das Schlußlicht.

Doch kehren wir zu der Frage zurück, wie sich das zarte Pflänz­chen »Demokra­tie« unter den wachsa­men Augen der ameri­ka­ni­schen Militär­be­hör­den allmäh­lich entfaltete:

Noch im Jahre 1945 war der Aalener Landrat von diesen angewie­sen worden, überall für die Gründung von Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen zu sorgen. Rasch bilde­ten sich auch in Oberko­chen einige Jugend- und Sport­grup­pen, die aber größte Schwie­rig­kei­ten hatten, einen geeig­ne­ten Übungs­platz für den Sport (wo früher gespielt wurde, wuchs jetzt Gemüse) oder Räume für das Zusam­men­sein zu finden.

Am 27.1.1946 wählten 1284 Stimm­be­rech­tig­te 12 Gemein­de­rä­te auf zwei Jahre (über die politi­sche Zugehö­rig­keit der Gewähl­ten ist nichts bekannt). Am 7.12.1947 waren es dann schon — bei einer seitdem nie mehr erreich­ten Rekord­be­tei­li­gung von 88% — 1660 Wahlbe­rech­tig­te. Dabei konnte die CDU 8 Sitze errin­gen, die restli­chen Manda­te fielen an die unabhän­gi­ge freie Wähler­ver­ei­ni­gung, an die SPD und an die Wähler­ge­mein­schaft für den Neuauf­bau. Und gleich danach, am 1.2.1948, wurde — erstmals wieder durch die Bürger — mit Gustav Bosch der Mann gewählt, der in seiner dreißig­jäh­ri­gen Amtszeit zwischen 1948 und 1978 — darüber ist man sich heute wohl über alle Partei- und sonsti­gen Grenzen hinweg einig — Oberko­chen wie kein anderer zu dem geformt hat, was es heute ist.

Noch unter seinen Vorgän­gern Frank und Eber hatte der Gemein­de­rat Ende 1946 eine Haupt­sat­zung beschlos­sen, war Oberko­chen dem Württem­ber­gi­schen Gemein­de­tag beigetre­ten. Die Einfüh­rung einer Feuer­wehr­ab­ga­be für sämtli­che Männer von 18 bis 45 Jahren, Beratun­gen über eine geord­ne­te Müllab­fuhr, eine umfas­sen­de Bau- und Kanali­sa­ti­ons­pla­nung sowie die Befür­wor­tung des Baues einer biolo­gi­schen Kläran­la­ge waren andere zukunfts­wei­sen­de Maßnah­men mit dem Ziel einer schritt­wei­sen Normalisierung.

Aber auch noch knapp zwei Jahre nach Kriegs­en­de war »jedes Fastnachts­trei­ben auf öffent­li­chen Straßen und Plätzen sowie das Tragen von Gesichts­mas­ken auch in geschlos­se­nen Räumen« verbo­ten, mußte die Ernte durch Strei­fen­diens­te der Jungbau­ern »wie in den Vorjah­ren« gesichert werden, durfte man die Felder zwischen 21.30 und 6 Uhr nicht betre­ten. Die Wildschwein‑, Ratten‑, Maulwurf- und Wühlmäu­se­pla­ge war gewal­tig, der Gemein­de­rat mußte auch wieder­holt Gesuche um »Befrei­ung vom Kartof­fel­kä­fer­such­dienst« ablehnen.

Viele Solda­ten wurden noch festge­hal­ten: zum Weihnachts­fest 1947 begrüß­te der Gemein­de­rat ausdrück­lich einen Vorschlag von Bürger­meis­ter Eber, an alle Kriegs­ge­fan­ge­nen, soweit erreich­bar, einen Brief aus der Heimat abzusen­den. Fast täglich kamen noch über Jahre hinweg im Heimkeh­rerla­ger Ulm auch aus dem Raum Aalen-Oberko­chen ehema­li­ge Solda­ten aus Rußland und aus Polen an.

Als es 1956 um die Errich­tung eines Kriegs­op­fer­eh­ren­mals ging, zählte man in der Liste der durch den Zweiten Weltkrieg Umgekom­me­nen nicht weniger als 160 Namen (darun­ter auch einige Angehö­ri­ge von Flücht­lin­gen), 54 Männer blieben vermißt: ein hoher Blutzoll für das 1939 gerade 2000 Einwoh­ner zählen­de Oberkochen.

Oberkochen

1948–1968: Jahrzehn­te des Aufbaus

»Für die Gemein­de ist ein Heimat­buch in der Regel (ledig­lich) ein Reprä­sen­ta­ti­ons­ob­jekt, das sich vorzei­gen und bei den verschie­dens­ten Anläs­sen als Geschenk überrei­chen läßt. Man hat einen gewis­sen Respekt vor dem Inhalt und benützt es nicht oft.« (Gustav Schoeck, Mitar­bei­ter des Landes­denk­mal­am­tes Baden-Württem­berg, nach der Unter­su­chung von 43 Heimat­bü­chern aus Württem­berg im Jahre 1974).

