Intro. Der Krieg begann nicht als Weltkrieg. Das wurde er erst nach und nach, spätestens als die Vereinigten Staaten, bedingt durch den Angriff auf Pearl Harbour am 7.12.1941 und mit der Kriegserklärung durch Deutschland und Italien am 11.12.1941, in den Krieg eintraten.
Jetzt, 80 Jahre nach der Deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945, ist es ein guter Zeitpunkt, um noch einmal nach Baden-Württemberg, Aalen und Oberkochen zu schauen, um zu erinnern, was damals geschah.
Landeszentrale für politische Bildung: In den sechs Jahren des Krieges waren mehr als 225.000 Wehrmachtsangehörige aus dem Südwesten und annähernd 40.000 Zivilpersonen umgekommen. Neunzig Prozent der getöteten Zivilpersonen — deutlich mehr als die Hälfte waren Frauen – und mehr als die Hälfte der gefallenen Soldaten waren seit Januar 1944 vom Nazi-Régime regelrecht geopfert worden. Noch in den letzten Kriegstagen war es zu sinnlosen Verteidigungs-gefechten und zu völlig unnötigen Todesurteilen gegen Deserteure und einzelne Mutige gekommen, die versucht hatten, dem grausamen Treiben durch Zusammenarbeit mit den alliierten Truppen ein Ende zu setzten.
Einzelne Städte wie Freudenstadt, Waldenburg im Hohenlohischen, Neuenburg und Breisach am Rhein waren noch in den letzten Kriegstagen dem Erdboden gleichgemacht worden. Insgesamt fielen die Zerstörungen im Südwesten recht unterschiedlich aus: Generell waren die industriellen Zentren und die Städte stärker betroffen als die ländlichen Gebiete, generell auch hatte es die Mitte und den Westen des heutigen Landes Baden-Württemberg stärker getroffen als den Süden und den Osten.
Zu der schrecklichen Bilanz des Krieges zählen auch die mehr als 10.000 deportierten deutschen Juden aus Baden, Württemberg und Hohenzollern, die dem Rassenwahn des NS-Regimes zum Opfer gefallen waren. Von den annähernd 150 jüdischen Kultusgemeinden, die vor dem „Dritten Reich“ im Südwesten existiert hatten, gab es nach dem Krieg gerade noch sieben.
Der NS-Rassenwahn hatte in nur wenigen Jahren vernichtet, was über Jahrhunderte gewachsen war: eine lebendige und vielfältige jüdische Kultur als wichtiger Bestandteil der südwestdeutschen Gesellschaft. Zu den Opfern zählten auch über 10.000 Menschen, die in Grafeneck im Zuge des NS-“Euthanasie“- Kranken- und Behindertenmordes getötet worden waren. Zu erinnern ist auch an tausende von Menschen aus den vom NS-Régime besetzten europäischen Ländern, die im weit verzweigten Außenlagersystem des NS-Terrors ihr Leben lassen mussten.
Eine fast unvorstellbare Zahl von rund einer halben Million Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern kommt hinzu, die in den Südwesten Deutschlands verschleppt worden war. Die Zivilpersonen, die sich als Zwangsarbeiter, Zwangsverschleppte und überlebende KZ-Häftlinge außerhalb ihres Heimatstaates befanden und die von den Alliierten nun als „Displaced Persons“ bezeichnet wurden, irrten in den zerstörten Städten oder in den ländlichen Gegenden umher. Für viele von ihnen war ihre Leidenszeit mit der Befreiung durch die alliierten Truppen keineswegs beendet. Sie waren ausgehungert, erschöpft und teilweise auch aggressiv – es kam zu Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden. Ursprünglich sollten die „DPs“ bis zur Rückkehr in ihre Heimat in „Sammelstellen“ betreut werden, aus denen aber rasch „Lager“ mit Bewachung und Stacheldraht wurden. Im heutigen Baden-Württemberg waren es rund 180.000 Menschen, darunter etwa 70.000 sogenannte „Ostarbeiter“, die „repatriiert“ werden sollten. Viele kehrten zwar wieder in ihre Heimat zurück, andere aber blieben in Deutschland und lehnten die Rückkehr in den stalinistischen Osten ab, wo sie als „NS-Kollaborateure“ erneute Verfolgung, „Sibirien“ oder gar den Tod zu befürchten hatten.
