Berich­te, Gedan­ken, Meinun­gen Oberko­che­ner Bürger, — Streif­lich­ter und Erinne­run­gen und Auszü­ge aus den Proto­kol­len (bis 28.12.37) des Oberko­che­ner Gemein­de­rats zum III. Reich

Ein Mosaik

Oberko­chen war in der Weima­rer Zeit (1919 bis 1933) ein relativ armes Bauern- und Indus­trie­dorf, — relativ deshalb, weil durch die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­derts durch Unter­neh­mer­geist aufge­kom­me­ne Indus­tria­li­sie­rung, das heißt die Verla­ge­rung von Handwerk auf maschi­nel­le Produk­ti­on, Oberko­chen sich neben Remscheid und Schmal­kal­den bereits bis 1933 trotz aller Zeitwi­der­wär­tig­kei­ten einen immer­hin beacht­li­chen Platz in der Werkzeug­in­dus­trie für maschi­nel­le Holzbe­ar­bei­tung gesichert hatte. (vergl. J. u. M. Kämme­rer, Vom Dorf zur Industriegemeinde).

Die Weltwirt­schafts­kri­se war jedoch auch an Oberko­chen nicht spurlos vorüber­ge­gan­gen. Beson­ders schlecht war es — wie zu Beginn der Dreißi­ger­jah­re in ganz Deutsch­land — um die Arbeits­plät­ze bestellt.

Gegen Ende der Weima­rer Zeit gab es auch hier in Oberko­chen viele der berühm­ten 30 Partei­en, die, jede auf ihre Weise, in edlem oder weniger edlem Wettstreit Werbung für ihre Ideen betrie­ben. Lastwa­gen, mit Plaka­ten behan­gen und mit singen­den Gruppen auf der Pritsche, fuhren in den frühen 30er Jahren durch den Ort. Straßen und Wände wurden mit Parolen beklebt und beschmiert, wie das heute auch noch vorkommt.

Am 6.11.1932 fanden die letzten Wahlen zum Reichs­tag vor der Macht­er­grei­fung statt. 1001 Oberko­che­ner waren wahlbe­rech­tigt. Aus insge­samt 866 gülti­gen Stimmen entfie­len auf

Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsche Arbei­ter­par­tei: 201 Stimmen = 23,2 %
Deutsche Volks­par­tei: 1 Stimme
Zentrum: 477 Stimmen = 55,1 %
Sozial­de­mo­kra­ti­sche Partei Deutsch­land: 20 Stimmen
Kommu­nis­ti­sche Partei Deutsch­land: 113 Stimmen = 13,1 %
Deutsch­na­tio­na­le Partei: 31 Stimmen = 3,6 %
Deutsche Demokra­ti­sche Partei: 10 Stimmen
Christ­lich Sozia­ler Volks­dienst: 4 Stimmen
Bauern- und Weingärt­ner­bund: 5 Stimmen
sonsti­ge: 4 Stimmen

Die Zentrums­mehr­heit blieb in Oberko­chen bis über die Macht­über­nah­me hinaus stabil.

Der Bericht von Engel­bert Mager (s.v.), dem Sohn des 1946 verstor­be­nen Oberleh­rers Mager, gibt ein anschau­li­ches Bild vom weniger politi­schen Teil dieser Zeit.

Ergän­zend zu Herrn Magers Aufzeich­nun­gen sei erwähnt, daß man in Oberko­chen in einem Akt der Selbst­hil­fe gegen die Arbeits­lo­sig­keit aus der wirtschaft­li­chen Notsi­tua­ti­on heraus noch vor der Macht­er­grei­fung, 1932/33, unter großer Betei­li­gung Oberko­che­ner Arbeits­lo­ser und unter örtli­cher Baulei­tung (es gab eine Gruppe mit 19 Erwach­se­nen und eine Gruppe mit 27 Jugend­li­chen) in zwei Sektio­nen die Straße zum Volkmars­berg­gip­fel gebaut hatte.

Oberkochen

Die Macht­er­grei­fung 1933

Mit der Macht­er­grei­fung am 30.1.1933, zu deren Anlaß ein riesi­ger Fackel­zug durch den Ort marschier­te — abends wurden auf dem Rodstein Magne­si­um-Feuer abgebrannt — war, gezwun­ge­ner­ma­ßen, der »Partei­en­spuk« (ein Wort aus dem damali­gen Zeitjar­gon), beendet. Es gab sehr bald auch hier, wie überall, nur noch eine Partei, die NSDAP (Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsche Arbei­ter­par­tei). Alle anderen Partei­en wurden verbo­ten, die Gewerk­schaf­ten zerschla­gen, und durch die Deutsche Arbeits­front ersetzt.
»Nun war Ruhe da«, berich­te­te ein Oberko­che­ner. »Zumin­dest an der Oberflä­che«, würde ich ergänzen.

Oberkochen

Hitlers Ankün­di­gung vor der Macht­er­grei­fung »Gebt uns vier Jahre Zeit« … und daraus die Verspre­chen, daß die Lösung von allen Fesseln des Versailler Vertrags erfol­ge, — Vollbe­schäf­ti­gung, politi­sche und natio­na­le Erneue­rung und angemes­se­ne Macht­stel­lung inner­halb der damali­gen Großmäch­te, mußte auch auf die Oberko­che­ner Eindruck machen.

Wenn in den Jahren der ersten Begeis­te­rung, — das Wort bedeu­tet, daß in einen Menschen ein Geist hinein­ge­tra­gen wird, — jemand den anfäng­li­chen Gescheh­nis­sen und Erklä­run­gen nach der Macht­er­grei­fung ableh­nend, skeptisch oder ohne Begeis­te­rung gegen­über­stand, so waren es die in Oberko­chen sehr zahlreich vertre­te­nen Mitglie­der des Zentrums, einer der katho­li­schen Sozial­leh­re verpflich­te­ten Partei, die noch bei den Wahlen am 5. März 1933, also über zwei Monate nach der Macht­er­grei­fung mit fünf Sitzen, gegen­über drei Sitzen der NSDAP, im Oberko­che­ner Gemein­de­rat vertre­ten waren, — eine beacht­li­che Mehrheit, — und einige ältere Oberko­che­ner der Jahrgän­ge 1860/70, die in den Wirtschaf­ten am Stamm­tisch saßen. Hier befürch­te­te man instink­tiv, daß es wieder zum Krieg kommt. Es gab deutli­che Warnun­gen, die aus Erfah­run­gen oder aus dem Gefühl heraus kamen.

Zur »Macht­er­grei­fung« in Oberko­chen möchte ich einen Oberko­che­ner Bürger wörtlich zitie­ren: »Der von den Nazis erzwun­ge­ne Übergang — Macht­wech­sel genannt — vollzog sich für die Betei­lig­ten äußerst drama­tisch. Die SA (Sturm­ab­tei­lung) zog vor dem Rathaus auf, die bürger­li­chen Gemein­de­rä­te mußten um ihre Gesund­heit bangen, ihnen drohte bei Verwei­ge­rung ihres Rücktritts Schutz­haft auf dem Heuberg und anderes. Die nicht der NSDAP angehö­ren­den Gemein­de­rä­te wurden in dieser letzten Sitzung zum Rücktritt gezwun­gen. Unter Berufung auf die Partei wurden sie durch Männer der NSDAP ersetzt. Letzte­re wurden in den Gemein­de­rat berufen und nicht durch freie Wahlen von der Bürger­schaft gewählt. Das war erst nach 1945 durch freie Wahl der Bürger wieder möglich. Die Ablösung dieser Männer aus ihren kommu­na­len Ehren­äm­tern erfolg­te zielbe­wußt und für die Betei­lig­ten schmerz­haft und gefährlich.«

Die NSDAP hatte bereits vor diesem Gewalt­akt und vor der endgül­ti­gen Auflö­sung des Zentrums im Gemein­de­rat den Antrag gestellt, daß die beiden Zentrums­mit­glie­der mit der gerings­ten Stimmen­zahl zuguns­ten der NSDAP zurück­tre­ten sollten. Dieser Antrag war jedoch zurück­ge­stellt worden, da die »offizi­el­le Auflö­sung« des Zentrums unter politi­schem Druck bereits vor der Tür stand. Sie erfolg­te am 5.7.1933.

Bereits zwei Tage später (!) fand die geschil­der­te Macht­über­nah­me auf dem Oberko­che­ner Rathaus statt.

Hierzu das Proto­koll der Gemein­de­rats­sit­zung vom 7.7.1933:
Auszug aus der Nieder­schrift über die Verhand­lun­gen des Gemein­de­rats der Gemein­de Oberko­chen Bd. XXXV Seite 62

Verhan­delt am 7. Juli 1933
vor dem Gemein­de­rat
Anwesend: Stellv. Vors. und 7 Mitglie­der
Abwesend: Der Bürgermeister

§ 82
Zentrums­frak­ti­on
Der stellv. Vorsit­zen­de erklärt den Mitglie­dern der Zentrums­frak­ti­on, daß sie wohl darüber unter­rich­tet sein werden, daß die Zen
trums­par­tei sich aufge­löst habe. Damit sei die Voraus­set­zung für die ferne­re Zugehö­rig­keit der Zentrums­ge­mein­de­rä­te zum Gemein­de­rats­kol­le­gi­um entfal­len. Er forde­re sie daher auf, ihr Mandat nieder­zu­le­gen und die heuti­ge Sitzung sofort zu verlas­sen, damit die Ergän­zung des Gemein­de­rats durch die Ersatz­män­ner der N.S.D.A.P. Ortsgrup­pe Oberko­chen sofort durch­ge­führt werden könne. Der Ausschluß der in Frage kommen­den Gemein­de­rä­te sei eine zwangs­läu­fi­ge Folge ihres seithe­ri­gen ableh­nen­den Verhal­tens gegen­über der Gemein­de­rats­frak­ti­on der N.S.D.A.P.

Ohne eine Erklä­rung zu der Forde­rung des stellv. Vorsit­zen­den abzuge­ben verlas­sen die Herren

(folgen fünf Namen)

die Sitzung.

Der stellv. Vorsit­zen­de erklärt hierauf, daß er die vorge­nann­ten Herren als aus dem Gemein­de­rat ausge­schlos­sen betrach­te. Zur Herstel­lung der Beschluß­fä­hig­keit des Gemein­de­rats berufe er in densel­ben die Ersatz­män­ner der N.S.D.A.P. Ortsgrup­pe Oberko­chen und zwar die Herren (folgen drei Namen und Berufe).

Nach dem Gesetz v. 12.4.33 waren die Gemein­de­rä­te aufge­löst worden. Die Mitglie­der­zahl im Oberko­che­ner Gemein­de­rat wurde von zwölf auf sechs Mitglie­der herabgesetzt.

Aus einem Gemein­de­rats­pro­to­koll vom 23.11.33 wird ersicht­lich, wie ein NSDAP-Schrumpf-Gemein­de­rat (später wurden noch zwei Beigeord­ne­te bestellt) den bishe­ri­gen Bürger­meis­ter aufgrund seiner Anti-NS-Gesin­nung entmachtete:

Oberkochen/Oberamt Aalen
Nieder­schrift über die Verhand­lung des Gemein­de­rats am 23. Novem­ber 1933
Anwesend: Stell­ver­tre­ter des BM und fünf Mitglie­der,
zwei Manda­te nicht besetzt.

Der Bürger­meis­ter­amts­ver­we­ser eröff­net die Sitzung unter Bekannt­ga­be einer Zuschrift des Bürger­meis­ters, wonach dieser am 1. Dezem­ber des Jahres wieder seinen Dienst antre­ten will. Der Amtsver­we­ser gibt dem Gemein­de­rat zur Kennt­nis, daß zugleich in seiner Eigen­schaft als Ortsgrup­pen­lei­ter der NSDAP er sich an die Kreis­lei­tung Aalen, an die Gaulei­tung und durch die Kreis­lei­tung an das Kommis­sa­ri­at für Bezirks- und Körper­schafts­ver­wal­tung gewandt habe mit dem Ersuchen, die Wieder­amts­über­nah­me durch den Bürger­meis­ter zu verhin­dern. Er könne es von seinem Stand­punkt aus nicht verant­wor­ten, wenn er nicht alles unter­neh­me, um dafür zu sorgen, daß der BM für die Ausübung des Ortsvor­ste­her
amtes in der hiesi­gen Gemein­de nicht mehr in Frage kommt. Der seither in der Sache entstan­de­ne Schrift­wech­sel wird dem Gemein­de­rat zur Kennt­nis gegeben.

In der Ausspra­che kommt zum Ausdruck, daß es der Gemein­de­rat unter allen Umstän­den ablehnt, mit dem (seithe­ri­gen) Bürger­meis­ter zusam­men­zu­ar­bei­ten. Die frühe­re Einstel­lung des BM gegen die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Bewegung und die in dieser (NS Bewegung) tätigen Einwoh­ner von Oberko­chen verlan­ge es unbedingt, daß bezügl. der Ortsvor­ste­her­stel­le ein Wechsel eintritt. Außer­dem steht der Gemein­de­rat auf dem Stand­punkt, daß der BM gesund­heit­lich nicht mehr in der Lage ist, das Amt zu verse­hen. Es wäre unbedingt mit dem frühe­ren Zustand zu rechnen, daß der BM alljähr­lich einige Monate dienst­un­fä­hig ist, und daß hierdurch eben die Geschäfts­füh­rung des Bürger­meis­ter­amts wie seither sehr nachtei­lig beein­träch­tigt würde. Weiter kommt zum Ausdruck, daß der Gemein­de­rat zu der Überzeu­gung gekom­men ist, daß es der BM mit der Einrei­chung seines Pensio­nie­rungs­an­trags gar nicht ernst meinte, sondern hiermit nur ein Mittel finden wollte, um ihm unange­neh­men Ausein­an­der­set­zun­gen zu entgehen.

Der Gemein­de­rat beschließt:
1.) Dem Bürger­meis­ter mitzu­tei­len, daß der Gemein­de­rat nicht in der Lage ist, mit ihm irgend­wie zusam­men­zu­ar­bei­ten.
2.) von den vorste­hen­den Ausfüh­run­gen Kennt­nis zu geben: der Kreis­lei­tung Aalen der NSDAP der Gaulei­tung Württem­berg dem Kommis­sa­ri­at bei der Min.Abt.f. Bez.u.Körperschafts-Verwaltung in Stutt­gart und
3.) Letzte­res zu ersuchen, für eine ander­wei­ti­ge Beset­zung der hiesi­gen Ortsvor­ste­her­stel­le Sorge zu tragen.
Zur Beurkun­dung (folgen sechs Namen)

Durch Entschlie­ßung des Herrn Reichs­statt­hal­ters wurde der Bürger­meis­ter mit Wirkung vom 7.12.33 in den Ruhestand versetzt und sofort ein Amtsver­we­ser bestellt, der dann ab 14.7.34 als Bürger­meis­ter der Gemein­de die Geschi­cke Oberko­chens im III. Reich leitete.

Dies waren histo­ri­sche Ereig­nis­se, die an den Oberko­che­nern nicht spurlos vorbei gehen konnten, und die unwei­ger­lich zu Spannun­gen zwischen einer betrof­fe­nen Minder­heit mit der Mehrheit führen mußten, — zu Spannun­gen, die nur unter Kontrol­le gehal­ten werden konnten, weil das Régime, das örtli­che mit der Faust des überört­li­chen im Nacken, sich mit allen Mitteln durch­setz­te. Das Recht auf freie Meinungs­äu­ße­rung war abgeschafft, — nicht nur im Reich, — auch in Oberko­chen, wie später zu lesen sein wird.