Trotz mancher erfolg­ver­spre­chen­der Ansät­ze seit 1953, als Franz Balle seine »Blätter zu einem Oberko­che­ner Heimat­büch­lein« vorstell­te, gibt es bisher keine zusam­men­fas­sen­de Darstel­lung Oberko­chens. Wohl aber erschien, wie schon eingangs erwähnt, am 6.3.1953 unter dem Titel »Bürger und Gemein­de« auf Initia­ti­ve von Gustav Bosch erstmals ein Amtsblatt, dessen Umfang Ende 1992 über 28 000 Seiten betra­gen hat. Erst eine späte­re Genera­ti­on wird würdi­gen können, welch getreu­es Spiegel­bild der Entwick­lung dieser in keine übliche Schablo­ne passen­den Gemein­de Oberko­chen durch »Bürger und Gemein­de« ermög­licht wird. Nach den Vorstel­lun­gen des Bürger­meis­ters sollte dieses Gemein­de­blatt (weit über den Abdruck von amtli­chen Bekannt­ma­chun­gen hinaus) der »vollkom­me­nen Unter­rich­tung der Bürger eines demokra­ti­schen Gemein­we­sens« dienen. Listi­ger­wei­se fügte er nach dem entspre­chen­den Gemein­de­rats­pro­to­koll hinzu, das Blatt sei auch »wegen des ungeeig­ne­ten Stimm­ver­mö­gens des Amtsdie­ners« erfor­der­lich gewor­den. Die folgen­den Ausfüh­run­gen stützen sich stark auf die vielen verschie­den­ar­ti­gen Beiträ­ge, Bekannt­ma­chun­gen und Statis­ti­ken, aber auch auf den Werbe­teil dieses Amtsblat­tes. Eine gute Orien­tie­rung über das Wachsen Oberko­chens ermög­li­chen heute aber auch die insge­samt fünf Adreß­bü­cher ab 1959 und die 1968 bzw. zuletzt 1993 über die Stadt erschie­ne­nen Bildbände.

Zunächst zur Entwick­lung der Einwoh­ner­zah­len der über lange Zeit hinweg größten Wachs­tums­ge­mein­de Baden-Württem­bergs (z.T. gerun­de­te Zahlen): Vom Zusam­men­bruch bis zum Jahre 1950 mußten nicht weniger als 1100 Menschen zusätz­lich unter­ge­bracht werden, 1950 hatte der kleine Ort bereits 3700 Einwoh­ner. Aber zehn Jahre später, im Jahre 1960, hatte sich die Einwoh­ner­zahl mit 7864 mehr als verdop­pelt. Trotz des »Mauer­bau­es« am 13.8.1961 kamen zunächst weiter­hin viele Leute nach Oberko­chen. 1970 war mit 8731 Einwoh­nern das bishe­ri­ge Maximum zu verzeich­nen. Obwohl in jüngs­ter Zeit — nicht zuletzt wegen der deutschen Wieder­ver­ei­ni­gung und der im Frühjahr 1989 einset­zen­den Zuwei­sung von Asylbe­wer­bern — die Einwoh­ner­zahl wieder zunimmt, wurde dieser Höchst­stand auch mehr als zwei Jahrzehn­te danach noch nicht wieder ganz erreicht.

Eine wesent­li­che Ursache dafür ist die wie überall stark geschrumpf­te Zahl der Neuge­bo­re­nen: 1962 war mit 183 ein Rekord regis­triert worden, für 1958–67 ergab sich ein Durch­schnitt von immer­hin 163 Kindern pro Jahr. Die Vergleichs­zahl für 1968–77 ergibt nur noch 96. Der absolu­te Tiefpunkt war dann 1984 mit 63 Neuge­bo­re­nen; 1992 waren es 64. Ferner: die von Anfang an schwie­ri­ge Beschaf­fung von ausrei­chen­dem und — gerade auch für junge Famili­en — erschwing­li­chem Wohnraum gehört ebenfalls zu den Haupt­merk­ma­len der Oberko­che­ner Nachkriegs­zeit. Im Herbst 1950 hatte man (bei 3700 Einwoh­nern) noch 73 Notwoh­nun­gen gezählt; nach dem Stand v. 1.3.1953 waren in einer Vormerk­lis­te für Wohnungs­su­chen­de rd. 600 Perso­nen verzeich­net, 280 Perso­nen wohnten in sogen. Elends­quar­tie­ren. Die Massen­flucht aus der »Ostzo­ne« überroll­te gleich­sam den Ort; anderer­seits bot »die boden­stän­di­ge Indus­trie und die Firma Zeiss-Opton Arbeits­plät­ze, Anlern- und Aufstiegs­mög­lich­kei­ten, um die uns viele Schick­sals­ge­fähr­ten in anderen Teilen der Bundes­re­pu­blik benei­den« (so der damali­ge Gemein­de­rat Josef Menzl, dessen nüchter­ne Analy­se der Rückkehr­chan­cen in die frühe­re Heimat auch heute noch beein­druckt, im April 1953). Ebenfalls 1954/55 stand die Erfas­sung der Elends­quar­tie­re (»weniger als vier qm je Person, keine Küche oder Kochni­sche bei Zweiper­so­nen­haus­halt«) immer wieder zur Beratung an. Nach Gustav Boschs Beobach­tun­gen hatten »viele Vermie­ter ihre Häuser vom Keller bis zur Bühne mit Menschen vollge­stopft«, wider­wär­ti­ge Strei­tig­kei­ten in den überbe­leg­ten Häusern waren an der Tages­ord­nung. Die schließ­lich zum 1.7.1962 von außen her verfüg­te Aufhe­bung der Wohnraum­be­wirt­schaf­tung kam zumin­dest für Oberko­chen zu früh. 1956 waren seit der Währungs­re­form (1948) 930 Wohnun­gen bezugs­fer­tig erstellt worden; nur vier Jahre später waren es bereits 1487, davon allein 336 im Jahre 1957. Über 2061 (1967) und 2539 (1974) ging es in verlang­sam­tem Tempo weiter. 1992 schließ­lich waren seit 1948 rd. 3 400 Wohnun­gen bezugs­fer­tig gewor­den — eine gewal­ti­ge Leistung!

