Alfons Grupp — ein alter Oberko­che­ner erzählt

Es ist schon berich­tet worden vom alten und neuen Turm auf diesem Hausberg, im Volks­mund war die Rede immer nur vom Berg. Genannt wurde der Albver­ein Oberko­chen, dessen Mitglie­der von höher­ge­stell­ten Perso­nen bestand. Daß die Betreu­ung des Berges und deren Einrich­tun­gen nie erwähnt wurde, bedarf dieser Ausführungen.

Ausge­hend von Fritz Leitz wurde eine Rodel­bahn am Südhang durch die Wachhol­der­hei­de freige­macht und gegen­über über dem Sattel­ge­biet eine kleine Ski- und Rodel­schan­ze angelegt. Über dem Feld-Katzen­bu­ckel befand sich eine Sitzbank am Waldrand. Von da aus wurde ein Serpen­tin­weg, gleich Zickzack­weg, gegraben.

Das war schon vor dem ersten Weltkrieg.
Der Adel regier­te mit einer geziel­ten Stren­ge zur Kriegs­vor­be­rei­tung. Selbst die Schüler ab der 5. Klasse mußten im Schul­hof militä­ri­sche Marschübun­gen erler­nen. Bei einer solchen habe ich den Schritt­wech­sel nicht richtig ausge­führt, da haute mich der Lehrer Wörner mit der Faust in die Rippen­sei­te. Mit totaler Atemnot fiel ich in die Bohnen­stan­gen hinter dem Schul­haus in der Ecke.

Ab 1914 wurden die Jugend­li­chen ab 14 Jahre zum vormi­li­tä­ri­schen Jung-Deutsch­land heran­ge­zo­gen. Die Last des Krieges wurde immer stärker, die Sieges­aus­sicht immer schwä­cher. Wir Kinder mußten jeden Abend in die Kirche zum Rosen­kranz beten. Es wurde die Grußbie­tung einge­führt: Gott strafe England. Der Dankgruß: Gott strafe es. Auch Gott schüt­ze Deutsch­land — Gott schüt­ze es. Die neue Panzer­waf­fe der Englän­der brach­te die Front zum Zusam­men­bruch. Der verlo­re­ne Krieg für Deutsch­land war gekom­men. Die deutschen Solda­ten mußten zu Fuß aus Frank­reich nach Hause marschie­ren in ihre Kaser­nen, mit Waffen. Ich war Zeuge im Januar 1919 an einem Sonntag in Ulm bei einem Regiments­ein­marsch von der Kaser­ne zum Rathaus. Nun war es vorläu­fig aus mit Militär. Die Jugend mußte sich eine neue Betäti­gung suchen. Die Oberko­che­ner lernten Fußball in Unter­ko­chen. Das Turnen wurde wieder neu entdeckt. Der Skilauf nahm seinen Anfang. Es kam zur Gründung einer Skiab­tei­lung des schwä­bi­schen Albver­eins, Sitz Stutt­gart, in Oberko­chen, Vorstand wurde Hans Maier, damals Proku­rist bei Firma Leitz. Er brach­te von seinem Geburts­ort Heiden­heim die entspre­chen­de Erfah­rung mit. Ein entschei­den­der Förde­rer war Oberpost­in­spek­tor Mahler, gebür­ti­ger Oberko­che­ner, Sitz Stuttgart.

Zur Ausübung Winter­ski­lauf und Sommer­wald­lauf entdeck­te man den Volkmars­berg. Durch die Kriegs­ver­ar­mung setzte ein stärke­rer Wander­be­trieb ein. Seitens des hiesi­gen Albver­eins kam es zum Bau einer Block­schutz­hüt­te. Zu deren Unter­hal­tung und Schutz, auch der Bergflo­ra, wurde aus der Skiab­tei­lung eine Bergwacht gegrün­det. Ich wurde zu deren Leitung auser­wählt. So war jeden Sonn- und Feier­tag der Dienst oben. Werktags war die Hütte geschlos­sen. Ein Holzofen diente zum Heizen. Bei 10 — 20 Grad Kälte war es mühsam, den Raum zu erwär­men, da an der Ecke der Schnee herein­weh­te. Zum Verwei­len war ein überdach­ter Vorplatz mit zwei Tischen und Bänken. So wurde der Berg ein belieb­ter Wander­punkt aus der ganzen Umgebung. Die älteren Albver­ein­ler inter­es­sier­ten sich nicht für diese Einrichtung.

