Vorab. In Kürze stehen bei uns die 22ten Gemeinderatswahlen (incl. der Ernennung von 1945) bzw. die 21ten freien Wahlen seit 1946 an. Aus diesem Grund gebe ich an dieser Stelle einen geschichtlichen Überblick.
Intro für die Reingeschmeckten. Der Gemeinderat ist die politische Vertretung der Bürgerschaft. Er ist das „Hauptorgan der Gemeinde“, so steht es in der Gemeindeordnung (§ 24,1 Satz 1). Er „legt die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest und entscheidet über alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit nicht der Bürgermeister kraft Gesetzes zuständig ist“ (Gemeindeordnung §24,1 Satz 2). Dem Gemeinderat obliegt zudem die Kontrolle der Gemeindeverwaltung. Die Amtszeit der Gemeinderäte beträgt fünf Jahre.
Er ist die politische Vertretung der Bürgerinnen und Bürger. Die Sitzungen des Gemeinderats sind in der Regel öffentlich, können aber auch nichtöffentlich durchgeführt werden. Darüber entscheidet der Gemeinderat. Den Vorsitz hat der Bürgermeister oder der Oberbürgermeister. Der Gemeinderat entscheidet über die Angelegenheiten der Gemeinde. Der Gemeinderat kann einen Ausschuss für eine besondere Aufgabe einsetzen und er kontrolliert den Bürgermeister und die Gemeindeverwaltung.
Sie sind ehrenamtlich tätig. In kleineren und mittleren Gemeinden sind die Gemeinderäte etwa 30 bis 35 Stunden im Monat mit der Arbeit im Gemeinderat beschäftigt. In größeren Städten und vor allem in den Großstädten ist der Zeitaufwand deutlich höher. Gemeinderäte bekommen für ihr Engagement in aller Regel eine finanzielle Aufwandsentschädigung. Die Zahl der Gemeinderäte richtet sich nach der Einwohnerzahl der Gemeinde. Wir in Oberkochen haben derzeit 18. Wenn wir 10.000 EW erreicht haben, stehen uns 20 an der Zahl zu.

Gut getroffen – einige MItglieder eines früheren Gremiums (Archiv Rathaus)
Intro fir d‘ Schwoaba em (et oabedingt im Oberkochner) Dialäkt (so im Internet gefunden). Dr Gmoidrot en Bada-Wirdaberg ischs Hauptorgan von-re Gmoid. Dr Gmoidrot isch d politisch Vertretong vo älle Birger, wo emma selbständiga Dorf oder enta Stadt wohnet. Älles Nähere isch en dr Gemeindeordnung für Baden-Württemberg – so hoißt des Gsetz mit em volla Nama, abkürzt GemO – greglet.
Rechtsstellong ond Ufgaba
Dr Gmoidrot ischs Hauptorgan vo jedra Gmoid. Au wenn oinzlne Gmoida ganz onderschiidlich grauß send – de kloischt em Ländle isch Drackastoi mit ogfähr 430 Eiwohner ond de graischt isch Stuegert mit fascht 600.000 Eiwohner – ond sich manche als Stadt, Graußa Kreisstadt oder als Stadtkreis bezeichna deffet, s Hauptorgan hot emmer da Nama „Gmoidrot“. Der legt d Grondsätz für d Verwaltong fescht ond entscheidet ibr älle Ôgleagaheita, soweit et dr Birgermoischtr vom Gsetz her zuaständig isch. Dr Gmoidrot muaß au ufbassa, dass des, wo-nr bschlossa hot, au gmacht wird.
Zammasetzong
Dr Gmoidrot setzt sich zamma aus em Birgermoischtr ond de ehraamtliche Mitgliadr. Jeder vo deane hot de gleich Bezoichnong wia s Gremium selber, also Gmoidrot, en dr Mehrzahl Gmoidrät. Bloß en de Städt hoißts oinzelne Mitglied Stadtrat, nia abr s Gremium selbr. So isch’s abr bloß en Bada-Wirdaberg!
En de Grauße Kreisstädt ond en de Stadtkreis derf sich dr Birgermoischtr „Oberbirgermoischtr“ hoißa. Der hot oft noh andre Birgermoischtr ondr sich, wo abr koi Stemmreacht em Gmoidrot hend. En deam Gremium hot emmer dr Birgermoischtr bzw. dr Oberbirgermoischtr da Vorsitz. Wiaviel Gmoidrät a Gmoid han derf, hängt vo dr Eiwohnerzahl ab. Mir hend aktuell 18.
Und was sagt Wilhelm Busch über den einzelnen Gemeinderat – also bei uns den Stadtrat?
