Oberkochen

Chef und Chefin bei der Hochzeit 1947 (Archiv Müller)

Zur Einfüh­rung.

Norma­ler­wei­se erzählt immer der „Billie vom Sonnen­berg“ woran er sich so erinnert. Das machen wir heute anders. Ich bin ein Haus, ein beson­de­res Haus – das erste Fertig­haus in Oberko­chen (→ siehe auch Bericht 500). Da bin ich stolz darauf, auch wenn ich inzwi­schen schon in die Jahre gekom­men bin. Und ich sehe noch besser aus als mein berühm­ter Vetter, das Haus von „Rocky Docky“. Das es mich gibt, ist der Ehe von Georg und Hilde­gard Müller geb. Pavlat geschul­det. Und ich erinne­re mich an viel mehr Dinge als der Billie zu wissen glaubt. Gezeugt im oberbay­ri­schen Brannen­burg als Innta­ler Fertig­haus mit dem Namen „Stutt­gart“ und geboren, nach einem stunden­lan­gen Trans­port auf einem LKW mit Anhän­ger, in Oberko­chen in exzel­len­ter Hangla­ge mit Blick nach Süden. Kinder wurden damals vom Storch gebracht und ich vom LKW. Meine zukünf­ti­ge Adres­se lautet recht­lich „Grund­stück 2328“ (gehör­te früher dem Micha­el Grupp), posta­lisch Sonnen­berg­stra­ße 34 – eine schöne Anschrift. Und so richtig wohl fühlte ich mich, als mich die fleißi­gen Männer aufge­baut hatten, ich den vollen Blick über das Tal hatte und die morgend­li­chen ersten Sonnen­strah­len mein Dach erwärm­ten. Dann bekam ich gute Nachbarn, zur einen Seite hin, die Beckers mit der Hausnum­mer 32 und die Dubiels mit der Hausnum­mer 36 zur anderen Seite hin – das war zum Aushal­ten und Wohlfüh­len. Gegen­über siedel­ten sich Lehrer und Polizis­ten an.

Ursprüng­lich sollte ich mehr Platz um mich herum­ha­ben, aber die Planer, damals nicht sehr voraus­schau­end, zogen einfach nachträg­lich eine weite­re Straße ein und so sind die Häuser alle sehr eng aufein­an­der gebaut worden – für Autos und Garage war wenig Platz – konnte man ja schließ­lich nicht ahnen, denn der verstor­be­ne Kaiser Wilhelm setzte ja auch voll auf das Pferd; das Auto hielt er ledig­lich für eine vorüber­ge­hen­de Erscheinung ????.

Noch ein Wort. Ich hätte um mich herum (neben­an und gegen­über) noch Geschwis­ter haben sollen, aber die anderen Bauher­ren entschie­den sich dann doch für eine Stein-auf-Stein-Versi­on und so blieb ich mit meinem Gerüst aus Balken und Heraklit-Platten allein.

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Das Haus im Werden (Archiv Müller)

Und somit begann meine Lebensgeschichte.

Mal schau’n woran ich mich so erinne­re. Das eine oder andere lasse ich weg, weil es die Leser­schaft nichts angeht oder ich es aus Scham schon verges­sen habe, aber ich denke, dass es im Großen und Ganzen bei meinen Brüdern und Schwes­tern, den anderen Häusern, ähnlich zugegan­gen sein mag:

Wie das bei Erinne­run­gen so ist, gibt es immer eine Zeit davor und da war das ganze Dreißen­tal mit dem Gewann „Weingar­ten“ unbebaut, da alles war Wiese und was da so alles auf den Wiesen wuchs und was da kreuch­te und fleuch­te – das wissen die Bewoh­ner heute nicht mehr.