Die einheimische Bevölkerung erlebte das Kriegsende mit der Auflösung der staatlichen und militärischen Ordnung in ganz unterschiedlicher Art und Weise. In nur etwas mehr als einem Monat hatten Amerikaner und Franzosen Baden, Württemberg und Hohenzollern erobert. Die Erfahrung des Kriegsendes unterschied sich recht deutlich, je nachdem, ob es in den jeweiligen Orten noch zu Kampfhandlungen und gleichzeitigen Bombenangriffen gekommen oder ob die Übergabe kampflos vonstatten gegangen war. Dort, wo noch bis in die letzten Stunden gekämpft wurde, war es ein Unterschied, ob die deutschen Truppen aus Wehrmachtseinheiten bestanden oder ob es sich um SS-Männer handelte, die in aller Regel fanatischer agierten. Letztlich war es auch ein bedeutender Unterschied, welche der beiden Besatzungsmächte einmarschierte. Vor allem in den Gebieten Badens und Württembergs, die von französischen Truppen besetzt wurden, kam es zu massenweisen Vergewaltigungen und Plünderungen.
Unmittelbar am Ende des Krieges lebten rund eine Million Menschen auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg, die sich nicht an ihrem eigentlichen Wohnort aufhalten konnten – Ausgebombte sowie Evakuierte aus anderen Reichs- und Landesteilen. Sie alle versuchten, auf irgendeine Weise ihre Heimat zu erreichen und stellten die Verantwortlichen angesichts eines völlig daniederliegenden Verkehrssystems vor riesige Herausforderungen.
Zehntausende von deutschen Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, sollten erst sehr viel später heimkehren können. Noch 1947/48 waren deutlich über 100.000 Männer aus dem Südwesten von den alliierten Siegermächten in Kriegsgefangenenlagern inhaftiert. Ein Großteil davon konnte 1949 heimkehren, die Letzten unter ihnen kamen erst im Januar 1956 aus der Sowjetunion zurück.
Vorgeschichte. Am 6. Februar dieses Jahres erhielt ich in meinem Schweizer Domizil eine überraschende Mail von Lutz Hurler, dem Geschäftsführer der Firma Jelonnek Transformatoren und Wickelgut GmbH in der Röchlingstraße 7 mit der Frage, ob ich mit den Kriegsaufzeichnungen von seiner Oma Lotte Jelonnek geb. Kopp (*10.12.1925 †. 19.10.2004) etwas anfangen könne. Schnell realisierte ich, dass das super zum 80jährigen Ende des II. Weltkrieges passen würde und machte mich an die Arbeit. Die Notizen allein sind für eine Veröffentlichung zu dürftig, deshalb habe ich sie mit anderen Texten ergänzt. Im Grunde hat Lotte täglich nur ein paar Worte oder Sätze notiert, die für Außenstehende tlw. nicht aussagekräftig sind. Die Notizen zeigen aber deutlich wie der Feind nicht nur physisch, sondern auch im Kopf immer näherkam und es auch für Oberkochen immer bedrohlicher wurde. Trotzdem ging das alltägliche Leben immer weiter und wurde nach dem Einmarsch der Amerikaner doch ein anderes. In dieser Zeit lernte sie auch ihren „Zukünftigen“ Gunther Jelonnek kennen. Also schauen wir uns an, was sie damals so bewegt hat und was ihr so wichtig erschien, es festzuhalten und was darüber hinaus vor sich ging:
Notizen von Lotte Jelonnek, damals 19 bzw. 20 Jahre jung. Ergänzungen in Klammern (…) und Kursivschrift von mir.
25. September 1944: (Hitler ordnete die Aufstellung des paramilitärischen „Volkssturms“ aus Älteren, Jugendlichen und uk-Gestellten von 16 bis 60 Jahren an. Ob sie begonnen hat zu schreiben, weil ihr klar wurde, dass die letzten Monate des Krieges angebrochen waren? Wir wissen es nicht. Ihr erster Eintrag lautet):
Mo 9. Okt 1944:
Morgens um 7:30 Uhr – Pappa vom Westwall zurück (was machte er dort als Oberkochener? Hatte es damit zu tun, dass Hitler am 24. August 1944 einen Führererlass zum erneuten Ausbau des Westwalls erlassen hat? 20.000 Zwangsarbeiter und Mitglieder des Reichsarbeitsdienstes (kurz RAD) versuchten mit improvisierten Mitteln die Verteidigungsbereitschaft wiederherzustellen, was aber wegen der alliierten Luftüberlegenheit nicht gelang. Im Oktober begannen dort dann umfangreiche Kämpfe)
So 15. Okt 1944:
Spaziergang zum Kreuz auf dem Rodstein und zum Märzenbuckel
Fr 20. Okt 1944:
Stuttgart wurde angegriffen (am 19.10. Angriff von 583 Flugzeugen von 20:25 Uhr bis 21:10 Uhr 338 Tote, 872 Verwundete, 38 Vermisste in Bad Cannstadt und Gaisburg)
So 24. Dez 1944:
1 Jahr, dass Paula und Karl sich kennen; Weihnachten bei Sauerbrey: 2 Bücher, 20 RM, 1 Perlkragen als Geschenk bekommen; von Martha 1 Paar Strümpfe sowie 1 Blumenvase und von Paula 1 Paar Strümpfe.
