Eisen­ach-Wartburg- Dr. Grit Jacobs, Wartburg Stiftung, Wissen­schaft­li­che Leitung. Luther, Bibel­über­set­zung, 500-Jahr-Jubilä­um 2022. Autor Peter Meroth in der Luther­stu­be. (Archiv Meroth)

Zur Einfüh­rung. Hier mag sich die Leser­schaft fragen. Was soll die Überschrift? Aber so ist es tatsäch­lich. Unser Peter Meroth vom Dreißen­tal, gestählt durch seinen beruf­li­chen Werde­gang, der ihn durch viele wichti­ge und große Redak­tio­nen in der deutschen Presse­land­schaft geführt hat, hat es tatsäch­lich geschafft, auf dem Stuhl Martin Luthers, und damit vor dem Schreib­tisch auf der Wartburg, mit höchs­ter Geneh­mi­gung unter Einhal­tung größt­mög­li­cher Sicher­heits­maß­nah­men, sitzen zu dürfen. Und nicht nur sitzen, nein, wie der große Luther durfte er da auch schrei­ben. Und das als gelern­ter Katho­lik und prakti­zie­ren­der Atheist. Des hätts friar et gäbba ????. Zum Jubilä­um der Bibel­über­set­zung wurden auch eine Dichte­rin und zwei Dichter auf die Burg einge­la­den, preis­ge­krön­te Autoren, die jeweils einen Monat lang auf des Refor­ma­tors Spuren wandeln, meditie­ren und schrei­ben sollten. Sie saßen im Raum neben dem Lutherzimmer.

Wartburg (Archiv W. Müller)

Der Unter­schied: 1521 begann Martin Luther auf der Wartburg mit seiner Bibel­über­set­zung. Er übersetz­te das Neue Testa­ment ins Deutsche. Dafür brauch­te er nur elf Wochen. 1522 erschien die Erstaus­ga­be zur Leipzi­ger Buchmes­se. Peter saß dort wohl nur ein paar Stunden, um einen Zeitungs­ar­ti­kel für das „Thürin­gen-Magazin“ anläss­lich des 500ten Jubilä­ums der Bibel-Übersetzung.

Dann schau­en wir uns mal an, welche Einge­bun­gen Peter an diesem histo­ri­schen Ort hatte.

Luther im Lockdown

„Der Refor­ma­tor” hat sich mit den mächtigs­ten Männern seiner Zeit angelegt. Er sitzt auf der Wartburg fest. Geschwächt und verzwei­felt. Mit Tinte und Papier bekämpft er seine Dämonen. Schafft 1522 einen neuen Bestsel­ler des Glaubens. Und legt neben­bei den Grund­stein für unser heuti­ges Deutsch.

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Wartburg Luther’s Arbeits­zim­mer (Archiv W. Müller)

Das ist es also: Das Home Office des Refor­ma­tors auf der Wartburg. Kachel­ofen, Stuhl, Schreib­tisch. Darun­ter der Walwir­bel, ein schwe­rer Klotz aus dem Skelett eines Meeres­säu­gers, der wohl im 14. Jahrhun­dert an der Ostsee­küs­te gestran­det ist. Der Riesen­kno­chen ist das ältes­te Stück im Raum. Den Ofen gab es zu Luthers Zeiten nicht, nur einen offenen Kamin. Der Stuhl knarzt mit fränki­schem Akzent, er stammt aus einer Nürnber­ger Werkstatt. Der gewich­ti­ge Schreib­tisch mag alt sein, aber sicher nicht das Original.

Die Bibel­über­set­zung hat der rebel­li­sche Mönch vielleicht an einem Stehpult verfasst. Wie eine Fortset­zung seines berühm­ten Satzes auf dem Reichs­tag in Worms. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Gerade hatte er dort Kaiser und Papst die Stirn geboten, den höchs­ten Autori­tä­ten des Abend­lan­des. Und nun war er auf der Wartburg gelan­det. Zu seinem eigenen Schutz von Fried­rich dem Weisen entführt und in Haft genom­men. „Luther war aus allem geris­sen, was ihn zuvor umgab“, sagt Grit Jacobs, die wissen­schaft­li­che Leite­rin der Sammlung und Ausstel­lun­gen auf der Wartburg. Er befand sich in politi­scher Quaran­tä­ne, als Junker Jörg versteckt vor der Welt, isoliert von seiner Gemein­de. Luther im Lockdown. Was würde er heute in seiner Kammer machen?

