Aus Anlaß des 75. Geburts­tags des vor nahezu 10 Jahren verstor­be­nen Bürger­meis­ters von Oberko­chen, Gustav Bosch, drucken wir heute seine Ausfüh­run­gen zur Stadt­er­he­bung ab, wie sie im Amtsblatt vom 28.6.1968, dem Vortag der Stadt­er­he­bung, nachzu­le­sen sind.

Die Landes­re­gie­rung hat der Gemein­de Oberko­chen mit Beschluß vom 26. März 1968 das Recht verlie­hen, mit Wirkung vom 1. Juni 1968 die Bezeich­nung »Stadt« zu führen. Wenn wir von diesem Recht erst ab morgen Gebrauch machen, so deshalb, weil das zum bürger­li­chen Gemein­de­zen­trum gehöri­ge »Hotel am Rathaus« und vor allem der Platz vor dem Rathaus, der Eugen-Bolz-Platz, und die Treppen­an­la­ge zur Lenzhal­de vollends ganz fertig­ge­stellt werden mußten. Der Beschluß des Minis­ter­rats gründet sich auf § 5 der Gemein­de­ord­nung, der besagt, daß einer Gemein­de, die nach Einwoh­ner­zahl, Siedlungs­form, nach ihren kultu­rel­len und wirtschaft­li­chen Verhält­nis­sen städti­sches Geprä­ge trägt, die Bezeich­nung »Stadt« verlie­hen werden kann. Eine Gemein­de muß also bereits eine Stadt sein, sie muß mit allen ihren Lebens­äu­ße­run­gen in diesen Begriff hinein­ge­wach­sen sein, ehe ihr der Stadt­brief gewis­ser­ma­ßen zufällt. Man kann sie nicht einfach dazu ernen­nen, wenngleich wir glück­lich darüber sind, aus der Entschei­dung der Landes­re­gie­rung und aus der dafür sehr maßge­ben­den Befür­wor­tung des Herrn Innen­mi­nis­ters eine wohlwol­len­de Gesin­nung erken­nen zu dürfen, zumal die Richt­zahl von 10.000 Einwoh­nern noch nicht erreicht ist. Es war uns fast etwas peinlich, daß wir entspre­chend dem Wortlaut der Gemein­de­ord­nung einen förmli­chen Antrag stellen mußten, und wir waren dankbar dafür, daß Herr Innen­mi­nis­ter Krause sich nach einer mündli­chen Anfra­ge beim vorjäh­ri­gen Regie­rungs­be­such auf der Kapfen­burg bereit­wil­lig darauf einge­las­sen hat, eine Vorprü­fung der maßge­ben­den Voraus­set­zun­gen zu veranlassen.

Wir haben dann in einer kurzen Denkschrift darzu­stel­len versucht, weshalb wir glauben, daß eine Stadt­er­he­bung gerecht­fer­tigt sei. Sie ist in der Tages­pres­se und im Gemein­de­amts­blatt abgedruckt worden, so daß ich mich hier auf Stich­wor­te beschrän­ken kann. Der Gemein­de­rat hat im Verlauf der Vorprü­fung und des Antrags­ver­fah­rens mit Genug­tu­ung feststel­len dürfen, daß alle betei­lig­ten Behör­den — Landrats­amt, Regie­rungs­prä­si­di­um und Innen­mi­nis­te­ri­um — unsere Auffas­sung einhel­lig geteilt haben, so daß dem Kabinetts­be­schluß keine Hinde­rungs­grün­de mehr entgegenstanden.

