Oberkochen

Andre­as als aufmerk­sa­mer Zuhörer vor einem Koffer­ra­dio Ende der 50er Jahre (Archiv Klopffleisch)

Hinweis.

Der Bericht stammt aus der Feder meines Schul­freun­des „Andy“ Andre­as Klopf­leisch. Ich habe ein wenig „drüber­ge­schaut“, das eine oder andere korri­giert, angepasst und ergänzt. Er hat das Tipp Topp gemacht und mit einem guten Schuss Humor verse­hen, wie ich das auch gerne mache.

Der Beginn.

Mit einem Start­ge­wicht von 3.800 gr., als Enkel eines natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Großva­ters und Sohn eines kommu­nis­ti­schen Vaters, auf diese schöne Welt gekom­men, liegen meine ersten Lebens­jah­re weitge­hend im Dunkel der Geschich­te. Sicher überlie­fert ist aller­dings, dass ich am 04.07.1954 vor einem Röhren­ra­dio Zeuge eines histo­ri­schen Fußball­spiels wurde, bei dem Rahn aus dem Hinter­grund schoss…

Das Inter­es­se lag aber bereits damals anders­wo. Ein Bild aus jener Zeit erinnert mich irgend­wie an den Garten Eden. Nur die Schlan­ge fehlt. Man beach­te, mit welch entschlos­se­nem Griff ich mich dieser Femme Fatale bemäch­tigt hatte!

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Erste beherz­te Annähe­rung an das weibli­che Geschlecht (Archiv Klopfleisch)

Die Übersied­lung der Familie

erfolg­te im Jahr 1956 nach Oberko­chen. Dort wohnten wir zunächst bei der Witwe Gold im Jäger­gäß­le, wo sich bereits mein Onkel einquar­tiert hatte, und später bei Familie Winter in der Aalener Straße gegen­über dem damali­gen A&O Markt (heute Heimat­mu­se­um II). So viel Glück hatten nicht alle Neuan­kömm­lin­ge aus Thürin­gen, die teilwei­se erst einmal in einer Baracken­sied­lung neben dem neuerbau­ten Zeiss-Werk wohnen durften oder mussten.

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Die ehema­li­gen Zeiss-Baracken an der heuti­gen Carl-Zeiss-Straße (Archiv Müller)

Schwar­ze Begegnung.

In der Aalener Straße habe ich anläß­lich eines Manövers der „Amis“ meinen ersten „Neger“ (oder muss man „colou­red people“ sagen) gesehen, der mich mit seinen blend­wei­ßen Zähnen aus einer Panzer­lu­ke heraus fröhlich anlächel­te und uns Kindern Orangen und die ersten Wrigley-Kaugum­mis unseres noch jungen Lebens zuwarf. Es würde mich nicht wundern, wenn er seinen Lieben in den Staaten entgeis­tert berich­tet hätte, dass die „Krauts“ auch die Buben in Strumpf­ho­sen rumlau­fen lassen. Das war in unserem besetz­ten (darf man vermut­lich auch nicht sagen) Land damals noch durch­aus üblich.

Das Leben als Kind und Schüler in Oberkochen.

Milch holten wir damals noch offen mit einer Milch­kan­ne im „Milch-Häusle“ neben der Bahnhof­stra­ße (heute Durch­gang Kaufmann) – eine unbeschwer­te Kindheit ohne Tetra­pak. Ein Einkaufs­er­leb­nis der beson­de­ren Art bot auch der „Sogas“ (hier starte­te der Josè mit seiner Lydia) in der Heiden­hei­mer Straße, wo es praktisch alles gab, was das Herz begehrte.

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Der 5jährige Roller­fah­rer Andre­as im Jahr 1958 in der neuen Siedlung auf der noch ungeteer­ten Walter-Bauers­feld-Straße (Archiv Klopfleisch)

Ende der 50er Jahre erfolg­te mit Hochdruck der Bau einer neuen Siedlung mit moder­nen Wohnun­gen. Wir zogen schließ­lich in der Walter-Bauers­feld-Straße 11 ein. Viele Wohnun­gen waren noch nicht fertig oder standen zunächst leer. Der Erste, den ich dort traf, war Uwe Meinert, der vor der Hausnum­mer 7 mit einem Bagger im Sand spielte.

Die Bauar­bei­ten wurden damals fast ausschließ­lich von italie­ni­schen Gastar­bei­tern ausge­führt, die uns Kinder häufig zum Geträn­ke­holen in eine der umlie­gen­den Flaschen­bier­hand­lun­gen (das war die angesag­tes­te Branche in Oberko­chen) schick­ten. Dabei gingen auch wir nie leer aus. Vor allem die Waldmeis­ter­li­mo­na­de war göttlich – Farbstof­fe waren noch erlaubt. Die Kinder­lie­be dieser fremd­ar­ti­gen Männer war umgekehrt propor­tio­nal zur Gastfreund­schaft, die den „Spaghet­ti­fres­sern“ und „Itackern“ damals von unseren Eltern entge­gen­ge­bracht wurde.

Wir brauch­ten Gastar­bei­ter, aber es kamen Menschen und die blieben. Es waren teilwei­se spannen­de Zeiten, um sich anein­an­der zu gewöhnen.

