Backen macht Freude – Handbuch der Hausbä­cke­rei von Dr. August Oetker
Seiner­zeit gekauft bei Radio-Wagner in der Pfarr­gas­se 15 in Ellwan­gen für DM 1,80.

Hilde’s Backbuch mit Liebmann’s Rezept Zwetsch­ge­n­ku­chen (Archiv Müller)

Dieses Buch hat meine Mutti ihr gesam­tes Leben auf dem Sonnen­berg beglei­tet und viele Kuchen und Gebäcke, die sie anhand dieses (deutlich in die Jahre gekom­men und tlw. zerfled­der­ten) Buches, gebacken wurden, haben mir als Kind geschmeckt und das eine oder anderen backen wir auch heute noch nach, um die Gerüche und Geschmä­cker der Vergan­gen­heit wieder einzu­fan­gen. Ich denke dabei an folgen­des Backwerk:

  1. Über allem anderen steht der „Wiener Apfel­stru­del“, den sie bis ins hohe Alter ins Backrohr gescho­ben hat. Kein Famili­en­be­such, der ihn nicht mit auf die Heimrei­se bekom­men hat. Und der musste für mich ohne Staub­zu­cker sein, also bekam ich da auch meine Extra-Versi­on. Was macht man nicht alles für die Kinder. Ein wahres Gedicht – und keiner, aus den Bäcke­rei­en und Oberko­chen und Aalen, aus Zürich oder Wien kommt an ihre sudeten­deut­sche Varian­te heran. Es wird mal wieder Zeit einen zu backen. Im hohen Alter von 88 Jahren verkün­de­te sie: „Das war jetzt der letzte“ – es wurde ihr einfach zu anstrengend.

Der erste von uns nach Hilde’s Rezept gebacke­nen Apfel­stru­del (Archiv Müller)

2) Als nächs­tes in der Ranglis­te, der „Marmor­ku­chen“ in der Gugel­hupf­form. Natür­lich mit reich­lich Kakao-Marmo­rie­run­gen. Und zur Glasur gibt es keine zwei Meinun­gen – Zartbit­ter­scho­ko­la­de muss es sein. Meinem Bruder Harald zulie­be wurde die Hälfte mit Zitro­nen­zu­cker­guss bestri­chen – zwei Kinder, zwei unter­schied­li­che Vorlie­ben. Beson­ders mochten wir ihn, wenn er einen „Schliff“ hatte, d.h. Stellen, die feucht waren.

3) Das gleiche galt für den „Nussku­chen“ in Kranz­form. Glasu­ren wie oben, da waren die Söhne unerbittlich.

4) Kommen wir zur „Zitro­nen­schnit­te“. Da ich ein Fan alles Säuer­li­chen bin (Meine Lieblings-Geschmacks­rich­tun­gen sind Sauer, Scharf, Bitter), habe ich da bei allen Geburts­tag­fei­ern kräftig zugelangt.

5) In den 50ern und 60ern, wohl auch noch in den 70ern kam des Deutschen Lieblings­tor­te auf den Tisch, aber nicht sonntags, sondern nur an beson­de­ren Festen: Die „Butter­creme-Torte“. Dazu reich­lich Jacobs-Bohnen­kaf­fee (gefil­tert) oder auch mal einen kräfti­gen Mocca – wozu stand denn ein umfang­rei­ches Kaffee- und Mocca-Service im Wohnzim­mer­schrank. Nach dem Kaffee gab es dann noch reich­lich „Eckes Edelkirsch“ oder Vatis selbst gemach­ten „Eierli­kör“, zu meiner Freude manch­mal aus kleinen Schoko­la­den­be­cher (sehr nachhal­tig, wenn die Trink­ge­fä­ße gleich mit aufge­ges­sen werden konnten). War kein eigener vorhan­den, musste auf „Ei ei ei Verpo­or­ten“ zurück­ge­grif­fen werden.