Ein hervor­ra­gen­des Beispiel erster Auswir­kun­gen der Ausbrei­tung der NS-Ideolo­gie nach 1933 ist das Schick­sal der Oberko­che­ner »Krieger­ka­me­rad­schaft« (auch Militär­ver­ein), die kurz nach der Macht­über­nah­me 1933 verbo­ten wurde und weitge­hend im »Kyffhäu­ser­bund« aufging.

Oberkochen

Die Krieger­ka­me­rad­schaft war eine Verei­ni­gung von Vetera­nen des ersten Weltkriegs unter anderen Mitglie­dern. Aus den Proto­kol­len ist zu entneh­men, daß diese Verei­ni­gung zu den damals wohl größten Verei­ni­gun­gen Oberko­chens zählte. Am 16.2.1934 erschie­nen zu einer Versamm­lung im »Hirsch« nicht weniger als 205 Teilneh­mer! Auf einem nach dem Kirch­gang am Toten­ge­denk­tag 1933 aufge­nom­me­nen Photo vor dem Linden­brun­nen befin­den sich vorwie­gend Perso­nen aus diesem Kreis, — mit Zylin­der und Frack. Außer­dem sind einige Oberko­che­ner SA-Männer der ersten Stunde zu erken­nen, denen man übrigens recht skeptisch gegen­über­stand — was aus der Beschrei­bung der Vorgän­ge auf dem Rathaus nicht überrascht. Die SA hatte die Absicht, diesen Perso­nen­kreis ins Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche hinüber­zu­zie­hen. (Proto­koll der Krieger­ka­me­rad­schaft vom 12.2.1934: Ausschuß­sit­zung zum Thema »Einglie­de­rung der Krieger­ka­me­rad­schaft in die SA-Reser­ve II«). Nur ein kleiner Teil aller­dings zeigte sich dem neuen Gedan­ken­gut gegen­über aufge­schlos­sen. Nicht nur einmal bekam ich von befrag­ten Oberko­che­nern zu hören: »Der Hitler hatte es nicht leicht in Oberkochen«.

»Politisch« im eigent­li­chen Sinn waren weder die Krieger­ka­me­rad­schaft noch der Kyffhäu­ser­bund. Vielmehr waren sie beide Verei­ni­gun­gen, die die Tradi­tio­nen pfleg­ten, — nicht im Sinn eines zukünf­ti­gen Helden­tums, sondern vergleich­bar mit dem 1957 wieder- oder neuge­grün­de­ten Verein der »Solda­ten­ka­me­rad­schaft«, die damals noch »Solda­ten- und Krieger­ka­me­rad­schaft Oberko­chen« hieß. Nicht zufäl­lig ist das Bild vor dem Denkmal für die Gefal­le­nen des Ersten Weltkriegs, dem Linden­brun­nen, photo­gra­phiert. (1933). Die Kyffhäu­ser pfleg­ten altdeut­sches Gedan­ken­gut und sind offizi­ell nie aufge­löst worden. Der letzte Reichs­kriegs­tag fand 1939 in Kassel statt. Während des Kriegs lief nichts Bemer­kens­wer­tes, — jedoch soll erwähnt werden, daß aus den Kyffhäu­sern die »Schüt­zen­ab­tei­lung« hervor­ging, in der nur gedien­te Solda­ten aktiv sein durften.

Die Nazi-freund­li­chen Mitglie­der aus diesen Verei­ni­gun­gen, auch solche aus dem von den Nazis aufge­lös­ten »Stahl­helm«, schlos­sen sich der SA an, die aller­dings von vorne­her­ein klar zu erken­nen gegeben hatte, daß sie nur an »Linien­treu­en« inter­es­siert sei.

Oberkochen

Paral­lel zu diesen Verei­ni­gun­gen gab es eine Verei­ni­gung der Kriegs­ver­sehr­ten und Kriegs­hin­ter­blie­be­nen (NSKOV) — ähnlich dem heuti­gen VdK — von denen ein Bild aus dem Jahr 1937 existiert. Es zeigt die Mitglie­der und Krieger­wit­wen mit dem Bürger­meis­ter vor der katho­li­schen Kirche.

Ziemlich bald, noch 1933, begann sich die Gesamt­si­tua­ti­on zu verän­dern. Während vorher Arbeits­lo­sig­keit (1931 fünf, 1932 sechs Millio­nen Arbeits­lo­se) und Kurzar­beit an der Tages­ord­nung waren, und auch am Ort kein Arbeits­platz zu bekom­men war, die Bürger vielfach auf Neben­er­werb angewie­sen waren, das heißt, teilwei­se in der Landwirt­schaft, teils gleich­zei­tig in den Betrie­ben arbei­te­ten (man sagte, »die Fabrik­ler« hatten neben­her »a Baurasäch­le«), stell­ten die Oberko­che­ner Betrie­be ab 1934 in zuneh­men­dem Maße Leute ein, sodaß auch in Oberko­chen inner­halb weniger Jahre Vollbe­schäf­ti­gung herrsch­te und ein enormer wirtschaft­li­cher Aufschwung zu verzeich­nen war.

Aus den Geschichts­bü­chern ist zu entneh­men, daß zu diesem Zeitpunkt aller­dings nicht nur in Deutsch­land ein wirtschaft­li­cher Aufschwung erfolg­te, sondern daß die Weltwirt­schafts­kri­se (1929−1933) insge­samt ihren Höhepunkt überschrit­ten hatte, bezie­hungs­wei­se überwun­den war.

Es darf auch nicht überse­hen werden, daß spezi­ell in Deutsch­land, und in Oberko­chen im beson­de­ren, der Aufschwung das Ergeb­nis einer geziel­ten Wirtschafts­po­li­tik war, die ein fast explo­si­ons­ar­ti­ges Wachs­tum eines einzi­gen Indus­trie­zweigs, der Rüstungs­in­dus­trie, zur Folge hatte. Man kann sich heute darüber strei­ten, ob das apoka­lyp­ti­sche Ende bereits zu diesem Zeitpunkt vorge­zeich­net war oder nicht. Was bringt’s?

Genau­so­we­nig darf jedoch überse­hen und unter­schätzt werden, daß dieser wirtschaft­li­che Aufschwung — egal, wie er zustan­de kam, dem Hitler­re­gime enorme Sympa­thien einbrach­te, — seien wir ehrlich: ein enormer Aufschwung, der vier Jahre zuvor angekün­digt und de facto einge­trof­fen ist, mußte die Masse der Menschen beein­dru­cken, Menschen, die, wie ein Oberko­che­ner schil­der­te, als Arbeits­lo­se noch wenige Jahre zuvor, — zwischen 1929 und 1931 über den Langert nach Aalen laufen mußten, um dort ihre zwölf Mark Arbeits­lo­sen­geld abzuho­len. — Vortei­le wahrzu­neh­men, war und ist mensch­lich und verständ­lich; es wird wohl immer eine Minder­heit sein, die hier anders denkt.

Hierzu kamen Zug um Zug weite­re Vergüns­ti­gun­gen: die Einfüh­rung von Sozial­hil­fe jegli­cher Art, Kinder­geld, welches die vielen kinder­rei­chen Famili­en Oberko­chens beson­ders benötig­ten, Mutter­geld, Ausbil­dungs­hil­fen (um eine Mark pro Tag konnte man die Aufbau­schu­le besuchen), Sonder­zu­schüs­se für bestimm­te Hausty­pen, und so weiter.

Hierzu ist verbürgt, daß NSDAP-Mitglie­der leich­ter an die Gelder ranka­men als die Nicht­mit­glie­der. Es sind mir Fälle bekannt gewor­den, bei denen die Gelder zunächst nicht und dann erst nach energi­scher Inter­ven­ti­on bewil­ligt wurden. Die Jahrgän­ge 1921/22, die damals aus der Schule kamen, erhiel­ten zwar nur 15 Mark im Monat, im Beruf jedoch alsbald soviel, daß dies eine spürba­re Aufbes­se­rung für den Famili­en­haus­halt bedeu­te­te. Die Arbeits­zeit lief von morgens sechs/sieben Uhr bis abends fünf/sechs Uhr; auch an Samsta­gen wurde gearbei­tet, — zumin­dest bis zwölf Uhr, teilwei­se bis vier Uhr nachmittags.

Ab 1936/37 waren die Betrie­be bereits in der Lage, zusätz­lich zu inves­tie­ren. Eine gewal­ti­ge Bautä­tig­keit begann. Die Oberko­che­ner Firmen vergrö­ßer­ten sich fast ausnahms­los, — überall entstan­den Erwei­te­rungs­bau­ten, und neue Maschi­nen wurden angeschafft. Elektri­zi­tät gab es in Oberko­chen übrigens bereits im Ersten Weltkrieg. »Oberko­chen war doch kein Busch­dorf vor dem III. Reich«, wehrte sich ein Alt-Oberko­che­ner als er hörte, der Strom hier sei erst ab Hitler geflossen.

Nun war aber bereits kurz nach der Macht­er­grei­fung eine erste für Oberko­chen bedeu­ten­de Entschei­dung gefal­len. Die Brüder Leitz trenn­ten sich in der Produk­ti­on. Während Albert, vermut­lich auch aus ideolo­gi­schen Gründen (hier gibt es keine einhel­li­ge Meinung), in der Produk­ti­on von Holzbe­ar­bei­tungs­werk­zeu­gen und entspre­chen­den Maschi­nen verblieb, stell­te Fritz Leitz — ein heißer Draht zur politi­schen Führung war vorhan­den — auf einen eigenen Rüstungs­be­trieb um. Die Bautä­tig­keit hatte lange vor der juris­ti­schen Trennung im Jahr 1938 begon­nen. Der Betrieb Fritz Leitz war bereits 1939 überpro­por­tio­nal gewachsen.

Die Entschei­dung, ob man »in die Rüstung« gehe oder nicht, hing nicht nur mit der Größe und dem Unter­neh­mer­geist der Firma zusam­men, — das wird in Oberko­chen teilwei­se wohl falsch gesehen, — sondern war in unter­schied­li­chen Graden auch Einstel­lungs­sa­che gegen­über dem Rüstungs­ge­dan­ken und gegen­über dem dahin­ter­ste­hen­den Régime.

Hieraus entstan­den weite­re Spannun­gen im Ort, die leicht nachzu­voll­zie­hen sind, und die nicht auf die Seite gescho­ben werden können. So machte man in den Firmen Jakob Schmid und August Oppold keinen Hehl daraus, daß man sich dem Trend nicht anschlie­ße. Das heißt: Es war nicht nur so, daß man keine Rüstungs­auf­trä­ge bekam, — man wollte vielmehr auch keine. Wer die Situa­ti­on im III. Reich einiger­ma­ßen nüchtern überblickt, kann nachvoll­zie­hen, daß das bewuß­te »Nicht-Wollen« Auswir­kun­gen auch auf die weiter­lau­fen­de Produk­ti­on nach sich zog. Auf gut Deutsch: Man wurde aufgrund der Antihal­tung »geschnit­ten«.

Zwei Seiten hatte auch die Entwick­lung des Volks­schul­we­sens. Wenn wir erfah­ren, daß 1936 die Konfes­si­ons­schu­len aufge­löst wurden, und die katho­li­sche Konfes­si­ons­schu­le mit 39 Schülern noch ein Jahr weiter­lief, so liest sich das unver­fäng­lich. Man weiß ja: III. Reich . (Bericht V. Schrenk)

Ganz anders wird dieses eine Jahr beleuch­tet, wenn man erfährt, wie es zustan­de kam: Den Schülern hatte man zur Einfüh­rung der Deutschen Volks­schu­le einen Zettel mit nach Hause gegeben, den sie am nächs­ten Tag mit der Einver­ständ­nis­un­ter­schrift (Auflö­sung Konfes­si­ons­schu­len) wieder mit zur Schule bringen mußten. Viele Eltern liefer­ten diese Unter­schrift nicht, worauf sich eine Abord­nung von Schule und Partei auf den Weg zum Hausie­ren von Eltern­un­ter­schrif­ten machte. Die nach dieser Aktion verblie­be­nen Eltern protes­tier­ten unter Berufung auf das am 20.7.1933 zwischen dem Hl. Stuhl und dem Hitler­re­gime abgeschlos­se­ne Konkor­dat beim Schul­lei­ter und bewirk­ten die Belas­sung einer katho­li­schen Konfes­si­ons­schu­le, die dann aus 39 Schülern in einer Klasse bestand.

Einige wenige bröckel­ten im Lauf des Jahres ab, bis das »Klassen­ziel« der Partei erreicht war: Zu Beginn des neuen Schul­jahrs 1937 verkün­de­te der damali­ge Schul­lei­ter, es seien zu wenig Schüler für eine Schule übrig, — die Schule müsse geschlos­sen werden. Die Schüler sollten dann rüber in die Deutsche Volks­schu­le gehen. Da die Schüler nicht wußten wie und was, gingen die meisten nach Hause. Die Eltern, die ihre Kinder nicht umgehend in die Deutsche Volks­schu­le schick­ten, wurden wegen »Schul­schwän­zen« ihrer Kinder angegan­gen. Es hat Straf­be­feh­le gegeben.
Dafür war ab sofort am 20. April, Hitlers Geburts­tag, schulfrei…

Das entspre­chen­de Gemein­de­rats­pro­to­koll mit dem Titel »Katho­li­sche Bekennt­nis­schu­le — Antrag auf Aufhe­bung« vom 22. Dezem­ber 1936, schil­dert die Situa­ti­on wie folgt:

Gemein­de Oberko­chen
Beraten mit den Gemein­de­rä­ten am 22. Dezem­ber 1936
Anwesend: Der Bürger­meis­ter und sechs Gemein­de­rä­te. Normal­zahl sechs;
außer­dem anwesend: zwei Beigeord­ne­te und der Gemeindepfleger

Katho­li­sche Bekennt­nis­schu­le. Antrag auf Aufhebung.

Die bei der Einfüh­rung der Deutschen Volks­schu­le übrig­ge­blie­be­ne einklas­si­ge kath. Bekennt­nis­schu­le wird zur Zeit noch von 33 Kindern besucht. Die Zahl der Erzie­hungs­be­rech­tig­ten dieser Kinder beträgt 19. Nach einer dem Bürger­meis­ter vom Schul­lei­ter überge­be­nen Aufstel­lung über die Schüler­zah­len an der Deutschen Volks­schu­le beträgt der Klassen­durch­schnitt dort 61,5 Schüler.

Der Bürger­meis­ter beleuch­tet den Gemein­de­rä­ten die Auswir­kung dieser Schüler­zah­len hinsicht­lich des Schul­be­triebs der beiden Schulen und im Verhält­nis zuein­an­der. Als wesent­li­ches Merkmal ist dabei heraus­zu­stel­len, daß der geord­ne­te Schul­be­trieb an der Deutschen Volks­schu­le durch die Weiter­füh­rung der kath. Bekennt­nis­schu­le insoweit gefähr­det werden könnte, als die Schüler­zah­len an der Deutschen Volks­schu­le mit Rücksicht auf die starke Bevöl­ke­rungs­zu­nah­me der Indus­trie­ge­mein­de dauernd im Steigen begrif­fen ist, sodaß hierdurch eine Teilung dieser Klassen notwen­dig werden wird. Diese Teilung ist aber aus finan­zi­el­len Gründen zu einem nahelie­gen­den Zeitpunkt nicht möglich (Schul­raum­man­gel).