Das Kopfki­no schwenkt weg von den Möbeln und den Butzen­schei­ben des Fensters, es sind im Grunde austausch­ba­re Kulis­sen, und zoomt auf den Menschen, hakt ein beim Schick­sal des verschlepp­ten Refor­ma­tors. Er ist noch am Leben, aber was kann er tun? Er hat große Ideen, aber kein Publi­kum. Zu den psychi­schen Qualen kommen körper­li­che. In einem Brief jener Tage, geschrie­ben auf Latein, sticht ein einzi­ger Satz auf Deutsch heraus: „Mein Arsch ist böse gewor­den“. Er war in akuter Lebens­ge­fahr, sagt Grit Jacobs.

Von Mai 1521 bis März 1522 sitzt er auf der Wartburg fest, es sind zehn Monate „zwischen Depres­si­on und Arbeits­wut“. Ein Tiefpunkt in seinem Leben. Doch er macht daraus einen Höhepunkt der Kirchen- und Kultur­ge­schich­te. Die Zeit war reif für eine Erneue­rung des Glaubens. Die Kritik am Papst­tum mit seiner Prunk­sucht und Verlo­gen­heit hatte schon 100 Jahre zuvor auf dem Basler Konzil zu einem Aufstand der Gerech­ten geführt. Mitbe­stim­mung der Laien, laute­te die Parole. Schluss mit der Entmün­di­gung der Gläubi­gen, die brav nachbe­ten sollten, was ihnen auf Latein vorge­brab­belt wurde. Auch eine deutsch­spra­chi­ge Bibel gab es bereits. Aber der Refor­ma­tor aus Witten­berg ging weiter, stand­haft und stur. Und nutzte die moder­ne Technik. Sein Inter­net anno 1522 war der Buchdruck. Und die Bilder­flut aus dem Hause Cranach wurde das Insta­gram seiner Theolo­gie. Luther, der Bibel-Blogger. Sein Credo war Klarheit und Verständ­lich­keit. Er griff nicht auf die damals gängi­ge latei­ni­sche Fassung des Neuen Testa­ments zurück, obwohl er Latein fließend sprach, sondern plagte sich an griechi­schen Ur-Texten ab. Er wollte schwer verständ­li­che Passa­gen nicht einfach Wort für Wort wieder­ge­ben, sondern die Botschaft heraus­ar­bei­ten, sagt Grit Jacobs.