Es war die Zeit, als deutsche Männer ihren Frauen noch unter­sa­gen konnten, einer Arbeit nachzu­ge­hen, wenn sie das Gefühl hatten, der Haushalt, die Kinder oder vor allem sie selbst würden sonst vernach­läs­sigt werden. Das Gleich­heits­ge­setz trat erst am 01.07.1958 in Kraft. Als Rechts­an­walt hat es mir natür­lich folgen­der Text des Bundes­ge­richts­ho­fes angetan, der sehr gut die Stellung der Frau in der damali­gen Zeit veranschaulicht:

„Die Frau genügt ihren eheli­chen Pflich­ten nicht schon damit, dass sie die Beiwoh­nung teilnahms­los gesche­hen läßt. Wenn es ihr aufgrund ihrer Veran­la­gung oder aus anderen Gründen, zu denen die Unwis­sen­heit der Eheleu­te gehören kann, versagt bleibt, im eheli­chen Verkehr Befrie­di­gung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewäh­rung in eheli­cher Zunei­gung und Opfer­be­reit­schaft und verbie­tet es, Gleich­gül­tig­keit oder Wider­wil­len zur Schau zu tragen.”

Das Zitat entstammt einem Urteil des Bundes­ge­richts­hofs vom 02.11.1966 in einer Schei­dungs­sa­che, in der die Ehefrau schul­dig geschie­den wurde. Sie ließ die Beiwoh­nung offen­bar teilnahms­los gesche­hen oder trug womög­lich gar Wider­wil­len „zur Schau“. Leider kann ich meine Mutter nicht mehr fragen, ob ich 1952 womög­lich während eines Anflugs von eheli­cher Opfer­be­reit­schaft gezeugt wurde und ob sie dabei womög­lich Gleich­gül­tig­keit zur Schau gestellt hat (z.B. durch Lösen eines Kreuzworträtsels).

Nach der Eröff­nung des Super­markts „Grieser“ in der Bauers­feld­stra­ße gab es als Werbe­ga­be kosten­lo­se kleine Marga­ri­ne­wür­fel von „Sanella“, die wir uns massen­wei­se pur reinge­zo­gen haben. Man konnte den ungedeck­ten Fettbe­darf seiner­zeit noch nicht mit den fragwür­di­gen Bratlin­gen von Mc Donald´s befriedigen.

Die Geschäfts­leu­te in Oberko­chen versorg­ten die Schule damals großzü­gig mit Waren aller Art, mit denen dann anläss­lich des alljähr­li­chen Kinder­fes­tes auf dem Volkmars­berg eine Tombo­la bestückt wurde. Meine Begeis­te­rung kannte keine Grenzen, als ich auf diesem Wege zu einem dunkel­grü­nen Badean­zug kam. Mit dem Kinder­fest sind bei mir ohnehin einige nicht so gute Erinne­run­gen verbun­den – aber dazu später mehr.

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Im Kinder­gar­ten Wiesen­weg – weil er so gerne hinging, fehlt er auch auf dem Bild ???? (Archiv Klopfleisch)

Hinters­te Reihe:
Anton Schaupp, Edeltraud Wingert, Karl Posmick, NN, Roswi­tha Schlei­cher, Rita Friebe, Arthur Tritt­ler, Lothar Grupp, Marion Wöhner, NN, NN, Marian­ne Hug, Gertrud Hauber, Ursula Knutti, Reinhold Schüler
3te Reihe v.l.n.r:
NN Kieweg, Monika Löffler, NN, Brigit­ta Schmied, NN Engel­fried (?), Evelyn Petereit, Lucie Berger, Gertrud Mahler, Siglin­de Glöck­ler, Maria Fritsch, Monika Schar­mann, Ursula König (Krischak), NN,
2te Reihe v.l.n.r:
NN, Rudolf Tritt­ler, Bärbel Matus­sek, Monika Lay, Gisela Brucker, Renate Stussig, NN, Edith Dietter­le, Ursula Elmer, Annema­rie Ebert, Ida Winter, Franz Müller, Dieter Pickel­mann, Micha­el Gebert
1te Reihe v.l.n.r:
Wolfgang Kny, Karl Wingert, Karl Uhl, Harry Kaluza oder Lothar Schön­wäl­der, Stefan Bauer, Lothar Platt­ner, Hans Weiser, Willi Krenz­ke, Erika Franz, Gretel Weiser, Rose Kopp, Silvia Kaluza, Günther Fritz, Willy Ehinger, Werner Engelfried

Kinder­gar­ten und Grundschulzeit.

Zumeist gelang es mir, mich um den Besuch des katho­li­schen Kinder­gar­tens zu drücken, wie das nachste­hen­de Foto beweist.