So wie sich die Schul­ver­hält­nis­se, bedingt durch die Schüler­zah­len, entwi­ckelt haben, ist ein geord­ne­ter Schul­be­trieb bei Weiter­be­stehung der kath. Bekennt­nis­schu­le nicht mehr durch­führ­bar und es erfor­dern die örtli­chen schul­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Verhält­nis­se dringend die Aufhe­bung der kath. Bekennt­nis­schu­le. Der Bürger­meis­ter stellt diese Frage den
Gemein­de­rä­ten zur Beratung mit der Auffor­de­rung evt. Beden­ken gegen seine Absicht, den Antrag auf Aufhe­bung der kath. Volks­schu­le zu stellen, vorzubringen.

Die beiden Beigeord­ne­ten haben in einer statt­ge­hab­ten Vorbe­spre­chung dieser Absicht des Bürger­meis­ters rückhalts­los zugestimmt. Die Gemein­de­rä­te bringen in der heuti­gen Beratung einstim­mig ihre Ansicht dahin­ge­hend zum Ausdruck, daß die schul­or­ga­ni­sa­to­ri­schen Verhält­nis­se wie auch die finan­zi­el­len Verhält­nis­se die Aufhe­bung der katho­li­schen Bekennt­nis­schu­le in Oberko­chen dringend erfor­dern. Der Bürger­meis­ter faßt hierauf folgende

ENTSCHLIE­ßUNG:

Den Herrn Württ. Kultmi­nis­ter zu bitten, aus eingangs angeführ­ten Gründen die Aufhe­bung der kath. Bekennt­nis­schu­le in Oberko­chen zu verfü­gen und gegebe­nen­falls die Verfü­gung möglichst mit Wieder­be­ginn des Schul­un­ter­richts auf 7. Januar 1937 in Kraft treten zu lassen.

Das Gemein­de­rats­pro­to­koll vom 21. Januar 1937 heißt dann lapidar:

Der Bürger­meis­ter teilt den Gemein­de­rä­ten mit, daß der Herr Kultmi­nis­ter durch Erlass vom 4. Jan. 1937 dem mit oben geschil­der­ten Antrag des Bürger­meis­ters auf Aufhe­bung der einklas­si­gen kath. Bekennt­nis­schu­le in Oberko­chen statt­ge­ge­ben hat.

Die Einglie­de­rung der Schüler dieser Bekennt­nis­schu­le in die Deutsche Volks­schu­le ist in der Zwischen­zeit bereits erfolgt.

Es war also gelun­gen, sich der unerwünsch­ten Konfes­si­ons­schu­le unter Berufung auf organi­sa­to­ri­sche Proble­me auf elegan­te Weise zu entledigen.

Zur weite­ren Illus­tra­ti­on seien eine harmlos erschei­nen­de und eine tiefgrei­fen­de Begeben­heit berich­tet: ABC-Schüt­zen natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Eltern bekamen am ersten Schul­tag eine Rote Wurst, — Kinder von Nicht­na­zis erst nach Inter­ven­ti­on; so weit ging die Diffa­mie­rung Anders­den­ken­der im Detail. Verbürgt ist auch die Äußerung des letzten Kreis­lei­ters, der im Hinblick auf ein Kruzi­fix gesagt hat: »Auch dieser Juden­bu­be muß noch aus den Schul- und Amtsstu­ben verschwin­den.« In Oberko­chen wurden die Kruzi­fi­xe tatsäch­lich aus den Klassen­zim­mern entfernt.

Im Ort ging mit der Erwei­te­rung der Indus­trie ein schnel­les Wachs­tum an Wohnbau­ten einher. Eine Reihe von Bauge­bie­ten wurde zügig erschlos­sen und bebaut: Der Turmweg (mit staat­li­chen Mitteln; Einfa­mi­li­en­häu­ser gab es um ca. RM 4000. Die Firmen gaben zinslo­se Darle­hen). Die Volkmars­berg­stra­ße mit Stich­stra­ßen bis Haus Illg. Finken- und Staren­weg durch die Firma Fritz Leitz, das Dreißen­tal Richtung Schüt­zen­haus. Meisen­gas­se, Först­erstra­ße. Auch in der Kelten­stra­ße wurde gebaut. Im Bühl wurden, nunmehr mit Bagger, vor Kriegs­aus­bruch noch sechs bis acht Baugru­ben teilwei­se ausge­ho­ben. (Die Fertig­stel­lung dieser Häuser erfolg­te erst nach dem Krieg 1949/50.) Es gab Sonder­zu­schüs­se für bestimm­te Siedlungs­häu­ser der Reichs­heim­stät­te, die vor allem im Dreißen­tal reich­lich genutzt wurden. Gekop­pelt mit den Zuschüs­sen war die Bedin­gung, daß man Klein­tie­re hielt, — Geißen, Hasen, Gänse, Hühner und so weiter, und in kleinem Rahmen Gemüse usw. anbau­te. Ziel dieser Bezuschus­sungs­po­li­tik war, die Grund­be­sit­zer sozusa­gen »autark« zu machen. Man sieht, — das System dachte voraus…

(Die sogenann­ten »Kraut­stri­che« übrigens gehen nicht auf diese sondern auf die Zeit vor der Jahrhun­dert­wen­de zurück.)

Als »Krönung« entstand oben am Turmweg das HJ-Heim (HJ = Hitler­ju­gend) (Bergheim, — heute Sonnen­berg­schu­le), das einzi­ge im ganzen Kreis Aalen. »Darauf war man zunächst sehr stolz.«

Oberkochen

Zum HJ-Heim wurde mir gesagt: Dort oben bastel­te und sang man, man konnte das Morsen und Funken erler­nen, es gab Segel­flug­kur­se und Schieß­übun­gen. Es war endlich »was los« in Oberko­chen, — man konnte sich abreagie­ren. Sie sprachen von Ehre, Treue und Kamerad­schaft im HJ-Heim; die »Predig­ten« aus der altdeut­schen Geschich­te nahm man in Kauf, — Wallhall und anderes, — und man blick­te in die Zukunft, — »hoffnungs­voll«, — man hat den Anfang positiv gesehen, war Feuer und Flamme.

An dieser Stelle möchte ich einige beleg­ba­re Berich­te zum Thema »HJ in Oberko­chen« einfügen:

Eine Reihe von Schülern, deren Eltern der NSDAP nicht beigetre­ten waren, durften von diesen aus nicht zur HJ. Einige wollten selbst nicht, — gleich­wie. Einer von diesen schil­der­te die Situa­ti­on in der Gewer­be­schu­le wie folgt: Wir wurden nicht nur in den Noten, sondern auch in der allge­mei­nen Beurtei­lung gedrückt. Unter »Bemer­kun­gen« stand, das Orginal des Zeugnis­ses liegt vor —: »ohne Inter­es­se für den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat«. Dieses Zeugnis wurde vom Vater des Schülers nicht unter­schrie­ben. Kommen­tar des Schul­lei­ters: das Nicht­un­ter­schrei­ben des Zeugnis­ses ist nicht von Bedeu­tung, da die Gesin­nung des Vaters bekannt ist.

Dersel­be Schüler von damals (»wir waren anfangs sieben/acht, später nur noch drei/vier, — eine verschwo­re­ne Gemein­schaft«) schil­der­te, wie es bei einer Klassen­ar­beit im Fach »Volks- und Staats­kun­de« zuging: Der harte Kern der Klasse hatte beschlos­sen, eine Arbeit in diesem Fach nicht mitzu­schrei­ben, da, wer nicht in der HJ war, sowie­so und automa­tisch die Note »ungenü­gend« in diesem Fach erhielt. Der unter­rich­ten­de Lehrer zwang die Schüler jedoch, mitzu­schrei­ben. Der Schüler erhielt in der Arbeit die Note »gut«. In seinem Endzeug­nis stand dann wieder­um die Note »ungenü­gend«. Darauf­hin angespro­chen argumen­tier­te der Fachleh­rer: Ich darf nicht anders, weil die Note »ungenü­gend« vorge­schrie­ben ist, wenn Du nicht in der HJ bist. Dieses »ungenü­gend« bewirk­te bei der Gesel­len­prü­fung, daß die Prüfung insge­samt nicht bestan­den war.

Diesem Lehrling, der sonst ein gutes Zeugnis nachwei­sen konnte, jedoch nicht in der HJ war, wollte man, ohne dessen Wissen, über diese Klippe helfen, indem man ihm ins Zeugnis schrieb: »Hat den Weg zur HJ gefun­den.« Der junge Mann brach­te, obwohl diese Unwahr­heit zu »seinen Gunsten« sprach, den Mut auf, sich zu melden und zu sagen, daß dies nicht zutref­fe, — worauf er rüde abgekan­zelt wurde. Erst hinter­her ist dem Prüfling klar gewor­den, daß man ihm eine Brücke gebaut hatte. Die aller­we­nigs­ten haben solche Brücken dann nicht beschrit­ten, — verständ­lich: selbst in dieser üblen Situa­ti­on war ja irgend­wo ein Wille weiter­zu­kom­men. — Ich glaube, daß gerade diese kleinen, verges­se­nen Mosaik­stein­chen in ganz beson­de­rer Weise aufzei­gen, mit welchen Mitteln damals gearbei­tet wurde.

In zwei anderen mir bekannt gewor­de­nen Fällen sind die Söhne von Eltern, die sich gegen das Régime stell­ten, unter dem Eindruck einer Verhaf­tung in der Oberko­che­ner Verwandt­schaft in die HJ einge­tre­ten. Einer von ihnen ist gefal­len. Den anderen habe ich gebeten, die damali­ge Situa­ti­on persön­lich zu schil­dern: »Die Angst vor weite­ren Verhaf­tun­gen war keine neuro­ti­sche (also unbegrün­de­te), sondern sehr real begrün­det: bei einem meiner wöchent­li­chen Besuche meines Onkels im Gefäng­nis warnte er mich in einem unbeob­ach­te­ten Moment vor meiner bevor­ste­hen­den Verhaf­tung. Verhaf­tet sollte ich werden, weil ich für den des Landes verwie­se­nen Diöze­san­bi­schof Johan­nes Baptis­ta Sproll eine »Betstun­de« mitver­faßt hatte und als Verfas­ser galt.

Nach seiner Verur­tei­lung nach dem »Heimtü­cke­ge­setz« und seiner Entlas­sung sagte mir mein Onkel, es sei ihm in den nächt­li­chen politi­schen Verhö­ren wieder­holt meine politi­sche Tätig­keit vorge­hal­ten und gesagt worden, ich sei bereits im KZ-Dachau.

Der Diöze­san­bi­schof Sproll war wegen seiner Weige­rung, an der Volks­ab­stim­mung am 10.4.1938 über den »Anschluß« Öster­reichs an Deutsch­land des Landes verwie­sen worden (vergl. z.B. Brock­haus, Bd. 17. Wiesba­den 1973,S.787). Wir hatten darauf­hin eine »Betstun­de« verfaßt für den Bischof und diese nicht nur in Oberko­chen organi­siert. Da ich die katho­li­sche Jugend­ar­beit im Dekanat Hofen in der Form der »Minis­tran­ten-Stunden« fortsetz­te, hatte ich Kontakt zu allen Pfarr­äm­tern. So konnte ich mit Firmen­mit­teln (Handver­viel­fäl­ti­ger und Papier) die »Betstun­de« in ausge­wähl­te Pfarrei­en bringen. Diese »Betstun­de« war ein einzi­ger zugleich aber auch die einzig­mög­li­che Form des Protes­tes. Sie enthielt vor allem die sogenann­ten Buß- und Rachep­sal­men und begann z.B. mit Psalm zwei »Was toben denn die Heiden der HERR, ER lacht und spottet ihrer«. Daraus konnte ohne Mühe ein Straf­tat­be­stand nach dem »Heimtü­cke­ge­setz« ebenso leicht konstru­iert werden wie aus den Äußerun­gen meines Onkels.

Das »Heimtü­cke­ge­setz« war ein »Ausnah­me­ge­setz« der NS Reichs­re­gie­rung, »beson­ders gegen Angrif­fe auf Staat und Partei, zur präven­ti­ven Siche­rung der natio­nal-sozia­lis­ti­schen Herrschaft. Es stell­te Äußerun­gen, die geeig­net erschie­nen, das Ansehen der NSDAP zu schädi­gen, das Vertrau­en der Bevöl­ke­rung in die Führung zu unter­gra­ben, u.a., unter schwe­re Strafe« (vergl. Brock­haus, Bd. 8, Wiesba­den 1969 S. 321).

Mein Vater war nach der »Macht­er­grei­fung« in einer Sitzung des Gemein­de­ra­tes, während der die SA vor dem Rathaus aufmar­schiert war, zum Verzicht auf sein legales Gemein­de­rats­man­dat gezwun­gen worden. 1936 wurde er zum Rücktritt als Vorstand des »Sänger­bun­des« gezwun­gen; er schied mit seinen beiden Brüdern und nur sehr wenigen Freun­den aus dem »Sänger­bund« und aus dem katho­li­schen Kirchen­chor aus. Es waren nur sehr wenige Männer, weil in der Zwischen­zeit das Mißtrau­en und die Angst vorein­an­der bis in Famili­en und Ehen hinein­ging. Im Oktober 1938 wurde mein Onkel von der gehei­men Staats­po­li­zei (GESTAPO) verhaf­tet. Kein einzi­ges Famili­en­mit­glied gehör­te einer der NS-Organi­sa­tio­nen an, obwohl es bereits seit 1.12.1936 das »Gesetz über die HJ« gab, mit dem diese zur »Staats­ju­gend« erhoben wurde (vergl. Brock­haus, Bd. 8. Wiesba­den 1969, S. 537).

Die »Reichs­kris­tall­nacht« vom 9./10.November 1938, das von Goebbels organi­sier­te Progrom gegen die jüdischen Mitbür­ger als »sponta­ne Kundge­bun­gen« gegen die Erschie­ßung des deutschen Botschafts­se­kre­tärs in Paris, E. vom Rath, durch Herschel Grynszpan, war das endgül­ti­ge Signal, daß »die Partei« (die sich als »Staat« verstand), zu allem entschlos­sen war. So entschlos­sen sich die Söhne im Dezem­ber 1938, zum 1. Januar 1939 in die (Flieger-) HJ einzu­tre­ten, um nach Möglich­keit weite­res Unheil von den Famili­en zu wenden, während die Frauen und Töchter weiter­hin keiner NS-Organi­sa­ti­on beitraten«.

Erstes Nachden­ken im HJ-Heim setzte, wie mir gesagt wurde, erst ein, als die NAPO-(nationalpolitischen) Schulun­gen began­nen, die der eine mehr, der andere weniger empfand, — oder überhaupt nicht. ( Adolf Hitler: »Wir werden ihnen die Kinder wegneh­men in einem Alter, wo sie noch von nichts beein­flußt sind.«)

Fest steht, daß die Ideolo­gi­sie­rung und Indok­tri­na­ti­on so gescha­hen, und dies auf Reichs­ebe­ne, daß sie von vielen aus der bereits geschil­der­ten Gesamt­si­tua­ti­on der Zeit zunächst nicht erkannt und gesehen werden konnten, — und, selbst wenn man darauf aufmerk­sam gemacht wurde, daß hinter diesen Dingen ein unheil­brin­gen­des System steckt, wurde man höchs­tens vielleicht für einige Zeit nachdenk­lich, wie mir ein Oberko­che­ner freimü­tig sagte. Warnun­gen wurden in den Wind geschla­gen, — das Privi­leg junger und begeis­te­rungs­fä­hi­ger Menschen. Kriegs­be­reit-Machung geschah auf spiele­ri­sche Weise und Rassen­dün­kel verband sich mit dem Begriff Vaterlandsliebe.

