Vereinbarung über die partnerschaftliche Zusammenarbeit der Städte Jena, Oberkochen und Aalen
Mit einem sehr stilvollen Festakt wurde am »Tag der Deutschen Einheit« die Vereinbarung über die partnerschaftliche Zusammenarbeit der Städte Jena, Oberkochen und Aalen von Oberbürgermeister Dr. Röhlinger, Bürgermeister Gentsch und Oberbürgermeister Pfeifle unterzeichnet. Die Stadtkapelle hatte mit einem Platzkonzert vor dem Rathaus auf diese Feierstunde eingestimmt und ein gemeinsames Kammerorchester aus Mitgliedern der Musikschulen Aalen und Oberkochen-Königsbronn umrahmte die Vereinbarungsunterzeichnung im proppenvollen »Bürgersaal«.
In allen Ansprachen wurde die große Freude über das nun wieder geeinigte Vaterland zum Ausdruck gebracht. Die von den drei Städten abgeschlossene Vereinbarung soll dabei ein Beitrag zum Zusammenwachsen der Nation sein.
»Uns bewegen Gefühle, die wir nicht in Worte kleiden können. Es ist unfaßbar, überwältigend, einmalig die Tatsache, daß die beiden deutschen Staaten seit heute vereinigt sind«, eröffnete Bürgermeister Gentsch seine Ausführungen. Er, 1944 geboren, habe bisher nur die Situation zweier deutscher Staaten mit gegensätzlichen Regimen gekannt. Im Westen die jeden Tag zu kämpfende und zu lebende Demokratie, im Osten in der Konsequenz das brutale Gegenteil. Es gehe mit ihm, so Bürgermeister Gentsch weiter, sicherlich vielen Bürgern des nun geeinigten Deutschlands so, daß die geschichtliche und historische Tragweite dieses Tages noch gar nicht richtig verarbeitet werden kann.


Trotz ständiger Bemühungen aller politischen Kräfte konnte vor einem Jahr niemand ernsthaft daran denken, daß nun wieder ein geeinigtes Deutschland im freien Demokratiebewußtsein vorhanden ist. Er gedenke in dieser Stunde in Dankbarkeit all deren, die diesen Prozeß der Zusammenführung ermöglicht haben. Was die Zukunft anbelangt sind die Probleme in unserem Land nun gemeinsam zu bewältigen. Dabei müsse aber stets ein klares Ziel im Auge behalten werden, nämlich das geeinigte Europa. In seiner Rede vergaß das Oberkochener Stadtoberhaupt nicht darauf hinzuweisen, daß die Trennung beider deutscher Staaten viel Unrecht, Sorgen und Nöte mit sich gebracht hat. Besonders in Oberkochen sei das Schicksal der geteilten Nation sehr deutlich geworden. Das Unternehmen der Firma Carl Zeiss, das nach dem Kriege in Oberkochen angesiedelt wurde, habe hier eine blühende Entwicklung genommen. Oberkochen, als kleines Industrie- und Bauerndorf, wurde plötzlich mit einer anderen Welt konfrontiert. Das Schicksal des geteilten Vaterlandes werde kaum irgendwo deutlicher spürbar als in Oberkochen, erklärte der damalige Bundespräsident Theodor Heuss bei seinem Besuch unter dem Volkmarsberg am 1. Mai 1954. Ein Drittel der Oberkochener Bevölkerung stamme aus Jena. Ein weiteres Drittel aus den übrigen Teilen unseres ehemaligen und jetzigen Landes und ein Drittel sind alte Oberkochener. Es lag daher schon immer auf der Hand, mit Thüringen und mit Jena in Kontakt zu treten. Diese Möglichkeiten sind nun gegeben. So biete es sich an, zusammen mit Aalen, der Stadt Jena die Hand zu reichen, um miteinander zum Wohle der allen drei Kommunen anvertrauten Bürger die Zukunft zu meistern. Dies soll auf kommunaler Ebene, im kulturellen Austausch, in den wissenschaftlichen Begegnungen und im menschlichen Miteinander geschehen. Ziel müsse dabei immer ein geeinigtes Europa in einer friedlichen Welt sein.