Beim Schul­schwän­zen war ich dann nicht mehr so erfolg­reich. Diesbe­züg­li­che Verfeh­lun­gen wurden den Eltern von der Schule schrift­lich mitge­teilt und der Empfang musste durch Unter­schrift bestä­tigt werden. Mein erster Versuch, die Unter­schrift meines Vaters zu fälschen, schei­ter­te kläglich. Damals sah mein Vater darin bereits den Beginn einer krimi­nel­len Karrie­re. Ganz so schlimm ist es dann aber doch nicht gekom­men – ich habe die „andere“ Seite gewählt. Später habe ich noch einmal „verges­sen“, einige Spiel­zeug­india­ner beim „Unfried“ zu bezah­len. Die Sache ist inzwi­schen aber eindeu­tig verjährt – erst recht für einen Rechtsanwalt ????.

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Der Volks­schü­ler Andre­as in der damals angesag­ten Riese-Bauern-Tracht (Archiv Klopfleisch)

Durch unsere junge, hübsche Klassen­leh­re­rin in der 1a (Frau Wieland) war der Schul­be­ginn dann doch ganz nett. Gleich zu Beginn des Schul­jah­res war uns bereits ein kultu­rel­les Highlight geboten worden, indem die 2. Klasse ein Theater­stück für uns Frisch­lin­ge aufführ­te. An den Namen und den Inhalt des Stückes kann ich mich nicht mehr erinnern, dafür aber an Beate Wöhner, die den „dicken, fetten Pfann­ku­chen“ überzeu­gend interpretierte.

Der Billie weiß das natür­lich noch ganz genau, denn er war in dunkler Hose und weißem Hemd ein Teil einer Mauer (Billie‘s erster Ausflug auf die Bretter der Welt). Es war das Pfannenkuchen-Märchen ????:

Das Pfannen­ku­chen Märchen

Es waren einmal drei alte Frauen, die wollten gerne Pfann­ku­chen essen. Sie gaben Eier, Mehl und Milch in eine Schüs­sel und rührten alles zu einem Teig zusam­men. Als sie mit dem Rühren fertig waren, holten sie eine Pfanne, stell­ten sie auf den Herd, taten Fett hinein und gossen den Teig dazu.

Es dufte­te herrlich! Den drei Frauen lief das Wasser schon im Mund zusam­men. Doch der Pfann­ku­chen dachte nicht daran, sich von ihnen verspei­sen zu lassen. Als er fertig gebacken war, erhob er sich aus der Pfanne, sprang auf den Boden, und rollte kantap­per kantap­per aus dem Haus hinaus.

Die drei Frauen standen vor der leeren Pfanne und schau­ten dem Pfann­ku­chen hinter­her. „Halt!“, kreisch­te die erste. „Bleibst du wohl stehen!“, rief die zweite und streck­te ihre Hand nach dem Pfann­ku­chen aus. Die dritte Frau lief hinter ihm her und versuch­te ihn einzu­fan­gen. Doch sie war einfach nicht schnell genug.

Der Pfann­ku­chen rollte aber immer weiter und erfreu­te sich an dem sonni­gen Tag. Da begeg­ne­te er einem Häschen. „Guten Tag Pfann­ku­chen“, sagte das Häschen. „Guten Tag Häschen Langohr“, sagte der Pfann­ku­chen. „Dicker fetter Pfann­ku­chen, bleib doch bitte stehen, damit ich dich fressen kann“, sagte das Häschen. Da antwor­te­te der Pfann­ku­chen: „Das kannst du schön verges­sen! Ich bin schon drei alten Frauen wegge­lau­fen. Da sollst du mich auch nicht kriegen.“ Und er rollte kantap­per kantap­per in den Wald hinein.

Da kam ein Wolf angelau­fen. „Guten Tag Pfann­ku­chen“, sagte der Wolf. „Guten Tag Wolf Graupelz“, sagte der Pfann­ku­chen. „Dicker fetter Pfann­ku­chen, bleib doch bitte stehen, damit ich dich fressen kann“, sagte der Wolf. Da antwor­te­te der Pfann­ku­chen: „Das kannst du schön verges­sen! Ich bin schon drei alten Frauen wegge­lau­fen und Häschen Langohr. Da sollst du mich auch nicht kriegen.“ Und er rollte kantap­per kantap­per aus dem Wald hinaus.

Da kam eine Ziege angehüpft. „Guten Tag Pfann­ku­chen“, sagte die Ziege. „Guten Tag Ziege Mecker­lie­se“, sagte der Pfann­ku­chen. „Dicker fetter Pfann­ku­chen, bleib doch bitte stehen, damit ich dich fressen kann“, sagte die Ziege. Da antwor­te­te der Pfann­ku­chen: „Das kannst du schön verges­sen! Ich bin schon drei alten Frauen wegge­lau­fen, Häschen Langohr und Wolf Graupelz. Da sollst du mich auch nicht kriegen.“ Und er rollte kantap­per kantap­per davon.

Da traf er ein Schwein. „Guten Tag Pfann­ku­chen“, sagte das Schwein. „Guten Tag Schwein Ringel­schwanz“, sagte der Pfann­ku­chen. „Dicker fetter Pfann­ku­chen, bleib doch bitte stehen, damit ich dich fressen kann“, sagte das Schwein. Da antwor­te­te der Pfann­ku­chen: „Das kannst du schön verges­sen! Ich bin schon drei alten Frauen wegge­lau­fen, Häschen Langohr, Wolf Graupelz und Ziege Mecker­lie­se. Da sollst du mich auch nicht kriegen.“ Und er rollte kantap­per kantap­per den Weg entlang.

