Der Herr Gottfried Rieger, — Stadt­corpo­rals­sohn und Kindles­ma­cher von Aalen.

Auf der Suche nach geschicht­li­chen Infor­ma­tio­nen zur »Bilz« stieß ich im Gebur­ten­re­gis­ter der Evange­li­schen Kirchen­ge­mein­de Oberko­chen auf eine Eintra­gung, die für die Betrof­fe­nen mit Sicher­heit eine Famili­en­tra­gö­die darstell­te, — eine damals fast alltäg­li­che Geschich­te, wie sie sich heute kaum noch zutra­gen kann, — nicht so, — viel moder­ner eben.

In Lauter­burg lebte ums Jahr 1750 ein Mädchen namens Anna Maria Kuhn. Als es alt genug war, verding­ten es die Eltern nach Aalen zum Geldver­die­nen, und zwar als Dienst­mäd­chen bei einem Stadt­corpo­ral namens Rieger — - — sogenann­tes unschul­di­ges Mädchen vom Lande bei sogenann­ter besse­rer Familie in der alten Reichs­stadt. Das ging eine Weile gut und dann kam, was kommen mußte: Der Herr Corpo­ral hatte einen Sohn und dieser ein Auge auf das unschul­di­ge Mädchen von Lauter­burg. Es blieb nicht bei dem einen Auge. Bald waren daraus zwei gewor­den, — und irgend­wann ließ sich nicht mehr verheim­li­chen, daß der Herr Corpo­rals­sohn das Mädchen geschwän­gert hatte, weil das Werfen des zweiten Auges damals noch nicht so lässig ohne Folgen blieb wie heute im Zeital­ter der Pille. Auch war das Mädchen natür­lich noch nicht aufge­klärt gewesen.

Im Falle des Herrn Stadt­corpo­rals­soh­nes und Kindles­ma­chers Gottfried Rieger von Aalen war die Angele­gen­heit schnell erledigt. Von ihm ist überlie­fert, daß er eine aufs Dach bekom­men hat. »Von seiner Obrig­keit ‘abgestraft’« sei er worden. Auf welche Weise, schreibt der damali­ge evange­li­sche Pfarrer von Oberko­chen unser Bericht­erstat­ter in dieser Sache, nicht.

Bei der Jungfer Anna Maria Kuonin (Kuhn) jedoch schlug das Schick­sal grausig zu: Der Herr Stadt­corpo­ral feuer­te das inzwi­schen sicht­bar schwan­ge­re Dienst­mäd­chen frist­los. Bei Nacht und Nebel kehrte es heulend zu seinen Eltern nach Lauter­burg zurück, wo alsdann die Katastro­phe erst richtig ihren Lauf nahm: Die Eltern schwank­ten zwischen Inohn­macht­fäl­len und Wutan­fäl­len und schrie­en das arme Mädchen an, welche Schan­de es über ihr frommes Haus bringe, und Gott werde Strafe auf sie herablassen.

Aller­dings warte­ten sie nicht, bis Gott die Strafe senden würde, sondern hielten Rat, was in dieser unglaub­li­chen Situa­ti­on sofort zu tun sei. Fest stehe, so der alte Kuhn, daß das schwan­ge­re Mädchen aus dem Haus müsse, und zwar schleu­nigst. Die Frage war nur: wohin?

Da fiel der alten Kuonin plötz­lich ein, daß im finste­ren Walde zwischen Lauter­burg und Oberko­chen der Schwa­ger Simon Ocker, von Söhnstet­ten gebür­tig, in einem der alten Häuser auf der Bilz wohne, die noch im Jahrhun­dert zuvor von den einge­wan­der­ten Tirolern gebaut worden waren. Da müsse die Anna Maria hin, — noch in dieser Nacht. Niemand würde so gewahr werden, welche Schan­de über das Haus gekom­men war.

Es war eine stürmi­sche Herbst­nacht des Jahres 1751, als die Kuhns sich auf den Weg machten. Der alte Kuhn wußte genau, wie er gehen mußte. Zuerst ging es über das weite Feld, über welches ein nasser Sturm pfiff, zum Waldrand hin, und dann zwischen der Zwerch­hal­de und dem Oberweh­ren­feld leicht bergauf zu den Erzgru­ben. Später kam man in der Nähe des Hirten­hau­ses bei den Weiher­wie­sen vorbei, das, wie der Tauchen­wei­ler, rechts liegen blieb. Dann gings das Hauken­tal (das man so nannte, weil es von Oberko­chen zu den Hauken führte — das ist der Spitz­na­me der Essin­ger -, heute heißt es Hagen­tal,) hinab und über den Berg zum hintern Tiefen­tal, über welchem die »Bilz« liegt.