Wirklich, er war unentbehrlich! Überall, wo was geschah / zu dem Wohle der Gemeinde, er war tätig, er war da. / Schützenfest, Kasinobälle, Pferderennen, Preisgericht, / Liedertafel, Spritzenprobe, ohne ihn, da ging es nicht. / Ohne ihn war nichts zu machen, keine Stunde hatt‘ er frei. / Gestern, als sie ihn begruben, war er richtig auch dabei.
Das Wahlsystem in „The Länd“ ist komplex. Es gilt das Verhältniswahlrecht nach D‘Hondt, was zur Folge hat, dass nicht die Kandidaten mit den meisten Stimmen gewinnen, sondern auf Basis der Gesamtstimmenzahlen verteilt wird. Auch das Persönlichkeitswahlrecht findet durch das „Kumulieren“ und „Panaschieren“ Anwendung. Kompliziert, aber der demokratische Einfluss erhöht sich dadurch nicht unwesentlich.
Das nach dem belgischen Mathematikprofessor Victor d’Hondt benannte Verfahren ist ein Höchstzahlverfahren. Es wird wegen der Divisorreihe, mit der es arbeitet, auch Divisorverfahren genannt. Die Stimmenanzahl jeder Partei wird nacheinander durch 1, 2, 3, 4, 5, 6 etc. (das ist die Divisorreihe) geteilt. Unter den Zahlen, die sich so ergeben, wird die höchste herausgesucht. Für diese “Höchstzahl” erhält die Partei ein Mandat. Unter den verbleibenden Zahlen wird wiederum die Höchstzahl ausgemacht. So wird fortgefahren, bis alle Mandate vergeben sind. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass es einfach anzuwenden ist. Außerdem werden alle Mandate in einem Gang vergeben. Als Nachteil wird gelegentlich angemerkt, dass es große Gruppen bevorzugt.

Der Gemeinderat im Jahr 1930 vor der Machtübernahme durch die Nazis anno 1933 im alten Rathaus in der Heidenheimer Straße 10 (Archiv Rathaus) – anlässlich des 25jährigen Dienstjubiläums von Richard Frank Sitzend vlnr: Gemeindepfleger Willibald Ebert / Michael Hug / Eugen Gold / BM Richard Frank / Josef “Bebel” Fischer / Glasermeister Paul Wingert / Maurermeister Anton Trittler / und das Kind in der Mitte Fritz Maier Stehend vlnr: Wachtmeister Maier / Franz Uhl / Julius Schaupp / Adolf Fischer / Richard Bäuerle / Paul Uhl / Wilhelm Baumgärtner / Albert Kopp
Die Rechte des Gemeinderates sind
• Recht auf Information und Mitwirkung
• Satzungsrecht: Der Gemeinderat beschließt die „Gemeindegesetze“
• Etatrecht: Der Gemeinderat entscheidet über den Haushalt
• Planungshoheit: Der Gemeinderat entscheidet über die Zukunft der Gemeinde, zum Beispiel über neue Baugebiete oder Gewerbegebiete
• Personalhoheit: Der Gemeinderat entscheidet darüber, wer bei der Gemeinde angestellt wird
Die wichtigsten Pflichten des Gemeinderats sind
• allgemeine Treupflicht
• Verschwiegenheit
• Verbot der Mitwirkung bei Befangenheit
• gesetzmäßiges Handeln
• freie, nur an das Gewissen gebundene Entscheidung
Hauptausschüsse: Man unterscheidet zwischen pflichtigen und freiwilligen Ausschüssen. Grundsätzlich ist der Rat im Rahmen der Organisationshoheit der Gemeinde frei darin, ob er Ausschüsse bildet oder nicht. Oberkochen hat einen Technischen Ausschuss und einen Verwaltungsausschuss. Diese werden paritätisch nach dem gleichen Verfahren Sainte-Lague (früher d’Hondt) besetzt. Wer aus welcher Fraktion/Gruppierung in den Ausschuss kommt, bestimmt immer die Fraktion/Gruppierung.
Im Technischen Ausschuss werden Baugesuche von Bürgern (Anbauten, Ausbauten, Garagen, Carports, Gauben etc.) und Firmen (Hallen, Nutzungsänderungen etc.) abschließend beraten und entschieden, ohne dass die Punkte danach noch in den Gemeinderat kommen. Darüber hinaus werden alle städtischen Bauvorhaben an Gebäuden und Straße, Leitungen etc. sowie Vergaben an Firmen bei den erwähnten Bauvorhaben meist nichtöffentlich vorberaten und eine Empfehlung an den Gemeinderat gegeben. Danach kommen diese Punkte in den Gemeinderat, wo sie abschließend öffentlich beraten und entschieden werden.