„Luther übersetzt“ – der Titel der Ausstel­lung auf der Wartburg zum 500-Jahr-Jubilä­um seines Neuen Testa­ments – sei bewusst gewählt, um diese Inten­ti­on deutlich zu machen. In einem „Sendbrief zum Dolmet­schen“, der neben vielen anderen Origi­nal-Dokumen­ten in der Werkschau zu sehen ist, fordert Luther vom Überset­zer charak­ter­li­che Quali­tä­ten, allen voran aufrech­ten Glauben, aber auch gutes Sprach­ge­fühl. Geht auf die Straße und schaut den Leuten aufs Maul, so Jacobs, das sei sein Rat gewesen. Eine Bibel in der Sprache des Volkes war für die Gläubi­gen der Schlüs­sel zu einer Welt, die ihnen bis dahin verbor­gen war. Er eröff­ne­te den Menschen neue Horizon­te. Und legte, ganz neben­bei das Funda­ment einer deutschen Schrift­spra­che. In den Anfän­gen freilich bedurf­te es noch regio­na­ler Glossa­re, um etwa den Schwei­zern zu erklä­ren, was eine „Anfurt“ ist. Nämlich eine Landes­stel­le, ein Hafen. Sie habe sich gefreut, sagt Grit Jacobs, die Luther-Exper­tin der Wartburg, als der alte Begriff mit Tolki­ens Fanta­sy-Roman „Der Herr der Ringe“ wieder populär wurde.“ Du sollst Dein Licht nicht unter einen Schef­fel stellen“, lautet eine Redewen­dung, die auf Luthers Überset­zung aus der Bergpre­digt zurück­geht. Doch wer weiß noch, was ein Schef­fel ist? Bei einer Bibel-Revisi­on 1975 wurde das Hohlmaß für Getrei­de von immer­hin 8,7 Liter Volumen mit „Eimer“ übersetzt. Ein Sturm der Entrüs­tung war die Folge. Sprach­papst Walter Jens wütete, das sei ein „Mord an der Bibel“, erzählt Jacobs. Eimer wäre zweifel­los verständ­li­cher, doch Schef­fel klingt vertrau­ter, authen­ti­scher – und bezieht der christ­li­che Glaube nicht einen Großteil seiner Legiti­ma­ti­on und seines Wahrheits­ver­spre­chens aus der Jahrhun­der­te währen­den Überlie­fe­rung? Natür­lich flog der Eimer bei der nächs­ten Revisi­on 1984 wieder raus. Der Schef­fel hielt sich, auch bei der Überar­bei­tung von 2017. Aller­dings lautet das komplet­te Zitat (Matthä­us 5,15): „Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Schef­fel, sondern auf einen Leuch­ter; so leuch­tet es allen, die im Hause sind.“

Wofür aber würde sich Luther heute entschei­den? Hätte er, der große Erneue­rer das Licht in seinem Text inzwi­schen elektri­fi­ziert? Hätte er, der die katho­li­sche Heili­gen­ver­eh­rung als Götzen­dienst verdäch­tig­te, der den altvä­ter­li­chen Gottbe­griff hinter­frag­te, im Lichte der Evolu­ti­on eine neue Dimen­si­on des Glaubens entwi­ckelt? Oder dieses Licht unter den Schef­fel gestellt? Würde er Hitze­wel­len und Waldbrän­de als Fegefeu­er für Klima­sün­der brand­mar­ken und Hochwas­ser-Katastro­phen als Sintflut? Oder würde er, wie es in der Legen­de heißt, einfach das Tinten­fass an die Wand werfen, um alle Teufel zu verjagen?

Auf dem Schreib­tisch, der nicht der seine war, in der Luther­stu­be auf der Wartburg liegt ein Faksi­mi­le des „Septem­ber-Testa­ments“, benannt nach dem Monat, in dem es 1522 gedruckt wurde. Ein Reprint soll dieses Jahr in kleiner Aufla­ge erschei­nen. Geöff­net ist das gewich­ti­ge Buch bei der Überschrift „Das zwenzigst Kapitel“: „An der sabba­ther eynem kompt Maria Magda­le­na frue/ da es noch finster war/ zu de grabe/ vnd sihet dz (dass) d’steyn vom grabe hyn weg war…“ Das Grab ist leer. Ist Jesus aufer­stan­den? Für Chris­ten gibt es daran keinen Zweifel. Aber dass Maria Magda­le­na das Wunder entdeckt haben soll, das können viele nicht fassen. Ausge­rech­net „die Sünde­rin“! War sie etwa seine Gelieb­te? Darüber wird seit Jahrhun­der­ten spekuliert.

Luthers großes Vermächt­nis wird in der Ausstel­lung ein halbes Jahrtau­send nach der Bibel-Überset­zung auf der Wartburg gefei­ert, mit einer reichen Vielzahl an Zeugnis­sen und Beispie­len seines Schaf­fens. Auch ein Schef­fel ist dabei. Aus Holz, mit Eisen­be­schlä­gen. Welches Licht da versteckt sein könnte, muss jede und jeder selbst herausfinden.“

In diesem Sinne – fahren Sie doch einfach wieder mal auf die Wartburg oder wie ich seiner­zeit im Jahr 2012 als Geburts­tags­ge­schenk meiner „Haasen-Freun­de“ zu meinem 60ten.

Wilfried „Billie Wichai“ vom Sonnen­berg und Peter vom Dreißadal

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