Die trotz aller Schwie­rig­kei­ten stürmi­sche Entwick­lung Oberko­chens nach 1945 vom Dorf zur statt­li­chen Klein­stadt erreg­te natur­ge­mäß nicht nur bei den unmit­tel­ba­ren Nachbarn einiges Aufse­hen, wenn nicht gar mit ein bißchen Neid gepaar­te Bewun­de­rung. Mit Blick auf die Entwick­lung der Einwoh­ner­zah­len, die nicht zu überse­hen­de enorme Bautä­tig­keit, vor allem aber auch unter Hinweis auf die Schaf­fung von mehre­ren tausend Arbeits­plät­zen in der ortsan­säs­si­gen Indus­trie (deren Entwick­lung ist Thema eines anderen Beitra­ges) war allent­hal­ben zu hören, Oberko­chen sei eine wohlha­ben­de, ja reiche Stadt — ein Vorur­teil, das bis heute nicht auszu­rot­ten ist!

Vorweg ein paar »inter­ne« Beispie­le aus jünge­rer Zeit, welche diese Meinung vielleicht verständ­li­cher werden lassen:

Bei der Verab­schie­dung des Haushalts­pla­nes 1985 stell­te ein Stadt­rat, was die Finanz­la­ge angeht, fest: »Für Oberko­chen besteht noch ein sehr großer Spiel­raum … (Es) ist in seiner Größen­ord­nung die gesün­des­te Stadt in Baden-Württem­berg, und dies bei einer intak­ten Infra­struk­tur!« Beim Einbrin­gen des Haushalts­pla­nes 1986 sprach der Stadt­käm­me­rer mit Blick auf die Finanz­aus­gleichs­um­la­ge an das Land und den Anteil Oberko­chens an der Kreis­um­la­ge von dessen Rolle als »Zahlmeis­ter beim Finanz­aus­gleich«. Dabei hat sich inzwi­schen durch unauf­schieb­ba­re Aufga­ben vielfäl­ti­ger Art auch im »reichen« Oberko­chen die Verschul­dung pro Kopf deutlich erhöht!

Dieser Ruf, eine wohlha­ben­de und finanz­star­ke Gemein­de zu sein, die sich viel leisten könne, beglei­tet Oberko­chen seit Jahrzehn­ten: schon wenige Wochen nach ihrem Wieder­erschei­nen gab es für die Aalener Volks­zei­tung im Herbst 1949 gar keinen Zweifel daran, daß Oberko­chens »Klugheit, Weitsicht und Einsicht in diesem Tal der Arbeit einen bedeu­ten­den Beitrag für unsere ganze Volks­wirt­schaft leisten« würden.

Oberkochen

Überre­gio­na­le Aufmerk­sam­keit zog Oberko­chen am 1.5.1954 auf sich, als Bundes­prä­si­dent Profes­sor Heuss in die Gemein­de kam (aus der Rückschau zusam­men mit der Stadt­er­he­bung am 29.6.1968 wohl der strah­lends­te Tag der Nachkriegs­zeit). Er hob dabei u.a. hervor, die Verpflan­zung der Carl-Zeiss-Stiftung aus Jena sei voll und ganz gelun­gen; es sei den Zeiss-Leuten gut bekom­men, nun hier im Lande der Schwa­ben zu arbei­ten. Ausführ­lich ging das Staats­ober­haupt dann auf die damals heftig umstrit­te­ne Frage der Einfüh­rung der Fünf-Tage-Woche bei vollem Lohnaus­gleich ein. Nur wenige Monate danach kamen die 3000 Werks­an­ge­hö­ri­gen als erste in der gesam­ten feinme­cha­nisch-optischen Indus­trie in den Genuß dieses »sozial­po­li­ti­schen Ereig­nis­ses ersten Ranges«.