6) Anfangs gab es auch noch „Rehrü­cken“ (ein Gebäck der deutschen und öster­rei­chi­schen Küche). Das Rezept basiert auf einem Rührteig, dem Schoko­la­de und gerie­be­ne Mandeln beigege­ben werden. Nach dem Abküh­len wird der Kuchen mit Schoko­la­de­gla­sur überzo­gen und mit Mandel­stif­ten verziert.

7) Aber auch der „Kalte Hund“ (auch Kalte Schnau­ze, Keksku­chen, Lukul­lus, Keller­ku­chen oder Kalter Kuchen genannt) war beliebt.

8) Hin und wieder gab es gedeck­ten Apfel- oder Träubeles(Johannisbeer)kuchen, die ich aber nicht so mochte. Mein Favorit war der Träubel­s­ku­chen vom verstor­be­nen „Dixie“ Dickenherr.

9) Und meinen, bis heute gelieb­ten, Blech­ku­chen mit Zwetschen, Zwetch­gen-Datsch­gerln genannt, aber bitte mit Sahne.

10) Ein sudeten­deut­sches Schman­kerl waren die berühm­ten Povidl-Datsch­gerln (mit Pflau­men­mus gefüll­te Teigtaschen)

Ein Sonntag ohne Kuchen war schlicht nicht denkbar. Und da sie sonntags auf Tour war, denn der ältere Mensch braucht Anspra­che, wie sie es immer nannte, sammel­te sie natür­lich überall Rezep­te von Kuchen und Torten, die ihr beson­ders gut schmeck­ten wie z.B. den Rotwein­ku­chen von Boris (ihr Neffe aus dem Hessi­schen) und seiner Rosi, Torten­re­zep­te von Elisa­beth Pauser aus dem Finken­weg und Rosa Liebmann’s Zwetschen­ku­chen aus dem Weingar­ten. Viele Rezep­te, handschrift­lich oder mit Schreib­ma­schi­ne geschrie­ben, liegen dem Buch bei und geben ihm eine persön­li­che Note.
Weihnach­ten wurde so aller­lei gebacken, und zwar so reich­lich, dass wir zeitwei­se an Ostern noch davon essen mussten!

  1. Spritz­ge­bäck in verschie­de­nen Formen, die ich heute noch jährlich höchst­per­sön­lich backe. Weihnach­ten ohne Baum und das Gebäck meiner Kindheit – geht gar nicht.
  2. Auch die Spitz­bu­ben waren eine belieb­te Leckerei,
  3. ebenso wie die aufwen­dig produ­zier­ten Nuss-Nougat-Stangen.
  4. Für meinen Vater wurden extra Vanil­li-Kipferln und
  5. Kokos-Busserln gebacken. So hatte jeder seine Vorlieben.
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Der erste von uns nach Hilde’s Rezept gebacke­nen Apfel­stru­del (Archiv Müller)

Das Buch selbst hat folgen­den Inhalt:

  • Allge­mei­ne Backregeln
  • Rührteig
  • Knetteig
  • Biskuit­teig
  • Brand­teig
  • Fertig­ge­ba­cke­nes
  • Weihnachts­ge­bä­cke
  • Hefege­bä­cke
  • Füllun­gen und Güsse für Kuchen, Torten und Kleingebäck

Der Rührteig benötigt folgen­de Zutaten:

• Butter (Marga­ri­ne, Schwei­ne- oder Butter­schmalz)
• Zucker
• Dr. Oetker Vanil­lin­zu­cker
• Eier
• Gewür­ze (Dr. Oetker Aromen in kleinen Glasröhr­chen, Nelken, Zimt, gerie­be­ne Schoko­la­de usw.)
• Weizen­mehl (wie auch Dr, Oetker „Gustin“, Kakao, Dr. Oetker Pudding-Pulver, Soßen­pul­ver)
• Dr. Oetker Backpul­ver „Backin“
• Milch
• Früch­te (Korin­then, Rosinen, Hasel­nuss­ker­ne, Mandeln, Organ­geat, Zitro­nat-Sukka­de usw.)

