Billies Erinne­run­gen an den Bahnhof und das ganze Drumher­um.

• Zu, Zu, Zugüber­fall. Wirklich? Na ja, ein paar vorpu­ber­tä­re Buben (darun­ter auch ich) verfie­len der Idee den nächs­ten einfah­ren­den Zug, der nach unseren Infor­ma­tio­nen ein Güter­zug sein musste, Jesse-James-mäßig zu überfal­len. Wir versteck­ten uns in dem Waggon der Modell­ei­sen­bahn­freun­de (der dummer­wei­se an diesem Tag nicht verschlos­sen war) und bewar­fen den einfah­ren­den Zug mit Steinen. Für uns überra­schend kam ein Perso­nen­zug und der Schaff­ner sprang furcht­bar erschro­cken im Bahnhof aus dem Zug und berich­te­te dem Bahnhofs­vor­ste­her was geschah. Mit dem Rad stell­te uns ein Bahnbe­am­ter, weil wir nicht gleich das Weite suchten. Mein Vati regel­te die Sache direkt mit dem Bahnhofs­chef Feil, weil er Angst hatte, dass alles an mir hängen­blei­ben würde, weil die anderen Buben alle Angehö­ri­ge der örtli­chen VIPs waren. Und so war die Sache am Abend erledigt und die anderen Famili­en erfuh­ren gleich gar nichts von dem Vorfall. Früher wurden solche Proble­me von Mann zu Mann geregelt und für die Buben gab‘s in der Regel für solche Verge­hen „äbbes auf d‘ Gosch“. Mein Vati beließ es aber bei ein paar ernsten Worten.
• Die Bahnsteig­kar­te war ein spezi­el­les Dokument im Bahnver­kehr. Sie erlaub­te es auch denje­ni­gen Perso­nen durch Bahnsteig­sper­ren abgetrenn­te Berei­che eines Bahnhofs zu betre­ten, die selbst keine Reise­ab­sicht hatten und somit auch nicht im Besitz einer gülti­gen Fahrkar­te waren. Mithil­fe einer Bahnsteig­kar­te konnten Angehö­ri­ge direkt von und zum Bahnsteig beglei­tet werden, etwa um sie beim Tragen des Gepäcks zu unter­stüt­zen oder ihnen den richti­gen Zug respek­ti­ve Ausgang zu zeigen. Die Bahnsteig­kar­te diente bei einer Kontrol­le als Nachweis, dass ihr Besit­zer kein Reisen­der war und somit auch nicht der Beför­de­rungs­er­schlei­chung beschul­digt werden konnte. In Oberko­chen war das nicht erfor­der­lich, aber in Aalen musste diese vorge­zeigt werden, wenn man ohne Fahrkar­te den Bahnsteig betre­ten wollte. Ich glaube sie koste­te 10 Pfenni­ge und man überlegt sich das zweimal, ob man das Geld ausgab – dafür konnte man schließ­lich eine Brezel kaufen.

1962 Noch wird unter Dampf nach Aalen gefah­ren (Archiv Müller)

Anfang der 70er Jahre – der Bahnhof war schon mit Eternit verklei­det (Archiv Müller)