(Paula heirate später Karl Luyten aus Belgien)
(Als Herr Wilhelm Sauerbrey (Leitg. des Kaltwalzwerkes gemeinsam mit Herrn Heinz Noll 1933 bis 1948 bzw. 1950) im Jahr 1933 das erste Mal nach Oberkochen kam, hielt er seinen Eindruck wie folgt fest:
»Unter dem Rodstein lag das weißgetünchte Werk mit dem einzigen Kamin von Oberkochen, aus dem dicke Rauchwolken quollen. Im geöffneten Fabriktor stand ein mit 2 Kühen bespanntes Wägelchen des alten Bauern Arnold, der manchmal Mist auf seine Felder brachte und manchmal Stückgut vom Kaltwalzwerk zum Bahnhof fuhr. Die eine Kuh hob langsam und bedächtig ihren Schwanz und ein Bächlein plätscherte in die Werkshalle.«
Die Familie Sauerbrey wohnte seinerzeit in der Villa, in der heute sich heute „Physio Böttcher“ befindet.)

Weihnachten bei Familie Sauerbrey (von Krista Hurler Archiv Müller)
Mo 25. Dez 1944:
1 x Voralarm, 1 x Fliegeralarm, mittags Schlittenfahren
Do 4. Jan 1945:
3 x Fliegeralarm, mit Skiern bei Pappa im Wasserhaus gewesen
Sa 13. Jan 1945:
Fahrt nach Nördlingen – nette Zugbegleitung
(Es sind einige Fahrten nach Nördlingen verzeichnet. War wohl eine gute Adresse zum „Hamstern“ – Viele Menschen fuhren mit der Eisenbahn in ländliche Gebiete und versuchten, bei den Bauern Sachwerte gegen Kartoffeln, Eier, Speck oder andere Agrarprodukte zu tauschen – In diesem Fall waren die Tauschmittel „Tierfelle“, die ihr der Vater mitgab, um sie im Bayrischen einzutauschen.)
Mo 5. Feb 1945:
Wasserwellen bei Friseur Wanner legen lassen
Sa 10. Feb 1945:
Mein 20ter Geburtstag, Geschenke von Mama 20 RM, von Martha 1 Bild, von Paula 10 RM
(Martha und Paula waren ihre Schwestern. Dann hatte sie noch drei Brüder mit Namen Emil, Otto und Willy.)

Die drei Schwestern odr au d Koppamädla vlnr: Martha, Paula und Lotte (von Krista Hurler Archiv Müller)
So 11. Feb 1945:
War im Kino „Warum lügst du, Elisabeth?“ Film war nicht schön! (Verwechslungskomödie (D ’44). Junge Erbin (Carola Höhn) eines Guts gibt sich als Praktikantin aus… Brave Burleske aus finsterer Zeit.)
