Oberko­chen 1945 — 1948

Wieder­ein­mal zur richti­gen Zeit erhiel­ten wir von unserer BuG-Leserin Luitgard Hügle einen Bericht aus Itali­en zugesandt. Er paßt hervor­ra­gend in die vorweih­nacht­li­che Landschaft, während der, wie alljähr­lich, die Wohlstands­wel­le beson­ders heftig über uns herein­bricht. Der Bericht zeigt, mit wie wenig die Menschen damals zufrie­den waren, und in mancher­lei Hinsicht gewiß ausge­gli­che­ner und glück­li­cher, als wir es heute fertig bringen. Der Heimat­ver­ein ist immer noch auf der Suche nach Bilddo­ku­men­ten aus der Zeit zwischen 1940 und 1950. Bitte unter­stüt­zen Sie uns bei der großen Arbeit, eine Fotodo­ku­men­ta­ti­on von Oberko­chen zu erstel­len. Herr Volkmar Schrenk, OStD i. R., hat sich dieser Aufga­be angenom­men. Ein ausführ­li­cher Bericht erscheint demnächst an dieser Stelle.

Da wir kein passen­des Foto aus der Zeit haben, die zu der im folgen­den Bericht beschrie­be­nen Situa­ti­on führte, bilden wir, zur Mahn, ein Foto ab, das 1944, vor 45 Jahren aufge­nom­men, von Stutt­gart existiert. Die Aufnah­me entstand in der Nacht vom 25. auf 26. Juli. Während dieser beiden Tage griffen insge­samt 1164 Bomber die Landes­haupt­stadt an und luden allein ca. 30.000 Brand­bom­ben auf sie ab. Was nur an diesen beiden Tagen an Leid entstand, ist unermeß­lich. Dieser Angriff war ein Vergel­tungs­schlag für V1-Angrif­fe auf London, wo das gleiche Leid entstan­den war …

Oberkochen

Dietrich Bantel

Erinne­run­gen an die Zeit der »Selbst­ver­sor­gung« Oberko­chen 1945 — 1948

Kinder­ge­sprä­che aus der Nachkriegs­zeit waren: »Wir haben daheim noch echte Kernsei­fe« — »Und wir haben noch 2 Riegel Block­scho­ko­la­de!«. Wer diese Zeit nicht miter­lebt hat, kann sich kaum vorstel­len, was dies für Schät­ze waren. Und dabei gehöre ich sicher zu den wenigen Glück­li­chen jener Zeit in Deutsch­land, die nicht wirklich Hunger gelit­ten haben! Sei es, weil ich noch recht klein war, sei es, weil die Eltern auf dem Land immer noch etwas aufge­trie­ben haben.

An den sagen­haf­ten Kaffee-Segen, der per Bahn nach Oberko­chen kam, kann ich mich selbst nicht erinnern, aber mit ähnli­chen Trans­por­ten sind wohl auch die Bonbons gekom­men, von denen ich noch gut weiß, eiför­mig, pastell­far­ben und außen rauh von Zucker. »Schwar­ze« Nudeln gab es in jener Zeit und braunen Zucker, gerade so wie er jetzt wieder »in« ist. Man — das heißt die Eltern und auch die Kinder — hatten viel zu tun, um Eßbares zu beschaf­fen und satt zu werden. Was man nicht im eigenen Garten hatte, suchte man im Wald. Was man nicht kaufen konnte, versuch­te man zu tauschen — oder man ging auf die Bauern­hö­fe, um zu »hamstern«. Im Wald fand man Himbee­ren und Heidel­bee­ren für G’sälz, Schle­hen für Saft und Hagebut­ten und Spitz­we­ge­rich für Tee. Tannen­limp­fe durfte man nicht pflücken und daran hielt man sich, obwohl der Tannen­ho­nig sehr gut sein soll.