Oberko­chen war damals in der Tat seinen Nachbarn um einiges voraus. Mit Schmun­zeln liest man heute nach, Ende 1955 seien »die märchen­haf­tes­ten und schreck­lichs­ten Vorstel­lun­gen von Millio­nen­ge­schen­ken der Firma Zeiss, die mit der Entfer­nung der Redak­tio­nen vom Nachrich­ten­ort zu steigen schie­nen«, durch den Blätter­wald gegeis­tert. Ein benach­bar­ter Bürger­meis­ter habe sich bei seinem Kolle­gen Bosch verge­wis­sern wollen, »daß hier jetzt nur noch die Millio­nen gezählt würden«. Das »böse Oberko­chen wolle den umlie­gen­den Arbei­ter­wohn­ge­mein­den nun auch noch die Pendler wegzie­hen«. Diese heiter ironi­sie­ren­den Bemer­kun­gen stammen von dem frühe­ren Gemein­de­rat Hans Schmid, der als kriti­scher Beobach­ter das Niveau von »Bürger und Gemein­de« von Anfang an weit über das vergleich­ba­rer Amtsblät­ter hinaus­ge­ho­ben hat. Übrigens war die Sorge der Nachbarn nicht völlig unbegrün­det: zum Jahres­en­de 1955 zählte Oberko­chen bei 6120 Einwoh­nern 6089 Arbeits­plät­ze; 3732 oder 61% der Beschäf­tig­ten waren Einpendler.

1959 wandte sich eine süddeut­sche Univer­si­täts­stadt in einem Amtshil­fe­er­su­chen an die Stadt Aalen. Die Anschrift »An die Stadt Aalen, Kreis Oberkochen/Württemberg« regis­trier­te man am Kocher­ur­sprung mit Vergnü­gen. Und als schließ­lich im Herbst 1964 beim Finanz­amt Aalen ein neuer Vorste­her einge­führt wurde, meinte der damali­ge Finanz­mi­nis­ter Müller, eigent­lich müsse man ja das Finanz­amt aus Aalen nach Oberko­chen legen. Drei Jahre zuvor waren auf einen Schlag gleich 210 Kandi­da­ten des gehobe­nen Verwal­tungs­diens­tes anläß­lich eines Planspie­les der Verwal­tungs­schu­le Stutt­gart unter dem Leitwort »Oberko­chen wächst weiter« hier einge­fal­len, um an Ort und Stelle hinter die angeb­li­chen Geheim­nis­se des rasan­ten Aufschwun­ges Oberko­chens zu kommen.

Nicht nur an Stamm­ti­schen tauch­te schon damals die Idee von einer »Stadt« Oberko­chen auf. Fast am selben Tag wie diese »Beamten­in­va­si­on« hat der Gemein­de­rat mit 15:1 Stimmen bei einer Enthal­tung einen entschei­den­den Schritt in diese Richtung getan: die Gemein­de sollte am Eugen-Bolz-Platz ein neues Rathaus erhalten.

Die Einwoh­ner­zahl betrug rd. 8000, im Vergleich zu 1939 hatte sie um 300% zugenom­men. Wo gab es etwas Vergleich­ba­res zumin­dest außer­halb des Ballungs­rau­mes Stuttgart?

Nicht zuletzt, um Überschnei­dun­gen mit anderen Beiträ­gen zu vermei­den, sollen an dieser Stelle die Betrach­tun­gen und Zahlen­an­ga­ben über Einwoh­ner­stand und Wirtschafts­kraft Oberko­chens abgebro­chen werden. Statt­des­sen können einige — auf den ersten Blick unwich­ti­ge — Streif­lich­ter aus den letzten Jahrzehn­ten, die mögli­cher­wei­se mehr als bloße Fakten die Entwick­lung hin zur Stadt­er­he­bung 1968 erhel­len, die damali­ge Grund­stim­mung veran­schau­li­chen. Als Ausgangs­punkt dienen die ersten Ausga­ben des Amtsblat­tes vor knapp vier Jahrzehnten.