Noch ein Wort zu Dr. Oetker.
Die Dr. August Oetker KG mit dem Stamm­sitz im ostwest­fä­li­schen Biele­feld ist einer der größten inter­na­tio­nal tätigen deutschen Famili­en­kon­zer­ne. Im Januar 1891 übernahm August Oetker in der ostwest­fä­li­schen Stadt Biele­feld die Aschoff’sche Apothe­ke, eine von vier Apothe­ken der Stadt. In dieser baute er das Labora­to­ri­um aus, um zu experi­men­tie­ren und neue Ideen umzuset­zen. Zu den ersten Erzeug­nis­sen gehör­ten ein Gesund­heits­ka­kao, eine Fußcreme und eine Warzentinktur.

Im Labora­to­ri­um der Apothe­ke sowie im Haus Müller der gleich­na­mi­gen Bäcke­rei führte er erste Experi­men­te zur Herstel­lung von Backpul­ver durch. Der Backvor­gang war ihm aus der Backstu­be seines Vaters in Obern­kir­chen bekannt.

Zur Auflo­cke­rung des Brotteigs verwen­de­te man damals Sauer­teig oder Hefe. In England war man schon Mitte des 19. Jahrhun­derts dazu überge­gan­gen, dem Teig Substan­zen beizu­mi­schen, die während des Backvor­gangs Kohlen­di­oxid entwi­ckel­ten, um ihn aufzu­lo­ckern. In Deutsch­land hatte der Chemi­ker Justus Liebig in diese Richtung experi­men­tiert, die von ihm entwi­ckel­ten Stoff­ge­mi­sche besaßen jedoch durch vorzei­ti­ge Reakti­on eine zu kurze Haltbar­keit. Ein Schüler hatte Liebigs Ideen nach Ameri­ka mitge­nom­men und dort ein Backpul­ver auf Basis von Natron und Weinsäu­re indus­tri­ell herge­stellt. Mögli­cher­wei­se wurde Oetker davon durch einen Verwand­ten in Kennt­nis gesetzt. Unstrit­tig ist jeden­falls, dass Oetker nicht der Erfin­der des Backpul­vers war.

1901 melde­te Oetker ein Patent für ein verbes­ser­tes, haltba­res Backpul­ver an und verkauf­te es, passend für ein Pfund Mehl, in kleinen Tüten à 10 Pfenni­ge unter der Marke Backin, welche am 27. Novem­ber 1902 regis­triert wurde. Die gerin­gen Kosten der Vorpro­duk­te ermög­lich­ten eine große Gewinn­span­ne. Oetker setzte seinen Doktor-Grad gezielt als Marke­ting-Element ein, womit den Kunden das Backpul­ver als ein neues, profes­sio­nell entwi­ckel­tes und getes­te­tes Produkt mit garan­tier­ter Funkti­on sugge­riert wurde. Die auf positi­ve Werte wie Gesund­heit und Quali­tät abzie­len­de Werbe­stra­te­gie war die eigent­li­che Erfin­dung von Oetker, die sein Produkt so erfolg­reich machte. Zu Oetkers Werbe­maß­nah­men gehör­te auch das heute so genann­te Content-Marke­ting, indem er ein eigenes Backbuch mit Rezep­ten heraus­gab, die sein Backpul­ver als Zutaten verwen­de­ten. Ebenfalls fanden sich Rezept­vor­schlä­ge auf den Backin-Packun­gen. Das Dr. Oetker Schul­koch­buch, das 1911 erstmals heraus­ge­ge­ben wurde, wurde eines der erfolg­reichs­ten Kochbü­cher auf dem Markt. August Oetker besuch­te Messen und gewann auf einer Kochkunst­aus­stel­lung in Hamburg eine Goldme­dail­le, über die er dann in seinen Zeitungs­an­zei­gen berich­te­te. 1908 wurde die erste Werbe­ab­tei­lung einge­rich­tet. Diese formu­lier­te das Ziel, dass in jeder Zeitung in einem Ort mit mehr als 3000 Einwoh­nern Annon­cen geschal­tet wurden. 1900 gründe­te Oetker eine Fabrik in der Lutter­stra­ße in Biele­feld, dem heuti­gen Stamm­haus. Von hier aus belie­fer­te er bald das gesam­te Deutsche Reich mit Backpulver.