Totali­tä­re Staaten arbei­ten auch heute noch auf diese Weise.

Die HJ übrigens erhielt, acht bis 14 Tage kaser­niert, ihre vormi­li­tä­ri­sche Ausbil­dung hei der Wehrmacht in der »Remon­te« in Aalen. Lehrlin­ge, die in der HJ waren, erhiel­ten 14 Tage Sonder­ur­laub, von denen acht bei Wehrübun­gen zu verbrin­gen waren.

HJ und SA hatten Dauer­trai­ning mit Schieß­übun­gen im Oberko­che­ner Schieß­stand (heute Anlage »Schüt­zen­haus«).

Die Meinun­gen der Bevöl­ke­rung began­nen nun etwas weiter ausein­an­der­zu­ge­hen. Ein Teil machte mehr oder weniger gedan­ken­los mit, ein Teil gab sich oppor­tu­nis­tisch, einige wenige stell­ten sich dagegen und ein anderer Teil zeigte sich 110prozentig.

Letzte­res zum Beispiel, wenn die HJ- oder SA-Gruppen mit Gesang durch den Ort marschier­ten, mit Trommeln und Pfeifen, — Spiel­manns­zü­ge, — und übereif­ri­ge Nazis, — diese Abkür­zung hatte schon damals ein »Gschmäck­le«, — beobach­te­ten, ob die Zuschau­er in den Straßen auch ihrer »Grußpflicht« gegen­über dem Ersatz­gott »Fahne« nachka­men. In so manchem Lied wurde beach­tet, unbeach­tet, das ideolo­gi­sche Programm der NSDAP unüber­hör­bar in jedes Ohr geschmet­tert, Texte, die uns heute das Haar zu Berge stehen lassen. »Wir werden weiter­mar­schie­ren, wenn alles in Scher­ben fällt, — denn heute gehört uns Deutsch­land, und morgen die ganze Welt.« Oder im Horst-Wessel-Lied (im Anschluß an die Natio­nal­hym­ne gesun­gen) »Kamera­den, die Rot Front und Reakti­on erschossen…«

Die Oberko­che­ner HJ und SA waren mit Abord­nun­gen bei den jährli­chen Partei­ta­gen in Nürnberg vertreten.

1936, aus der Sicht der Teilneh­mer mit unglaub­li­chem Idealis­mus, fuhren einige Oberko­che­ner mit dem Fahrrad zu den Olympi­schen Spielen nach Berlin. Daß das Régime dort »keine schlech­te Figur abgab«, ist bekannt. Doch sind die Vorzei­chen der Kompo­si­ti­on zu beachten.

In den Oberko­che­ner Verei­nen soll das kultu­rel­le Leben nach außen hin seinen »gewohn­ten Gang« genom­men haben. Die Wahrheit liegt jedoch unter der Decke: hinter den Kulis­sen spiel­ten sich auch hier ideolo­gi­sche Macht­kämp­fe ab, die an zwei Beispie­len aufge­zeigt werden sollen.

Im Schwä­bi­schen Albver­ein hatte die große Skizeit begon­nen. Ab 1934 schon mußten die Sport­ler dann für die SA oder einen ausge­spro­che­nen Sport­ver­ein laufen, — nicht mehr für einen Wander­ver­ein. Die meisten Sport­ler waren aller­dings bereits vor dieser Verfü­gung Mitglied im Turnverein.

Am Schick­sal des Turnver­eins, das hier in Proto­koll­aus­zü­gen der Zeit belegt ist, ist ables­bar, mit welcher Schnel­lig­keit der innere Gesin­nungs­wan­del sich vollzog:

4.3.1933: Einla­dung der NSDAP zum Fackel­zug. Der Verein lehnt ab. Vereins­zweck sei der Sport, — nicht eine partei­po­li­ti­sche Betätigung.

29.4.1933: Anläß­lich einer Versamm­lung wurde bereits die Natio­nal­hym­ne gesun­gen. — SA, HJ und Stahl­helm, haben den Antrag auf Benut­zung der TVO-Turnhal­le gestellt. Geneh­mi­gung für SA, Ableh­nung für Stahl­helm und HJ. — Beschluß: der Verein betei­ligt sich jetzt am Fackel­zug der NSDAP.

1.5.1933: Tag der Natio­na­len Arbeit; mit Vereins­fah­ne am Festzug betei­ligt. Große und einmü­ti­ge Anteil­nah­me der Bevölkerung.

Juni 1933: Einfüh­rung des »Wehrtur­nens«. Hierzu werden zwei Mitglie­der zu einem Lehrgang auf dem Braunen­berg bestellt.

2.6.1933: Der Vorsit­zen­de wollte aus Gründen der Gleich­schal­tung sein Amt als 1. Vorstand nieder­le­gen. Versamm­lung weist alle Angrif­fe von politi­scher Seite als unbegrün­det zurück.
Der 1. Vorstand bleibt.

24.6.1933: »Fest der Jugend« neu einge­führt (ganze Ortsju­gend).
Abends: Volkmars­berg-Höhen­feu­er. Der Verein betei­ligt sich mit 60 Mitglie­dern. Veran­stal­ter: NSDAP.

25.7.1933: Eintrag: Durch die Jugend­ab­tei­lung der Partei ist der Verein sehr geschwächt und gefährdet.

1./2.7.1933: Gauturn­fest Herbrech­tin­gen »im Zeichen der natio­na­len Erhebung«

Juli 1933: Der Verein stellt sich ganz hinter die Sport­füh­rung der NSDAP.

30.9.1933: Debat­te über die politi­schen Auswir­kun­gen auf den Verein.
Fazit: Das Inter­es­se am Verein hat stark nachgelassen.

1.10.1933: Verein nimmt mit Fahne am natio­na­len Ernte­dank­fest teil. Veran­stal­ter: NSDAP.

15.10.1933: Verein betei­ligt sich mit Fahne am Festzug und Feldgot­tes­dienst beim »Tag des Handwerks«. Veran­stal­ter: NSDAP.

1934: Endgül­ti­ge Neuord­nung des Sports. Reichs­bund für Leibes­übun­gen wird im Sinne der NSDAP unter­stützt. Ab diesem Jahr führt der Verein jährlich 3 Veran­stal­tun­gen zuguns­ten des WHW (Winter­hilfs­werk) durch.

15.3.1936: Ein Partei­ge­nos­se sprach über die Beset­zung der entmi­li­ta­ri­sier­ten Rhein­land­zo­ne und über die bevor­ste­hen­de Reichs­tags­wahl vom 29.3.1936.…..
Das heißt: Inner­halb weniger Monate, fast Wochen, war der Verein, — anfäng­lich etwas hin- und herge­ris­sen, infil­triert. Anderen Verei­nen mag es ähnlich ergan­gen sein.

Auch der evange­li­sche Männer­ge­sang­ver­ein »Frohsinn« wurde aufge­löst, da wegen der Gleich­schal­tung des gesel­li­gen Lebens in der Gemein­de Oberko­chen nur noch ein Gesang­ver­ein zugelas­sen war. Trotz­dem überleb­te der Chor: Er verwan­del­te sich in einen gemisch­ten Chor und hielt am 19.10.1933 seine erste Singstun­de als Evange­li­scher Kirchen­chor Oberkochen.

Viel härter ging es im Sänger­bund her. (Proto­koll des Sänger­bunds vom 8.9.1936):

Mit der Begrün­dung, daß der bishe­ri­ge 1. Vorstand sich Äußerun­gen erlaubt habe, aus denen entnom­men worden ist, daß er nicht gewillt ist, einen Verein so zu führen, wie es im Sinne der NS Weltan­schau­ung verlangt werden muß, lehnte der damali­ge Gemein­de­rat (!) einen vom Verein gestell­ten Antrag auf einen Zuschuß am 8.9.1936 zunächst ab. Die Geneh­mi­gung des Zuschus­ses wurde »so lange zurück­ge­stellt, bis ein Wechsel in der Vorstand­füh­rung« vorge­nom­men würde. Darauf­hin legte der amtie­ren­de 1. Vorstand sein Amt nieder. Der Wechsel fand statt, und der Zuschuß wurde am 14.10.1936 vom Gemein­de­rat bewil­ligt. Dieser Vorgang geht unter die Haut: Ein Gemein­de­rat, — der Oberko­che­ner NSDAP-Gemein­de­rat, — der quasi im Auftrag des Staates, und den Staat im Nacken (Gleich­schal­tung), zum ideolo­gi­schen Erpres­ser wurde. So knall­hart lief das damals. — Die Statu­ten des Sänger­bunds waren übrigens bereits 1934 im Sinne der Gleich­schal­tung geändert worden, — d.h., man hatte noch ca. zwei Jahre lang versucht, sich in Freiheit zu bewegen.

Da das Proto­koll der Gemein­de­rats­sit­zung vom 13.8.1936 sich im wesent­li­chen mit der Darstel­lung des Sänger­bund-Proto­kolls deckt — der 1. Beigeord­ne­te hatte, selbst aktives Sänger­bund­mit­glied, zusätz­lich ausge­führt, daß sich der Vereins­füh­rer »nicht so zu beneh­men weiß oder sich beneh­men will, wie es billi­ger­wei­se im Inter­es­se des Zusam­men­le­bens der Gemein­de­an­ge­hö­ri­gen erwar­tet werden muß« — verzich­te ich darauf, dassel­be hier wiederzugeben.

Statt dessen möchte ich mich auf ein Gemein­de­rats­pro­to­koll vom 21.9.1935 bezie­hen, aus dem hervor­geht, was ich damit meine, wenn ich schrei­be: »der Oberko­che­ner NSDAP-Gemein­de­rat, — der quasi im Auftrag des Staates, und den Staat im Nacken (Gleich­schal­tung), zum ideolo­gi­schen Erpres­ser wurde. « Nicht in Abrede wird hierbei gestellt, daß die NSDAP Gemein­de­rats­mit­glie­der so ausge­wählt waren, daß sie die Faust gar nicht empfanden.

Gemein­de Oberko­chen
Verhan­delt vor dem Gemein­de­rat am 21.9.1935
Anwesend: Vorsit­zen­der und sechs Mitglie­der (Normal­zahl sechs)
Außer­dem anwesend: Der Beauf­trag­te der NSDAP, Kreis­lei­ter… (folgt Name).

Einset­zung der Gemeinderäte

Der Beauf­trag­te der NSDAP, Kreis­lei­ter … in Unter­ko­chen hat gemäß § 51 der DGO (Deutsche Gemein­de Ordnung) zu Gemein­de­rä­ten für die Gemein­de Oberko­chen berufen (Man beach­te »berufen« D.B.)

folgen obige sechs Namen

Entspre­chend einem Schrei­ben des Beauf­trag­ten der NSDAP vom 10. d. Mts. wurden die Gemein­de­rä­te zur Vornah­me der Einset­zung auf heute nachm. 3 Uhr einberufen.

Der Kreis­lei­ter erläu­tert in ausführ­li­chen Worten die Berech­ti­gung und Pflicht der NSDAP zur Überwa­chung der gesam­ten Staats­ver­wal­tung, und damit zusam­men­hän­gend auch die Maßnah­me der Einschal­tung der Partei in die Gemein­de­ver­wal­tung. Er gibt den Gemein­de­rä­ten in länge­ren Ausfüh­run­gen Richtung und Ziel für ihre künfti­ge Arbeit und ermahnt sie zu vertrau­ens­vol­ler, verant­wort­li­cher Zusam­men­ar­beit mit dem Bürger­meis­ter im Sinne der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Weltanschauung.

Der Bürger­meis­ter geht anschlie­ßend kurz auf die Pflich­ten der Gemein­de­rä­te im Sinne der DGO ein, gibt einen kurzen Bericht über den Stand der Gemein­de­ver­wal­tung und die Finanz­la­ge der Gemein­de. Hierauf werden die seithe­ri­gen Mitglie­der des Gemein­de­rats auf ihren unterm 27.8.1934 abgeleg­ten Dienst­eid hinge­wie­sen, und die neu berufe­nen Gemein­de­rä­te (folgen vier Namen) auf Grund des Reichs­ge­set­zes über die Verei­di­gung der Beamten und der Solda­ten der Wehrmacht vom 20.August 1934…vereidigt.

Nach Aushän­di­gun­gen der Ernen­nungs­ur­kun­den an die Gemein­de­rä­te schließt der Bürger­meis­ter die Sitzung mit einem Sieg Heil auf den Führer des Deutschen Volkes.

Am 1. Mai fanden regel­mä­ßig die »betrieb­li­chen Gemein­schafts­fei­ern« statt. Man traf sich in den Betrie­ben in Uniform oder »Sonntags­häs« und marschier­te dann gemein­sam in einer Art Stern­marsch zur Großkund­ge­bung, die, ehe dann in den 40er-Jahren das Martha-Leitz-Haus stand, in der Ortsmit­te auf dem Platz zwischen »Storchen­bäck« und »Lamm« statt­fan­den. (Dort war übrigens bereits 1934 anläß­lich der Trauer­fei­er zum Tod Hinden­burgs im Rathaus­fens­ter ein Lautspre­cher instal­liert.) Nach den Großver­samm­lun­gen verteil­ten sich die Betriebs­an­ge­hö­ri­gen auf die Oberko­che­ner Wirtschaf­ten, wobei jeder Betrieb sein Stamm­lo­kal hatte. Geträn­ke, Musik, Tanz. Die Firmen gaben Gutschei­ne aus.

In den frühen und mittle­ren Dreißi­gern begann auch sachte die Motori­sie­rung im Verkehr, — bis dahin hatten sich nur Fabri­kan­ten Autos leisten können. Auch in Oberko­chen gab es ab dem 1.8.1938 »Volks­wa­gen­spa­rer«. Den VW sollte es um 999 RM geben, — mit fünf RM im Monat war man dabei. Nicht nur einer sah sich im Geiste schon mit Brille und weißer Kappe im Sport­dress hinter dem Steuer. Einige wenige Oberko­che­ner hatten bereits ein Motor­rad. Das Radio wurde häufi­ger. Den »Volks­emp­fän­ger« gab es seit 1933 zu einem Schleu­der­preis, und über ihn konnte die Propa­gan­da in die hinters­ten Winkel des Reichs gelan­gen. Die Infor­ma­ti­on war, alle Lebens­be­rei­che betref­fend, einsei­tig auf die Partei, die NSDAP, ausgerichtet.

Anfang 1939 stell­te dann auch die Firma WIGO (Wilhelm Grupp Oberko­chen) auf Rüstung um, und hatte, wie auch die Firma Bäuerle, die sich ebenfalls umgestellt hatte, ihre Kapazi­tät verdoppelt.

Die Firmen Günther und Schramm und das Kaltwalz­werk waren indirekt dabei, — sie fertig­ten keine Endpro­duk­te oder Teile, dafür begehr­tes Ausgangsmaterial.

Fest steht, daß Oberko­chen mehr als Vollbe­schäf­ti­gung hatte, als der Krieg ausbrach.

Fest steht aller­dings auch, daß Oberko­che­ner verhaf­tet und in ein sogenann­tes »Umerzie­hungs­la­ger« auf dem Heuberg abgeholt wurden, — eine gemil­der­te Form von Konzen­tra­ti­ons­la­ger (Zweig­stel­le), um sich dort, auch an anderen Orten — heute würde man sagen »einer Gehirn­wä­sche« zu unter­zie­hen. Diese Bürger sind nach Wochen oder Monaten wieder nach Oberko­chen zurück­ge­kom­men. Welche Schick­sa­le im einzel­nen hinter diesen Zeilen stecken, läßt sich ermes­sen, wenn man nur ein wenig weiterliest.