Wenn sich spätere Generationen mit der Geschichte dieser letzten 100 Jahre des zweiten Jahrtausends auf deutschem Boden beschäftigen werden, so die überzeugende Aussage von Aalens Oberbürgermeister Pfeifle, dann werden zwei Eckdaten ins Auge springen: auf der einen Seite die beiden von Deutschen willkürlich vom Zaun gebrochenen Weltkriege, die unsägliches Leid nicht nur über unser Volk, sondern über die meisten Völker der Erde gebracht haben und dann, daß das Jahrhundert kurz vor Schluß doch noch eine dramatische, so nicht erwartete Wende zum Guten genommen hat. Dank der friedlichen Revolution der ehemaligen DDR-Bürger, die ermöglicht und begünstigt wurde durch die Öffnungspolitik des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow, konnte der Verfassungsauftrag des Grundgesetzes verwirklicht werden. In der Präambel heiße es abschließend darin: »Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden«. Mit dem heutigen Tag, der rechtlichen Vollendung der deutschen Einheit, werde mit großer Hoffnung und Zuversicht ein neues Kapitel der deutschen Geschichte aufgeschlagen. Damit nun wirklich bald das zusammenwächst, was zusammengehört, bedarf es jedoch noch großer Anstrengungen, insbesondere der Solidarität der Menschen hier bei uns mit den Menschen in der ehemaligen DDR. Es bedarf dazu einer breiten Palette von Maßnahmen. Ein kleiner Mosaikstein in diesem Geschehen ist, so Oberbürgermeister Pfeifle weiter, die interkommunale Zusammenarbeit. Das Fundament hierfür und damit auch das Fundament eines künftigen Wiederaufbaus in der ehemaligen DDR bilden die Gemeinden. Wenn die Städte in der ehemaligen DDR rasch in die Lage versetzt werden, ihren wichtigen Aufgaben gerecht zu werden, dann werden auch die Länder bald erblühen und ist auch ein sinnvoller wirtschaftlicher Aufbau möglich. Deswegen, so Oberbürgermeister Pfeifle wörtlich an seinen Jenaer Kollegen, »strecken wir den Bürgern Ihrer Stadt die Hand entgegen. Laßt uns gemeinsam im vereinten Deutschland, im zusammenwachsenden Europa dafür arbeiten, daß Gewalt und Unfreiheit nie mehr eine Chance bekommen, daß die Bürger frei von ökunomischer und sozialer Furcht leben können und daß uns auf Dauer der Frieden erhalten bleibt.«
Es ist uns in den letzten Stunden und gerade jetzt ganz besonders deutlich geworden »wir sind ein Volk«, stellte Jenas Oberbürgermeister Dr. Röhlinger unter dem starken Beifall der Festgäste heraus. Er zeigte sich sehr bewegt angesichts der Tatsache, daß die Bürger der ehemaligen DDR wieder das Lied der Deutschen, dieses war zu Beginn des Festaktes angestimmt worden, singen dürfen. Dr. Röhlinger sprach weiter von den Demonstrationen vor einem Jahr in der Jenaer »St. Michaels-Kirche«. Dies waren bewegende Augenblicke, aber auch Augenblicke der Angst. Sehr dankbar zeigte sich der Sprecher, daß mit dem heutigen Tag ein kommunalpolitisches Signal gesetzt werde.
Seit Mai dieses Jahres sei nun die neue Kommunalverwaltung in Jena im Amt. Sie gehe dort ihren Weg mit kleinen, zögerlichen und auch mit Angst behafteten Schritten. Die Bürger seiner Stadt seien daher dankbar für das Wohlwollen, das ihnen aus der ostwürttembergischen Region entgegengebracht werde. Es sind keine leichten Schritte, mit denen die vor uns stehenden Probleme zu lösen sind. Ziel ist es aber, ein gutes Klima zur Lösung der komplizierten Aufgaben zu stellen. Dr. Röhlinger verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, daß sich Jena, Oberkochen und Aalen in möglichst vielen Bereichen recht offen treffen mögen. Gemeinsam angegangen werde dieses mit Sicherheit nicht leichte Unterfangen aber bestimmt bewältigt werden können.
Nachdem die drei Stadtoberhäupter die Vereinbarungen unterzeichnet hatten, stellte sich der Vorstandssprecher der Firma Carl Zeiss, Dr. Skoludek, er sprach zugleich im Namen des Hauptgeschäftsführers von Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH, Dr. Gattnar, als stolzer Taufpate dieses neuen Dreierbundes vor. Für ihn als ehemaligen Jenaer Studenten und heutigen Zeissianer sei diese Zusammenarbeit der drei Städte ein besonderes persönliches Ereignis.
Daß es trotz der Wirren der Nachkriegszeit überhaupt noch Zeiss-Betriebe gebe, ist den Zeissianern in Ost und West zu verdanken. Sie seien motiviert gewesen durch ihren Selbsterhaltungstrieb und durch die Ideen von Ernst Abbé, der vor 101 Jahren die Carl Zeiss-Stiftung schuf. In seinen weiteren Ausführungen sagte Dr. Skoludek wörtlich: »Die Industrie als Katalysator für eine freundschaftliche Zusammenarbeit von drei Städten erfüllt eine vornehme Aufgabe. Dieses Band soll vor allem die vielen Menschen wieder zusammenführen, die verwandt und befreundet sind und für Jahrzehnte auseinandergerissen wurden. Wir werden menschlich und organisatorisch voneinander lernen«.
Landrat Dr. Winter brachte ebenfalls seine große Freude über die neue Partnerschaft zum Ausdruck. Die Menschen drüben sehen mit Zuversicht dem nun geeinten Deutschland entgegen. Endlich sei der Todesstreifen zwischen den beiden Staaten ausgelöscht, die Schandgrenze ist gefallen. Diese neue Partnerschaft möge sich schnell mit Leben und die Stadt Jena positiv entwickeln, war der weitere Wunsch des Landrats. Ferner könne nun auch mit einer kontinuierlichen Annäherung der Zeiss-Betriebe in Ost und West gerechnet werden. Stelle man die Frage, was die Mitbürger der ehemaligen DDR in diese Gemeinschaft einbringen, ist zu sagen, daß sie es durch ihre friedliche Revolution geschafft haben, ein vereintes Deutschland herzustellen. Trotz aller Aufgaben und Probleme die noch bevorstehen, haben alle Bürger Anlaß dazu, sich über diese Vereinigung ehrlich zu freuen.
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