Im Verwaltungsausschuss werden, wie der Name schon sagt Verwaltungsangelegenheiten vorberaten. Meist Personal- und Vertragsangelegenheiten, Satzungen usw. Da es bei vielen dieser Dinge um personenbezogene oder vertrauliche Daten handelt, bleiben diese auch im Gemeinderat nichtöffentlich.
Weitere Gremien: Die Aufsichtsräte der GEO und der Stadtwerke, das Kuratorium der Bürgerstiftung, die Zweckverbände Musikschule Königsbronn-Oberkochen, Interkommunales Gewerbegebiet Königsbronn-Oberkochen, Interkommunales Gewerbegebiet Heidenheim-Königsbronn-Oberkochen, der Kindergartenbeirat, der Beirat Altenpflegeheim sowie bei Bedarf Umlegungsausschüsse bei neuen Bau- oder Gewerbegebieten.

Der Gemeinderat bei der Verabschiedung am 28. September 1956 (Archiv Rathaus) Linke Seite von vorne nach hinten: Fritz Zygan / Karl Renner / Anton Schellmann / Erwin Betzler, Josef Menzl / “Seba” Sebastian Fischer / und als Gast Josef Schmid Rechte Seite von vorne nach hinten: Heinrich Grupp / Anton Hauber / Eugen Sapper / Josef Krok / Willibald Mannes sen. / Franz Balle / Ortsbaumeister Weber (verdeckt) Und in der Mitte, direkt unter dem Gekreuzigten der BM Gustav Bosch
Zusammensetzung des Gemeinderats nach einer aktuellen Studie der Hochschule Kehl aus dem Jahr 2021 (Die Oberkochener Zahlen sind jeweils darunter in Klammern gesetzt; höchste Werte in halbfett – 1962 konnte nicht ermittelt werden):
• 37,5% Angestellte und leitende Angestellte
o 1947 (25 %) / 1956 (18,75 %) / 1962 (NN %) / 1975 (38,9 %) /1984 (27,8 %) 2004 (33,3 %) / 2014 (44,5 %)
• 32,5 % Selbstständige und freiberuflich Tätige
o 1947 (33 %) / 1956 (25 %) / 1962 (NN %) / 1975 (27,7 %) /1984 (38,9 %) 2004 (38,9 %) / 2014 (33,3 %)
• 11 % Prozent Beamte und leitende Beamte
o 1947 (0 %) / 1956 (0 %) / 1962 (NN %) / 1975 (0 %) /1984 (0 %) 2004 (5,6 %) / 2014 (11,1 %)
• 5,5 % Prozent Lehrer
o 1947 (0 %) / 1956 (12,5 %) / 1962 (NN %) / 1975 (16,6 %) /1984 (16,6 %) 2004 (16,6 %) / 2014 (11,1 %)
• 3,3 % Selbständige Landwirte
o 1947 (33 %) / 1956 (18,75 %) / 1962 (NN %) / 1975 (0 %) /1984 (5,6 %) 2004 (0 %) / 2014 (0 %)
• 3,3 % (Fach)Arbeiter
o 1947 (9 %) / 1956 (25 %) / 1962 (NN %) / 1975 (5,6 %) /1984 (5,6 %) 2004 (0 %) / 2014 (0 %)
• 3,3 % Hausfrauen
o 1947 (0 %) / 1956 (0 %) / 1962 (NN %) / 1975 (5,6 %) /1984 (0 %) 2004 (0 %) / 2014 (0 %)
• 3,3 % Rentner
o 1947 (0 %) / 1956 (0 %) / 1962 (NN %) / 1975 (5,6 %) / 1984 (11,1 %) 2004 (5,6 %) / 2014 (0 %)
Ein Gedicht von Cletus Thierlbeer aus Durmersheim mit dem Titel „Ein Gemeinderat“ beschreibt wunderbar das Dilemma von Gemeinderäten.
Lebte Eugen Roth in diesen Tagen,
er würde mit Bestimmtheit sagen:
Ein Mensch erblickt das Licht der Welt
Und wird zum Gemeinderat bestellt
So gesehen wär‘ es kein Qual,
wird er dann aufgestellt zur Wahl.
Wenn es ihm auch vorausbestimmt,
als Mensch er leidet ganz bestimmt.
Ist er schließlich dann Gemeinderat,
weiß er in der Tat fast immer Rat.
Doch manchmal denkt er unverhohlen,
soll dies Geschäft doch der Teufel holen.