Mi 14. Feb 1945:
1 Voralarm, 1 x Fliegeralarm, Tiefflieger haben in Königsbronn einen Zug beschossen, es gab 15 Tote, danach kreisten 15 Flugzeuge zwischen Oberkochen und Königsbronn (es wird langsam Ernst für unsere Gegend)
Di 20. Feb 1945:
2 x Fliegeralarm, sehr gefährlich durch Tiefflieger, in Königsbronn wurde ein Zug beschossen, 1 Toter, Unterkochener Bahnhof beschossen sowie Züge in Aalen und Essingen
Sa 24. Feb 1945:
Kino „Die letzte Runde“ – war schön (Ein Drama aus dem Jahr 1940 von Werner Klingler mit Attila Hörbiger und Camilla Horn; in New York hat der Boxer Eddie Steele eine steile Karriere vor sich. Doch das macht ihn leichtsinnig, und er ist mehr in Nachtlokalen als beim Training. Sein anspruchsvoller Lebenswandel wird ihm schließlich zum Verhängnis…)
So 25. Feb 1945:
4 x Voralarm, Paula und ich waren auf dem Volkmarsberg, unsere Hütte war aufgebrochen

Emil Kopp’s Kiosk auf dem Volkmarsberg neben dem Turm (Archiv Müller)
Do 01. Mrz 1945:
1 Schaf und 1 Schwein geschlachtet, 2 x Fliegeralarm und 1 x Voralarm, morgens in Aalen Fleisch geholt und nochmals mehrfach Fliegeralarm und Voralarm
Sa 03. Mrz 1945:
Im Kino gewesen „Seine beste Rolle“ – war schön (der berühmte Kammersänger verliebt sich in eine Telefonistin vom Fernsprechauftragdienst. Weil er um seiner selbst willen geliebt werden will, gibt er sich als sein Kammerdiener aus. Ausgeleierte Verwechslungsscherze in einer schwach inszenierten Komödie, die Vladimir Slavinsky im besetzten ablieferte. Der Bariton Hans Hotter bringt außer seiner Stimme wenig ein. Mit Paul Dahlke und Camilla Horn).
Sie war gerne und oft im Kino. Dazu musste man entweder ins Martha-Leitz-Haus – auf dem heutigen Gelände der Fa. Carl Zeiss – oder nach Unterkochen. Das Gebäude in Unterkochen in der Nähe des Bahnhofes steht heute noch und ist unschwer als ehemaliges Kino zu erkennen.)

Das Martha-Leitz-Haus – einst Oberkochens erster „Bürgersaal“ für Kultur und andere Anlässe (Archiv Müller)
Mo 05. Mrz 1945:
4 x Fliegeralarm in der Nacht (Tiefflieger), Pappa war dienstlich in Stuttgart
So 01. Apr 1945:
Ostersonntag, 5 x Voralarm, Tiefflieger haben am Bahnhof einen Zug mit Sträflingen angegriffen, 8 Tote und 1 Wachmann. Mittags wurde der Bahnhof Aalen mit MG beschossen
(Jetzt wurde es Ernst für Oberkochen. Am Ostersonntag, dem 1. April 1945, gegen elf Uhr, war auf dem Bahnhof ein 60 Wagen zählender Zug mit KZ-Häftlingen eingefahren, als auch schon die Tiefflieger angriffen. Acht Tote mussten nach diesem Angriff auf dem evangelischen Friedhof beerdigt werden. Die Zahl der Verletzten ist nicht bekannt geworden; Zivilpersonen wurden vom Bahnhofsgelände abgehalten. Die Grabstätte trug einige Jahre die Inschrift: »Acht unbekannte Tote«. Die Beschießung dieses Zuges hatte schon einigen Schrecken in die Bevölkerung gebracht – Martha Gold)
Do 05. Apr 1945:
Akute Gefahr, Fliegeralarm, Luftgefahr, Bomben und Angriff mit Bordwaffen auf Zug beim Bahnwarterhäusle Bayer; Ziege Liesel hat 3 Junge gehabt; Karl Gold wurde beerdigt, (der durch einen Tieffliegerangriff am Ostermontag 2.4. in Niederstotzingen getötet wurde)
Sa 07. Apr 1945:
Ausverkauf im Laden wegen Feindesgefahr, Soldaten einquartiert (liest sich heute befremdlich: Schnell alles verkaufen, bevor es der Ami kauft)
So 08. Apr 1945:
Voralarm, Akute und Fliegeralarm. 3 x einen Güterzug beschossen auf Hohe Hassler. Wir haben im Wald (Rodhalde) Deckung nehmen müssen, da der Angriff auf den Zug sehr gefährlich war. Mit Frau Jordan und Martha einen Spaziergang von morgens 8 bis abends 8 gemacht.
(Es war „Weißer Sonntag“ und die Glocken läuteten zur Kirche, und die Sirenen heulten fast zur gleichen Zeit. Kurz danach waren die Tiefflieger schon über dem Ort. Unter Beschuss war wieder die Bahnlinie. Die Erstkommunikanten dieses Jahres werden ihren Weg zur Kirche und von der Kirche und das beklemmende Gefühl der kreisenden Flugzeuge während des Gottesdienstes wahrscheinlich nie vergessen. An diesem Sonntag machten Einheiten der Waffen-SS hier Rast. Vor den meisten Häusern an der Hauptstraße hatten sie sich niedergelassen – Martha Gold)
Mi 11. Apr 1945:
Andauernder Voralarm und Angriff auf den Ort. Ziege durch Schuss verletzt worden. 2 Soldaten waren bei uns in der Wohnung. Gebildete Menschen.