Bis zu 100.000 Päckchen wurden hier täglich ausge­lie­fert. Dort wurden auch weite­re Produk­te wie Pudding­pul­ver, Aromen und Speise­stär­ke entwi­ckelt. Schon nach einem Jahr entstand ein zweites Fabrik­ge­bäu­de. Seine Vertre­ter bekamen die Anwei­sung, dass Oetkers Produk­te ab 1907 in jedem Geschäft vertre­ten sein müssten. In dem wachsen­den Unter­neh­men stell­te Oetker 1904 seinen jünge­ren Bruder Eduard Oetker, einen Natur­wis­sen­schaft­ler, als Leiter des Labors ein. 1906 folgte sein Bruder Louis Oetker, der den Außen­dienst und die Werbe­ab­tei­lung übernahm. 1913 starb Eduard im Alter von 38 Jahren an Krebs, Louis hatte ein Jahr vorher Biele­feld verlas­sen und in Hameln den Betriebs­teil Reese übernommen.

Oetker schuf besse­re Arbeits­be­din­gun­gen für seine Arbei­ter und ließ in seinem Betrieb eine Lehrkü­che einrich­ten, die der Ausbil­dung der Arbei­te­rin­nen diente, um sie auf die Ehe vorzu­be­rei­ten. Oetkers Arbeits­dis­zi­plin war berüchtigt.

Seine Regeln formu­lier­te er 1908 und hängte sie im Betrieb auf (Schon irgend­wie befremd­lich – Arbei­ter­ge­ber-Kapital ist Geld und Arbeit­neh­mer-Kapital ist Zeit?):

  • Arbei­te, arbei­te unter Anspan­nung aller Kräfte!
  • Sei sparsam!
  • Die Zeit ist dein Kapital, jede Minute muss dir Zinsen bringen!

Im Backbuch lag noch ein beson­de­res Büchlein, das wohl aus Wien stammt und einen Leitar­ti­kel zum Thema „Zucker – unser bestes Nahrungs­mit­tel“ beinhal­tet, geschrie­ben von dem Tausend­sas­sa Ing. Josef Zemann (1923 bis 2022).

„…..es ist wirklich ein großer Nachteil für das ganze Volk, beson­ders für den körper­lich oder geistig arbei­ten­den Menschen, dass der Zucker­kon­sum so gering ist…..vor der Benut­zung von Sacha­rin, anstel­le des Zuckers, ist dringend zu warnen…..“

Heute würde so eine Einlei­tung sicher nicht mehr geschrie­ben werden. Das tolle an dem Büchlein sind die Rezep­te, die der ungarisch-öster­rei­chi­schen Koch- und Backkul­tur entsprun­gen sind:

  • Powidl-Datsch­gerln
  • Zwetschen­knö­del
  • Schei­ter­hau­fen
  • Apfel­stru­del
  • Palatschin­ken
  • Buchteln
  • Kolat­schen
  • Krapfen
  • Vanil­le­kip­fern
  • Kokos­bus­serln

Und jetzt seid Ihr dran. Lehnt Euch zurück, holt Euch einen Kaffee, einen Tee oder ein Glas Wein und denkt darüber nach, wie das bei Euch früher zuhau­se war.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller vom Sonnenberg

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