Da kam ein Pferd angalop­piert. „Guten Tag Pfann­ku­chen“, sagte das Pferd. „Guten Tag Pferd Platt­fuß“, sagte der Pfann­ku­chen. „Dicker fetter Pfann­ku­chen, bleib doch bitte stehen, damit ich dich fressen kann“, sagte das Pferd. Da antwor­te­te der Pfann­ku­chen: „Das kannst du schön verges­sen! Ich bin schon drei alten Frauen wegge­lau­fen, Häschen Langohr, Wolf Graupelz, Ziege Mecker­lie­se und Schwein Ringel­schwanz. Da sollst du mich auch nicht kriegen.“ Und er rollte kantap­per kantap­per über die Wiese davon.

Langsam wurde es Abend. Der Pfann­ku­chen rollte so vor sich hin, als auf einmal drei Kinder auf ihn zukamen. Sie waren ganz allein, denn sie hatten keinen Vater und keine Mutter mehr. „Ach, lieber guter Pfann­ku­chen. Bleib doch bitte stehen. Wir haben den ganzen Tag noch nichts geges­sen und sind so hungrig“, sagten sie traurig. Da freute sich der Pfann­ku­chen, dass er helfen konnte, sprang den Kindern in den Korb hinein und ließ sich von ihnen restlos aufessen.

Angeneh­me Erinne­run­gen habe ich an den tägli­chen Schul­weg, meistens mit Werner Hilgart oder Micha­el Leidler (Suizid während des Wehrdiens­tes) mit regel­mä­ßi­gem Zwischen­stopp beim „Storchen­bäck“ (Bäcke­rei Widmann), wo es herrlich roch und es Süßig­kei­ten und Gimmicks aller Art zu erschwing­li­chen Preisen zu kaufen gab. „Rote Lippen soll man küssen“ von Cliff Richard oder später „Komm gib mir Deine Hand“ von den Beatles waren häufig gesun­ge­ne Schla­ger auf unserem Weg von der Walters-Bauers­feld-Straße zur Dreißentalschule.

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Andre­as und Werner auf dem Schul­weg am ersten Schul­tag mit gefüll­ter Schul­tü­te (Archiv Klopfleisch)

Später hatten wir dann Frau Jungk als Klassen­leh­re­rin – eine gebür­ti­ge Öster­rei­che­rin – die mir dadurch positiv in Erinne­rung geblie­ben ist, dass sie hin und wieder einen Aufsatz von mir als leuch­ten­des Beispiel vorge­le­sen hat. In dieser Zeit beschlich mich zeitwei­lig der Verdacht, dass ich einmal als bedeu­ten­der Schrift­stel­ler in die (Litera­tur-) Geschich­te einge­hen würde. Dieser Verdacht erwies sich später als völlig unbegrün­det. Statt­des­sen habe ich mich dem Lesen und Sammeln von Büchern zugewandt. In jener Zeit war ich häufig in der Stadt­bü­che­rei, die sich zunächst noch in der Aalener Straße (im heuti­gen Heimat­mu­se­um I) befand. Die Leite­rin Frau Helma Braun verstand es glänzend, uns Kinder an das Lesen heranzuführen.

Eine Abwechs­lung war der Unter­richt im Bergheim, oberhalb des Turmwegs, wohin wir für einige Wochen umzie­hen mussten. Die winter­li­chen Abfahr­ten den steilen Turmweg hinun­ter auf unseren Schul­ran­zen mit auslau­fen­den Tinten­fäs­sern sind unver­ges­sen. Tinten­pa­tro­nen und Vierfarb­ku­lis waren gerade erst im Kommen.

Mehrmals im Jahr wurden wir mit einem Klein­bus von der Zeiss-Betriebs­kran­ken­kas­se nach Aalen zum Kiefer­or­tho­pä­den gefah­ren. Das war sicher sehr fürsorg­lich, aber das stunden­lan­ge Warten in der Praxis werde ich nie vergessen.

Aus jener Zeit in Erinne­rung geblie­ben sind mir auch die Banden­krie­ge zwischen der „Lebzel­ter-Bande“ (Reini­gung und Wäsche­rei) und der „Sturm-Bande“ (Kreuz­müh­le), zu der ich gehör­te. Walter Sturm ist später am 4. Septem­ber 1976 (im Alter von 23 Jahren) in der Türkei ums Leben gekommen.

Schon damals kamen meine pazifis­ti­schen Neigun­gen zum Vorschein und es zeigte sich, dass ich kein großer Krieger war. Nach meiner Erinne­rung gab es insoweit nur zwei Ausrut­scher. Ein Opfer war Werner Hilgart, den ich mit einem Spaten verletz­te. Später rächte er sich, indem er begann, in seinem Zimmer, welches genau unter meinem Zimmer lag, das Hornspiel zu üben. Da ich zu Beginn dieser Exerzi­ti­en krank darnie­der lag und nichts von der Hinwen­dung Werners zur Blasmu­sik ahnte, bestand anfangs der Verdacht, dass die Hilgarts beschlos­sen hatten, ihre Wohnungs­ein­rich­tung umzustel­len und deshalb ihr Mobili­ar hin und her rückten.