(Die Dorfstraße war an diesem Mittag sehr belebt. Vor der Metzgerei „Zum Lamm“ standen etwa 100 Menschen um Fleisch- und Wurstwaren an. Fünf Bomben wurden insgesamt gezählt. Den schwersten Schaden richtete die beim Rathaus in die Gebäude Heidenheimer Straße 12 und 14 einschlagende Bombe an.“ Acht der 15 Menschen, die in einem Keller Zuflucht gesucht hatten, wurden tot aus den Trümmern geborgen, darunter fünf Kinder. Die anderen Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Insgesamt sind während des Krieges rund 160 Frauen und Männer aus Oberkochen ums Leben gekommen, 54 werden vermisst – Albert Seckler Heimatbuch 1986)
(Gegen 16.45 Uhr tauchten an diesem 11. April, einem Mittwoch, bei strahlendem Sonnenschein fünf französische Flugzeuge über dem Dorf auf, kreisten über den belebten Straßen, feuerten mit ihren Bordwaffen auf Passanten und warfen ihre 25-Kilo-Bomben ab. Das Haus von Landwirt Eugen Winter in der Heidenheimer Straße, das sogenannte »Herrgottshäfner-Haus«, erhielt einen Volltreffer, die Decke des Gewölbekellers stürzte ein. 14 Menschen, Familienmitglieder und Passanten, hatten im vermeintlich sicheren Unterschlupf Schutz gesucht (gestorben sind Marie Winter (37), Theresia Fischer (64), Josef Brunnhuber (4), Paul Brunnhuber (2), Bruno Winter (3), Maria Frey (15)***, Maria Brunnhuber (20), Mathilde Brunnhuber (11). Schwer verletzt wurde Aloisia Winter – Hubert Winter ***stammt nicht aus Oberkochen, daher liegt kein Bild vor)

Die Toten des Bombenangriffs vom 11. April 1945 (Archiv Müller)

Die Toten des Bombenangriffs vom 11. April 1945 (Archiv Müller)
Fr 13.–So 22. Apr 1945
(Nur noch Einträge wie „Tiefflieger“, Alarm“ und „Angriff“). Man spürt, beim Anschauen der Seite, dass die Dinge anders geworden sind.

Die Seite im Notizenheft als der Krieg in Oberkochen ankam (von Krista Hurler Archiv Müller)
Fr 20. Apr 1945:
(Frau Trudl Fischer berichtete: Ein Mann kam zu meinem Vater und bestürmte ihn, doch einen auf dem Bahnhof stehenden Waggon öffnen zu lassen, damit man evtl. noch lebensnotwendige Güter verteilen könne, ehe die amerikanischen Truppen sie beschlagnahmten. Trotz schwerwiegender Bedenken — darauf stand immerhin die Todesstrafe — nahm es mein Vater auf seine Kappe und ließ den Waggon öffnen. Der Inhalt waren viele Pakete Rollenkaffee halb Bohnen — halb Malzkaffee mit Traubenzucker. Ich verständigte dann die Leute, dass sie am Bahnhof etwas abholen könnten, und die frohe Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Und es dauerte nicht lange, bis sie ankamen mit Leiterwägele und Schiebkarren, ja sogar mit dem Fuhrwerk, und aufluden, was das Zeug hielt, was mein Vater und der andere Mann aus dem Waggon warfen. Zum Schluss war’s dann so, dass mein Vater im Eifer des Gefechts vergessen hatte, auch an uns zu denken. Und wenn Nachbarn uns nicht noch ein Paket abgegeben hätten, wären wir leer ausgegangen. Man konnte diesen Rollenkaffee unter anderem auch zum Kuchenbacken verwenden, und später war er auf dem Härtsfeld ein wunderbares Tauschobjekt gegen Butter, Milch und Eier)
Mo 23. Apr 1945:
Kein Strom. Deutsche haben vom Sportplatz mit Granaten geschossen. Militär hat Eier im Stall gestohlen. (Sie meint vermutlich das Gebiet des nördlichen Bahnwärterhäusles Bayer oder das Gebiet „Bühl“)