• Dampf­lok­zeit­al­ter. Die letzte Dampf­lok auf der Brenz­bahn fuhr wahrschein­lich in den späten 1960er oder frühen 1970er Jahren. Diese Strecke hat im Laufe ihrer Geschich­te viele Dampf­lo­ko­mo­ti­ven gesehen. Eine der bemer­kens­wer­tes­ten war die Baurei­he 64, die auf der Brenz­bahn häufig einge­setzt wurde. Die Baurei­he 64, auch als “Bubikopf” bekannt, war eine deutsche Dampf­lo­ko­mo­ti­ve, die zwischen den 1920er und 1950er Jahren im Einsatz war. Sie wurde von der Deutschen Reichs­bahn entwi­ckelt und war für den Perso­nen- und Güter­ver­kehr konzi­piert. Die Baurei­he 64 war eine zuver­läs­si­ge und vielsei­ti­ge Lokomo­ti­ve, die auf vielen Strecken in Deutsch­land einge­setzt wurde, einschließ­lich der Brenzbahn1.Ihre charak­te­ris­ti­sche Erschei­nung mit dem abgerun­de­ten Kessel und dem markan­ten Führer­haus verlieh ihr den Spitz­na­men “Bubikopf”. Die Baurei­he 64 war eine 2–6‑2-Tenderlokomotive, was bedeu­tet, dass sie zwei führen­de Laufach­sen, sechs angetrie­be­ne Achsen und einen Tender hatte. Sie war sowohl für den Perso­nen- als auch für den Güter­ver­kehr geeig­net und bewäl­tig­te Steigun­gen und Kurven mit Leich­tig­keit.
• Ich brauch­te die Bahn regel­mä­ßig erst als ich ab 1969 in die Berufs­schu­le Aalen kam. Wie mich der Teufel ritt, wollte ich eines Tages unbedingt auspro­bie­ren, ob ich hin- und zurück ohne Fahrkar­te durch­kam. Natür­lich bin ich auf der Rückfahrt aufge­flo­gen und wurde, wieder einmal, den Bahnobers­ten in Oberko­chen überge­ben. Der sah mich an und sagte: „Der sieht ja gar nicht aus wie ein Schwarz­fah­rer – aber das kostet 20 DM“. Das war heftig – belief sich doch das Lehrlings­ge­halt auf gerade mal 50 DM im Monat. Des kaufmän­ni­schen Schrift­ver­kehrs als angehen­de Jungkauf­mann inzwi­schen mächtig, versuch­te ich die DB zu beein­flus­sen – vergeb­lich.
• Kurswa­gen Hamburg. Ein Kurswa­gen, in diesem Fall Hamburg, war ein Waggon, in den man in Oberko­chen einstei­gen und in Hamburg ausstei­gen konnte, ohne den Zug wechseln zu müssen. Der Waggon wurde einfach an einigen Stellen wie z.B. in Crails­heim und Bebra von einem Zug abgekop­pelt und an einen anderen Zug angekop­pelt. So erspar­te man sich das Umstei­gen und reiste komfor­ta­bel in einem 6er-Abteil – die Reise dauer­te aber relativ lange (beispiels­wei­se fuhr ich in Kiel um 22 Uhr ab und war morgens um 8 Uhr in Oberko­chen).
• Eine andere Geschich­te verdeut­licht die Wirkung von Unifor­men auf Menschen in der damali­gen Zeit. Mitte der 70iger Jahre wollte ich von Oberko­chen nach Kiel und wen traf ich am Bahnhof? Meinen Schul­freund Micha­el „Milu“ Ludwig, seiner­zeit bereits Offizier bei der Marine. Ich hinge­gen hatte den Dienst­grad Maat. Das bedeu­te­te: Für mich war die 2. Klasse vorge­schrie­ben und für „Milu“ die 1. Klasse – voraus­ge­setzt er reiste in Uniform. Was nun? Getrennt sitzen kam nicht in Frage? Gemein­sam 2. Klasse sitzen kam für meinen Freund nicht in Frage, also bestimm­te er kurz: „Du kommst zu mir in die 1. Klasse. Ich regele das schon.“ Kaum losge­fah­ren kam der Kontrol­leur. Wir wollten unser Karten zeigen und die Angele­gen­heit erklä­ren, er aber salutier­te kurz und sprach: „Schon in Ordnung die Herren, gute Reise“.
• Und wie sah es im Bahnhof aus? Man betrat das Bahnhofs­ge­bäu­de und rechter Hand war der Fahrkar­ten­schal­ter. Es gab dort die berühm­ten gestanz­ten Fahrkar­ten, deren Rohlin­ge an der Wand im Büro gelagert waren, um sie dann entspre­chend dem Fahrziel zu prägen. Gegen­über dem Eingang befand sich die Bahnex­press-Annah­me und die Gepäck­auf­be­wah­rung. An deren Schei­be hingen immer die Steck­brie­fe für die gesuch­ten Verbre­cher und in den 70er Jahren die RAF-Fahndungs­fo­tos. Ansons­ten erinne­re ich mich an lange Sitzbän­ke in einem stark überheiz­ten unschö­nen Warte­raum. An den Seiten eine Perso­nen­waa­ge und ein Automat für Süßig­kei­ten sowie große Bilder­rah­men für Bahnwer­bung und die notwen­di­gen Fahrplä­ne. In den 60ern gab es noch den alten Warte­raum mit Holzbän­ken und Holzfuß­bo­den und einem Boller­ofen, der im kalten Winter zum Aufwär­men einlud, wenn es uns beim „Kirche-Schwän­zen“ draußen zu kalt wurde.
• Fahrkar­ten­aus­ga­be Oberko­chen. Ich habe keinen Zweifel, dass ich ab dem Jahr 2000 eine Heraus­for­de­rung für das Perso­nal an unserem Bahnhof war, wenn ich eine Fahrkar­te nach Zürich verlang­te. Da wurden noch Kursbü­cher gewälzt und der Schwei­zer Teil der Strecke musste ja auch von den Herren bewäl­tigt werden. Das dauer­te oft so lange, dass ich schon Tage zuvor außer­halb des Berufs­ver­kehrs den Schal­ter blockier­te – oftmals nicht unter 20 Minuten. 2004 wurde die Fahrkar­ten­aus­ga­be geschlos­sen, kurzfris­tig übernahm Klaus Schön’s „Consi­lio“ den Fahrkar­ten­ver­kauf – meine Sonder­wün­sche nach Zürich haben sie aber nicht hinbe­kom­men. Und seitdem muss ich bis heute immer nach Aalen fahren, denn eine Fahrkar­te mit Deutscher Bahncard und Schwei­zer Halbtax – das kann der Fahrkar­ten­au­to­mat nicht.
• Im Bereich des Güter­schup­pens gab es auch eine Kohlen­hand­lung – W. M. Maier, wenn mich meine Erinne­rung nicht im Stich lässt. Die Bestel­lun­gen konnte man beim Friseur Linert in der Dreißen­tal­stra­ße 77 aufge­ben. Neben den Gleisen, die neben der heuti­ge Spedi­ti­on Maier, verlie­fen, befan­den sich die Lager­bo­xen für Kohlen und Briketts. Auch habe ich noch das Bild eines Heizöl­tanks im Kopf. Der Güter­schup­pen, 1869 erstellt, 1939 um einen Rampen­an­bau und 1942 um ein Bürohäus­chen erwei­tert, wurde 1989 abgerissen.