Das zweite Opfer war Manfred Lenk, der damals in der Bauers­feld­stra­ße 17 wohnte. Manfred stand unserem soeben gegrün­de­ten India­ner­stamm verbal feind­lich gegen­über, sodass er einem alten india­ni­schen Brauch entspre­chend bekämpft werden mußte. Mein Pfeil traf ihn genau zwischen den Augen. Die Schlä­ge meines Vaters trafen mich hinterrücks.

Norma­ler­wei­se pfleg­ten wir aber ein harmo­ni­sches nachbar­schaft­li­ches Zusam­men­le­ben. Werner Hilgart besaß eine respek­ta­ble Sammlung der grünen Reihe von Karl Mays Werken, aus der ich mich bei Bedarf bedie­nen durfte. Eigen­ar­tig, dass ich 2 Jahrzehn­te später in zahlrei­chen Prozes­sen mit dem Karl-May-Verlag zu tun haben sollte, der in Bamberg ansäs­sig ist. Bamberg und die Werke Karl Mays haben übrigens eine Gemein­sam­keit: Die Roten haben es ziemlich schwer ????.

Uli Bach aus der Bauers­feld­stra­ße 9 nannte ein kleines tragba­res Transis­tor­ra­dio sein Eigen, mit dem wir Radio Luxem­burg hören konnten. Später sende­te er damit sein eigenes Programm für die inter­es­sier­te jugend­li­che Nachbar­schaft. Die Leute in Nr. 9 waren überhaupt ganz inter­es­sant. Chris­tel Weintau­er (leider auch schon früh am 18. Mai 1976 im Alter von 21 Jahren verstor­ben) nahm mich in selte­nen Fällen mit in die Disco nach Heiden­heim. Die hübsche Marion Keßler heira­te­te später Erhard Wirkner, der leider auch nicht mehr unter uns weilt.

Sport­lich versuch­te ich mich auf Drängen meines Vaters ausge­rech­net in der Kampf­sport­art Judo, wo ich über den weißen Gürtel aber nicht hinaus­kam. Es zeigte sich, dass ich für diesen angeb­lich körper­lo­sen Sport zu schwach war. Die nähren­de Kraft von Hopfen und Malz hatte ich damals noch nicht entdeckt. Obwohl ich kein Fall für die Talent­spä­her höher­klas­si­ger Verei­ne war, fühlte ich mich als linker Vertei­di­ger in der Jugend des TVO deutlich wohler – auch wenn wir nach dem Training häufig deutsche Volks­lie­der singen mußten, deren Text unser Trainer Herr Philipp vorsichts­hal­ber hekto­gra­phiert mitbrach­te. Danach gab er immer eine Runde aus. Erst „Ein Heller und ein Batzen“ und dann „ein Helles und ‘nen Schnaps“. Früh übt sich…..

Damals wurde ich Fan des ruhmrei­chen Geißbock­clubs, dem 1. F.C. Köln. Wenn ich heute im Müngers­dor­fer Stadi­on nach Waffen oder Pyrotech­nik durch­sucht werde, freue ich mich immer, dass man mir in meinem Alter (Jg. 1953) noch zutraut, den Hooli­gan zu geben. Zu einem Auswärts­spiel in Aue im Jahr 2007 in der 2. Liga hatte ich – von Fanaus­schrei­tun­gen im Osten alarmiert – eine Dose Pfeffer­spray mitge­nom­men, die bei uns in der Kanzlei nach einem unerfreu­li­chen Erleb­nis vor einigen Jahren sicher­heits­hal­ber am Empfang deponiert war. Schon bei der Einlaß­kon­trol­le in Aue wurde mir das Kampf­mit­tel dann mit der erstaun­ten Frage abgenom­men, was ich denn eigent­lich vorhätte.

Nahezu jeden Nachmit­tag habe ich mit Erhard Wirkner Tipp-Kick gespielt. Die Spieler haben wir mit den Vereins­far­ben unseres Lieblings­clubs bemalt. Später haben wir im „Café Muh“ gekickert und Hähnchen­le­ber mit Pommes geges­sen. Einen Teil des nötigen Klein­gelds haben wir uns verdient, indem wir im Sommer Hagebut­ten gesam­melt und an den Apothe­ker Irion verkauft haben. In dieser Zeit habe ich meinen ersten Leder­fuß­ball bekom­men, mit dem Rolf Zilch und ich häufig auf dem alten FCO-Sport­platz im „Langert“ spielten.