(Kurz vor dem Einmarsch wurde von den letzten Uneinsichtigen der SS noch die Kocherbrücke beim Bahnübergang Beier (am heutigen Kreisel gegenüber vom ehemaligen Oppold bzw. LMT) gesprengt. Auch in der Dreißentalstraße beim Wingert „Stöpsel“ (heute Haus Nr. 70) wurde noch eine gewaltige Panzersperre errichtet: Drei große Tannenbaumstämme und darunter zwei Tellerminen – wie einfallsreich – wurden quer über die Straße gelegt. Der Feind konnte ja über den Volkmarsberg kommen und da sollte er schon noch im Dreißental gestoppt werden können. Da hatten die Dreißentalbewohner aber genug mit Partei, Bürgermeister und Funktionären. Die Sperre wurde von ihnen geräumt, die Minen entsorgt und die Baumstämme als Heizmaterial untereinander verteilt. Bruno Brandstetter)
Di 24. Apr 1945:
Morgens von 8:30 Uhr bis 11:30 Uhr Artilleriebeschuss, mittags um 13:30 Uhr sind die amerikanischen Truppen einmarschiert, Eier im Stall gestohlen
(Was tatsächlich passiert war, sollten wir bald zu sehen bekommen. Langsam gingen wir den Weg zurück, den wir am Morgen so rasch gekommen waren. Das Haus vor dem unseren hatte keine Vorderwand mehr! Von der Straße aus konnte man im Oberstock Tisch und Stühle stehen sehen. Das war doch das Zimmer, wo meine Freundin Gertrud ihr Bett hatte! Bei unserem Haus waren die Fensterscheiben kaputt, was aber nicht so schlimm war. In weiser Voraussicht hatte man die Doppelscheiben herausgenommen und brauchte die nur aus dem Keller zu holen und einzusetzen. Ein Splitter hatte die Tür von der Küche zum Stüble durchschlagen und war am Büffet abgeprallt. Fräulein Emma, unser Logierfräulein, aus Schlesien geflüchtet und seit einiger Zeit im Haus, empfing uns bleich und zitternd. Sie hatte den Vormittag allein im Luftschutzkeller zugebracht und war jetzt froh, dass sie und wir heil davongekommen waren. Das Loch in der Tür — für uns Kinder ein tolles Guckloch — erinnerte noch lange an diesen letzten Tag des Krieges. Laut dem Heimatbuch »Oberkochen« war es am 24. April 1945. Erstaunlich ist, dass ich mich an das völlig zerstörte Haus gleich hinter dem Schulhaus nicht erinnere (Haus Anton Gold): Das zerstörte Haus Jakob Jooß in der Feigengasse haben wir uns jedoch einige Tage danach angesehen Luitgard Hügle)
Mi 25. Apr 1945:
Unendlicher amerikanischer Nachschub. 3 Truthennen, 7 Hasen und 4 Hühner von Russen und Franzosen gestohlen
(Vor unserem Haus war ein Garten, dann kam die damals noch ungeteerte Dreißentalstraße und dann kam der Goldenbauer-Acker. Daneben, dem Dorf zu, war das Bäuerle-Haus (Fam. Günther und seit neuestem Hausmann). Auf unserer Seite gab es auch nach oben ein paar Häuser: Hausmann und nach dem Transformatorenhäuschen die zwei hintereinanderstehenden Wingert-Häuser, die dann bereits in den 50iger-Jahren den Fabrikneubauten der Firma Zeiss gewichen sind. Auf der anderen Seite der Straße waren nur Wiesen und Äcker. Eines Morgens, wohl schon am zweiten Tag nach Kriegsende, füllte sich der Goldenbauer-Acker mit Fahrzeugen. Schräg durch den Vorhang beobachteten wir, was da alles vorfuhr: Jeeps und Laster, Motorräder und Motorräder mit Seitenwagen. Grün und grünblau waren alle Fahrzeuge ebenso wie die vielen Soldaten, die ihnen entstiegen. Es war noch sehr früh am Morgen und frisch, alles dampfte und glänzte im Tau bei den ersten Sonnenstrahlen. Gegen 9 Uhr wird es gewesen sein als zwei Soldaten auf unser Haus zu und dann in die Küche hereinkamen. Der eine las etwas vor und bedeutete dann meiner Mutter, dass wir das Haus zu verlassen hätten. Auf der Küchenuhr zeigte er ihr, dass wir um 11 Uhr weg sein müssen Luitgard Hügle)