Oberko­chen ist nun die 302. Stadt des Landes Baden-Württem­berg und die 7. des Landkrei­ses Aalen. Seit 1. April 1956, dem Inkraft­tre­ten der neuen Gemein­de­ord­nung, ist sieben Gemein­den die Bezeich­nung »Stadt« verlie­hen worden: Gerlin­gen, Korntal, Ditzin­gen, Leinfel­den, Schries­heim, Wendlin­gen und — zum 1. April 1968 — Wernau. Auch bei diesen jungen Städten handelt es sich um Gemein­den, die beson­ders nach dem zweiten Weltkrieg rasch aufge­blüht sind und die das Stadt­recht, wie wir auch, als eine gewis­se äußere Anerken­nung des Staates für die Leistun­gen ihrer Bürger­schaft, ihrer Wirtschaft und ihrer Verwal­tung betrach­ten. Wenn wir nach dem Geburts­jahr unseres Stadt­rech­tes forschen, so wird man bei bedäch­ti­ger Betrach­tung aller Glieder der ununter­bro­che­nen Kette von Ursachen und Wirkun­gen im Jahre 1946 anhal­ten müssen. In diesem Jahr fiel der Entschluß der Geschäfts­lei­tung der Firma Carl Zeiss, die nach der Überga­be Jenas an die sowje­ti­sche Besat­zungs­macht mit zahlrei­chen wissen­schaft­li­chen Mitar­bei­tern in Heiden­heim Unter­kunft gefun­den hatte, in den leerste­hen­den Leitz’schen Fabrik­ge­bäu­den wieder mit der Produk­ti­on anzufan­gen. Damit beginnt eine Verän­de­rung der Gemein­de von Grund auf, bald nach der Währungs­re­form eine stürmi­sche Entwick­lung, die uns bis zum Jahr 1962 an die Spitze aller Wachs­tums­ge­mein­den des Landes setzt. (Dann haben uns Leinfel­den und Gerlin­gen überholt.)

Aus 2000 Einwoh­nern im Jahre 1939 sind heute 8600 gewor­den, bei mehr als 7000 Arbeits­plät­zen. Mit Dankbar­keit denken wir an die ersten schwie­ri­gen Jahre zurück, da die sich ebenfalls stark entfal­ten­de altein­ge­ses­se­ne Indus­trie und die freiwil­li­gen Hilfen der neuen Firma Zeiss-Opton, wie sie anfäng­lich hieß, als finan­zi­el­le Stützen für den Neubau der Gemein­de dienten. Glück­li­cher­wei­se haben die Jahre der Hochkon­junk­tur die finan­zi­el­le Kraft der Gemein­de so gefes­tigt, daß die Grund­aus­stat­tung einer Stadt mit Schulen, Sport­stät­ten und allen notwen­di­gen Einrich­tun­gen geschaf­fen werden konnte. Als eine gewis­se Krönung der städte­bau­li­chen Planun­gen betrach­ten wir inmit­ten des neuen, schönen Bauge­biets in den Gewan­den Guten­bach und Tierstein das neue Rathaus mit Bürger­saal und Hotel und dazu gegen­über das katho­li­sche Gemein­de­zen­trum und die in der Fertig­stel­lung begrif­fe­ne evange­li­sche Kirche. Wir wissen wohl, daß wir nicht immer der überaus raschen Entwick­lung folgen konnten, daß es noch einige Gelegen­hei­ten gibt, unbefrie­di­gen­de Zustän­de, sei es ganz allge­mein im Verkehrs­we­sen, sei es bei einzel­nen Gebäu­den und Grund­stü­cken, dem neuen Gesicht Oberko­chens anzupas­sen. Wir vertrau­en dabei auf die Entschluß­kraft und Weisheit des Gemein­de­rats, auf die Einsicht und Geduld der Mitbür­ger, nicht zuletzt aber auch auf einen sich festi­gen­den Bürger­sinn, der die der Gemein­de mit der Stadt­er­he­bung zuteil gewor­de­ne Ehrung wohl verstan­den hat. Soviel zur Siedlungs­form, die wir mit dem Bauge­biet »Heide« auf lange Sicht in einer Weise abzurun­den geden­ken, daß »die Stadt mit der Ordnung ihrer Bauten die Bürger sicher und glück­lich macht«. Wir können dieses Wort des Aristo­te­les unver­än­dert stehen lassen, wenn er auch die äußere Sicher­heit gemeint hat; die Sicher­heit der Bürger im Straßen­ver­kehr ist heute keine gerin­ge­re Aufga­be als einst der Bau von Mauern und Gräben.