Etwa in dieser Zeit bekamen wir ein Fernseh­ge­rät. Die ARD sende­te Sonntag­nach­mit­tags immer die Serie „Am Fuß der blauen Berge“ (Laramie) – ein Erleb­nis, welches die ganzen kommer­zi­el­len Sender bis heute nicht bieten können oder wollen. Unver­ges­sen waren Jesse und Slim, wie sie sich den Widrig­kei­ten des Wilden Westens entge­gen­ge­stemmt haben. Zur Bekämp­fung meiner jahre­lan­gen Entzugs­er­schei­nun­gen habe ich mir inzwi­schen über eBay aus den USA diver­se Episo­den in der Origi­nal­fas­sung besorgt. Gleiches gilt für „Casey Jones“, den wacke­ren Führer der Lokomo­ti­ve „Canon­ball“. Toll waren auch die im Vorabend­pro­gramm gesen­de­ten Episo­den von „Mike Nelson“, einer Unter­was­ser-Abenteu­er­rei­he und der 13-teili­ge Krimi „Gestat­ten mein Name ist Cox“ mit Günter Pfitz­mann, der zuvor bereits als Hörspiel im Radio gesen­det wurde. Wen kann man heute noch mit Hörspie­len hinter dem Ofen vorlo­cken? Koi gotzi­ga Sau.

Der wahre Luxus hielt dann in Gestalt einer „Knutsch­ku­gel“ Einzug. Das war ein BMW 600, bei dem Fahrer und Beifah­rer wie bei der legen­dä­ren Isetta nicht seitlich, sondern durch eine Front­tür, in der sich auch das Lenkrad befand, einstei­gen mußten. Seinen Namen bekam dieses Fahrzeug wegen der rundli­chen Form und der beeng­ten Platz­ver­hält­nis­se verlie­hen. Schade, dass dieses automo­bi­le Juwel nicht konser­viert wurde. Überhaupt gab es damals ausge­fal­le­ne Model­le wie den Messer­schmitt-Kabinen­rol­ler mit Einstieg von oben oder Janus mit Vorder- und Hecktür ohne Seitentüren.

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Messer­schmidt Kabinen­rol­ler aus dem Werk Regens­burg (Inter­net)

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BMW 600 – zwei Jahre nach der Isetta kam dieses Modell 1957 auf den Markt (Inter­net)

Die neue Zeit – der Wechsel aufs Gymmi.

Am 06.02.1964 begann dann eine neue Ära. Die bestan­de­ne Aufnah­me­prü­fung bedeu­te­te die Aufnah­me als Probe­schü­ler in das Progym­na­si­um Oberko­chen. Klassen­leh­rer war zunächst der mir immer in bester Erinne­rung geblie­be­ne alte Herr mit Namen Otto Krug (kurz genannt Botjag): „Mr. Ken has a dog. Is it a fox? No, it is a dog” – großartig!

Es folgte Dr. Enders („Andre­as, sack einmal“), der mir u.a. durch ständi­ges Petzen in unange­neh­mer Erinne­rung ist. Seine Mittei­lun­gen an meine Eltern über dubio­se Tagebuch­ver­mer­ke haben den familiä­ren Frieden in der 1. Etage der Bauers­feld­str. 11 wieder­holt nicht unerheb­lich beeinträchtigt.

1965 wurde der ruhmrei­che Geißbock­club zum zweiten Mal deutscher Fußball­meis­ter und in der Schil­ler­stra­ße grill­te die Familie Keiner/Wosch einmal in der Woche abends Thürin­ger Bratwurst und Rostbrät­chen – eine tolle Einrichtung.

Doch weiter mit unserer Schul­zeit. Das damals in der „Schwä­Po“ erschie­ne­ne Bild habe ich zusam­men mit einem der damali­gen Mittä­ter signiert. Ein natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Hinter­grund war natür­lich bei keinem von uns gegeben. Ich war Juso und klebte für Willy Brandt Plakate.

Bei der Aktion waren außer Wolfgang Jacob „James“ und mir nach meiner Erinne­rung auch Chris­tia­ne Gärtner, Edeltraud Schüler, Alfred Henschke und Friede­mann Blum dabei. Es gab aber sicher­lich noch weite­re Mittä­ter. Siehe dazu den detail­lier­ten Bericht Nr. 691 von Billie auf der Website des Heimatvereins.

Recht angeneh­me Erinne­rung habe ich an Rolf Rapp, unseren Deutsch­leh­rer, was sicher auch an dem Fach lag, welches ich beson­ders mochte. Teilwei­se gab er auch Turnun­ter­richt, den ich nicht so beson­ders mochte.

Auch Dietrich Bantel war ganz in Ordnung. Es gab nicht viele Mitglie­der des Lehrer­kol­le­gi­ums, mit denen wir im Dreck gewühlt hätten, um einige fragwür­di­ge römische Scher­ben zu Tage zu fördern. Er kreierte „Mucken­häupt­ling“ für Dieter Mucken­haupt und „Knüpsi­lon“ für Wolfgang Kny. Merkwür­dig, dass ihm bei meinem Namen nichts Lusti­ges einge­fal­len ist.

Jörg Fäser war ein total netter, aber ziemlich überfor­der­ter Lehrer. Die latei­ni­schen Texte, mit denen er uns laut Lehrplan malträ­tie­ren musste, taten ein Übriges. „De bello galli­co” – ein Bericht des römischen Feldherrn Gallus Julius Cäsar über den galli­schen Krieg – mir wird gleich Übel im Kübel ????.

Hans-Jürgen Hermann und Peter Hohmuth sind zwar in unserer Abitur­zei­tung erwähnt. Ich kann mich an die beiden aber überhaupt nicht erinnern, vielleicht hatte ich auch gar keinen Unter­richt bei ihnen. Was haben die eigent­lich für Fächer unter­rich­tet? Da klärt der Billie gerne auf: Hermann gab Franzö­sisch und Hohmuth Geschichte.