Do 26. Apr 1945:
Amerikaner und Russen haben 2 x Sekt geholt
Fr 27. Apr 1945:
5 amerikanische Soldaten haben wieder nach Wein gesucht, Polizei hat geholfen, etwas zu spät gekommen, nette Menschen
Di 08. Mai 1945:
Bürgermeister Heidenreich und Spiegler wiedergekommen (an diesem Tag war der Krieg in Deutschland offiziell zu Ende)
Di 15. Mai 1945:
Karl ist mit dem Transport heimgekommen (welcher Karl? Entweder Karl Luyten (Freund von Paula) oder Karl Paff (Mann von Martha)
Di 22. Mai 1945:
2 Schweine bei Maier in Unterkochen gekauft
Mi 23. Mai 1945:
Schweine und 6 Hühner von Russen gestohlen
Mi 13. Jun 1945:
Russen sind alle weggekommen, große Freude
Sa 16. Jun 1945:
Marga Wunderle durch Autounfall ums Leben gekommen
Mo 2. Jul 1945:
Beim Friseur in Aalen gewesen
Do 19. Jul 1945:
Pappa ist von 2 Amerikanern im Auto abgeholt worden
Sa 21. Jul 1945:
Hausdurchsuchung nach Waffen, sehr anständig
Di 24.–Sa 28. Jul 1945:
Pappa im Lager in Heidenheim besucht
Do 9. Aug 1945:
Tanzstunde (das war der erste Tanzstundentermin, dem noch einige folgten. Das ging bis 19. Oktober. Sie fand das beginnend mit „ganz nett“ über „nicht besonders schön“ und „schöner Abend“ bis „sehr schön“. Am 23.8. hat sie Foxtrott gelernt. Am 23.9. Tanzkränzchen mit Josef Müller. Am 30.9. Tanzkränzchen mit Hermann Schimmel*** und einen Ehrentanz „Tango“ getanzt. *** Er zog später als Mieter in mein Elternhaus Sonnenbergstraße 34)
Mi 15. Aug 1945:
Mittags um 2 Uhr ins Unterland gefahren und Obst geholt, nachts auf der Bank in der Polizeiwache geschlafen
Fr 17.8.–Do 1. Nov 45:
Verschiedene Auswärtstermine wegen Pappa in Ulm, in Herbrechtingen (ein Herr Bauer) und Heidenheim (Rechtsanwalt)
Fr 24. Aug 1945:
Paula und ich sind mit dem Fahrrad in Nördlingen gewesen und
Sa 25. Aug 1945:
nachmittags um 14 Uhr zurückgekommen
Mi 19. Sep 1945:
Paula und ich waren in Zöschingen bei einer Astrologin (sie hatte auch etwas für das Kartenlegen übrig. Ob ihr da schon der Gunther „angekündigt“ wurde?)
Mo 24. Sep 1945:
Großvater Gieseler ist gestorben (Beerdigung am 27.9.)
Sa 20. Okt 1945:
Mittags um 12 Uhr auf ein Auto gewartet. Um 13:30 Uhr Gunter kennengelernt. (Gunther Jelonnek, sie hat sich in ihn verliebt und ihn später am 22. Mai 1948 in Oberkochen evangelisch geheiratet)

Ev. Hochzeit von Gunther und Lotte am 22. Mai 1948 mit Pfarrer Fiedler (von Krista Hurler Archiv Müller)
So 21. Okt 1945:
Mit Gunther einen Spaziergang auf den Volkmarsberg gemacht, sehr nett gewesen, gute Unterhaltung (da können wir doch schon einiges zwischen den Zeilen lesen)
Sa 27. Okt 1945:
Von Gunther einen Brief bekommen und einen Abendspaziergang gemacht, sehr nett.
So 28. Okt 1945:
Mit IHM auf der Heide spazieren gewesen, sehr schön (also besser als sehr nett). Abends mit IHM und meinen beiden Schwestern und Noack ins Kino nach Unterkochen gegangen (Auffällig: Ab sofort wird sie nicht mehr den Filmtitel aufschreiben und auch nicht bewerten. Vielleicht hat sie auch gar nicht mehr mitbekommen, wie die Filme hießen. Man war ja verliebt. Weitere Spaziergänge und Briefe wechselten sich ab.)