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…fast fertig von links (Archiv Müller)

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…fast fertig von rechts (Archiv Müller)

Aber bevor ich meine Erinne­run­gen aufs Papier fließen lasse, will ich mich noch kurz mit ein paar Daten und Fakten vorstellen:

Ich bin 11,37 Meter lang und 8,10 Meter breit, habe vier Räume und ein Klosett im Erdge­schoss sowie vier Räume und ein weite­res Klosett im Oberge­schoss. Zwischen beiden Stock­wer­ken bekam ich noch eine Treppe (natür­lich vom Treppen­papst Mannes), damit es für alle leich­ter war ????. Damit es „unten­her­um“ auch gemüt­lich war, hatten mir fleißi­ge Hände mit Schau­fel, Pickel und Beton einen Keller mit fünf Räumen gebaut. Ich erinne­re mich an Georg Müller und Hermann Schim­mel sowie an Schorsch’s Arbeits­kol­le­gen vom Wigo, die alle Hand anleg­ten, damit es voran­ging, angelei­tet von eine Monteur, quasi als Hebam­me. Damit ich auch etwas zu schau­en hatte, bekam ich 15 Fenster. Summa summa­rum mussten für mich 11.125 DM bezahlt werden. Gewiss ein Schnäpp­chen, weil ich quasi fertig war und „nur“ aufge­baut werden musste. Natür­lich musste ich noch etwas bzgl. Wasser, Strom getunt werden. Dann ließ ich auch noch Handwer­ker Gipser, Maler und Schrei­ner an mich Hand anlegen, man will ja was herma­chen, sodass für mich am Ende 22.510 DM (bei einem Eigen­ka­pi­tal von 2.800 DM) bezahlt werden mussten. Tja, umsonst ist der Tod und der kostet das Leben – wie man damals zu sagen pfleg­te. Der Grund, auf dem ich bis heute veran­kert bin, koste­te sage und schrei­be, 635 DM – kaum zu glauben aber wahr – das nennt man bezahl­ba­ren Wohnraum! Wir schrei­ben das Jahr 1951 und wenn ich mich so anschaue, kann ich sagen, ich bin bereit, empfangs­be­reit. Bereit, die Bewoh­ner willkom­men zu heißen: Georg und Hilde Müller geb. Pavlat im Erdge­schoss als meine Chefs und Hermann und Irmgard Schim­mel als meine Mieter. Damit ich nicht frieren musste, bekam ich eine zeitge­mä­ße Heizung – Holz/­Koh­le-Öfen und Beistell­her­de in der Küche mussten reichen. Es wurde nicht jedes Zimmer beheizt und schon gar nicht die Schlaf­zim­mer. Die Chefin Hilde hatte in ihrem Schlaf­zim­mer bis ins hohe Alter im Winter gerade mal 5° – da friert es mich schon beim Erinnern, aber die erste Bewoh­ner-Genera­ti­on war halt schon ein härte­res Kaliber ????.

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Der Stamm­hal­ter ist auf dem Sonnen­berg einge­trof­fen (Archiv Müller)

1952 kam der Erstge­bo­re­ne mit Namen Wilfried in meinem Schlaf­zim­mer, unter Mithil­fe der Waldhäu­ser Hebam­men-Oma Babet­te Müller geb. Gröber zur Welt. 1958 bekamen wir noch den Harald, später „Boxer“ oder „Harry“ genannt, als Nachwuchs. Er zog es aber vor, im Haus der Oma in Waldhau­sen das Licht der Welt zu erbli­cken. Die Katze hat inzwi­schen das Haus verlas­sen, irgend­ein freund­li­cher Mitmensch hat sie aus Liebe kurzer­hand erschla­gen. Damit meine Finan­zie­rung optima­ler von statten ging, bekamen wir weiter Zuwachs von sog. möblier­ten Damen und Herren, die auch Logier­fräu­lein bzw. ‑herrn genannt wurden. Ich erinne­re mich vage an Helga Rockstroh späte­re Bendler, NN Krause, Chris­ta NN späte­re Geis und einen Herrn Wild. Sie bewohn­ten ein kleines Zimmer mit Bett, Tisch, Stuhl und Schrank – das musste reichen. Auch eine Familie Rank bewohn­te mich eine sehr kurze Zeit. Samstags, wenn die Arbeit gegen 16 Uhr mit dem „Kehren rund ums Haus“ beendet wurde, ging es in den Keller. Nein, nicht zum Lachen, sondern zum Baden in Wannen aus edlem Zink. Und um 18 Uhr gab’s Abend­brot und das Wochen­en­de konnte begin­nen. Ich hatte es bequem und relativ ruhig. Alle verlie­ßen mich morgens und kehrten abends heim.