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Im Unter­richt im heuti­gen EAG
v.l.n.r. hinten: Andre­as Klopf­leisch, Wolfgang Jacob;
v.l.n.r. vorne: Erwin Jung, Joachim Schrei­ber (Archiv Klopfleisch)

Das war gesund – Um weitge­hend sinnlo­sem Lernstoff zu entge­hen hatten Rainer Hirsch, Wolfgang „James“ Jacob und ich uns die Zeit einmal mit einer Radtour nach Ochsen­berg vertrie­ben. Kaum am Ziel angekom­men kam uns aller­dings unser Englisch­leh­rer Rudolf Thiem, der in Ochsen­berg wohnhaft war, mit seinem „Dafodil“ entge­gen. Geendet hat es wie so oft mit freiheits­ent­zie­hen­den Maßnah­men, die von Rektor Volkmar Schrenk zu unserem Besten angeord­net wurden. Anders als viele meiner Mitschü­ler fand ich den Thiem nicht so schlimm, da er mich weitge­hend in Ruhe ließ.

Das war ungesund – Bei einer anderen Gelegen­heit waren James und ich abermals mit dem Fahrrad in Ochsen­berg, wo wir uns in der „Linde“ erfrischt haben – ich anschei­nend etwas gründ­li­cher als er. Jeden­falls war ich es, der unseren ehernen Entschluss, die steile Straße nach Itzel­berg hinun­ter­zu­fah­ren, ohne abzubrem­sen, vollstän­dig in die Tat umsetz­te. Zu Hause stili­sier­te ich mich angesichts der multi­plen Prellun­gen und Abschür­fun­gen zum Opfer eines rücksichts­lo­sen Autofah­rers. Von meiner Mutter wurde ich nahezu wie ein Märty­rer behan­delt, ein immer­hin versöhn­li­cher Ausklang jenes Tages. James hatte abspra­che­wid­rig gebremst, was unser Vertrau­ens­ver­hält­nis damals auf eine große Probe stellte. ????

In der Folge­zeit nahm unsere persön­li­che Motori­sie­rung allmäh­lich Formen an. Mein Vater besorg­te mir ein uraltes Moped (NSU Quick­ly), mit dem ich viel Spaß hatte. Ich weiß heute nicht mehr, warum ich damals so oft in den Zeppe­lin­weg gefah­ren bin. Jeden­falls bin ich in der Links­kur­ve von der Volkmars­berg­stra­ße kommend in den Zeppe­lin­weg häufig gerade­aus auf die dort befind­li­che Garten­mau­er gebret­tert. Das Problem verschärf­te sich noch, als Ruth Zager­mann in unsere Klasse kam und wir dann unsere Touren mit ihrem durch­zugs­stär­ke­ren Zweisit­zer fuhren. Einmal schob sich der Auspuff durch den Aufprall so weit nach vorn, dass man mit dem Vorder­rad nicht mehr lenken konnte und ich das Gerät nach Hause schie­ben mußte. So ähnlich muß es Heinrich IV auf seinem Gang nach Canos­sa zumute gewesen sein.

Das Führen von Klassen­bü­chern war eine lästi­ge Angele­gen­heit. Es förder­te die Block­wart­ment­a­li­tät der Kriegs­ge­nera­ti­on. Jeden­falls wurde unser „Rex“ Volkmar Schrenk durch wahrschein­lich völlig ungerecht­fer­tig­te Klassen­buch­ein­trä­ge erneut auf den Plan gerufen. Am 17.05.1971 vermel­de­te er meinen Eltern Folgendes:

„Sehr geehr­te Eltern!
Ihr Sohn Andre­as, Schüler der Klasse 12 fällt in letzter Zeit durch unent­schul­dig­tes Fehlen auf, bzw. durch Unter­richts­ver­säum­nis­se, die erst hinter­her mit undurch­sich­ti­gen, zum Teil auch unglaub­wür­di­gen Motiven erklärt werden.
Hier die Liste für die Zeit nach Ostern:
20.04. Turnen (nachtr. entschul­digt)
23.04. entschul­digt
05.05. erst ab 4. Stunde anwesend
11.05. fehlt ab 4. Stunde
14.05. fehlt ab 3. Stunde
Die Schul­lei­tung ist nicht gewillt, derar­ti­ge Unregel­mä­ßig­kei­ten weiter­hin zu dulden. Dem Schüler wird ein stren­ger Verweis samt 2 Stunden Rekto­rats­ar­rest erteilt. Sollten sich die Vorfäl­le wieder­ho­len, müssten die im Gesetz vorge­se­he­nen Konse­quen­zen gezogen werden.