Fr 2. Nov 1945:
Wieder nach Nördlingen gefahren und dort übernachtet
Sa 3. Nov 1945:
Wollte mittags von Nördlingen zurück, um 12 Uhr noch Gunther getroffen. Pech gehabt – bis abends um 17:30 Uhr auf ein Auto gewartet, endlich kam eines und wir konnten bis Aalen mitfahren, von dort aus fuhren wir mit dem Fahrrad zu zweit nach Hause und waren gegen 20:30 Uhr daheim.
Di 6. Nov 1945:
Mama hat etwas gemerkt
Mi 7. Nov 1945:
Hab es Mama gestanden mit Gunther
Do 8. Nov 1945:
Mit Gunther im Wirtshaus „Hirsch“ gewesen, da das Wetter sehr schlecht war
Sa 10. Nov 1945:
Truthenne von Sauerbrey geholt, draußen fällt der erste Schnee
So 11. Nov 1945:
Draußen Sauwetter, daher blieb man den ganzen Tag zu Hause und spielte Halma usw. (Gunther kam nun nahezu täglich ins Haus und ins Kino nach Unterkochen ging es auch wieder. Im Martha-Leitz-Haus ging das wohl zu der Zeit nicht und in Oberkochen gab es das Schleicher’sche Kino erst in den 50ern)
Fr 16. Nov 1945:
Zahltag: 11 RM, war beim Pfarrer gewesen wegen Pappa. Gunther möchte bei der Militärregierung wegen Pappa fragen.
Fr 23. Nov 1945:
Bin nach Nördlingen gefahren. Gunther hat mich in Aalen überrascht und ist mitgefahren, es war sehr schön, ohne ihn wäre es mir zu langweilig gewesen
Sa 24. Nov 1945:
Pappa Geburtstag, war nicht zuhause, auch bekommen wir keine Nachricht von ihm. Von Nördlingen aus sind wir mit dem Güterzug bis Wasseralfingen und waren so schon frühzeitig daheim.
So 25. Nov 1945:
Einen kleinen Spaziergang an der Rodhalde entlang gemacht. Etwas Streit mit Gunther bekommen. Ich war schuld daran. Er schrieb mir einen Brief und somit war alles wieder gut.
Hier enden die Aufzeichnungen. Der Krieg war zu Ende, das Leben bot wieder Perspektiven, es ging voran (wie man damals sagte) und der Mann fürs Leben war auch gefunden – also kein Grund mehr das Notizheft weiterzuführen.
Die Firma Jelonnek
Am 1. April 1966 gründeten Gunter und Lotte Jelonnek die Firma mit anfänglich vier Mitarbeiterinnen. Die Firma etablierte sich schnell am Markt und bald schon wurden größere Produktionsräume bezogen. 1976 verunglückte Firmengründer Gunter Jelonnek tödlich und seine Frau Lotte übernahm die Leitung der Firma. 1978 trat der Schwiegersohn Rudolf Hurler (Handelsfachwirt) in die Firma ein.
1985 wurde aufgrund der guten Geschäftsentwicklung ein Fabrikgebäude mit 800 m² Nutzfläche erstellt. 20 Mitarbeiterinnen fanden hier neue, moderne Produktionsräume vor.
Seit 1985 firmiert Jelonnek als GmbH mit Rudolf Hurler als Geschäftsführer. Seine Frau Krista (Industriekauffrau) und ihre Mutter (Firmengründerin) Lotte Jelonnek übernahmen die kaufmännische Leitung der Firma. Im Jahr 2001 trat mit Anja Art (geborene Hurler), der Tochter von Krista und Rudolf Hurler, die nächste Generation in die Firma ein und übernahm die Leitung des Vertriebs. 2009 stieg der Sohn, Lutz Hurler in das Familienunternehmen ein. Seit 2010 leitet er als Geschäftsführer, zusammen mit Vater Rudolf Hurler, die Firma. Die Produktpalette umfasst seit Gründung der GmbH Transformatoren und sonstige Wickelgüter im Standardbereich. Kerngeschäft wurde aber schnell die individuelle Fertigung der gesamten Produktpalette nach Kundenvorgaben. Heute hat sich die Firma darauf spezialisiert Sonderanfertigungen nach Maß anzubieten.
An dieser Stelle danke ich Krista, Rudolf und Lutz Hurler sowie Anja Art recht herzlich für das umfangreiche Gespräch und all die Unterlagen, die ich bekommen habe.
In Kürze folgt Teil 2, der das tatsächliche Geschehen in Oberkochen und Aalen ausführlich beschreibt.
Wilfried „Billie Wichai“ Müller – Billie vom Sonnenberg