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Die Chefin bei der Heimar­beit (Archiv Müller)

Nur die Chefin, von Beruf Schnei­de­rin, hielt das Haus in Ordnung und ging ihrer Arbeit in der Küche und den Zimmern nach. Entwe­der der Heimar­beit auf ihrer Nähma­schi­ne, dem Essen kochen (primär öster­rei­chisch-ungari­sche Küche durch­setzt mit schwä­bi­schen Gerich­ten) oder den üblichen Hausar­bei­ten. Dazu dudel­te das Radio mit dem schwä­bi­schen Standard-Sender SDR1. Die Kinder weiger­ten sich in den Kinder­gar­ten zu gehen, weil sie nicht gegän­gelt werden wollten und so spran­gen sie von morgens bis abends auf der Straße herum und spiel­ten mit den Nachbar­kin­dern der Famili­en Schrö­der, Bauer, Müller, Huber und Vater. Das war vermut­lich spannen­der als im Wiesen­weg und sozia­li­siert wurde auf der Straße – hat auch funktio­niert. Ob der Wilfried deshalb sein Leben lang Proble­me mit Autori­tä­ten hatte? Beson­ders mit solchen, die inkom­pe­tent waren? Wer weiß das schon, ich kann mich auch nicht an jedes Detail erinnern – bin ja nicht mehr das jüngs­te (kurz zur Erklä­rung – ich bin sächlich – also „das Haus“ und entzie­he mich daher der oft sinnlo­sen Genderisierung).

Im Garten hatte ich noch einen sog. armen Vetter, einen Hühner­stall für den Hahn und die Hühner, denn sowas kommt mir nicht ins Haus. Später wurden die Hühner durch eine Hündin ersetzt, die aus der Zucht des Herrn Ruhroth im Dreißen­tal stamm­te und „Frida vom Bussecker Schloss“ hieß. Der Stall wurde somit auch zu einem Hunde­zwin­ger ausge­baut. Die Chefin war nicht begeis­tert, denn sie hatte oft die Arbeit mit ihr, aber gehor­chen tat sie nur dem Chef.

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Der Stamm­hal­ter Wilfried und der kleine Bruder Harald im “Pool” (Archiv Müller)

Natür­lich musste vom Chef auch ein Pool für den Nachwuchs gebaut werden – aller­dings sehr überschau­bar. Später wurde er von ein paar Goldfi­schen bezogen, denen es aber nicht sehr gefal­len hat und sie daher beschlos­sen, bäuch­lings tot an der Oberflä­che zu schwimmen.

Als ich fertig war bzw. als der Nachwuchs einzog und die Taufe gefei­ert wurde gab es immer wieder reich­lich Besuch. Sei es die Familie aus Fulda, die Verwandt­schaft aus dem Ort oder vom Härts­feld oder die Nachbar­schaft, Nachbarn, Bekann­te und Freun­de – es war immer was los.

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Zur Taufe des Stamm­hal­ters versam­mel­ten sich folgen­de Perso­nen – wo war ich da eigent­lich? (Archiv Müller)

Vorne vlnr: Magda­le­na “Leni” Pavlat, Hedwig Pavat (Opa), Hilde­gard Müller geb. Pavlat (meine Mutti), Johann Pavlat (Opa), Erna Pavlat geb. Schaupp (Dode), Hedwig Smrcek geb. Pavlat (Tante)
Hinten vlnr: Anna Urban­ke geb. Piesch, Barba­ra “Babet­te” Müller geb. Gröber (Hebam­me und Oma), Johann Urban­ke, Georg Müller (Vati), German “Geri” Pavlat

Modifi­zie­run­gen.

