Am 11. April 1945 wurde das Eltern­haus von Hubert Winter beim Luftan­griff auf Oberko­chen zerstört, seine Mutter und seine Großmutter starben

Den Gestank hat Hubert Winter noch lange in der Nase gehabt. Den bitte­ren Gestank nach Rauch, der nach dem Luftan­griff auf sein Eltern­haus in der Luft hing. Das war heute vor 60 Jahren, am 11. April 1945. In den Trümmern starben acht Menschen, darun­ter Hubert Winters Mutter und seine Großmutter. Der damals Sieben­jäh­ri­ge kam mit dem Schre­cken davon.

Gegen 16.45 Uhr tauchen an diesem 11. April, einem Mittwoch, bei strah­len­dem Sonnen­schein fünf franzö­si­sche Flugzeu­ge über dem Dorf auf, kreisen über den beleb­ten Straßen, feuern mit ihren Bordwaf­fen auf Passan­ten und werfen ihre 25-Kilo-Bomben ab. Das Haus von Landwirt Eugen Winter in der Heiden­hei­mer Straße, das sogenann­te »Herrgotts­häf­ner-Haus«, erhält einen Volltref­fer, die Decke des Gewöl­be­kel­lers stürzt ein. 14 Menschen, Famili­en­mit­glie­der und Passan­ten, hatten im vermeint­lich siche­ren Unter­schlupf Schutz gesucht. Eugen Winter ist gerade mit Huberts älterem Bruder und seiner Tante Agnes auf dem Feld »In der Weil« beim Römerkeller.

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Hubert Winters Eltern­haus in der Heiden­hei­mer Straße in den 20er Jahren.

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Wie war das damals? Hubert Winter muss immer wieder an den 11. April 1945 denken.

»Ich kann mich nur noch daran erinnern, wie die Decke herun­ter­ge­kracht ist«, erzählt Hubert Winter heute. Er stand in den beißen­den Staub­wol­ken mit dem Rücken an die Wand gedrängt, unter einem kleinen, stehen­ge­blie­be­nen Vorsprung des Decken­ge­wöl­bes — vor sich den Kinder­wa­gen mit seinem drei Monate alten Bruder Roland, über den sich schüt­zend seine Mutter beugte. Auf einem Zettel hat er später die Situa­ti­on skizziert. Seine jünge­re Schwes­ter hatte sich zwischen Mostfäs­sern verkrochen.

»Als die Keller­de­cke wegge­bro­chen war, kehrten die Flugzeu­ge zurück und schos­sen auf die Überle­ben­den«, erinnert sich Hubert Winter. »Das war das Schlimms­te, als die Flieger zurück­ka­men«, sagt er und blickt gedan­ken­ver­lo­ren ins Leere. Macht ihm der Vorfall auch nach 60 Jahren noch zu schaf­fen? »Ich merk’ das schon noch«, meint er mit brüchi­ger Stimme. »Das ist für ihn schon schwer«, sagt seine Frau Irmgard. Winter wischt sich verstoh­len eine Träne aus dem Augen­win­kel, macht einen tiefen Schnau­fer und lächelt schwach.

Keinen Hass auf die Piloten

Als die Flugzeu­ge schließ­lich abdre­hen, bleiben acht tote Menschen zurück, darun­ter Hubert Winters Mutter, seine Großmutter und drei seiner Cousins. Er selbst kann nur mit Mühe unter den Trümmern hervor­ge­zo­gen werden, da ihn der Kinder­wa­gen einge­klemmt hat.

Hatte er damals einen Hass auf die Piloten? »Nein«, meint er, »als junger Mensch hat man da keiner­lei Aggres­si­on, das war ein Schick­sals­schlag«. Die Toten werden im katho­li­schen Schwes­tern­haus aufge­bahrt. Die Beiset­zung findet aus Angst vor Tiefflie­gern abends statt. Die Opfer werden in einem Sammel­grab auf dem katho­li­schen Fried­hof beerdigt.

Eugen Winter heira­tet danach die Schwes­ter seiner ums Leben gekom­me­nen Frau, eben jene Tante Agnes Brunn­hu­ber, gebore­ne Fischer, die bei dem Angriff ihre zwei Söhne verlor. Bereits 1943 war ihr Mann an der Ostfront gefal­len. Hubert Winter schüt­telt den Kopf. »Was muss das für ein Schlag für sie gewesen sein — inner­halb von zwei Jahren erst den Mann und dann die Söhne zu verlie­ren.« Eugen Winter baut auch das zerstör­te Haus wieder auf — mit dem Herrgott am Kreuz, der den Angriff, ja, wie durch ein Wunder, unbescha­det überstan­den hat. Heute befin­det sich in dem Gebäu­de das Gäste­haus Winter.

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Im wieder­auf­ge­bau­ten Gebäu­de befin­det sich heute das Gäste­haus Winter.

Hubert Winter wird nach dem Angriff zu seinem Onkel, einem Pfarrer, nach Augsburg »verschickt«. Da das Pfarr­haus zerstört ist, wohnt er in einer Wirtschaft bei der Pfarr­kir­che. Winter erinnert sich, wie er nicht nur einmal mit dem »Köffer­le« in der Hand nachts in den Keller gesprun­gen ist, als die Sirenen heulten.

Erst 1950 kehrt er nach Oberko­chen zurück, beendet die Schule, macht bei der Firma Bäuerle eine Schlos­ser­leh­re, arbei­tet — mit einer zweiein­halb­jäh­ri­gen Unter­bre­chung bei der Firma Alfing — 20 Jahre lang als Werkzeug­ma­cher, techni­scher Zeich­ner, Konstruk­teur und Leiter der gewerb­lich-techni­schen Ausbil­dung bei der Firma Zeiss und leitet von 1978 bis zur Pensio­nie­rung im Jahr 2000 das IHK-Bildungs­zen­trum in Aalen.

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Hubert Winter sucht seit langem Bilder, die nach dem Angriff von seinem zerstör­ten Eltern­haus aufge­nom­men worden sind. Kontakt: Telefon (07364) 7630.

Frank Bühl, Schwä­bi­sche Post

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