Die Bilz, zu Oberko­chen gehörend, war damals noch Weide­land und es gab mehre­re alte Häuser und Hütten aus der Zeit der Tiroler Einwan­de­rung. Dort wohnte aller­lei Volkes, — sicher auch licht­scheue Elemen­te darunter.

Es begann schon zu tagen, als die Eltern Kuhn mit ihrer unglück­li­chen Tochter Anna Maria bei der Hütte des Schwa­gers ankamen. Todmü­de war das arme Mädchen — es hatte seit zwei Tagen kein Auge zugetan.

Schwa­ger Simon fiel aus allen Wolken. Heute würde er sagen: hättet ihr nicht wenigs­tens anrufen können, vorher? Gottsei­dank gibt es jedoch bis heute kein Telefon auf der Bilz, und leider auch das Haus nicht mehr.

Als er aber erkann­te, daß die Kuhns ihr geschwän­ger­tes Kind für gerau­me Zeit bei ihm unter­zu­brin­gen wünsch­ten, eine bildhüb­sche Maid im übrigen, und, daß man aller­lei Abwechs­lung und so weiter in der tristen Hütte haben werde, sagte er: »So so, a Kendle hat’r Dir neaba­naus gmaacht, dr Herr Stadt­corpo­rals­sohn; wennse no älle dr Deifl hoala däd, die foine Herra. Kascht schon bei mr bleiba uff dr Bilz, du arme Sau.«

Die alten Kuhns zogen wieder lauter­burg­wärts, und hinter­leg­ten die Anna Maria bei ihrem Vetter Simon.

Es war ein bitter­kal­ter Winter draußen auf der Bilz, und die Neujahrs­nacht war die schlimms­te, die Anna Maria je erlebt hatte.

Der Sturm trieb den Schnee zwischen den Ziegeln unters Dach und Schnee fiel auf die Rupfen­de­cke, mit der sie sich zudeck­te. Sie weinte und zitter­te am ganzen Leib, wenn sie daran dachte, daß es bald Zeit würde für die Geburt. Und ganz im Gehei­men dachte sie an den feschen Herrn Stadt­corpo­rals­sohn, der sie ins Unglück gebracht hatte. Er hatte ihr doch so gefal­len, und sie hatte sich schon als Frau Stadt­corpo­rals­sohns­ge­mah­lin gesehen, — und alle würden sie benei­den, wie gut sie es getrof­fen hat .… und sie fühlte, wie alles so ungerecht gelau­fen sei. Der lag nun in seinem warmen Bett und hatte sie längst verges­sen, und auch, daß er wegen des Delik­tes abgestraft worden war, — für ihn war die Sache längst erledigt.

Dann kam der 15. Jener (Januar) herbei. Es schnei­te wieder was das Zeug hielt, und Anna Maria gebar eine gesun­de Tochter, und nannte sie Maria Barba­ra. Vetter Simon eilte zu den Eltern nach Lauter­burg, welche nicht viel Aufhe­bens von der Botschaft machten. Sie waren damit einver­stan­den, daß Taufpa­ten der Simon, und das Weib des Vetters eines Zimmer­manns von Ansbach würden, das ebenfalls Maria Barba­ra hieß — sie wohnte auch auf der Bilz und hatte sich in der Vergan­gen­heit immer wieder liebe­voll um das versto­ße­ne Mädchen geküm­mert. Außer­dem wurde noch Gevat­te­rin eine Chris­ti­na Barba­ra, die ledige Tochter des Oberko­che­ner Bürgers Melchi­or Schnei­der, der alldort eine Brannt­wein­bren­ne­rei betrieb.

Was aus der jungen Mutter und ihrem Kind auf der Bilz gewor­den ist, hat der Herr Pfarrer nicht vermer­ken können, denn er wußte es damals ja selbst noch nicht.