Neun Vorstel­lun­gen allein zwischen Freitag und Sonntag — und das Woche für Woche: welch herrli­che Kinozei­ten waren das doch noch anno 1953! Der »Aufruhr in Marok­ko — ein spannungs­rei­cher Nordafri­ka-Film« lief jeweils um 22.15 Uhr, merkwür­di­ger­wei­se gleich­zei­tig aber auch als Jugend­son­der­vor­stel­lung am Sonntag um 13 Uhr. »Schnee­witt­chen und die sieben Zwerge« fanden über Ostern großen Zuspruch, aber auch die »erotisch-lüster­ne und die fraulich-mütter­li­che Eva aus Schwe­den« begeg­ne­te »einem Jüngling auf seinem Weg ins Leben« — selbst­ver­ständ­lich waren Jugend­li­che bei diesem Film nicht zugelas­sen. Ein wichti­ges Problem: nicht nur in der Dreißen­tal­stra­ße, wo sich das Kino befand, sondern vor allem im eigent­li­chen Ortskern sollten »der Hofraum, die Güllen­fäs­ser und Dungkar­ren zum Sonntag hin sauber aufge­räumt werden«. Weiter­hin lamen­tier­te man über den Zustand der öffent­li­chen Bedürf­nis­an­stalt beim Bahnhof sowie über leere Zuhörer­plät­ze bei den Gemein­de­rats­sit­zun­gen, über nächt­li­chen Unfug am Linden­brun­nen, rücksichts­lo­se Motor­rad- und Radfah­rer. Von Amts wegen wurde darauf hinge­wie­sen, daß die »Abgabe von geisti­gen Geträn­ken an Betrun­ke­ne« verbo­ten sei. Und der Sport­ver­ein jammer­te über »unerwünsch­te Zaungäs­te auf der (alten) Bundes­stra­ße oder dem Grasrain zwischen Straße und Bahnkör­per«. Ob der laufend gesuch­te Tulpen­dieb dann doch noch erwischt worden ist, ist nicht bekannt.

Zunächst verein­zelt, dann recht häufig wurde aber auch die »große weite Welt« in Oberko­chen sicht­bar: zwar gaben sich Bundes­prä­si­den­ten (neben Theodor Heuss war 1981 auch Carl Carstens hier) oder Bundes­kanz­ler (Profes­sor Ludwig Erhard) nicht gerade am Kocher­ur­sprung die Türklin­ke in die Hand; aber wer kennt all die Namen der vielen Minis­ter, Botschaf­ter, Gelehr­ten, Künst­ler und Sport­ler, die seitdem Oberko­chen besucht haben?

Auch der Humor kam nach langen Jahren, in denen es wirklich nichts zu lachen gegeben hatte, endlich wieder zu seinem Recht: Gustav Bosch konnte an den tollen Tagen des Jahres 1954 den Narren versi­chern, er schla­ge »aus Anhäng­lich­keit zur Gemein­de« die ihm angebo­te­ne Stelle als Zirkus­di­rek­tor aus. Im März dessel­ben Jahres wurde unter der Rubrik »Fremden­ver­kehr« mit Stolz vermerkt, daß unter den 92 Übernach­tun­gen nicht weniger als fünf von Auslän­dern stamm­ten. Ach ja, in der Dreißen­tal­stra­ße mußte wegen Raserei eine Geschwin­dig­keits­be­gren­zung auf 40 km/h ausge­spro­chen werden. Zum Jahres­wech­sel nahm das »Klauen des Christ­bau­mes« wieder überhand. Wie sich doch die Zeiten gleichen … Da der Inhalt der Abort­gru­ben häufig kurzer­hand in die Kanali­sa­ti­on entleert wurde, drohte der Bürger­meis­ter höchst­per­sön­lich »genaue Überwa­chung auch zur Nacht­zeit und zu früher Morgen­stun­de« an.

Als der Gemein­de­rat 1957 endlich »Auslands­luft« schnup­pern konnte (Besuch in der Schweiz bei der Appen­zel­ler Lands­ge­mein­de), wurde der aufmerk­sa­men Bürger­schaft offizi­ell mitge­teilt, alle Kosten seien »aus dem eigenen Beutel« bezahlt worden. Überhaupt herrsch­te damals offen­sicht­lich eine hohe Zahlungs­mo­ral: drei übermü­ti­ge junge Burschen, die zwei Lampen zertrüm­mert hatten, überwie­sen sogleich von sich aus 30 DM an die Gemein­de­pfle­ge. Weil 1959 »gewis­se liebe Mitbür­ger« die Mär hörten, die Beamten hätten eine Weihnachts­gra­ti­fi­ka­ti­on erhal­ten, wurde dies postwen­dend mit dem Kommen­tar: »Wie werden sich jetzt unsere verhin­der­ten Neidham­mel freuen!« als irrig korri­giert — erneut ein vergnüg­li­cher Beweis, wie volks­nah Demokra­tie sein kann.

Man sah sich damals im »Wirtschafts­wun­der­land« und offen­sicht­lich in beson­de­rem Maße auch in Oberko­chen indes vor ähnli­che Sorgen wie heute gestellt: zum 1. Mai 1961 formu­lier­te Fritz Fröhlich im Amtsblatt die bange Frage, ob angesichts der Tatsa­che, daß nur 60% der erwach­se­nen Bevöl­ke­rung Bücher lesen würden (wievie­le sind es heute?), nicht doch wenigs­tens »die Spur eines Zusam­men­hangs zwischen dieser Tatsa­che und der Modekrank­heit unserer moder­nen Gesell­schaft, der perma­nen­ten Lange­wei­le, besteht?«

Schon damals wurde alles schnel­ler, moder­ner, hekti­scher: im Jahr darauf wurde der bisher von vier bis sechs Pferden gezoge­ne Bahnschlit­ten durch ein Motor­fahr­zeug ersetzt (und gleich­zei­tig ein Stück Roman­tik aufge­ge­ben). Doch mit der Einfüh­rung der staub­frei­en Müllab­fuhr, der Eröff­nung des weit und breit moderns­ten Hallen­ba­des sowie der Einwei­hung eines später zur Vollan­stalt ausge­bau­ten Progym­na­si­ums wurden keines­wegs selbst­ver­ständ­li­che Schrit­te in die Zukunft getan.