Verwöhnt vom Vorhan­den­sein des alten Turms wurde der Wunsch nach einem neuen Turm immer lauter. Durch Betrei­ben von Fritz Leitz kam es 1930 zum Bau eines neuen Turms von heute. Nun war es Aufga­be der vorge­nann­ten Bergwacht, den Turm zu betreuen.

Der Einwei­hungs­sonn­tag war vom Wetter begüns­tigt. Es war eine riesig große Besucher­an­samm­lung. In der Turmstu­be unten wurden die Eintritts­kar­ten verkauft. Prof. Nägele vom Haupt­vor­stand in Tübin­gen war anwesend, ebenso die Herren vom Gau. Ein Herr Emil Kopp hatte es schon vorher erfaßt, durch Erlaub­nis des Gemein­de­rats, einen Verkaufs­stand (Kiosk) zu erstel­len. Von dem Einwei­hungs­tag des Turms hatte er eine Ansichts­post­kar­te machen lassen, die er dann auf die Dauer zum Verkauf anbot. Der Preis war 10 Pf. Von Tübin­gen kamen dann verschie­de­ne, echte Foto-Turman­sichts­post­kar­ten, die zum Verkauf von der Bergwacht bestimmt waren, der Preis war 15 Pf. und damit schwe­rer absetz­bar. Durch die Arbeits­lo­sig­keit von 6 Mill. war die Verar­mung überall fühlbar, so auch hier. Dem Gemein­de­rat wurde zugetra­gen, daß sich auf dem Berg Auswär­ti­ge in der Badeho­se aufhiel­ten. Ein hoch religiö­ser Gemein­de­rat hat verlangt, die Bergwacht solle diese mit Prügeln verja­gen. Bei dieser Vorstel­lung ist es jedoch geblieben.

Der Bergwirt, Herr Kopp, mit Hausna­me Difte­le, auch bucklig Schnei­der genannt, wurde 1932 als Ortsgrup­pen­lei­ter der NSDAP einge­setzt und war damit der mächtigs­te Mann Oberko­chens. Er besaß im Ort einen Kaufla­den, wo die Leute aus Huldi­gung und zu ihrem Schutz dort einkauf­ten. Er war auch Jagdpäch­ter und vervoll­stän­dig­te bewaff­ne­te Macht.

Auch ging die Gesin­nung so weit, daß der Vorstand des Albver­eins in einer Versamm­lung im Neben­zim­mer in der Schell­wirt­schaft sagte: Hitler sei der geschei­tes­te Mann der Erde, wo ich als Zeuge dabei war.

Die Einnah­men vom Turm mußten an Fritz Leitz abgege­ben werden. Nach Jahren ließ Herr Kopp durch­bli­cken, daß er die Verwal­tung von Turm und Hütte überneh­men wolle. Eines Tages passier­te etwas: Als ich am Sonntag­früh auf den Berg kam zum Dienst, sah ich, daß das obere Fenster am Turm total einge­wor­fen war. Innen lagen mehre­re faust­gro­ße Steine. Nach Anzei­ge beim Landjä­ger Greiner, 29.9.35, kam er sofort, besah sich diese Sabota­ge; sprach kein Wort. Er durfte auch nichts unter­neh­men. Mir schien die Sache als Art Reichs­tag­brand Berlin. Am anderen Sonntag kamen zwei Herren vom Albver­ein und beschul­dig­ten mich, ich hätte das Fenster nicht geschlos­sen und der Sturm habe es einge­schla­gen. Die Sache wurde deutli­cher, als ich zu Kopp rüber­ging, um ein Bier zu holen. Da lag auf dem Verkaufs­sims eine Selbst­la­de­pis­to­le, etwa 7,65. Eine Woche später kommt der Vorstand vom Albver­ein und gibt mir bekannt, daß nun Herr Kopp die ganze Verwal­tung des Berges übernimmt, also Turm und Hütte.

Wir von der Bergwacht haben unsere Sachen geräumt und sind für immer abgezo­gen. Ich bekam noch einen kleinen primi­ti­ven Zettel, wo für unsere Diens­te gedankt wurde. In dem Turmstu­ben-Einbau­schrank lager­ten 4.000 dieser wertvol­len Ansichts­post­kar­ten, die von Tübin­gen gelie­fert wurden. Ob sie wohl heute noch vorhan­den sind? Es war 1936. Bis der Ami kam habe ich nichts mehr gehört vom Berg.

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