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Der alte Güter­schup­pen lag früher im Bereich des heuti­gen NETTO-Marktes (Archiv Müller)

• Modell­ei­sen­bahn­freun­de. Dieser Verein bekam eines Tages einen Waggon auf dieses Gleis gestellt, damit sie eine ordent­li­che Heimat hatten.

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Hier hatten einst die Eisen­bahn­freun­de ihre Heimat (Archiv Müller)

• Bahnüber­gän­ge. Abschlie­ßend bleibt noch zu erwäh­nen, dass wir einst mehre Bahnüber­gän­ge hatten.

Posten 8 das sog. Haus Vogel auf Höhe Peters­hans & Betzler, Posten 10 auf Höhe Günther & Schramm, Posten 11 der frühe­re Übergang Hauber — Hassler (heute Hut) und der Posten 12 Am Seegar­ten­hof (Birkach). Posten 10 war der Bahnhof selbst.

• Bahnwär­ter­häus­chen Nord Posten 8. 1890 je 5 Perso­nen­zü­ge in beide Richtun­gen. Die Abfahrts­zei­ten waren wie folgt (wobei man damals am Tag zweimal 12 Stunden rechne­te. Die heute übliche Zeitschie­ne von 0.00 bis 24.00 Uhr wurde erst im Mai 1927 eingeführt):

- nach Aalen: 6.26, 8.31, 12.50, 4.28, 7.34 Uhr
- nach Heiden­heim: 7.27, 11.36, 2.45, 6.12, 8.45 Uhr

Zwischen den Zügen hatte der Bahnwär­ter täglich mindes­tens zweimal seinen Strecken­ab­schnitt zu kontrol­lie­ren und auch kleine Handgrif­fe selbst an Ort und Stelle auszu­füh­ren. Deshalb gehör­ten Hammer und Schrau­ben­schlüs­sel zu seiner Ausrüs­tung. Dazu kam noch die Bedie­nung der Bahnschran­ken, wenn das Läutwerk ein entspre­chen­des Zeichen gab. Waren die Schran­ken geschlos­sen, setzte der Bahnwär­ter seine Dienst­müt­ze auf, nahm Haltung an — dem Zug könnte ja ein Salon­wa­gen mit hohen Herrschaf­ten angehängt sein — und beobach­te­te den vorüber­brau­sen­den Zug. Da das Einkom­men eines Bahnwär­ters nicht üppig war, musste in der Freizeit — vor allem von der Bahnwär­ters­frau Garten­bau und etwas Landwirt­schaft betrie­ben werden. Jeder Bahnwär­ter hatte eine oder mehre­re »Bahnwär­ters­kü­he«, sprich Ziegen und meist auch Hühner und Hasen.
Am 26.1.1963 ging das Wärter­haus in den Besitz der Gemein­de Oberko­chen über. Es wurde bis zum Jahr 1974 wohnlich genutzt. Verbun­den mit einer Feuer­wehr­übung wurde das Wärter­haus am 11.2.1974 »warm« abgebrochen.

Die Bahnwär­ter im Bereich Nord (nach Aalen) waren (soweit bekannt): Engel / Traber / Vogel / Bayer / Kiz / Blank

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Haus Vogel (Bahnwär­ter­haus) im Jahr 1926 Oberko­chen Nord. Es zeigt den Bahnwär­ter Johan­nes Vogel (1867 — 1947) mit der jüngs­ten Tochter Johan­na und Erwin Betzler (Archiv Müller)

Es grüßt gedank­lich von der alten Fahrkar­ten­aus­ga­be beim Kauf der Tickets nach Zürich.

Wilfried „Wichai“ Müller – Billie vom Sonnenberg

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