Natür­lich blieb man nicht so wie man geboren wurde. Das gilt für Menschen wie auch für Häuser. Im Laufe der Jahre und Jahrzehn­te gab es Verän­de­run­gen. Nachdem Kaiser Wilhelm doch nicht recht hatte und die Verbrei­tung des Automo­bils auch in Oberko­chen einzog, bekam ich eine Garage, in der zuerst ein ocker-farbi­ger Ford Taunus 12 M mit dem Kennzei­chen „AA-DD 66“ einzog. Dann bekam ich Kunst­stoff­fens­ter mit Jalou­sien. Die Fenster­lä­den holte der Golda-Bauer für seine Ranch ab. Eine Plastik­ver­klei­dung verun­si­cher­te kurz die Malerin­nung am Ort – ob das wohl schlecht fürs Geschäft werden würde? Wurde es nicht, denn das setzte sich nicht durch. Auch eine Erwei­te­rung für ein Bad im Erdge­schoss und eines im Oberge­schoss erhielt ich im Jahr 1968. Im gleichen Jahr erhielt ich auch eine Stütz­mau­er im Garten, weil die Chefin vom Chef verlang­te, dass der Garten etwas begra­digt werden sollte, aber nicht so wie im Nachbar­grund­stück bei Beckers. Heizungs­mä­ßig kam ich nie auf den neues­ten Stand der Technik, im Oberge­schoss gab es eine kurze Periode eines Ölofens (Im Nachhin­ein betrach­tet war das nicht ganz ungefähr­lich). Im Erdge­schoss wurden Nacht­spei­cher­öfen einge­baut, weil das mal als modern galt – heute kann man’s kaum noch bezah­len. Der Stamm­hal­ter bevor­zug­te bis zu seinem Auszug eine nostal­gi­sche Holz-Kohle-Heizung.

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Die ganze Familie spielt am Sonntag­abend in der Küche Lego (Archiv Müller)

Garten.

Hier sah ich alles Mögli­che wachsen, blühen und verge­hen: Apfel- und Kirsch­bäu­me, Brombeer­ge­wäch­se, Erdbee­ren, Rhabar­ber, Karot­ten, Kohlra­bi, Stachel­bee­ren, Kren, Johan­nis­bee­ren schwarz und rot, Kräuter, Blumen, Blümchen, verschie­de­ne Polster­bee­te, Tulpen und Narzis­sen, blühen­de Sträu­cher und Büsche, Pfingst­ro­sen und klassi­sche Rosen vor dem Haus. Die Rosen haben das Gelän­de mit dem Stamm­hal­ter zusam­men verlas­sen. Er siedel­te in die Frühling­s­tra­ße und die Rosen in den Lein’schen Garten nach Bopfin­gen. Nix is fix und das einzig Verläss­li­che ist die Verän­de­rung. Als Chef und Chefin nach dem Garten schau­ten ging es penibel und ordent­lich zu und es wurde täglich gegos­sen, wenn notwen­dig. Als der Stamm­hal­ter übernahm, waren die Selbst­er­hal­tungs­kräf­te des Gartens gefragt und das Gesicht wandel­te sich – Vögel und Insek­ten zogen ein und genos­sen die neue Bio-Diver­si­tät. Die Chefin hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

14. Febru­ar 1991.

Der Chef ist in seinem Wohnzim­mer gestor­ben. War doch kein Alter, denn der Udo Jürgens war immer der Meinung, dass das Leben da erst anfin­ge, aber für ihn war es eben zu Ende. Eine Zäsur für die Familie, aber auch für mich. Nun ist niemand mehr da, der mit zwei rechten Händen nach mir schaut. Ich musste mich so verhal­ten und erhal­ten, dass ich nicht zur Last falle. Die Chefin musste also schau­en, wie sie mit mir und meinen Anfor­de­run­gen zurecht­kam. Sie sah das oft als Belas­tung, weil sie der Meinung war, dass sie mich nicht allein lassen könne. Und so sah ich ihr zu, wie sie lernen musste, den Garten zu pflegen und das Haus einiger­ma­ßen in Ordnung zu halten, wenn auch vieles nicht erneu­ert werden konnte, weil nun eben das Geld fehlte. Aber ich habe mich bemüht, ihr nicht allzu sehr auf der Tasche zu liegen und sie hatte Bekann­te, Familie und Freun­de, die ihr dabei halfen.