Fast alles andere aber hat er fein säuber­lich ins Gebur­ten­re­gis­ter der Evange­li­schen Kirchen­ge­mein­de einge­tra­gen, und zwar gleich einen Tag nach der Geburt, — am 16. Jener 1752. Endlich war mal wieder was los.

Der buchfüh­ren­de evange­li­sche Pfarrer war Johann Fried­rich Enßlin, 29. evange­li­scher Pfarrer von Oberko­chen, tätig von 1744 bis 1761.

Landes­herr war Herzog Karl Eugen, der in dem Buch »Württem­ber­gi­sche Geschich­te im südwest­deut­schen Raum« von Karl und Arnold Weller, wie folgt beschrie­ben wird:

»Karl Eugen, frühreif, von lebhaf­tem Tempe­ra­ment und starkem Selbst­ge­fühl begabt, von rascher Auffas­sung und klarem Urteil, aber weder maßvoll noch ausdau­ernd, war den Ideen der Aufklä­rungs­zeit nicht unzugäng­lich und von einer ungewöhn­li­chen Vorur­teils­lo­sig­keit; er hatte einen regen Kunst­sinn und den lebhaf­ten Trieb, Neues anzure­gen und zu schaf­fen, auch Sinn für Organi­sa­ti­on und Verwal­tung, war aber doch in erster Linie auf den Effekt seines Handelns bedacht. Dazu kamen erheb­li­che Mängel des Charak­ters: er erwies sich nach seinem sittli­chen Empfin­den durch­aus als ein Sohn der Rokoko­zeit, eitel, genuß­süch­tig und verschwen­de­risch, kurz eine wider­spruchs­vol­le Persön­lich­keit. Allzu­früh auf den Thron gelangt, gab er sich bald zügel­lo­ser Ausschwei­fung hin.« — In eben jenem Jahr der Geburt der Maria Barba­ra Kuonin auf der Bilz, 1752, unter­zeich­ne­te er einen Tächtele­mäch­te­les­ver­trag mit Frank­reich, durch den er jährlich erheb­li­che Hilfs­gel­der erhielt gegen die Verpflich­tung, im Kriegs­fal­le 6.000 Mann zu stellen. — Es war die Zeit noch größe­rer sozia­ler Gegen­sät­ze als wir sie uns heute vorstel­len können.

Im folgen­den veröf­fent­li­chen wir den Origi­nal­wort­laut der Eintra­gun­gen des evange­li­schen Pfarrers Enßlin mit Datum vom 16. Januar 1752:

Jener, d (dies” Tag) 15. nat. (geboren)
dies 16. rle (gemel­det)

Maria Barba­ra, auf der Pilß (Bilz) geboh­ren.
Anna Maria Kuonin, von Lauter­burg, welche im Dienst zu Alen unehe­lich schwan­ger worden, hernach zu ihrem Vetter sich in sein Haus auf die Pilß begeben und daselbst geboh­ren, gibt zum Vatter an Gottfried Rieger, Statt­Corpo­rals­sohn in Alen, welcher auch deswe­gen von seiner Obrig­keit abgestraft worden.

Taufpa­ten:
Simon Ocker, sonst von Söhnstet­ten gebür­tig, derma­len Bestän­der (einen Bestand inneha­bend) auf der Pilz.
Maria Barba­ra, Joh. Cronh., Cuzen (Cousin) eines Zimmer­manns von Anspach ux (Gattin), die sich beide diesen Winter hier aufgehalten.

Chris­ti­na Barba­ra, Melchi­or Schnei­ders, Bürger und Brannt­wein­bren­ner, allhier ledige Tochter.

Wahrhaft ein ungewöhn­lich ausführ­li­cher Eintrag ins Gebur­ten­re­gis­ter (siehe Abbil­dung des Original-Eintrags).

Oberkochen

Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der Aalener Volks­zei­tung veröf­fent­li­chen wir Bild und Text anläß­lich des Besuchs von Frau Dr. Susan­ne Arnold vom Landes­denk­mal­amt beim Bilzhaus.

Die Grabun­gen wurden am 15.9. (Staat­li­ches Forst­amt) und am 16.9.89 (Heimat­ver­ein Oberko­chen und Gymna­si­um Oberko­chen) fortge­setzt. Wir berich­ten demnächst an dieser Stelle.

Oberkochen

Dietrich Bantel

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