Einen Herbst (1946 ?) gab es viel Buchele (Bucheckern), aus denen man Öl pressen konnte und die Leute kamen von weit her zum Sammeln. Bald war das »Klopfen« (mit einem Holzham­mer gegen den Stamm, nachdem man zuvor Decken unter den Baum gelegt hatte) verbo­ten. Aber das Sammeln allein war halt doch recht mühsam. Also gingen wir eines Morgens sehr früh, sehr weit in den Wald hinein. Außer den Decken und dem Vesper hatte mein Vater »a Mapp« dabei: eine Akten­ta­sche mit Fuchs­schwanz­sä­ge, Nägeln und Hammer. Im Wald wurden zwei dünne Tännchen gefällt und flugs eine Leiter daraus gemacht. Dann ging die Arbeit los und sicher hat niemand das Klopfen gehört, so weit weg waren wir. Wie groß die Ausbeu­te war, daran kann ich mich aller­dings nicht erinnern und auch nicht, ob das Buchen­öl eigent­lich gut geschmeckt hat, aber ältere Oberko­che­ner wissen das bestimmt noch.

Mit der Kleidung kam man, beson­ders für uns Kinder, ganz gut hin. Aus einem alten Stall­kit­tel, gewaschen, getrennt, gewen­det und womög­lich noch gefärbt, bekam man das schöns­te Kinder­män­te­le. Schwie­ri­ger war es schon mit den Schuhen. Ich weiß nicht, wie mein Vater es geschafft hat, zu 2 Schäf­ten für Kinder­stie­fel zu kommen. In Schnait­heim fand er dann auch den Schus­ter, der — gegen was? — die Stiefel­chen daraus machte. Dunkel­braun und glänzend und natür­lich einige Nummern größer, als sie gebraucht wurden. Das wird wohl im Winter 46/47 gewesen sein und feste Schuhe waren bitter nötig.

Bald schon gab es dann die Schul­spei­sung. Wer erinnert sich nicht gerne an den dampfen­den Kakao aus den blaue­mail­lier­ten Behäl­tern und an den Milch­we­cken dazu? Etwas weniger geschätzt war die Gemüse­sup­pe, mit den rosa Fleisch­stü­cken drin, beson­ders, nachdem »aufkam«, es hande­le sich um Pferde­fleisch. Da wander­te dann manches Stück von einem Kochge­schirr ins andere. Außer­or­dent­lich begehrt dagegen war der Schoko­la­den­rie­gel, den man ab und zu bekam und die gesal­ze­nen Erdnüs­se. Ich ging damals in die — vormals evange­li­sche — Schule in der Kirch­gas­se und Herr Braun, unser Lehrer, ging von Bank zu Bank, um die Erdnüs­se aus einer großen Tüte in die aufge­hal­te­nen Händchen zu füllen.

Trotz dieser Köstlich­kei­ten schmeck­te dann das Mittag­essen mit Kohlra­bi und Knöpf­le, Linsen und Spätz­le, Dampf­nu­deln oder Ofenschlup­fer, Kartof­fel­sup­pe und Salzku­chen, Grieß­brei und Holder­schmar­ren. Das Fleisch vermiß­te man gar nicht. Auch Wurst war rar. Zum »Vesper«, dem Abend­essen, gab es Butter­brot mit Rettich oder »Reiter­le« mit Salzhe­ring. Vielleicht war das Wort »Reiter­le« eine Erfin­dung meines Vaters: der kleine Reiter Wurst, Käse oder Fisch auf dem großen Pferd, sprich Brot — Schie­be­brot habe ich es viel weniger prosa­isch schon nennen hören.

Von Urlaub und Erholung redete in dieser Zeit kein Mensch und doch durfte ich in Ferien. Nach Zang, auf den Bauern­hof am Weiher. Da war natür­lich alles viel anders als bei uns, beson­ders während der Zeit der »Aehret« (Ernte). Da waren die Reiter umgekehrt: ein kleines Brot mit einem großen Stück Wurst obendrauf. Jedem Ernte­hel­fer wurde am großen Tisch ein Krug Bier hinge­stellt. Aber an diesem Tisch war natür­lich kein Platz für die Kinder, die bekamen ihr Abend­essen in einer Ecke der Küche und das große Stück Wurst auf dem Brot und selbst der Süßmost waren ein schwa­cher Trost. Dann wurde man ins Bett »gesch­am­pert«. Nach wenigen Tagen bekam ich sehr Heimweh und war glück­lich, wieder mit meinem Vater über den Berg heimzuwandern.

Dies wird sich wohl schon um die Zeit der Währungs­re­form zugetra­gen haben, damals, als die Leute davon sprachen, daß es nun bald wieder ein richti­ges Kotelett geben solle und genügend Öl, um einen schönen »schmot­zi­gen« Kartof­fel­sa­lat zu machen.

Luitgard Hügle

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