Das gilt vor allem auch für den Ausbau des Straßen­net­zes: nach mehr als zwei Jahrzehn­ten häufig geänder­ter Planung konnte die Umgehungs­stra­ße Oberko­chens (die heuti­ge B 19) im Dezem­ber 1959 endlich dem Verkehr überge­ben werden. Als im Jahre 1967 die Gefahr bestand, daß die Trassie­rung der Bundes­au­to­bahn A 7 (Würzburg — Ulm) weiter von Aalen und Heiden­heim entfernt, als geplant, verlau­fen sollte, protes­tier­te die Planungs­ge­mein­schaft Württem­berg-Ost von Oberko­chen aus mit Nachdruck und mit Erfolg gegen dieses Vorha­ben. Es sollten aber nochmals rd. 20 Jahre verge­hen, ehe diese Autobahn, deren Bau kaum auf Protes­te gesto­ßen war, ab 1987/88 durch­ge­hend befah­ren werden konnte.

Diese Beispie­le wurden stell­ver­tre­tend für andere öffent­li­che Einrich­tun­gen ausge­sucht, die aus der Zeit vor oder kurz nach der Stadt­er­he­bung im Jahre 1968 stammen. Manche davon waren inzwi­schen zu renovie­ren oder zu erwei­tern. Inner­ört­li­ches Straßen­netz, Wasser­ver­sor­gung und Kläran­la­ge, Schul­ge­bäu­de, das Carl-Zeiss-Stadi­on, das Rathaus mit Hotel sind einige Stich­wör­ter dazu.

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Verhal­te­nes Wachs­tum seit der Stadterhebung

Seit Jahres­be­ginn 1967 setzte überall eine verstärk­te Diskus­si­on darüber ein, wann Oberko­chen endlich Stadt werden könne. Die Einwei­hung des neuen Rathau­ses am Eugen-Bolz-Platz im März d.J., die Errich­tung neuer Gemein­de­zen­tren der katho­li­schen und der evange­li­schen Kirchen­ge­mein­den, aber etwa auch die Wahl Oberko­chens als Sitzungs­ort der Bildungs­kom­mis­si­on des Deutschen Bildungs­ra­tes und insbe­son­de­re die glanz­vol­le Eröff­nung des Kultur­rin­ges Carl Zeiss (in wenigen Wochen lösten sich die Bamber­ger Sympho­ni­ker, das Theater in der Josef­stadt Wien, die Donko­sa­ken mit Serge Jaroff und Horst Jankow­ski mit seinem Chor ab) dokumen­tier­ten auch nach außen hin, daß dieses Gemein­we­sen nun die Bezeich­nung »Stadt« verdient habe. Unter dem Leitge­dan­ken »Perspek­ti­ven für das letzte Drittel des 20. Jahrhun­derts« referier­ten beim Kultur­ring in den nächs­ten Monaten einige Dutzend teilwei­se inter­na­tio­nal geschätz­te Wissen­schaft­ler vor einem stets großen Audito­ri­um über die Chancen und Gefah­ren der Zukunft — für einen Ort wie Oberko­chen eine großar­ti­ge Berei­che­rung. Am Rande sei auch noch eine bezeich­nen­de Kleinig­keit erwähnt: am Beginn des Jahres 1967 hatte die Gemein­de eine symbol­haf­te Spende von 100 DM an die von schwe­ren Unwet­tern geschä­dig­te Kunst­stadt Florenz geschickt. Eine noble und urbane Geste.

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Mit Beschluß der Landes­re­gie­rung v. 26.3.1968 war dann der Weg für die Festwo­chen im Juni dieses Jahres mit der offizi­el­len Stadt­er­he­bung frei.

Was im letzten Jahrzehnt der »Ära Bosch« geschah, war weniger spekta­ku­lär, aber trotz­dem wichtig: Bau von Alten­woh­nun­gen, Erschlie­ßung der Heide, Ausbau der Kanali­sa­ti­on und der Ortsdurch­fahrt, erneu­te Erwei­te­rung des Gymna­si­ums, neuer Bauhof, Sport­hal­le, erwei­ter­te Gewer­be­ge­bie­te. Über andere wichti­ge Einrich­tun­gen wie die 1978 gegrün­de­te Musik­schu­le wird an anderer Stelle dieses Buches mehr gesagt. Schon 1971 war durch die Firma Carl Zeiss das Optische Museum Oberko­chen eröff­net worden, das mit über 7000 Sammlungs­stü­cken auf seinem Gebiet rasch inter­na­tio­na­le Bedeu­tung gewon­nen hat.

Als dann Gustav Bosch im Febru­ar 1978 nach 30 Amtsjah­ren feier­lich in den Ruhestand verab­schie­det wurde, hat ihm der Gemein­de­rat einstim­mig »in dankba­rer Würdi­gung seiner hervor­ra­gen­den Verdiens­te um die Stadt Oberko­chen« das Ehren­bür­ger­recht verlie­hen. Im Ehren­bür­ger­brief heißt es u.a., sein Wirken sei richtung­wei­send »für die Entwick­lung Oberko­chens zu einer Stadt weltwei­ter indus­tri­el­ler Bedeu­tung« gewor­den, er habe »Oberko­chen aber auch den Charak­ter einer liebens­wer­ten Heimat für alle Bürger« bewahrt. An Silves­ter 1979 ist Gustav Bosch verstor­ben, die nach ihm benann­te Straße verbin­det den alten Ortskern mit dem großen Neubau­ge­biet Tierstein und führt unmit­tel­bar auf die kirch­li­chen und bürger­li­chen Zentren zu.

Der Nachfol­ger, Harald Gentsch, war am 4.12.1977 als klarer Sieger aus der Bürger­meis­ter­wahl hervor­ge­gan­gen, am 8.12.1985 ist er mit überwäl­ti­gen­der Mehrheit auf weite­re acht Jahre in seinem Amt bestä­tigt worden. Er fand bei seinem Amtsan­tritt natür­lich eine völlig andere Situa­ti­on als seiner­zeit Gustav Bosch vor. Schaut man zurück, sieht man, daß eigent­lich schon in der Zeit um die Stadt­er­he­bung herum die für eine Klein­stadt notwen­di­gen Einrich­tun­gen in ausrei­chen­dem Maße vorhan­den waren; die oft gerade­zu stürmi­schen »Gründer­jah­re« sind längst vorbei. Es galt — und gilt — nunmehr jedoch für alle Verant­wort­li­chen in erhöh­tem Maße, nicht gelas­sen auf das Erreich­te zurück­zu­schau­en oder dies gar ein wenig resignie­rend ledig­lich weiter­ver­wal­ten zu wollen. Vielmehr ist auf zahlrei­chen Gebie­ten ein gründ­li­cher Ausbau erfor­der­lich. Große Schrit­te sind in diese Richtung bereits getan worden oder stehen in naher Zukunft bevor. Dazu zählen die vieldis­ku­tier­te Stadt­kern­sa­nie­rung, das 1988 nach gründ­li­cher Renovie­rung neuge­stal­te­te Freizeit­bad »aquafit«, der Komplex Rathaus mit Bürgersaal/Hotel und ein Altenpflegeheim.

Indes­sen müssen wir, was die künfti­ge Entwick­lung dieser Stadt betrifft, noch ganz andere Gesichts­punk­te im Auge haben. Denn gerade in einer so hochin­dus­tria­li­sier­ten Gemein­de wird bei der Zukunfts­für­sor­ge zu berück­sich­ti­gen sein, daß der vielzi­tier­te Werte­wan­del während der beiden letzten Jahrzehn­te — um wenigs­tens einen einzi­gen Bereich heraus­zu­grei­fen — beson­ders auch an der geänder­ten Einstel­lung zum Verhält­nis Arbeit im Beruf — Freizeit zu beobach­ten ist: inmit­ten einer teilwei­se völlig neuen Sicht von Natur und Umwelt wird die Wochen­ar­beits­zeit wohl noch weiter sinken, die Urlaubs­dau­er wird länger werden, viele treten wesent­lich früher als in der unmit­tel­ba­ren Nachkriegs­zeit in den Ruhestand. Einrich­tun­gen wie das schon erwähn­te »aquafit«, die in den letzten Jahren zielstre­big in der ehema­li­gen evange­li­schen Kirche ausge­bau­te Stadt­bü­che­rei (mit ihrer Eröff­nung am 25.4.1981 fiel übrigens der von Bundes­prä­si­dent Carstens persön­lich vollzo­ge­ne Beginn des »Erdgas­zeit­al­ters« für Oberko­chen zusam­men), die Musik­schu­le oder die Volks­hoch­schu­le werden zuneh­mend an Bedeu­tung gewin­nen. Denn »Freizeit« bedeu­tet in ihrem eigent­li­chen Sinne »aktive freie Zeit« für Kreati­vi­tät, Kommu­ni­ka­ti­on. Zwischen den wichti­gen Mittel­städ­ten Aalen und Heiden­heim muß Oberko­chen, wenn es in einer Epoche großer Mobili­tät seinen bishe­ri­gen Rang als Klein­stadt mit einem dennoch beträcht­li­chen Wohn- und Lebens­wert erhal­ten will, für die Zukunft verstärk­te Anstren­gun­gen unter­neh­men. Die Ansät­ze sind geschaf­fen; auch bei eventu­ell zurück­ge­hen­der Finanz­kraft müssen sie, wenn auch in Stufen, ausge­baut werden.

Es wäre schließ­lich gewiß nicht ohne Reiz, in einer, was die Nachkriegs­ent­wick­lung angeht, so beson­ders inter­es­san­ten Stadt wie Oberko­chen nun noch die partei­po­li­ti­schen Strömun­gen und Tenden­zen näher zu verfol­gen. Doch mag eine pauscha­le Auflis­tung der Wahler­geb­nis­se mit dem Schwer­punkt auf der kommu­na­len Seite genügen: Bei den 13 Gemein­de­rats­wah­len seit 1947 sind bisher insge­samt 146 Sitze verge­ben worden. Dabei haben die CDU mit 46, die SPD mit 43 und die Bürger­ge­mein­schaft mit 42 Sitzen (die anderen Gruppie­run­gen spielen seit 1971 keine Rolle mehr) in etwa diesel­ben Antei­le errun­gen. Mit Rosema­rie Beythi­en war 1959 erstmals eine Frau in den Gemein­de­rat gekom­men; ab 1984 nahmen die Frauen jeweils 4 der 18 Sitze ein. Mit dem ehema­li­gen Stadt­rat Georg Brunn­hu­ber (CDU) wurde am 2.12.1990 erstmals ein Oberko­che­ner Bürger in den Deutschen Bundes­tag gewählt.

Oberkochen
Oberkochen

Wenige Wochen zuvor, am denkwür­di­gen Tage der deutschen Wieder­ver­ei­ni­gung am 3.10.1990, wurden im Oberko­che­ner Bürger­saal mit der Unter­zeich­nung der Urkun­den über die partner­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit zwischen Aalen, Jena und Oberko­chen im wahrs­ten Sinne des Wortes dieje­ni­gen »Grenzen« überwun­den, unter denen gerade auch die in Oberko­chen leben­den Menschen jahrzehn­te­lang zu leiden gehabt hatten. Die bei dieser Gelegen­heit geäußer­te Hoffnung, die einzel­nen Verein­ba­run­gen »im Geiste der Freund­schaft umgehend mit Leben erfül­len und in die Tat umset­zen« zu können, hatte sich für Oberko­chen auf inter­na­tio­na­ler Ebene schon längst erfüllt: denn seit dem 24.6.1984 besteht mit Dives-sur-Mer in der Norman­die eine auf festem Grund ruhen­de Partner­schaft. Seit Juni 1992 schließ­lich ist Oberko­chen auch mit der bei Venedig liegen­den Stadt Monte­bellu­na in Freund­schaft verbunden.

Derar­ti­ge Partner­schaf­ten müssen, wollen sie Bestand haben, über die offizi­el­le Seite hinaus »von unten« her getra­gen werden. Die Verbin­dung mit der franzö­si­schen Stadt war zunächst durch eine priva­te Bekannt­schaft, die mit der italie­ni­schen Kommu­ne auf Vereins­ebe­ne zustan­de gekom­men. Darüber hinaus haben auch andere unmit­tel­ba­re Begeg­nun­gen von Mensch zu Mensch, auch wenn man einige Ansät­ze in den 60er Jahren übergeht, schon eine Tradi­ti­on: im Sommer 1982 waren Jugend­li­che aus Neve Shalom, einer jüdisch-arabi­schen Gemein­schafts­sied­lung in Israel, durch Privat­in­itia­ti­ve nach Oberko­chen gekom­men; wenige Wochen danach gab es die ersten direk­ten Treffen zwischen der hiesi­gen katho­li­schen Kirchen­ge­mein­de und einer Pfarrei in Nairobi/Kenya.

In letzter Zeit hat die »junge Stadt am Kocher«, wie sich Oberko­chen auch noch 25 Jahre nach der Stadt­er­he­bung gerne nennen läßt, durch inter­na­tio­nal besetz­te Jazzfes­ti­vals und Sport­fes­te auf sich aufmerk­sam gemacht, das tradi­tio­nell reich­hal­ti­ge kultu­rel­le und sport­li­che Angebot ist dadurch um eine inter­es­san­te Palet­te berei­chert worden.

Oberkochen

Quellen­nach­weis:

Soweit nicht anders vermerkt, wurden für die Jahre 1945 bis 1952 vor allem die Gemein­de­rats­pro­to­kol­le und ab 1953 die einzel­nen Jahrgän­ge von »Bürger und Gemein­de« heran­ge­zo­gen. Darüber hinaus wurden zahlrei­che Einzel­mit­tei­lun­gen aus der Einwoh­ner­schaft ausge­wer­tet. Die allge­mei­ne Darstel­lung der deutschen Nachkriegs­si­tua­ti­on stützt sich in erster Linie auf die vielbän­di­ge Quellen­samm­lung »Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusam­men­bruch«, Berlin (o.J.).

Albert Seckler