Straßen und Wohnhäu­ser, Fabri­ken und öffent­li­che Gebäu­de sieht man wachsen. Ihr Wert ist in Mark und Pfennig auszu­drü­cken. Etwas anderes ist es, wenn kultu­rel­le Verhält­nis­se beurteilt werden sollen. Freilich sieht man auch hier ein äußer­li­ches Wachs­tum: Denken wir an unsere gut ausge­bau­ten Volks­schu­len, an das bereits geneh­mig­te Gymna­si­um mit dem Beginn der Oberstu­fe im kommen­den Herbst, an Büche­rei und Bildungs­werk, an den Kultur­ring Carl Zeiss und — durch­aus in diesem Zusam­men­hang zu nennen — an die Turnhal­len, das Kocher­sta­di­on und das Hallen­bad, an Einrich­tun­gen also, die für eine gewis­se Urbani­tät sehr wichtig sind. Dieser Begriff ist schwer zu überset­zen und jedes Zeital­ter wird andere Vorstel­lun­gen damit verbin­den. Vielleicht gibt es aber auch zeitlo­se Deutun­gen, und ich glaube, eine solche gefun­den zu haben in Martin Luthers Schrift »An die Bürger­meis­ter und Ratsher­ren aller Städte in deutschen Landen«:

Nun liegt einer Stadt Gedei­hen nicht allein darin, daß man große Schät­ze sammle, feste Mauern und schöne Häuser habe … sondern das ist einer Stadt bestes und aller­reichs­tes Gedei­hen, ihr Heil und ihre Kraft, daß sie viel feiner, gelehr­ter, vernünf­ti­ger, ehrba­rer, wohlerzo­ge­ner Bürger habe; die können dann wohl Schät­ze und alles Gut sammeln, halten und recht gebrauchen.

Hier können wir nur hoffen, daß die gegen­wär­ti­gen Wirrsa­le an den hohen und höheren Schulen unseres Landes von einem guten Geist überwun­den werden, der sich immer wieder über das Chaos erhebt und auch die Menschen Abbil­der der Schön­heit und Ordnung des Kosmos, der festge­grün­de­ten Mitte der Welt, zeichen­haft darstel­len läßt. So hat uns auch diese neue Stadt vorge­schwebt mit Tempel, Forum und Gymna­si­um. Daß diese Nachbar­schaft keine nur städte­bau­lich erwünsch­te, sondern eine von den Bürgern geleb­te bleibe, ist meine beson­de­re Bitte am Tag der Stadt­er­he­bung an den Herrn der Geschich­te auch dieser Gemein­de Mit dem Begriff der Urbani­tas ist untrenn­bar verbun­den die Humani­tas, die Mensch­lich­keit. »La ville est la forme de l’Huma­ni­te.« Dieses Wort Paul Claudels bringt uns nahe, wie eine vollende­te Stadt eben die rechte Ausdrucks­form der Mensch­lich­keit sei. Wir denken dabei auch an die Tugen­den, die vor allem den Rat einer Stadt auszeich­nen sollen: Klugheit und Gerech­tig­keit, Tapfer­keit und Maß. Es wird gelten, sie im Alltag der kommu­na­len Politik zu üben in einer immer vollkom­me­ne­ren Aneig­nung der Demokra­tie als Lebens­form, damit sie auch als Staats­form Bestand habe. Dazu braucht es keiner neuen Geset­ze und keiner neuen Stadt, aber täglich neuer Menschen, die immer wieder anzuzie­hen uns die Kraft und die Einsicht gegeben werden möge.