Kurz vor Kriegs­aus­bruch war die Situa­ti­on bereits so grotesk, daß man selbst an sich harmlo­se und norma­ler­wei­se leicht dahin­ge­spro­che­ne Äußerun­gen gegen das Régime wohl abwägen mußte. Wir können uns in unserer in dieser Hinsicht fast grenzen­lo­sen Freiheit hiervon kaum ein Bild machen. Dies soll durch das folgen­de Beispiel belegt werden:

Der Meister eines Oberko­che­ner Betriebs, der bekannt dafür war, daß man »dagegen« war, und in dem »a bisse­le weniger oft Heil Hitler gesagt wurde«, hatte anläß­lich des Anschlus­ses von Öster­reich ans Reich (1938) geäußert: »Dao wurdat dia Eschdreichr a Freid hao, wenn ihr Lands­mao, dr Hitler, dean Natio­nal­so­zia­lis­mus in deane ihr Land neitrecht…« Auch sonst hatte dieser Meister immer wieder gegen die Nazis gefroz­zelt, zum Beispiel »Ja, ja, — fahrat noa fescht weg mit sälla­ra KdF (Kraft durch Freude, — eine NS Reise­or­ga­ni­sa­ti­on, mit der man z.B. um 88 RM nach Norwe­gen fahren konnte), — ihr wurdat nao scho seha, wofier dia Schiff wirklich baut worda send!« (Kriegs­ein­satz). Dieser Meister rügte eines Tages im selben Jahr einen angetrun­ke­nen Arbei­ter an einer Maschi­ne. Er müsse aufhö­ren, — in diesem Zustand könne er ihn nicht an der Maschi­ne weiter­ar­bei­ten lassen, — er sei für ihn verant­wort­lich, — usw. Darauf wurde der Arbei­ter ausfäl­lig und beschimpf­te den Meister mit »Du Lump, du Kommu­nist«, — worauf ihm der Meister »ois naogschlaa« hat. Dies nahm der Geschla­ge­ne zum Anlaß, den Meister anzuzei­gen. Wie blitz­schnell das damals ging, ist belegt: Der Meister war bereits 2 Stunden nach diesem Vorfall zum Rathaus bestellt und dann sofort von der Gesta­po (Gehei­me Staats­po­li­zei) mitge­nom­men worden, saß dann in U.-Haft in Ellwan­gen, wurde schließ­lich in die berüch­tig­te Stutt­gar­ter Büchsen­stra­ße oder »Hotel Silber« verlegt, — und man zitter­te zuhau­se, ob er nicht, wie bei einem Freund erlebt, nach Verbü­ßung der verhäng­ten Strafe (ein halbes Jahr und 5 Tage), sofort von der Gesta­po erneut verhaf­tet werde.

In Oberko­chen hieß es damals: »Hätt’r sei domme Gosch ghalte.«

Nichts besser als diese Reakti­on zeigt, daß man in Oberko­chen keines­wegs frei war, — und man versteht die Äußerung eines Oberko­che­ners »Dia Jonge hait, dia wissat jao gar nemme, was dees hoißt, — d’ Gosch halta ‚« — obwohl nicht in Abrede gestellt wird, daß es auch heute noch manch­mal gut ist, oder zumin­dest oppor­tun, sie zu halten …

Ein anderes bezeich­nen­des Ereig­nis, das sich in diesem Jahr (1938) in Oberko­chen ereig­net hat, habe ich unter den Titel »Der alte Storchen­bäck, der nicht wählen wollte«, aufgezeichnet:

Ab 1933 war Wahlpflicht, und es gab — wie heute noch in totali­tä­ren Staaten — eine fast 100prozentige Wahlbe­tei­li­gung (praktisch ohne Gegen­stim­men). Der alte Storchen­bäck hatte schon während der ganzen Weima­rer Zeit etwas gegen das Wählen gehabt und war zu keiner Wahl gegan­gen. Konse­quent wie er war, blieb er auch im März 1938 der Volks­ab­stim­mung, bei der es, wie bereits erwähnt, um den Anschluß Öster­reichs an Deutsch­land ging, fern. Das konnte man anhand der Wahlstrich­lis­te natür­lich leicht feststel­len, und, da die Oberko­che­ner NSDAP eben gerne eine 100prozentige Wahlbe­tei­li­gung vermel­det hätte, begab sich eine Abord­nung von Wahlmän­nern, bevor das Wahllo­kal zumach­te, zum Haus des Storchen­bäck und wollte ihn »mit Gwaalt« zur Wahl beför­dern. Damit hatte der Storchen­bäck jedoch gerech­net und deshalb sein Haus rings­um herme­tisch abgeschlos­sen; wo auch immer man versuch­te, ins Haus zu gelan­gen, war verram­melt. Inzwi­schen hatte sich auf dem Gehweg gegen­über eine Menge Schau­lus­ti­ger einge­fun­den. Man wollte mitbe­kom­men, wie das ausging, versteht sich. Als alles nichts half, kam ein beson­ders Eifri­ger auf die Idee, mit einer Leiter durchs Fenster im 1. Stock einzu­stei­gen. Tatsäch­lich war in kürzes­ter Zeit eine Leiter beschafft, und der Betref­fen­de stieg zu einem Fenster im ersten Stock hoch. Auch hier war nicht herein­zu­kom­men. Das Fenster einzu­schla­gen, traute er sich jedoch nun doch nicht und stieg unver­rich­te­ter Dinge wieder hernieder.

So erhielt ich die Geschich­te zuerst erzählt und auch bestä­tigt. Als ich ihr nachging und mich mit direk­ten Nachfah­ren des alten Storchen­bäck in Verbin­dung setzte, fand ich heraus, daß die Sache ein ganz anderes Ende genom­men hatte: Das Fenster im 1. Stock war angelehnt, die betref­fen­de Person drang ein, und man hat den alten Storchen­bäck doch noch zur Wahl gezwungen.

Ich habe ganz bewußt die beiden Finale-Versio­nen erzählt, um aufzu­zei­gen, wie schwie­rig es ist, aus der Erinne­rung zu berich­ten, oder, zu berich­ten, ohne bewußt oder unbewußt eine persön­li­che Note in den Bericht einflie­ßen zu lassen, — wobei es letzt­lich gleich­gül­tig ist, ob der Storchen­bäck nun geholt wurde oder nicht; entschei­dend ist, daß er zur Wahl überhaupt gezwun­gen werden sollte.

Der Zweite Weltkrieg (1939−1945)

Der berühm­te Unter­schied zwischen Infor­ma­ti­on und Kommen­tar wurde im III. Reich ganz bewußt verwischt. Man konnte den »Stürmer« kaufen, ein ausge­spro­che­nes Hetzblatt. Dies sollen nur wenige getan haben. Der »Stürmer« war deshalb in Anschlag­käs­ten öffent­lich ausge­hängt. Es gab den »Völki­schen Beobach­ter«, oder die Wochen­zeit­schrift »Das Reich«, in dem Leitar­ti­kel von Joseph Goebbels abgedruckt waren. Auch diese Wochen­zeit­schrift sollen jedoch nur wenige abonniert gehabt haben. Gelesen wurde die »Kocher- und Natio­nal­zei­tung«; — die »Aalener Volks­zei­tung« hatte ihr Erschei­nen am 31.7.1935 wegen ihrer Gesin­nung einstel­len müssen.

1939 verschärf­ten sich die bisher aufge­zeig­ten Gegen­sät­ze unter der Oberflä­che logischer­wei­se. Gleich­zei­tig jedoch schien das Gegen­teil der Fall zu sein. Es war wesent­lich gefähr­li­cher gewor­den, sich offen »dagegen« zu stellen. Nur so werden Äußerun­gen (1986) wie zum Beispiel: »In Oberko­chen war es im III. Reich relativ ruhig«, und ähnli­che, erklärlich.

Mit Kriegs­be­ginn kamen Evaku­ier­te aus Rastatt nach Oberko­chen, die einige Jahre blieben, und es gab die ersten Dienst­ver­pflich­tun­gen, d.h. daß Fachar­bei­ter von auswärts nach Oberko­chen kamen, — vor allem als Kontrol­leu­re, die in den Rüstungs­ab­tei­lun­gen der Betrie­be und bei der Firma Fritz Leitz einge­setzt wurden. Quali­fi­zier­te Fachar­bei­ter aus Oberko­che­ner Betrie­ben, die nicht in der Rüstung produ­zier­ten, wurden nach auswärts dienstverpflichtet.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bekam Oberko­chen jedoch auch Auswir­kun­gen ganz anderer Art, die mit dem dikta­to­ri­schen Régime zusam­men­hin­gen, zu spüren. Bisher in Oberko­chen als Firmen­ver­bin­dungs­per­so­nen hin und wieder aufge­tauch­te Juden und jüdische Vertre­ter blieben aus, d.h., man konnte sich genau ausrech­nen, daß eine rassi­sche Selek­ti­on statt­fand. Auch der Juden­stern war in Oberko­chen bekannt.

Ein weite­res Beispiel, wie die NSDAP in Oberko­chen vorging: Ein Oberko­che­ner Hafner mußte seinen Betrieb einstel­len und wurde im wahrs­ten Sinn des Wortes zum Rüstungs­be­trieb Fritz Leitz abkom­man­diert. Dort arbei­te­te er als angelern­ter Eisen­dre­her von 1939 bis 1945.

Ich habe gefragt: was war mit den Kirchen im III. Reich, und erhielt die Antwort:

Die Kirchen haben »weiter­ge­lebt«. Es gab viele Natio­nal­so­zia­lis­ten, die in innerem Wider­streit die Kirche besuch­ten. — Mir ist jedoch kein Fall bekannt gewor­den, daß jemand direkt am Kirch­gang gehin­dert wurde. Dies bestä­tig­ten 1945 zwei Oberko­che­ner bei den Verhö­ren auf dem Rathaus gegen­über den ameri­ka­ni­schen Beset­zern. Schieß­übun­gen der SA wurden zeitlich so gelegt, daß sie sich nicht mit dem Kirch­gang überschnit­ten;… hier scheint sich nun das Régime seiner­seits oppor­tu­nis­tisch gezeigt zu haben; es mag auch in der Person des katho­li­schen Ortsgeist­li­chen gelegen haben. Die Aktio­nen gegen die Kirche liefen auf anderer Ebene. Verbürgt ist, daß es bei kirch­li­chen Prozes­sio­nen, z.B. der Fronleich­nams­pro­zes­si­on und der darauf­fol­gen­den Einkehr, Beobach­ter gab, die, so im »Ochsen«, hinter dem Vorhang hervor­spio­nier­ten, ob einer von der SA an der Prozes­si­on teilge­nom­men hatte. Der wurde dann darauf­hin angespro­chen, daß das Mitma­chen bei einer kirch­li­chen Prozes­si­on nicht mit dem Gedan­ken der NSDAP verein­bar sei.

Einen gravie­ren­den und nach außen deutlich wahrnehm­ba­ren staat­li­chen Eingriff in das kirch­li­che Leben stellt das Schul­ver­bot für Pfarrer Jaus dar, der 1936 das Treue­ge­löb­nis auf den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat verwei­gert hatte. Ein Fazit aus dem kirch­li­chen Leben ist, daß sich jene, die dagegen waren, zu dieser Zeit in Oberko­chen, egal ob evange­lisch oder katho­lisch — dafür gibt es Bewei­se — zusam­men­ge­fun­den haben. Hierin liegt eine Grund­wur­zel des ökume­ni­schen Gedan­kens: das auf christ­li­cher Basis Verbin­den­de baute in dieser Zeit erste Brücken zwischen den Konfessionen.

Bereits 1939 wurden Lebens­mit­tel­mar­ken und Kleider­kar­ten einge­führt. Von einem Tag auf den anderen mußte man im »Lamm« für sein Schin­ken­brot »Märkle« herge­ben. Da haben ein paar Oberko­che­ner einen solchen Zorn bekom­men, daß sie unter Protest das »Lamm« verlie­ßen und in den »Hirsch« gegan­gen sind, wo man noch etwas »ohne Märkle« bekam.

Empfind­li­che Engpäs­se in der Versor­gung hat es in Oberko­chen nicht gegeben. Schwie­ri­ger war es, Kleidung und Wäsche zu bekommen.

Ab Kriegs­be­ginn gab es die Sonder­mel­dun­gen des OKW (Oberkom­man­do Wehrmacht) von den Fronten. In den Firmen gab es Radio­an­la­gen mit Lautsprecheranschluß.

Über die Blitz­krie­ge gegen Polen, Frank­reich, Balkan, Norwe­gen 1941, und 1942 noch über den Rußland­feld­zug, wurde man laufend durch Sonder­mel­dun­gen unter­rich­tet. In einer Firma lief in diesen Tagen und Monaten täglich das Radio gedämpft während der Arbeits­zeit. Beim Ertönen der Fanfa­ren für die Sonder­mel­dun­gen wurde aufge­dreht und alle im Betrieb konnten oder mußten mithö­ren. Das Abhören von Auslands­sen­dern, auch privat, war streng verbo­ten, beson­ders ab Stalin­grad: es gab nun auch Meldun­gen von Nieder­la­gen der Deutschen. Diese wurden im Deutschen Rundfunk gefärbt.

Während am Gefal­le­nen-Denkmal des Ersten Weltkriegs, dem Linden­brun­nen, flammen­de Vater­lands­re­den von der Partei gehal­ten wurden, trafen, nachdem zunächst alles soweit »fried­lich« gelau­fen war, die ersten trauri­gen und schockie­ren­den Kriegs­bot­schaf­ten in den Ort: Benach­rich­ti­gun­gen, daß der Vater oder der Sohn gefal­len waren. Verwun­de­te kamen zurück und berich­te­ten von der Front, (Oberko­che­ner kämpf­ten an allen Fronten, — Polen, Frank­reich, Balkan, Norwe­gen, Rußland, Afrika), und da war vieles anders als man es in den Zeitun­gen lesen oder im Rundfunk hören oder gar im Kino sehen konnte. Erst jetzt begann im Ansatz eine Ernüch­te­rung auf etwas breite­rer Basis zu keimen.

1941 kamen die ersten Kriegs­ge­fan­ge­nen nach Oberko­chen, — zunächst Franzo­sen, später Russen und andere Staats­an­ge­hö­ri­ge, die in der alten TVO-Turnhal­le (nach dem Krieg abgeris­sen, da komplett »verdreckt und verlaust«), und in vielen Baracken, die meist auf firmen­ei­ge­nem Gelän­de (Fritz Leitz, WIGO, Bäuerle, Oppold) errich­tet und mit Stachel­draht umzäunt wurden. Auch inter­nier­te Auslän­der wurden hier einge­wie­sen, und wie die Gefan­ge­nen zu Zwangs­ar­beit eingesetzt.

Von WIGO wird berich­tet, daß dort ca. 20 russi­sche Frauen und zehn russi­sche Männer Grana­ten drehten. Sie haben, vor allem die Frauen waren sehr geschickt, »auf Teufel komm raus« gearbei­tet, von morgens sechs bis abends sechs, — überwacht, — und bekamen etwas Geld (Sonder­geld­schei­ne, mit denen sie nicht viel anfan­gen konnten). Versorgt wurden die Gefan­ge­nen in den Betrieben.

Es ist makaber, sich vorzu­stel­len, daß diese Gefan­ge­nen Grana­ten drehten und an Flugzeug­tei­len arbei­te­ten (Dornier, Messer­schmitt und Heinkel, die dazu bestimmt waren, mögli­cher­wei­se den eigenen Lands­leu­ten Verder­ben zu bringen. Doch erging es den deutschen Kriegs­ge­fan­ge­nen nicht anders.

Aus einigen Kontak­ten zu Gefan­ge­nen sind herzli­che Verbin­dun­gen zur Zivil­be­völ­ke­rung entstan­den, die auf sie zurück­griff, wenn es darum ging, die Arbeits­kraft eines einge­zo­ge­nen Vaters oder Sohns zu erset­zen. Sie wurden für Garten­ar­bei­ten, zur Mithil­fe in der Landwirt­schaft oder auch nur zum Holzspal­ten übers Wochen­en­de von den Firmen »ausge­lie­hen«, — gegen ein Vesper; — und auch hier wurden die Gefan­ge­nen oft mit herzli­cher Gastfreund­schaft bedacht.

Die Firma Fritz Leitz (Rüstungs­be­trieb) errich­te­te das nach der Ehefrau des Firmen­chefs benann­te »Martha-Leitz-Haus«. Aus diesen zunächst nur für die Firmen­an­ge­hö­ri­gen gedach­ten Kanti­nen- und Gesell­schafts­räu­men entwi­ckel­te sich in den Vierzi­ger­jah­ren eine Art Kultur­zen­trum, das auch der Öffent­lich­keit zugäng­lich war. Es gab für ein paar Pfenni­ge Filmvor­füh­run­gen und natür­lich die »Wochen­schau«. Viele Oberko­che­ner erinnern sich ihrer ersten Filmerleb­nis­se. Zarah Leander, Marika Rökk, Heinrich George, Emil Jannings und Werner Krauss.

Man war hell begeis­tert vom »Tiger von Eschna­pur« und sogar der Großva­ter war mit von der Partie. An Wochen­en­den waren die Kinovor­stel­lun­gen total ausge­bucht. Auch im »Hirsch« war jede Woche einmal Filmtag. Ein Oberko­che­ner erinnert sich mit absolu­ter Sicher­heit, dort im Jahr 1932, wahrschein­li­cher jedoch sogar erst 1933, den Film »Im Westen nichts Neues« gesehen zu haben. Daß zu dieser Zeit eben dieser Film, der ja damals bereits auf der »Liste« stand und verbo­ten war, — die Bücher dieses Titels wurden verbrannt, — in Oberko­chen noch gezeigt werden konnte, ist bemerkenswert.

Später fanden im Martha-Leitz-Haus, das 1980 einem Neubau der Firma Carl Zeiss weichen mußte, und somit der alten Villa Fritz Leitz in die »Wanne« (städti­sches Auffüll­ge­biet) folgte, auch öffent­li­che Großver­an­stal­tun­gen der NSDAP statt. Auf dem First des Gebäu­des stand, lange ehe eine zweite dann auch aufs Rathaus gesetzt wurde, die erste Sirene. Alle Aktivi­tä­ten auf lokaler, höherer und höchs­ter Ebene sind von einem damali­gen Mitar­bei­ter der Firma Fritz Leitz, bei dem alle die »hohen Herren« saßen, festge­hal­ten, in Film und Photo, und chronis­tisch dokumen­tiert worden.

Durch den hohen Anteil von in der Indus­trie Tätigen gab es bis »Stalin­grad« (1942) in Oberko­chen relativ wenig Einbe­ru­fun­gen. Man war UK gestellt (unabkömm­lich). Wer abkömm­lich war, bestimm­te der Firmenchef.

Wenn in den August­ta­gen 1939, zur Zeit der Mobil­ma­chung, zehn oder mehr Solda­ten Oberko­chen verlas­sen und an die Front mußten, fanden am Bahnhof regel­rech­te, nicht organi­sier­te, »Bahnhö­fe« statt, die anfäng­lich von verhal­te­nem Optimis­mus getra­gen, bald jedoch mit Sorgen überschat­tet waren.

Oberkochen

Bei der Firma Fritz Leitz, die inzwi­schen zum »NS-Muster­be­trieb«, — der 1942 verstor­be­ne Firmen­chef war »Wehrwirt­schafts­füh­rer«, — empor­ge­wach­sen war, war ab 1935 ununter­bro­chen gebaut und erwei­tert worden. (Das letzte Gebäu­de dieser Firma, das sich äußer­lich noch im »Urzustand« befand, wird derzeit, 1986, von der Firma Carl Zeiss umgebaut).

Noch 1944 und mögli­cher­wei­se 1945 wurde an dem sogenann­ten »Leitz-Stollen« gearbei­tet. Aus dieser Zeit, (Mai bis Septem­ber 1944) gibt es eine Planzeich­nung, aus der hervor­geht, daß über diesen, ganz offen­sicht­lich von Hand aus dem Fels gehaue­nen, (wobei die Frage offen bleibt: von wem?) und nur ansatz­wei­se endaus­bau­fer­ti­gen Luftschutz­stol­len (zwei Eingän­ge), eine unter­ir­di­sche, in den massi­ven Fels geplan­te Ferti­gungs­an­la­ge zu errei­chen hätte sein sollen. In diesem Plan sind über 50 Maschi­nen zur Ferti­gung von Flugzeug­tei­len einge­zeich­net. Vier paral­lel­lau­fen­de, durch zwei senkrecht dazu verlau­fen­de Erschlie­ßungs­stol­len zu errei­chen­de Ferti­gungs­stol­len sind nach den in ihnen zu produ­zie­ren­den Ferti­gungs­tei­len benannt: Zylin­der­stra­ße, Anschluß­stück, Achsschen­kel, Kolben­stan­ge. Auch ein Verbin­dungs­stol­len zur Firma Bäuerle war geplant. Aus den Unter­la­gen geht hervor, daß Ende 1944 Engpäs­se in der Zement­be­lie­fe­rung auftra­ten, die die Arbei­ten dann schließ­lich zum Erlie­gen brach­ten. Hier half auch ein persön­li­ches Schrei­ben des Nachfol­gers des 1942 verstor­be­nen Firmen­chefs vom 21.6.1944

Oberkochen

Der Plan wurde nach einer auf der Basis der Origi­nal-Lageplä­ne und Planzeich­nun­gen von mir gefer­tig­ten Skizze von Archi­tekt G. Kennt­ner, Oberko­chen, gefertigt.

1) Martha-Leitz-Haus
2) Fa. Fritz Leitz, — Teil eines Fabrik­ge­bäu­des
3) Zugangs­stol­len
4) Zylin­der­stra­ße (Aufstel­lung von 17 Maschi­nen geplant)
5) Zugangs­stol­len (Abgang Fertig­tei­le)
3), 4) u. 5) (schraf­fiert) im Rohbau fertig. Teilwei­se ausge­baut.
Diente als Luftschutz­stol­len (anders als in diesem Grund­riß ausge­führt)
6) Anschluß­stück (Aufstel­lung von zwölf Maschi­nen geplant)
7) Achsschen­kel (Aufstel­lung von zwölf Maschi­nen geplant)
8) Kolben­stan­ge (Aufstel­lung von 11 Maschi­nen geplant)
9) Erschlie­ßungs­stol­len (Antrans­port)
10) Erschlie­ßungs­stol­len (Abtrans­port)
6), 7) u. 8) (nicht schraf­fiert) Planung Sept. 1944 »unter­ir­di­sche Ferti­gungs­an­la­ge« (unter dem Bereich Volkmarsbergstraße/Brunnenhalde)
11) Stollen-Verbin­dungs­gang mit Firma Bäuerle
Die Stollen vier, sechs, sieben und neun weisen in der Lageplan­zeich­nung im Maßstab 1:1000 eine Länge von je 70 Meter auf. In diesen 4 Ferti­gungs­stol­len sollten insge­samt 52 verschie­de­ne Maschi­nen aufge­stellt werden. Der 3. Erschlie­ßungs­stol­len (mittle­rer Stollen) befin­det sich auf dem letzten reduzier­ten Plan nicht mehr.

an den Herrn Baube­voll­mäch­tig­ten des Reichs­mi­nis­te­ri­ums, Speer, im Bezirk der Rüstungs­in­spek­ti­on V nicht mehr. Mit Datum vom 11.12.1944 gibt es ein weite­res Schrei­ben, aus dem hervor­geht, daß man sich weiter­hin um Zement­be­lie­fe­rung bemüh­te, — vier Monate bevor der Ameri­ka­ner in Oberko­chen einmarschierte.

Fritz Leitz, der von 1921–1934 Vertrau­ens­mann des Schwä­bi­schen Albver­eins gewesen war, hatte sich auch beson­ders um die Förde­rung des Skisports in Oberko­chen angenom­men. Mit Fritz Leitz-LKWs fuhr man zu den Rennen, und unter seiner Leitung waren 1924 die erste Schutz­hüt­te, 1930 der Volkmars­berg­turm errich­tet worden. Der Firmen­chef verstarb am 20.1.1942. Seine Bestat­tung glich einem Staats­be­gräb­nis — weitan­ge­reis­te Funktio­nä­re erwie­sen ihm die letzte Ehre mit Fahnen und Fanfaren.

Die Firma Fritz Leitz hatte Zweig­be­trie­be in Giengen/Brenz und in Burgrie­den bei Laupheim und beschäf­tig­te mit Zulie­fe­rern vor Kriegs­en­de ca. 1500 Menschen, — davon fast 1000 in Oberkochen!

Immer drücken­der machte sich der Krieg nun auch in Oberko­chen bemerk­bar. Man durfte abends und nachts kein Licht mehr machen. Feind­li­che Bomber­ver­bän­de überflo­gen den Ort, und die ersten Tiefflie­ger. Einige Jaboan­grif­fe (Jabo = Jagdbom­ber) unmit­tel­bar vor Kriegs­en­de galten vorwie­gend der Bahnli­nie und den Zügen. Oberko­chen war jedoch, mit kurzen Unter­bre­chun­gen, bis zum Einmarsch der Ameri­ka­ner am 24. Apri11945 mit der Eisen­bahn zu errei­chen. Hierzu ein Oberko­che­ner: »Am Sonntag, 18. März 1945 war Konfir­ma­ti­on, — ein wunder­schö­ner ruhiger Tag. Alle Verwand­ten waren da. Sie sind ganz normal mit dem Zug gekom­men und wieder mit dem Zug abgereist. Der Ami war damals bereits in Heidelberg.«

Außer dem teilwei­se fertig­ge­stell­ten Leitz-Luftschutz-Stollen gab es einen Luftschutz­raum in der Dreißen­tal­schu­le, nichts Beson­de­res, und Luftschutz­räu­me in den Kellern der Fabri­ken. Im Zuge der Errich­tung von WIGO-Neubau­ten ist dort auch ein keller­ähn­li­cher Luftschutz­raum gebaut worden, mit Gummi­ab­dich­tun­gen an den Stahl­tü­ren gegen einen eventu­el­len Gasan­griff. Dort lagen auch Gasmas­ken bereit. Alte Bierkel­ler in der Aalener Straße sollen gelegent­lich aufge­sucht worden sein. Auch ein Keller hinter der Schläch­te­rei des »Lamm« wurde bei Luftalarm aufge­sucht. Hier erleb­ten viele Oberko­che­ner aus aller­nächs­ter Nähe einen geziel­ten Luftan­griff auf Oberko­chen, der an späte­rer Stelle beschrie­ben wird. Im übrigen ging man bei Flieger­alarm in die eigenen Keller, die vielfach nicht viel mehr als, wie ein Altober­ko­che­ner schil­der­te, »Erdlö­cher« waren.

Bei Kriegs­be­ginn waren Solda­ten als »Einquar­tie­rung« nach Oberko­chen gekom­men. Sie waren haupt­säch­lich für die FLAK Stellun­gen (FLAK = Flieger­ab­wehr­ka­no­nen) zustän­dig. Solche Geschütz­stän­de standen an der »Mühlhal­de«, im »Täle«, in den »Strick­ä­ckern«, hinter der Fa. F. Leitz, an der »Rodhal­de« über der Fa. Oppold und Ecke Volkmars­berg­stra­ße und Brunnen­hal­de. Beim Bergheim stand ein Schein­wer­fer­stand. vier bis fünf Meter hohe Beobach­tungs­stän­de wurden im Zusam­men­hang mit der überört­li­chen Luftraum­be­ob­ach­tung errich­tet. Diese Stellun­gen waren in der zweiten Kriegs­hälf­te nicht mehr besetzt.

Oberko­chen blieb, wie bekannt, bis auf die letzten Kriegs­ta­ge, von direk­tem sächli­chem Kriegs­scha­den verschont.

Da sich meine eigenen Nachfor­schun­gen zu den letzten Kriegs­ta­gen mit einem im Amtsblatt »Bürger und Gemein­de« vom 23. April 1965 von Oberleh­rer Ignaz Umbrecht, (gest. 1956) erschie­ne­nen Bericht in weiten Teilen decken, halte ich es für richtig, jenen an dieser Stelle erneut zu veröffentlichen:

Die letzten Kriegs­ta­ge in Oberkochen

Für die Ortschro­nik aufge­zeich­net von Oberleh­rer Ignaz Umbrecht, † 29. März 1956

Als man auch in Oberko­chen Ende März und Anfang April 1945 fühlte, daß das schnel­le Kriegs­en­de und damit die Nieder­la­ge unseres Vater­lan­des erbar­mungs­los heran­na­he, und als die Schlacht um Crails­heim das siegrei­che Vordrin­gen des mächti­gen Gegners bis in unsere Nähe eindeu­tig zeigte, verän­der­te sich auch das Bild unserer Ortschaft von Tag zu Tag mehr. War schon der immer stärker anwach­sen­de Flücht­lings­strom der von Norden kommen­den Zivil­be­völ­ke­rung ein erschre­cken­des Anzei­chen, daß die Truppen der angrei­fen­den Ameri­ka­ner unauf­halt­sam nach Süden vorrück­ten, so kamen bald darauf schnell zurück­ge­hen­de deutsche Wehrmachts­tei­le aller Waffen­gat­tun­gen, zuerst einzeln, dann in Gruppen auf der Landstra­ße und in den Waldun­gen, die in Richtung Heiden­heim — Ulm Oberschwa­ben zuström­ten. Schon die letzten Märzta­ge ließen erken­nen, daß der Gegner im oberen Kocher­tal Wider­stand erwar­te­te. Flieger­an­grif­fe mit Bordwaf­fen häuften sich beson­ders auf fahren­de Züge — darun­ter auch ein deutscher Sanitäts­zug und auf Autolast­zü­ge, so bei den Bahnwär­ter­pos­ten Bayer nördlich und Haßler südlich der Ortschaft. Die Lokomo­ti­ve eines fahren­den Güter­zu­ges wurde dabei ganz demoliert.

Der erste ernst­li­che Luftan­griff erfolg­te am Oster­sonn­tag, dem 1. April 1945, auf einen soeben einge­fah­re­nen, 60 Waggon zählen­den, Perso­nen­zug am hiesi­gen Bahnhof. Es war ein überfüll­ter Trans­port­zug, der Insas­sen aus dem KZ-Lager Necke­relz bei Mosbach nach Ulm beför­dern mußte. Um elf Uhr vormit­tags knatter­ten die schwe­ren Maschi­nen­ge­weh­re einer Anzahl Flugzeu­ge in den Zug. Der Angriff erfor­der­te acht Tote, darun­ter ein beglei­ten­der Wachmann, und eine Anzahl Verletz­te. Die Toten wurden anschlie­ßend auf dem hiesi­gen evange­li­schen Fried­hof beigesetzt. Ernst für unseren Ort wurde es aber zehn Tage später, nachdem inzwi­schen fast ständig über uns Flieger­alarm gelegen war. Unver­geß­lich wird den damali­gen katho­li­schen Erstkom­mu­ni­kan­ten der 8. April, der Weiße Sonntag, bleiben, wo sie, unter schwers­ter Luftge­fahr flüch­tend, der Kirche zueilen mußten, in der dann so auch die ganze feier­li­che Handlung unter größter Aufre­gung vor sich ging.

Der 11. April — ein Mittwoch — brach­te Oberko­chen den eigent­li­chen schwe­ren Luftan­griff nachmit­tags 16.45 Uhr. Die Straßen waren damals voll von deutscher militä­ri­scher Nachhut, SS-Männern und Zivil­pas­san­ten aller Art. Vor dem Gasthaus und Metzge­rei »Zum Lamm« standen annähernd hundert Frauen an, um Fleisch und Wurst einzu­kau­fen. Da erschie­nen bei hellem Sonnen­schein wieder die fünf franzö­si­schen Flugzeu­ge, »Rotschwän­ze«, wie sie der Volks­mund getauft hatte und kreis­ten über dem Dorfe. Es waren diesel­ben, die schon am Oster­sonn­tag den Gefan­ge­nen­zug auf dem Bahnhof beschos­sen hatten. Sie pendel­ten in rasen­der Fahrt hin und her und verbrei­te­ten mit einset­zen­dem, starkem Bordwaf­fen­feu­er Furcht und Schre­cken. Und schon fielen auch 25 kg schwe­re Bomben, zwei davon in die Dorfmit­te. Ein Volltref­fer zerstör­te die drei engzu­sam­men­ge­bau­ten Wohnhäu­ser der Famili­en Eugen Winter-Fischer, Josef Brunn­hu­ber und Paul Betzler. Die zu Hause weilen­den Famili­en­an­ge­hö­ri­gen und einige zugeeil­te Straßen­pas­san­ten — 14 an der Zahl — eilten in den frisch herge­rich­te­ten Keller des Landwirts Winter. Kaum in diesem recht angelangt, krach­te schon der Volltref­fer, der die drei Häuser zum Einsturz brach­te. Acht Perso­nen kamen ums Leben: Die 37jährige Hausfrau, deren betag­te Mutter, drei Kinder der Schwes­tern der Hausfrau, das Dienst­mäd­chen und zwei Mädchen des Hauses Brunn­hu­ber. Mit mehr oder minder schwe­ren Verlet­zun­gen konnten sich die übrigen sechs Perso­nen in größter Todes­not aus den sie fast erdrü­cken­den Trümmern des nieder­ge­stürz­ten Hauses retten. Eine zweite Bombe fiel durch das Dach des Viehstal­les von Landwirt Karl Gold (Schmid­jörg­le), zum guten Glück, ohne zu zünden. Zwei Kühe wurden schwer getrof­fen. Die dritte Bombe platz­te auf der Ortsstra­ße am Südende beim Hause Gemein­de­pfle­ger Ebert und richte­te beider­seits der Straße Materi­al­scha­den an. Die vierte hatte den Fabrik­an­la­gen der Firmen Leitz gegol­ten. Sie zerstör­te einen Bau der Firma Fritz Leitz inmit­ten der Werke. Die letzte Bombe hatte sich in den Waldteil »Tierstein« verirrt, ohne größe­ren Schaden zu machen.

Die Tage zwischen dem 11. und 23. April vergin­gen unter ständi­ger Luftge­fahr in großer Aufre­gung. In Aalen wurden die Magazi­ne und das Provi­an­t­amt der deutschen Wehrmacht geräumt. Eine Anzahl Bauern­fuhr­wer­ke holten vom 19. bis 21. April nachts große Fuhren Lebens­mit­tel­vor­rä­te ab. Diese wurden dann in der Fabrik Bäuerle am 21. und 22. April zur großen Freude der hiesi­gen Einwoh­ner­schaft verteilt. Sonntag nachts, ein Uhr, den 22. auf 23. April, begann plötz­lich ein emsiges, immer mehr anwach­sen­des Treiben, Rennen und Fahren mit Handwa­gen und sogar Fuhrwer­ken. Der große Kaffee­vor­rat der Wehrmacht, der im Saale der »Restau­ra­ti­on zum Bahnhof« gelagert hatte, war zum Abtrans­port auf dem Bahnhof bereit­ge­stellt. Es kam nicht mehr dazu und die Bahnver­wal­tung gab den riesi­gen Vorrat für die Bevöl­ke­rung frei. In Eile ging es zur nächt­li­chen Stunde darauf los. Ein Licht­blick für alle Kaffee­trin­ker! In manches Haus kamen viele Zentner und der gute Kaffee ging lange nicht mehr aus, zur Freude seiner Liebhaber!

Die Ameri­ka­ner hatten die Absicht der deutschen militä­ri­schen Leitung, das obere Kocher­tal zu vertei­di­gen, erkannt. Schon im Oktober 1944 war der hiesi­ge Volks­sturm in Stärke von über 400 Mann aufge­ru­fen worden. Er trat im Januar 1945 in Tätig­keit mit Instruk­tio­nen und Gelän­de­übun­gen am Sonntag, dann noch Übernah­me des Gelän­de­schut­zes und der Wache bei Nacht. Im April mußte der »Volks­sturm« mit Hilfe von Kriegs­ge­fan­ge­nen im Waldge­län­de gegen Aalen Panzer­sper­ren anlegen, so im Tiefen­tal, Hagen­tal, vor Tauchen­wei­ler, im Langen und anderen Plätzen. Erbit­te­rung und Wider­spruch über dieses nutzlo­se Begin­nen aber löste es aus, als auch eine Panzer­sper­re am Ortsein­gang strengs­tens befoh­len wurde. Die Ortsbe­woh­ner sahen nur Schlim­mes über solch nutzlo­sen Wider­stand voraus, der vom SS-Komman­do rücksichts­los befoh­len worden war. Am Abend des 23. April mußten deshalb Volks­sturm­män­ner diese Barri­ka­de aus etwa 20 bereit­ge­leg­ten Baumstäm­men errich­ten unter Empörung aller vernünf­tig Denken­der der Ortschaft. Aber nachts um zwei Uhr griffen beherz­te junge Männer zur Selbst­hil­fe und entfern­ten die Panzer­sper­re zur großen Beruhi­gung der Einwoh­ner­schaft. Am gleichen Tag, dem 23. April, war hier ein Spreng­kom­man­do angekom­men, um die beiden Brücken bei Elser-Kreuz­müh­le und am südli­chen Ortsaus­gang bei Fabrik Oppold zu spren­gen. Bald sah der leiten­de Pionier­of­fi­zier die Nutzlo­sig­keit ein, die erste­re zu zerstö­ren, da diese mit Leich­tig­keit links talauf­wärts umgan­gen werden konnte. Die Pionie­re befes­tig­ten daher am Abend nur an der zweiten Brücke bei Oppold eine große Spreng­la­dung unter den steiner­nen Pfeilern. Nachdem um zwei Uhr nachts zwei hiesi­ge Bauern­ge­span­ne, welche verwun­de­te und fußkran­ke Solda­ten bis Itzel­berg beför­dert hatten, auf der Heimkehr die Brücke passiert hatten, wurde diese gesprengt. Die ganze in den Luftschutz­kel­lern weilen­de Bevöl­ke­rung fuhr erschreckt aus dem Halbschlaf auf bei diesem donnern­den Signa­le bevor­ste­hen­den Schreckens.

Die SS, die in der Fabrik Leitz Quartier genom­men hatte, und auch das Spreng­kom­man­do, zogen, nachdem sie die Straße nach Königs­bronn vermint hatten, in südli­cher Richtung ab. Auch die auf der »Kuhstei­ge« und im »Ried« von deutschen Kanonie­ren in Stellung gebrach­ten Geschüt­ze wurden schleu­nigst abtrans­por­tiert. Vor der Ortschaft waren im »Bühl« und beim Bahnüber­gang Bayer Geschüt­ze aufge­stellt worden, um den anrücken­den Gegner zu beschie­ßen und aufzu­hal­ten. Aber das deutsche Feuer war nur noch schwach und ohne Wirkung. Die ameri­ka­ni­sche Artil­le­rie hatte schon vor dem 23. April auf dem »Essin­ger Feld« Stellung bezogen zur Beschie­ßung Oberko­chens. Am 23. April schoß sie sich auf die deutschen Geschüt­ze ein. Ein Treffer fuhr in den Keller des Bahnwart­hau­ses Bayer und tötete einen deutschen Solda­ten; ein zweiter deutscher Soldat fiel außer­halb des Hauses; die Kamera­den begru­ben beide an einem nahen Hügel. Später wurden sie auf Befehl der ameri­ka­ni­schen Militär­re­gie­rung von SA-Männern auf dem katho­li­schen Fried­hof beigesetzt.

Sämtli­che deutschen Geschüt­ze wurden in der Nacht des 23. April in Richtung Heiden­heim abbefördert.

Am Morgen des für Oberko­chen schwers­ten Kriegs­ta­ges, dem 24. April 1945, Schlag halb neun Uhr, setzte der erste ameri­ka­ni­sche Feuer­über­fall ein. Nach etwa zehn Minuten folgte eine Pause und aufklä­ren­de Flieger kreis­ten über uns. Dann folgte die länger andau­ern­de, hefti­ge Beschie­ßung. Während dieser wurden vier Gebäu­de ganz zerstört: Das Wohnhaus des Anton Gold beim Schul­hau­se an der Dreißen­tal­stra­ße, des Jakob Jooss in der Feigen­gas­se, des Julius Lindner im Katzen­bach und der Materi­al­schup­pen der Firma Günther & Schramm am Bahnhof. Etwa zehn Gebäu­de wurden sehr stark und weite­re 20 weniger schwer beschädigt.

Schlimm wäre es wohl der Siedlung »Dreißen­tal« ergan­gen, wenn die ameri­ka­ni­sche Artil­le­rie ihr Feuer zurück­ver­legt hätte. Ein erfah­re­ner Artil­le­rist zählte zwischen Ortschaft und Siedlung allein 56 Granat­ein­schlä­ge auf das freie Feld. Um elf Uhr ließ die Beschie­ßung nach, da erkannt worden war, daß keine Vertei­di­gung einset­ze. Schon streif­ten die ersten gegne­ri­schen Vorpos­ten heran und zwischen zwölf und 13 Uhr rückte das Gros der Ameri­ka­ner in die Ortschaft ein. Der erste Befehl laute­te: Jedes Haus zeigt unver­züg­lich die weiße Flagge! Die Haupt­macht zog mit Panzern und Geschüt­zen auf der Landstra­ße und im Wiesen­tal weiter nach Königs­bronn — Heidenheim.

In den letzten Tagen war das Rathaus führer­los und verwaist worden, da der Bürger­meis­ter, dem vorher ergan­ge­nen Befeh­le der Kreis­lei­tung folgend, mit dem zweiten Gemein­de­rat und Bürger­meis­ter­stell­ver­tre­ter die Ortschaft am 22. April morgens im Auto verlas­sen hatte in Richtung nach Süden. Nach dem Einzug der Ameri­ka­ner übernah­men einige Männer von Oberko­chen, die der NSDAP nicht angehört hatten, die Amtsge­walt auf dem Rathaus. Bald aber nach der Bildung der ameri­ka­ni­schen Militär­re­gie­rung im Kreise, wurde der frühe­re Ortsvor­ste­her, Altbür­ger­meis­ter Richard Frank, als Bürger­meis­ter wieder eingesetzt.

Soweit Oberleh­rer Ignaz Umbrecht. (Fortset­zung: Beitrag A. Seckler; bei ihm werden die letzten Kriegs­ta­ge einlei­tend noch einmal aus der Feder von M. Gold geschildert.)

Da über die letzten Kriegs­ta­ge keine schrift­li­chen Dokumen­te und Befehlser­tei­lun­gen existie­ren, — Gemein­de­rats­pro­to­kol­le ab 1938 und Gemein­de­chro­nik sind in der wirren Zeit des Zusam­men­bruchs verbrannt worden oder verschwun­den, andere offizi­el­le Dokumen­te sind bis jetzt nicht bekannt gewor­den, — müssen einige Wider­sprü­che im Raum stehen. Dies betrifft unter anderem die Frage, ob der Bürger­meis­ter und sein Stell­ver­tre­ter sich tatsäch­lich auf Befehl der Kreis­lei­tung oder ohne einen solchen abgesetzt hatten. Auch über die Errich­tung und den Wieder­ab­bau der Panzer­sper­ren und das erstma­li­ge Hissen der weißen Fahne gibt es verschie­de­ne Versio­nen, die jedoch am Gesamt­bild nichts Grund­sätz­li­ches verändern.

Im Raum steht ferner, wie es der überwie­gen­den Mehrheit der Gefan­ge­nen tatsäch­lich erging.

Eine Richtig­stel­lung in Herrn Umbrechts Artikel scheint mir notwen­dig, wo er schreibt: »Nach dem Einzug der Ameri­ka­ner übernah­men einige Männer von Oberko­chen, die der NSDAP nicht angehört hatten, die Amtsge­walt auf dem Rathaus«. Das stimmt für die Zeit nach dem Einmarsch. Am Tag des Einmarschs jedoch hatten die Militärs einen Rathaus­an­ge­stell­ten mit den Amtsge­schäf­ten betraut. Dazu erhielt ich folgen­de Darstel­lung: »… Plötz­lich kam der schon einmal erwähn­te Franzo­se daher­ge­rannt und schrie: Wir haben die weiße Fahne auf Kirch­turm gehißt — die Ameri­ka­ner sind auf dem Rathaus, kommen Sie schnell. — Dort wurde der Angestell­te von einem jüdischen Verbin­dungs­of­fi­zier, der ausge­zeich­net deutsch sprach, empfan­gen und nach einem langen und ausführ­li­chen Gespräch zum provi­so­ri­schen (gemeint ist »kommis­sa­risch« D .B.) Bürger­meis­ter ernannt.«

Erst dann erfolg­te die Einset­zung anderer Bürger durch die Besat­zung. Dieser kleine Kreis von Bürgern wurde auf damals wie erst recht heute recht schwer einzu­se­hen­de Weise zu einer Art provi­so­ri­scher Verwal­tung erwei­tert. Erst auf Drängen einiger Bürger bilde­te sich unter Hinzu­nah­me weite­rer Perso­nen aus den Reihen der Bürger, die von der Militär­re­gie­rung überprüft wurden, ein Beirat, basis­de­mo­kra­tie-ähnlich, der sich dann für die Wieder­ein­set­zung von Altbür­ger­meis­ter Frank einsetz­te. Das heißt, die Vorgän­ge waren wesent­lich kompli­zier­ter als sie bei Herrn Umbrecht geschil­dert sind. Sie sind auch hier nur angerissen.

Als letzte Ergän­zung zum »Umbrecht-Artikel« möchte ich die Geschich­te vom Oberko­che­ner »Kaffee­wun­der« nacher­zäh­len, wie sie mir Oberko­che­ner, die damals dabei waren, 41 Jahre danach, spontan aus der Erinne­rung berich­te­ten. Diese Schil­de­rung steht stell­ver­tre­tend für viele, die in ähnli­cher Weise das Oberko­chen der letzten Tage im 1000jährigen Reich aus einer anderen, sehr mensch­li­chen Weise, illustrieren:

»En dr Naacht hat sich’s romgschwätzt: wann’d au an Kafeh willscht, nao muascht auf d’Bao­hof niebr, — dao geit’s oen ommasooscht. — Gangat mr au?, hat’s ghoißa. Ja, ond nao ischt ma hald ao mit ma Loidara­wäage­le loas ond hat denkt: holsch dr hald ao oen, wann älle oen hollad. Ond wia ma an d’Bao­hof niebr komma ischt, nao send scho d’Bau­ra mit de Miischt­wäa­ga daogwest ond heut älls drauf­gla­da, — ond älls drauf­gla­da hant dia Mannt. Deane ischt’s ja ämml guad ganga em Kriag; — gsait hat ma: deane fählt bloß noa dr Persrdebbich en d’Sauschd­aal. Ja ond nao ischt ma hald mit saim Loidra­wäage­le ao no a zwoits­maol gfahra ond hat’s vool gmacht mit Kafeh. — Dao wurscht ja hondrt Jaor aalt bis ‘d dean vrdron­ka hascht, hat ma gsait; wissat’s, des warat so Bressl­eng, halbr Boana ond halbr Maalz ond a bissle Zuggr en so ronde Rolla. En sälle Kriagsdäg hat mr jao scho gar nemme gwißt, wiana dear schmeckt, a räach­dr Kafeh.

Schbädr ischt ma mit sällm Kafeh nao ge Hamsch­dara ganga. Oemaol semmr auf Dannhausa niebr ond hend a Schbao­fer­ge­le oedaus­cht. Des hat ma en soanan Babbad­eggl­koffr naidriggt zum Hoimd­ra­ga. On wiama auf omsch­dend­li­che Wäag nao hoemkom­ma ischt, nao hat oos oes begriaßt ond hat gfraogt: ja waas guckt denn dao aus uirma Koffr raus? Iatz ischt des so a Saufiaß­le gwest, des dao rauskom­ma isch, weil sällr Babbad­eggl­koffr sich a weng aufgwoich­nat gheet hat vom Saaft. Woidle hat ma des Fiaßle nao wiedr neigs­choo­ba, weil des ja megglichscht neamrds het säa sodda, daß miar a Schbao­fer­ge­le ghamsch­rad gheet hant.

Iebri­gens: Enra aalda Kochamr Familie geits hait no a »Maggi­bäs­le«, weil desje­nig Bäsle, — en Ulm ischt sämml a Zuag mit Maggi gschd­an­da gwest, — bei iehrer Vrwandt­schaft en Obrkocha Maggi gega sälln Kafeh oedaus­cht hat.«

Fazit:
Der vorlie­gen­de Versuch einer ersten Annähe­rung an das III. Reich in Oberko­chen ist das Ergeb­nis ehrli­chen Bemühens um Wahrheits­fin­dung in der Absicht, ein Bild dieser Zeit zu rekonstruieren.

Namen?
Es genügt, hier festzu­stel­len, daß es sämtli­che NSDAP-Funkti­ons­stel­len und Funkti­ons­trä­ger, von der SA über das Winter­hilfs­werk bis hin zur Leitung des Volks­sturms in Oberko­chen gegeben hat: mit Unter­or­ga­ni­sa­tio­nen einige …zig!

Daß dies in einer kleinen Gemein­de wie Oberko­chen (1933: 1708 Einwoh­ner) möglich war, zeigt, mit welcher unglaub­li­chen Dynamik, Macht und Intole­ranz das System sich durch­zu­set­zen vermoch­te, — zeigt aber auch, in welch hohem Maß eben dieses System die große Mehrheit zu begeis­tern verstand.

Die Namen der Verant­wor­tungs­trä­ger hier aufzu­füh­ren und mit Kommen­ta­ren zu verse­hen, habe ich jedoch nicht als Aufga­be eines ersten Sich-Erinnerns an das III. Reich in Oberko­chen betrach­tet. Es ging mir um die Darstel­lung des Roten Fadens anhand von Fakten, Berich­ten und ehrli­chen Schil­de­run­gen von Oberko­che­nern, die diese Zeit bewußt erlebt haben und sie heute mit gesun­dem Menschen­ver­stand überbli­cken, — dennoch aus ihrer Sicht; gelegent­lich mit vehemen­tem Engagement.

Mich hat die Frage: gab es in Oberko­chen einen Wider­stand gegen das III. Reich, beson­ders beschäftigt.

Antwort: Es hat einen gegeben — das Mosaik zeigt das; aller­dings keinen spekta­ku­lä­ren. Die Zahl der ideell und bewußt aktiven Opponen­ten war gering. Es waren 20 bis 30 Famili­en. Aber es gab sie — und sie haben viel riskiert. Schon die Tatsa­che, nicht in »der Partei« zu sein, bedeu­te­te eine Heraus­for­de­rung gegen­über dem örtli­chen Régime. Die Äußerung: »Die eigenen kleinen Nadel­sti­che lassen sich nicht mit dem großen Wider­stand verglei­chen«, zeigt, daß man sich heute wahrhaft nichts darauf einbil­det, damals dagegen gewesen zu sein.

Es gab einen passi­ven Wider­stand im Herzen, es gab einen verstan­des­mä­ßi­gen, und es gab einen, der im christ­li­chen Glauben wurzel­te, — und es gab ein Resignie­ren. Es gab demons­tra­ti­ve Akte des Dagegen­seins, die persön­li­che Nachtei­le bis hin zu empfind­li­chen Strafen nach sich zogen. Aber noch mehr konnten oder wollten die Oberko­che­ner nicht, — je nach dem. Und das ist menschlich.

Die Zahl der stillen Gegner war ungleich größer. Es war ein inner­li­cher Wider­stand gegen eine unchrist­li­che Weltan­schau­ung, hinter der eine gewal­ti­ge politi­sche Macht stand, vor der man begrün­de­te Angst hatte und haben mußte, — auch in Oberko­chen. Das war der Grund, — wie überall, — daß der Wider­stand klein blieb.

Die meisten haben mitge­macht, mehr oder weniger, wohl oder übel, und es gab überzeug­te Natio­nal­so­zia­lis­ten, — das ist ein Fazit. Opponiert hat ein verhält­nis­mä­ßig kleiner Rest. Dieser kleine Rest hat das Régime — und auch in Oberko­chen gab es ein Régime — nicht ge‑, vielmehr erdul­det — und auch erlitten.

Das ist die Wahrheit.

Man kann heute in Freiheit gut Kritik üben, — »das hätte man doch merken müssen« … schau­en wir doch auch über die Mauern und hinter die Vorhän­ge zeitge­nös­si­scher totali­tä­rer Syste­me. Das Recht auf freie Meinungs­äu­ße­rung gab es nicht. Man hatte, wenn man seine Ruhe haben wollte, »seine Gosch zu halten«. In einem Gespräch wurde geäußert »man war damals dem preußi­schen Gehorch­staat geschicht­lich noch um einiges näher, als wir das heute sind«. Ein durch­aus erwäh­nens­wer­ter Gedan­ke. Dem wage ich entge­gen­zu­hal­ten: Wir sind heute, auch wenn wir glauben, kriti­scher gewor­den zu sein, auch nicht gegen alles gefeit, — vor allem nicht dagegen, daß dereinst auch unserer Genera­ti­on schwer­wie­gen­de Vorwür­fe gemacht werden können, — und dies, obwohl es seit nunmehr 41 Jahren eine freie Meinungs­äu­ße­rung gibt. Kehren wir lieber vor unserer eigenen Tür.

Aus siche­rer Distanz über das Damals zu richten, steht uns nicht zu. Aber wir können lernen. Unter diesen Vorzei­chen wurde dieser Bericht geschrie­ben, und unter ihnen möge er verstan­den sein.

Ein weite­res Fazit:
Es ist erkenn­bar, daß es während dem Krieg »Rüstungs­ge­winn­ler«, wie man sie nannte, gab, — und auch solche, die daraus, daß sie sich nicht am Rüstungs­ge­schäft betei­lig­ten, persön­li­chen und materi­el­len Nachteil hatten. Am Ende standen alle vor dem Chaos, — und es überrascht, daß, mit Ausnah­me der Firma Fritz Leitz, die wenig später aufge­löst wurde, in allen Oberko­che­ner Firmen, gleich ob sie in der Rüstung tätig gewesen waren oder nicht, bereits im Sommer 1945 wieder gearbei­tet wurde.

Ferner zeigte sich, — und das mag für manchen überra­schend sein — daß Oberko­chen insge­samt, gerade durch den einen im Verhält­nis überpro­por­tio­nal großen Rüstungs­be­trieb, zu dem sich weite­re Betrie­be gesell­ten, vom III. Reich mehr mit- und abbekom­men hat als Gemein­den vergleich­ba­rer Größe. Auch die gesam­te Nachkriegs­ent­wick­lung hängt letzten Endes damit zusam­men: In den leerste­hen­den Fabri­ka­ti­ons­ge­bäu­den der Firma Fritz Leitz begann die Weltfir­ma Carl Zeiss ihre Nachkriegsproduktion.

Als weite­res Ergeb­nis bleibt festzu­hal­ten, daß der schnell-aufge­kom­me­ne Wohlstand, wie überall in Deutsch­land, so auch in Oberko­chen, lange Zeit über die eigent­li­chen Entwick­lun­gen im III. Reich hinwegtäuschte.

Der »Autobahn­hit­ler«, der »Arbeits­be­schaf­fungs­hit­ler«, der »das-hätte-esbei-Hitler-nicht-gegeben-Hitler«, — der rosarot gefärb­te Hitler also, flackert hie und da verhal­ten. Auch das sei festge­stellt. Doch auch hier sind Oberko­che­ner wieder­um nicht anders als andere Deutsche. Alles andere festzu­stel­len wäre eine Verfäl­schung des Bildes. Es ist eben sehr einfach, das »Gute« von damals mit dem »Schlech­ten« von heute zu vergleichen.

Auch sollte man sehen, daß selbst in unserer derzei­ti­gen etwas sensi­bi­li­sier­te­ren Gesell­schaft vieler­orts in der Bundes­re­pu­blik Menschen, die im Herzen Rüstungs­geg­ner sind, in Betrie­ben arbei­ten, die im Rüstungs­ge­schäft stehen. Wie konse­quent sind wir heute?

Ein letztes: Schon in frühe­ren Jahren, aber auch beim Zusam­men­tra­gen des Materi­als für diesen Bericht, stieß ich so hin und wieder auf Äußerun­gen wie: In Oberko­chen war’s ruhig im III. Reich, oder: Vom III. Reich hat man in Oberko­chen nicht viel gemerkt.

Dem wider­spre­chen Fakten wie die Rathaus­be­set­zung, die Auflö­sung des Zentrums, der politisch erzwun­ge­ne Bürger­meis­ter­wech­sel, Gesta­po­ver­haf­tun­gen, die vereins­in­ter­nen Macht­kämp­fe, das Schul­ver­bot für Pfarrer Jaus, die Ablösung eines 1. Vereins­vor­stands durch kommu­na­le Erpres­sung und das Verhal­ten einiger Famili­en, die nicht in die NSDAP einge­tre­ten waren, im priva­ten, aber auch im öffent­li­chen Leben, wie zum Beispiel bei der Auflö­sung der Konfes­si­ons­schu­len, bei Zeugnis­er­tei­lun­gen und Beurtei­lun­gen … Selbst bei »wohlwol­len­der« Einstel­lung gegen­über dem Régime am eigenen Ort wurden solche Ereig­nis­se ja irgend­wo aufge­nom­men und irgend­wie gespeichert.

Mit 40 Jahren Abstand — das kam in einigen Gesprä­chen mit Vertre­tern »beider Seiten« zum Ausdruck — ist vieles, bewußt oder unbewußt, verdrängt. Dies ist eine Tatsa­che, die auch im psycho­lo­gi­schen Bereich begrün­det ist.

Es war nicht Ziel und Zweck dieses Beitrags, eine »Dokumen­ta­ti­on« des III. Reichs in Oberko­chen zu erstel­len. Hieran zu arbei­ten, auf der Grund­la­ge dieses Mosaiks, könnte vielleicht über Jahre dauernd, eine von vielen Aufga­ben eines in naher Zukunft zu gründen­den Heimat­ver­eins sein.

Geschich­te kann man nur bewäl­ti­gen, wenn man darüber spricht und nachdenkt. Oberko­che­ner haben beides getan für diesen Beitrag. Kleine Ungenau­ig­kei­ten möge man ihnen und mir nachsehen.

Gerne will ich abschlie­ßend einräu­men, daß mein persön­li­ches Bild, das ich über Jahre hinweg vom III. Reich in Oberko­chen hatte — ich bin seit immer­hin 24 Jahren Oberko­che­ner Bürger — unvoll­stän­dig und teilwei­se falsch war. Grund: Die Oberko­che­ner hatten das III. Reich selbst weit wegge­scho­ben und es kursier­ten nur oberfläch­li­che Meinun­gen und Gerüch­te. Viele Oberko­che­ner haben mir immer wieder gesagt: Es war in Oberko­chen auch nicht anders als anders­wo. Was mit dieser allge­mei­nen Formu­lie­rung ausge­sagt ist, habe ich versucht, herauszufinden.

Der Rote Faden, den ich aufzu­wei­sen versucht habe, so glaube ich, stimmt im wesent­li­chen, — noch gibt es weiße Stellen in diesem Mosaik.

Unseren Toten und Vermiß­ten (Zeitta­fel) des Zweiten Weltkriegs wurde auf dem neuen Gemein­de­fried­hof ein Ehren­mal errich­tet. Mögen die alljähr­lich anläß­lich des Volks­trau­er­tags von Geist­li­chen und Bürger­meis­tern formu­lier­ten Gedan­ken dazu beitra­gen, den Frieden- aber auch den Freiheits­wil­len in Oberko­chen zu kräftigen.

Oberkochen
Oberkochen
Oberkochen
Oberkochen

Am Zustan­de­kom­men dieses Mosaiks des III. Reichs in Oberko­chen waren, zum Teil mit ausführ­li­chen, zum Teil mit kürze­ren oder winzi­gen und dennoch wichti­gen Beiträ­gen, in dankens­wer­ter Weise betei­ligt (alpha­be­tisch):

Das Heimat­buch erschien 1986. 26 Jahre danach waren 14 der 24 Oberko­che­ner Autoren (Seite 487) und 19 der 26 zum Beitrag »Das III. Reich in Oberko­chen« befrag­ten Bürger (Seite 210) verstor­ben. Stand: Oktober 2012

Herr Dr. Hans-Joachim Bayer
Herr Rudolf Eber †
Herr Kurt Elmer
Herr Alois Fischer †
Frau Rosa Fischer †
Frau Trudl Fischer †
Herr Hans Frank †
Herr Johan­nes Gold †
Herr Kuno Gold †
Frau Martha Gold
Herr Anton Grupp †
Herr Clemens Grupp †
Frau Elise Grupp †
Herr Valen­tin Günther †
Herr Rochus Hug †
Frau Josi Kurz
Herr Peter Meroth
Herr Hans Minder †
Herr Dr. Hans Schmid †
Frau Josephi­ne Schmid †
Frau Ida Tritt­ler †
Herr Karl Unfried
Herr Karl Wannen­wetsch †
Herr Karl Widmann †
Herr Max Wirth †
Firma Carl Zeiss

Vielen weite­ren Bürgern, die direkt oder indirekt mitge­hol­fen haben, dieses oder jenes Problem zu lösen, freund­li­chen Dank.

Dietrich Bantel