1999

kam dann der Stamm­hal­ter nach seiner Schei­dung zurück ins Haus. Das war für mich auch besser, denn als Haus ist man nicht gerne allein bzw. leerste­hend (das nagt an unser­eins) und man mag es daher lieber, wenn man komplett bewohnt wird. Die Jahre gingen ins Land, die Chefin wurde älter, wurde krank und ich hatte oft die Beden­ken, dass sie es nicht mehr schaf­fen würde. Aber weit gefehlt, der 22er Jahrgang war hart im Nehmen und sie kämpf­te sich immer wieder auf den Sonnen­berg zurück.

Am 9. Septem­ber 2013

musste sie mich dann doch verlas­sen. Sie wurde ins Kranken­haus einge­lie­fert und kam nicht mehr zurück. Am 14. Oktober 2013 starb sie dann im Pflege­heim in der Jenaer Straße. Und so began­nen die letzten Müller-Jahre. Im Jahr 2019 kam das Ende und gleich­zei­tig ein Neuan­fang – ich wurde verkauft und bin seitdem die Heimat für die neuen Eigentümer.

Was ich noch anmer­ken wollte.

Am Anfang hatte ich noch eine perfek­te Aussicht, bis meine Schwes­ter, das Lehrer­haus gegen­über, gebaut wurde. Dann war es vorbei mit der tollen Aussicht. Ich habe Sie danach immer beneidet.

Noch ein paar beson­de­re Erinnerungen.

  • Was hatte ich für einen Ausblick. Bis der Herr Kappe einen Wald wachsen ließ. Nicht absicht­lich, aber er verhin­der­te es auch nicht und so wuchsen die Nadel­bäu­me höher und höher und die Aussicht wurde begrenzt und begrenz­ter. Jetzt im Jahr 2021 ist der Herr Kappe nicht mehr unter den Leben­den und der Käufer des alten Hauses hat den kleinen Wald erst mal entsorgt und die alte Aussicht ist wieder herge­stellt, den meine aktuel­len Bewoh­ner nun genie­ßen können. Dem Stamm­hal­ter hätte der neue alte Blick sicher gut gefallen.
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Kappe’s Wald mit dem berühm­ten “Sägen-Baum” ist inzwi­schen Vergan­gen­heit (Archiv Müller)

  • Wie schon erwähnt wurde in meinen Räumen gerne und kräftig gefei­ert. Ob der Wilfried seine erste Party, in seinem kleinen 9 qm großen Zimmer mit Dachschrä­ge, unver­gess­lich feier­te und später seinen 20ten und seinen 30ten Geburts­tag im Keller. Es wird heute noch davon erzählt.
  • Ebenso wie die wilde Party des jünge­ren Bruders Harald, die sich heftig entwi­ckel­te, da Chef und Chefin auswärts zur Kur weilten und bei Hahns in der Lerchen­stra­ße sprach man von einer Orgie. Der Stamm­hal­ter kam unange­mel­det von der Marine auf Kurzbe­such und staun­te nicht schlecht, wie der „Kleine“ feiern konnte. Auch davon wird sicher noch ab und zu gesprochen.
  • Chef und Chefin feier­ten auch gerne, sei es zu Fasching oder zu Geburts­ta­gen mit der unver­meid­li­chen Butter­creme-Torte und den Zitro­nen­schnit­ten. Ich erdul­de­te alles, sah viel und behielt es für mich. Danach wurde auch immer schön wieder alles aufge­räumt. Und wenn es dem Chef zu viel wurde, verab­schie­de­te er sich auf die franzö­si­sche Art und ging einfach zu Bett.
  • Der Chef verklei­de­te sich gerne als Grill-Meister und brach­te regel­mä­ßig und bei jedem Wetter den Grill zum Glühen, beson­ders an seinem Geburts­tag dem 7. Juni – auch wenn da oft die Schafs­käl­te den Grill und den Meister unter den Balkon vertrieb.
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Der Grill­meis­ter des Hauses (Archiv Müller)