Der Mensch lebt nicht allein vom Brot, aber auch vom Brot. Geld und Gut sind das finan­zi­el­le Funda­ment auch einer Gemein­de. Hier können wir nur Gott danken, wenn wir die Wirtschafts­kraft unserer Gemein­de betrach­ten. Wir sollten es auch nicht bekla­gen, wenn wir nicht zu den Indus­trie­or­ten gehören, deren Steuer­sä­ckel überfließt. Wir hatten bisher, was wir brauch­ten und noch etwas mehr, so daß auch das Feier­tags­ge­wand der Gemein­de angeschafft werden konnte. Als Glieder unseres Landes und Staates sind wir mit seinem Wohl und Wehe verbun­den und werden daher auch die rechte Haltung bewah­ren, wenn mögli­che ungüns­ti­ge Entwick­lun­gen uns Beschrän­kun­gen aufer­le­gen oder jedem einzel­nen vorüber­ge­hend abver­lan­gen sollten, was einer Mehrheit der Bürger dieses Landes schon immer zugemu­tet wird. Unsere Gemein­de darf sich eines tüchti­gen Handwer­ker­stan­des und eines fleißi­gen Gewer­bes rühmen. Doch ist ihre entschei­den­de Lebens­grund­la­ge bereits seit vielen Jahrzehn­ten die Indus­trie. Daß sie vom Schick­sal auser­se­hen war, ein Werk von Weltgel­tung in Wirtschaft und Wissen­schaft aufzu­neh­men, ist ihr beson­de­rer Stolz. Ich habe aufzu­zei­gen versucht, weshalb wir glauben, das Fest der Stadt­er­he­bung zu Recht feiern zu dürfen. Unsere Mitbür­ger, unsere Nachbarn, alle, die uns wohlge­son­nen sind, bitten wir, unser Glück in diesen Tagen vermeh­ren zu helfen, indem sie an unserer Freude teilnehmen.

Mit der freund­li­chen Geneh­mi­gung von Frau Helene Bosch veröf­fent­li­chen wir ein Gedicht, das Gustav Bosch ein Jahr vor der Stadt­er­he­bung geschrie­ben hat — Zeilen, die Wärme herbei­seh­nen in einer Zeit der frieren­den Herzen.

Überlin­gen, 23. Febru­ar 1967

Wieder zieht der Frühling herab von den Bergen
Frieren­de Herzen zwingen ihn sehnend ins Tal
Und es begrü­ßen sich Gärten und Wälder
in ewiger Jugend
Still und staunend stehst du, das Wunder
in Ehrfurcht zu fassen Wärmen­de Winde treiben als muntre Gesel­len
Ballen­de Wolken scher­zend im Spiel vor sich her
Doch dein grauer schul­di­ger Schei­tel
hindert die bangen­de Seele
Frei empor sich zu schwin­gen unter den
jubeln­den Tanz
Aus den ach so fernen Gärten der Jugend
Klingt ein wehmü­ti­ges Lied, vom Vögelein
Schwer­mut leise gesun­gen
O Wande­rer, schau in den Spiegel,
Hast Du nicht allzu lange geras­tet
Narrt dich ein Werk, und verpas­sest du darob dein Ziel?

Siehe, der Freun­de sind mehr und mehr es gewor­den,
Die den Stab in die Weite mutig und fröhlich ergrif­fen.
Bist du so sicher, daß dir; wenn einst alle gegan­gen,
Dein Guter Engel doch bleibe,
die bitte­ren Wasser in Wein zu verwan­deln?
Oder bleibst du allein und harrest im Ölberg
Nacht um Nacht und Stunde um Stunde
Bis ein sieghaf­tes Ostern dich im Lande des
Lichtes verklärt?

Lebens­da­ten und Gedicht aus dem 1987 in Kleinst­auf­la­ge gedruck­ten und inzwi­schen vergrif­fe­nen Erinne­rungs­bänd­chen »Zum Geden­ken Gustav Bosch« (zusam­men­ge­stellt von W. Koch).

Oberkochen

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte