Über die Sicherung der Markungs- und Eigentumsgrenzen
Die weitere Entwicklung führte dazu, daß man die Zeugen eigens herstellte. Dadurch wurde die Sicherheit gegen Fälschungen erhöht. Meist verwendete man flache, viereckige oder auch runde Plättchen aus gebranntem Ton. Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts versah man die Täfelchen mit dem Fleckenzeichen, oder mit einem Worthinweis. Später, schon im Auslaufen der Grenzsicherung durch Verzeugung, brachten die Ziegeleien Zeugen mit den eingebrannten Wappen der Gemeinden auf den Markt. Diese Wappenzeugen werden heute nicht mehr kommerziell, aber mitunter in privaten Brennöfen hergestellt. Sie sind zu Sammelobjekten geworden. Die Sammler — es sind nicht nur Vermessungsleute — stehen vielfach miteinander in Verbindung und tauschen Doppel- oder Mehrstücke gegenseitig aus. Diese Liebhabersammlungen sind natürlich im Grunde keine Zeugensammlungen, sondern Sammlungen kommunaler Wappenbilder.
Der Untergang des Untergangs
Die umwälzende Neuordnung der Staatsverwaltung im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts stand unter der aktuellen Forderung der Trennung der Gewalten. In jedem Oberamtsbezirk, so bestimmte das Edikt über die Organisation der unteren Staatsverwaltung in den Departments der Justiz und des Innern von 1818, werde für den ganzen Umfang der Rechtspflege ein Richter aufgestellt. Damit hörte die einst ausgedehnte württembergische Laiengemeindegerichtsbarkeit im wesentlichen auf. Als Rest verblieb den Gemeinden zunächst die »Rechtsfürsorge, welche vorzüglich die willkürliche (freiwillige) Gerichtsbarkeit begreift« und die »Privat-Rechtspflege, soweit als sie sich mit der allgemeinen bürgerlichen Verwaltung verträgt«. Dazu rechnete man auch die Untergangssachen, jedoch sollte »die Cognition (rechtliche Erkenntnis) darin« dem Gemeinderat zustehen. Dadurch ist das Untergängerkollegium seiner richterlichen Funktion entkleidet worden. Schließlich entfällt mit dem Inkrafttreten des württembergischen Gerichtsverfassungsgesetzes von 1868 das besondere Gerichtsverfahren in Untergangssachen überhaupt.
Ist der Untergang als Grenzsondergericht durch die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung untergegangen, so ist seine Grenzsicherungsfunktion durch die 1818 eingeleitete und 1848 abgeschlossene Landesvermessung entbehrlich geworden. Zuvor ist die Bedeutung des Untergangs allerdings noch einmal in besonderer Weise in Erscheinung getreten: die mit der Durchführung der Landesvermessung betraute staatliche Kommission ordnete an, aus jeder Ortsmarkung seien bis zum Beginn der Vermessungen »alle Eigentumsgrenzen durch das Untergangsgericht unfehlbar, vollständig und dauerhaft zu vermarken, wobei diejenigen Grenzstreitigkeiten, welche zwischen einzelnen Güterbesitzern obwalten, bis zu dem bezeichneten Zeitpunkt, womöglich durch gütigen Vergleich oder durch baldige rechtliche Entscheidung beseitigt werden sollen.«
Diese vom Untergang mit rechtsverbindlicher Wirkung kenntlich gemachten Grenzzüge sind bei der Landesvermessung aufgemessen worden. Sie sind in das System der Vermessung so einbezogen worden, daß jeder Grenzbruchpunkt durch gemessene Werte, die aus einem Netz örtlich vermarkter trigonometrischer Festpunkte abgeleitet sind, wiederbestimmt werden kann. In dieses System werden seither alle neu entstehenden Grenzen eingebunden. In der vermessungstechnischen Festlegung der Grenzzüge mit der Möglichkeit, jeden Grenzpunkt auch bei völligem Verlust des Grenzzeichens in der Natur auf das genaueste wieder zu bestimmen, liegt die Sicherung und der Schutz der Grenzen. Dies ist die geodätische Grenzsicherung. Das Erinnerungsvermögen der Untergänger und die den Grenzzeichen unterlegten geheimen Zeichen sind als Sicherungsinstrumente nicht mehr nötig. Die eigentlich nun entbehrliche Institution der Untergänger ist jedoch nach dem Abschluß der Landesvermessung nicht sofort aufgegeben worden. Die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die technischen Anweisungen für die Fortführung der Landesvermessung sind stets davon ausgegangen, daß in den Gemeinden Untergänger bestellt sind. Noch im Jahre 1895 ist eine eingehende Dienstanweisung für die Untergänger erlassen worden. Danach sollen sie die Markungs‑, Weg- und Grundstücksgrenzen beaufsichtigen, Grenzbesichtigungen vornehmen, den Steinsatz besorgen und die Kultur-(Nutzungs-)veränderungen feststellen. Als Abmarkungsorgane sind sie allein befugt, Grenzmarken zu setzen. Das Entscheidende ist aber, daß sie das Grenzzeichen stets genau auf den vom Geometer bezeichneten Punkt setzen müssen, die selbständige Bestimmung eines Grenzpunktes ist ihnen streng untersagt. Damit sind sie zu Gehilfen des Geometers geworden. Zum alten Rechtswahrzeichen der Untergänger, den Marksteinzeugen, sagt die Primärkatasterverfügung von 1899, den Gemeinden werde weiterhin überlassen, geheime Zeichen unter die Grenzsteine legen zu lassen, »es können aber solche Unterlagen nicht gegen den durch die Maßzahlen der Landes- und Fortführungsvermessung bestimmten Ort entscheiden«.
Inzwischen ist die Verzeugung, die bis zum Beginn des letzten Krieges da und dort aus Tradition noch weitergeführt worden ist, gänzlich aufgegeben worden. Sie ist bei den heutigen Abmarkungsmethoden auch nicht mehr möglich.
Herr Ivo Gold/Ravensburg übersandte dem Heimatverein weitere interessante Unterlagen zum Untergängerwesen.
Aus diesen möchten wir abschließend den aus der Vogtgerichtsordnung Pfauhausen/Oberamt Esslingen von 1587 stammenden »Undergängeraid« abdrucken.
Undergängeraid
78. Ein jeder undergänger und die alle sampt und sonders sollen geloben und schwören, gleich und gemeine undergänger zu sein und wan ihr umb undergang von beiden theilen gebetten und euch vom schultheißen gebotten wirdt, das ihr dan als die gehorsame erscheinen, auf den span kommen und beider anzeigungen vernehmen, auch Brief und leut drüber verhören wollen, jemal aber deren keins für euch gebracht würdt, alßdan euren entscheid darin zu geben nach marcksteinen und marcken gelegenheit und wie euch nach gestalt der sachen billich und recht bedunckt, niemands zu lieb noch zu leid, dan wie ihr Gott dem allmechtigen am jungsten gericht antwort darumb zu geben getrauen, volgend die güeter auf der partheien bitt und begehren zu steinen und den lohn darumb nehmen wie von alter hero und niemands fer-er noch höher steigern und ob ihr betrug, unrecht oder Falschheit finden wurden, dasselbig dem amptman anstatt des vogtherren anzeigen, öffnen und fürbringen getreulich und ohne alle geverde und ist der lohn von jedem stein drei pfenning, außgenommen, wann ein stein vier anstößer hat, so gibt ein jeder anstoß einen pfenning, thut vier pfenning.
Hermann Neuffer, Stuttgart
