Wahrscheinlich gab es in früheren Zeiten auch in Oberkochen eine »Badstub«, denn — warum sollen die Oberkochener es mit der Hygiene nicht genau so gehalten haben wie die Unterkochener!
Im ersten Gültbuch des Amtes Kochenburg von 1337 ist in Unterkochen eine Badstube aufgeführt. Diese Badestuben, so der Chronist, waren Erblehen und deren Betreiber sind über die Jahrhunderte bis 1847 durchweg namentlich bekannt.
Der erste Wundarzt, Franz Sinz, kam 1874 nach Unterkochen und hatte dort bis 1904 eine große Praxis, die sich auf das vordere Härtsfeld und bis Oberkochen erstreckte. Der erste praktische Arzt in Unterkochen, Dr. med. Karl Dischler, besuchte seine Oberkochener Patienten mit dem Pferde. Er war nur kurze Zeit in Unterkochen ansässig und verlegte seinen Sitz nach Heidenheim. Ihm folgte Dr. med. Hans Schmitt, ebenfalls wohnhaft in Unterkochen, der bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges das selbe Gebiet versorgte.
Zur gleichen Zeit um die Jahrhundertwende betreute von Königsbronn aus Dr. med. Liesching ebenfalls Oberkochener Einwohner. Ab 1913 übernahm Dr. med. Lubenau diese Praxis, die sich vom Härtsfeld über das Brenztal hinweg bis Bartholomae und bis in das Kochertal ausdehnte. Er war übrigens der erste Arzt, der Oberkochen per Automobil besuchte.
Seit 1906 besteht in Oberkochen eine Schwesternstation des Franziskanerinnenordens, dessen Mutterhaus in Reute, Oberschwaben, ist. Mit unermüdlicher Einsatzbereitschaft und reicher Erfahrung betreute in der Kriegs- und Nachkriegsnotzeit die allseits sehr geachtete und respektierte Ordensschwester Aspedia die Kranken und Alten des Ortes. In Schwester Raimunda hat der Orden seit 1977 eine sehr tüchtige Nachfolgerin gefunden.
Bis zur Eröffnung der ersten Apotheke in Oberkochen durch den Apotheker U. Irion im Jahre 1950 besorgten als »Apothekerboten« zwei verläßliche Oberkochener Rentner oft zweimal täglich mit der Eisenbahn die Rezepte der Patienten aus den zwei Aalener Apotheken.
Ich kam im Herbst 1944 von der Truppe nach Oberkochen und betrieb nach meinem Dienstschluß im Heidenheimer Wehrmachtslazarett bei den hiesigen Einwohnern eine wohl für alle Teile erfreuliche »Rauchfleisch- und Eierpraxis«. Aber es gab damals für mich auch traurige ärztliche Tätigkeit: Versorgung Schwerverletzter und Bergung von Toten nach Tieffliegerangriffen auf den Ort, den Bahnhof und auf Eisenbahntransporte. Am Kriegsende ordnete die amerikanische Militärbehörde an, daß ich die ärztliche Versorgung der damals etwa 1000 Fremdarbeiter in den Betrieben Oberkochens zu übernehmen habe. Als weitere Folge ergab sich daraus im Juni 1945 meine offizielle Niederlassung als erster Arzt in Oberkochen.
Der Anfang war — wie überall — schwer. Keine Instrumente, keine Medikamente, bescheidene Praxisräume, kein Fahrzeug. Mit einem geliehenen Motorrad fuhr ich meine ersten Patienten selbst zum Röntgen in die Krankenhäuser nach Aalen und Heidenheim. Anfangs gab es für die Behandlung und Hausbesuche oft noch kein Honorar, dafür aber hin und wieder einen guten Obstler. Bei einem Hausbesuch am Heiligabend wollte ein angesehener, alter Oberkochener Handwerksmeister mir auch Gutes antun. Im Bett liegend sagte er zu seiner Frau: »Mutter, gib dem Doktor einen Schnaps, aber vom Guten!« Mutter holte die Flasche hinter dem Bett hervor, schenkte ein und gab ihn mir. Ich trank und machte wohl ein recht dummes Gesicht. »Schmeckt er nicht, Doktor?« — »Nein!« — »Laß mal probieren, Mutter!« — »Heideblitz, du hast dem Doktor ja vom Weihwasser eingeschenkt!«
Bereits 1946 ließ sich ebenfalls vom Kriegsdienst entlassen, aus dem Sudetenland stammend, Dr. L. Borst als zweiter Arzt in Oberkochen nieder.
In den Nachkriegsjahren gehörte die Leitung der Hausgeburten noch generell zur Aufgabe eines praktischen Arztes mit Geburtshilfe. Eine Tätigkeit, die bei uns Ärzten oft mit viel zusätzlichem Einsatz aber auch mit Freude verbunden war. Ich erinnere mich an eine Nacht, in der im Altenteil des Geburtshauses, also in der gleichen Familie, ein langes Leben friedlich verlosch und fast gleichzeitig ein junges munter schreiend in die Welt trat. So leisteten wir damals zusammen mit der schon hochbetagten Hebamme Holz und ab 1948 mit ihrer Nachfolgerin Frau Hauber jährlich bei ca. 120 Hausgeburten in Oberkochen ärztliche Hilfe.
Als erste Zahnärztin in Oberkochen eröffnete Frau E. Gebert aus Danzig kommend 1948 ihre Praxis. Die Familientradition wird jetzt durch den Sohn, Dr. med. dent. H. Gebert seit 1952 und bereits durch den Enkel, Dr. med. dent. F. Gebert fortgesetzt.
Dr. med. dent. E. Meyer praktizierte von 1950 bis zu seinem Tode 1965. Zahnarzt H. Mangold war von 1965 bis 1973 hier tätig. Zahnarzt K.M. Riede praktiziert seit 1955. Dr. med. dent. D. Klemen ist seit 1967 in Oberkochen niedergelassen.
Im Jahr 1964 eröffnete Apotheker W. Mögel in Oberkochen die Kochertalapotheke.
Mit dem explosiven Wachstum des Ortes erfolgten auch weitere Arztniederlassungen. Als nächster Arzt eröffnete Dr. J. Jordan aus dem Sudetenland kommend 1950 seine Praxis. Ihm folgte 1956 das Arztehepaar, Drs. A. und M. Schwarz. Herr Assmuss war von 1966 bis 1981 hier niedergelassen. Dr. G. Osang praktizierte von 1969 bis 1973. Dr. F. Busch war als Internist von 1972 bis 1985 hier tätig. Alle bisher aufgeführten Ärzte haben mittlerweile ihre Praxis aus Altersgründen aufgegeben.
Zum jetzigen Zeitpunkt praktiziert in Oberkochen bereits die zweite Ärztegeneration. Es sind:
Dr. H. Brennenstuhl, Allgemeinarzt, niedergelassen seit 1974.
Dr. R. Borst, jun., Allgemeinarzt, niedergelassen seit 1977.
Dr. K. Holtz und A. Möhrle, Allgemeinärzte in Gemeinschaftspraxis, niedergelassen seit 1983.
Herr F. Rosenberg, Gynäkologe, niedergelassen seit 1984.
Dr. G. Joka, Internist, niedergelassen seit 1985.
Neben der Krankenstation des Katholischen Schwesternhauses, die mit dem kath. Krankenpflegeverein verbunden ist, besteht auch ein ev. Krankenpflegeverein. In ihm war Schwester Angelika von 1968–85 segensreich tätig. Jetzt leisten Schwester Ruth und Schwester Silvia pflegerische Hilfe. In nächster Zeit wird auf gemeinschaftlicher Basis eine Krankenpflegestation eingerichtet, in der ältere, vor allem alleinstehende Patienten statt im Krankenhaus hier ärztlich betreut werden können.
Im Juni 1932 gründeten hilfsbereite Bürger unter der Leitung von Paul Uhl in Oberkochen eine Sanitätskolonne. Die damalige Aus- und Weiterbildung erfolgte anfänglich noch in den Wohnungen der Männer. Daraus entstand der Ortsverein des Deutschen Roten Kreuzes unter dem jetzigen Vorsitzenden Schönherr. Das DRK ist mit seiner aktiven Bereitschaft unter der Leitung von Wolfgang Kroh bei Unfällen, Notständen, Ausbildung in Erster Hilfe, Blutspendeaktionen, Altenbetreuungen u.s.w. mit viel selbstlosen Einsatz tätig. Hiesige Ärzte arbeiten seit 1945 im DRK, betreuen seit 1956 die hiesige Versehrtensportgruppe, machen sportmedizinische und flugmedizinische Untersuchungen und Beratungen.
Mit der Entwicklung Oberkochens vom Dorf zu einer weit über die Grenzen bekannt gewordenen Stadt ist gleichzeitig das Gesundheitswesen gewachsen. So ist auch das ärztliche Wirkungsspektrum laufend breiter geworden. Wie sich die Medizin von der kurativen, d.h. der heilenden immer mehr auf die praeventive Versorgung des Menschen ausrichtet, so reicht jetzt die ärztliche Tätigkeit von der Mutterschaftsberatung, der Säuglingsvorsorge, der sportmedizinischen Betreuung und anderen Vorsorgeuntersuchungen und ‑beratungen über die notwendige Behandlung von Krankheiten bis zur Rehabilitation der Patienten und der geriatrischen Betreuung älterer Menschen. Dazu wollen wir Ärzte Helfer und Heiler sein.
Eberhard Sussmann