  • Die verschie­de­nen Wetter von eitel Sonnen­schein, über Regen und Sturm, Schnee und Hagel, aber im Kessel immer geschützt. Winde wie im Tal kennen wir hier oben nicht, wir hören sie nur.
  • Was mir auffiel war ein signi­fi­kan­ter Schwund der Singvö­gel. Erst wurden die Drähte abgebaut, auf denen sie sich (beson­ders im Herbst) versam­melt hatten, dann wurden die Gärten immer saube­rer bis hin zu langwei­li­gen Stein­gär­ten mit dem einher­ge­hen­den Schwund von Insek­ten und in der Folge das Abneh­men des Vogelbestandes.
  • Reinlich­keit war mir immer ein Anspruch. Ich wurde immer geputzt und gerei­nigt – innen wie außen. Samstag­nach­mit­tags wurde ums Haus gekehrt und auf der Straße, damit es am Sonntag auch sauber aussah. Der Chef wusch sein Auto auf der Straße, die Kinder ihre Fahrrä­der vor dem Keller. Dabei wurden die Live-Übertra­gun­gen der Fußball­bun­des­li­ga im Radio gehört oder die neues­ten Beat-Hits auf AFN. Des macht heut‘ fascht koi Sau meeh.
  • Ich sah spielen­de Kinder aller Alters­klas­sen, die sich nicht langweil­ten und die Straße zu ihrem Spiel­zim­mer machten. Als ich mir eine Garage zugelegt hatte, konnte ich auch die fußball­spie­len­den Buben für mich gewin­nen und es wurde fleißig auf mein (Garagen-)Tor geschos­sen. Die Chefin war da alles andere als begeistert.
  • In mir hat sich alles abgespielt was das Leben ausmacht: Geburt, Taufe und Kommu­ni­on, Liebe, Krank­heit, Leiden, Bangen und Sehnen und Freude, Feiern und Feste und das Sterben. Kurz gesagt: Das Leben in all seinen Schattierungen.
  • Auch bekam ich eines Tages eine richti­ge Drehma­schi­ne im Keller aufge­stellt. War der Chef doch von Beruf Dreher und arbei­te­te abends noch im Keller für den Fritz Hahn.
  • Manch­mal wurde im Gehei­men gearbei­tet, wenn z.B. an einem Feier­tag wie beispiels­wei­se an Fronleich­nam der Chef entschied, dass es Zeit zum Tapezie­ren sei. Da wurden die Fenster­lä­den geschlos­sen, damit die Nachbarn nicht sahen, dass gearbei­tet wurde, denn das war an Feier­ta­gen wirklich verboten.
  • Auf meine alten Tage musste ich noch eine Straßen­sa­nie­rung meistern, die von der Firma Leonard Weiss perfekt ausge­führt wurde.
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Meine Straße wurde im Jahr 2017 von der in Oberko­chen hochge­lob­ten Fa. Leonard Weiss saniert (Archiv Müller)

  • Im Nachbar­haus musste die Feuer­wehr abrücken – da war die Chefin in hohem Alter aber auch sehr aufgeregt.

Fazit.

Ich habe in 71 Jahren viel erlebt und gesehen und meine Zeit ist noch nicht abgelau­fen. Wie singt schon der Bundes-Udo: „Hinterm Horizont geht’s weiter“. Recht hat er. Die Sonne geht auf (über dem Römer-Keller oder dem Rodstein) und die Sonne geht unter (über dem Kessel) und dazwi­schen liegt ein Tagwerk. Weiter – immer weiter. Rastlos Ruhelos. Und frei nach Schil­ler „Fest gemau­ert in der Erde….steht der Keller, auf dem ich ruhe“.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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