Hat er etwas Gutes sich erdacht,
und diesen Vorschlag eingebracht,
wird er abgelehnt im Ganzen,
mit dem Hinweis auf die schlechten Finanzen.
Schließlich muss er dann erkennen,
dass die Kollegen auch nicht pennen.
Such hat man eine Klage vorgebracht,
die ihm sehr zu schaffen macht.
Jetzt wurde dem Gemeinderat
Das Rauchen in der Sitzung untersagt,
obwohl darauf ein Arzt beklagt,
dass beim Raucher dann der Geist versagt.
Er kommt zur Einsicht mehr und mehr
Ja so’n Gemeinderat, der hat’s halt schwer-
Eingeengt in Gesetze und Normen,
wie kann man da Gescheites formen-
Die GemO, der Kommunenkatechismus,
predigt viel von Soll und Muss,
die Finanzen mehren, die Gesetze achten,
den Bürger darf es dennoch nicht belasten.
Wenn das Ei des Kolumbus dann gefunden,
muss er den Willen der Fraktion bekunden.
Im Zwiespalt der Gedanken
Zwischen Pflicht und Sorge wankend,
muss ein Geist und Seele leiden,
der gequälte Körper manches meiden.
Sitzung hier und Tagung dort
Und immer an einem anderen Ort.
Seine Frau weist hin mitnichten
Auf die Erfüllung ehelicher Pflichten.
Er erinnert sich der schönen Stunden,
die er in den Armen seiner Frau gefunden.
Und er beschließt, noch dieses Jahr,
dann hört er auf, das ist doch klar.
Am Stammtisch wird er angemeckert,
mit faulen Sprüchen dann bekleckert.
Die Schule sei zu groß geraten,
unsinnige Steuergelder verbraten.
Die Vereine fordern ein Haus für die Kultur,
der Rat sei nicht einsichtig und stur.
Dann der Ärger mit der künstlichen Besamung,
werfen ihm vor, er hätte ja keine Ahnung.
Die Zucht würde schlechter, sagen die Leute,
ganz klar, den Tieren fehlt es an der Freude.
Und der neue Friedhof sei eine Sensation,
die Leichen lagen im Wasser
und schwammen in die Kanalisation.
Die Verwaltung schließlich sei ein Graus,
bestimmt die Hälfte gehöre da raus.
Den Bürgermeister ließen sie halb ungeschoren,
vielleicht käme das zu seinen Ohren.
Mit ihm wollte man es nicht verderben,
möchte man doch einen Bauplatz erwerben.
Er plagt sich, riskiert sein eigenes Ich,
und der Bürger sieht das einfach nicht.
Nein, nein – so kann es nicht weitergeh’n,
er ist tief enttäuscht und will geh’n.
Bei der anstehenden Wahl ist er wieder gefragt,
von politischer Verantwortung geplagt.
Zuletzt glaubt er es selber gar,
ohne ihn geht’s nicht – das ist wahr.
Klar erhielt er ein Mandat,
und er war wieder Gemeinderat.
Am Ratstisch wurde gerungen um jeden Beschluss,
für die Zuschauer war es immer ein Hochgenuss.
Manchmal schoss man auch übers Ziel –
Wie damals, als er aus der Rolle fiel.
Es war am Anfang seiner Ratszeit,
der Bürgermeister mahnte zur Geschlossenheit.
Die Fraktionen probten die Macht und blieben stur,
er fragte sich, was wollen die eigentlich nur.
Gelangweilt sah er hinaus zu den Bäumen
Und begann wie in der Schule zu träumen.
Plötzlich ruft ihn der Bürgermeister –
Erschreckt verlassen ihn alle Geister.
Er hob die Hand, um sich zu melden,
doch sein Zeichen sollte der Abstimmung gelten.
Was folgte, glich einer Explosion –
Ungewollt stimmte er mit der falschen Fraktion.
Jetzt ist er älter und besonnen
Und hat an Erfahrung gewonnen.
Wehe, es wagt einer ein Wortgefecht,
Gnade ihm Gott, dem geht es schlecht.
Wenn es auch Kritik und böse Zungen gibt,
er ist geachtet und beliebt.
Sein Leben schien jetzt ausgewogen,
und diese Einsicht wär‘ zu loben.
Eine Frage schwebt dennoch im Raum,
und an deren Lösung glaubt er kaum.
Am Ratstisch hat sein Wort Gewicht,
daheim bei seiner Frau, da wirkt das einfach nicht.
Nächste Woche gibt’s den zweiten Teil mit Daten und Fakten aus Jahrzehnten in unserer Gemeinde.
Wilfried Wichai Müller „Billie vom Sonnenberg“