In vorzüg­li­cher Hochach­tung
Oberstu­di­en­di­rek­tor

Bitte geben Sie die Mehrfer­ti­gung unter­schrie­ben an die Schule zurück.“

Es war die Zeit, als einige von uns während einer Hohlstun­de oder sonst bei Bedarf in der „Krone“ einem der attrak­tivs­ten Gesell­schafts­spie­le des westger­ma­ni­schen Kultur­krei­ses frönten: „König raus“! Eigent­lich hätte man dieses Karten­spiel auch ohne Karten spielen können, denn das Spiel lief so ab: Jeder, der einen König zog, durfte bzw. musste eine den Regeln entspre­chend fest definier­te Menge Bier aus einem Maßkrug trinken. Das Ganze wieder­hol­te sich dann meist mehrmals, woraus zwangs­läu­fig schuli­sche Fehlzei­ten resul­tier­ten. Schließ­lich war uns beigebracht worden, dass man ein kaltes Getränk nicht zu hastig in sich reinschüt­ten soll.

Einmal sind James und ich nach einer solchen Spiel­run­de in einem derart desola­ten Zustand im Biolo­gie-Unter­richt erschie­nen, dass uns Horst Riegel („Blümi“) besorgt nach Hause geschickt hat. Üblicher­wei­se mußten wir aber, wenn wir noch irgend­wie belast­bar waren, bei derar­ti­gen Verge­hen nachsit­zen, um irgend­wel­che ekligen Käfer aufzu­spie­ßen und in Schau­käs­ten unterzubringen.

Eine Zeit lang bestand ein engerer Kontakt zu Peter Maiwald, mit dem ich kurzzei­tig in der Redak­ti­on der Schüler­zei­tung „Scola­s­so“ zusam­men­ar­bei­te­te. Daneben zeich­ne­ten wir stunden­lang auf Tonband die nötige Hinter­grund­mu­sik für Parties auf, die dann niemals statt­fan­den. Spaß hat es trotz­dem gemacht. „Paint it black“ von den Rolling Stones war ein Hit, der mich damals beson­ders begeis­tert hat, wahrschein­lich in düste­rer Vorah­nung auf die amourö­sen Fehlschlä­ge, die bald folgen sollten. Am 17.03.1969 spiel­te der Süddeut­sche Rundfunk in seinem Wunsch­kon­zert meinen Wunsch­ti­tel „Summer­ti­me Blues“ in der Versi­on von den „Blue Cheer“ – auch heute noch saustark. Ich war damals total stolz, auch einmal im Radio erwähnt worden zu sein.

Allmäh­lich begann bei einigen von uns eine gewis­se hormo­nell beding­te Unruhe aufzu­kom­men. Eigent­lich unver­ständ­lich, nachdem es den plötz­lich in unseren Focus gerück­ten Geschöp­fen trotz größter Anstren­gung nicht gelang, den Schlag­ball weiter als 10 m zu werfen! Ungeach­tet dessen entwi­ckel­te sich das Verliebt­sein allmäh­lich zum Normal­zu­stand. Völlig ahnungs­lo­se Objek­te der Begier­de waren damals Rosi, Marion, Brigit­te und Christa.

Einer dieser Fälle war beson­ders drama­tisch. Sie einfach anzuspre­chen, fehlte es mir an Mut. Also mußte ein Vorwand her. Der ergab sich schließ­lich dadurch, dass die Angebe­te­te beim Kinder­fest auf dem Volkmars­berg zum Bratwurst­bra­ten einge­teilt war. Ich habe Zeit meines Lebens nie wieder so viele Bratwürs­te an einem Tag geges­sen. Nach dem obliga­to­ri­schen Absin­gen von „Kein schöner Land in dieser Zeit“, bei dem ich immer einen Gramma­tik­feh­ler vermu­te­te, habe ich bei der Rückfahrt ins Tal nach einer der zahlrei­chen Kurven in den Bus „Bröckelen gelacht“ ????. Die Mutter von Werner Hilgart saß vor mir und konnte sich gerade noch retten. Die Angebe­te­te hat von alldem wahrschein­lich nichts geahnt. Jeden­falls ist sie dem Verneh­men nach zwischen­zeit­lich mit einem Blaublü­ti­gen verhei­ra­tet. Dagegen hat man als Bürger­li­cher freilich keine Chance.

Ein beson­de­res Exemplar der Gattung Lehrkraft war unser Musik­leh­rer Otto Fischer. Mit einer Herzschwä­che hätte ich seinen Unter­richt wahrschein­lich nicht überlebt. Wenn er den Klavier­de­ckel plötz­lich zuknall­te und in unsere Richtung hechte­te, wußte man nie so genau, wen er als Opfer auser­se­hen hatte. Ich muss geste­hen, dass ich damals eine gewis­se Erleich­te­rung verspür­te, wenn es statt meiner den neben mir sitzen­den kleinen „Knüpsi­lon“ (Wolfgang Kny) erwischte.

Als nämli­cher Fischer für eine öffent­li­che Auffüh­rung eines Händel-Orato­ri­ums in der katho­li­schen Kirche aus optischen Gründen für die hinte­re Reihe des Schul­chors noch einen großen, nein doch eher einen langen Sänger benötig­te, ließ er mich nach einer Musik­stun­de solo vorsin­gen. Es war bestimmt grauen­haft und die Entschei­dung fiel ihm sicher nicht leicht – aber ich war dabei: „Samson der Held, er isssst­tt nicht mehr!“ (Sein oder nicht sein oder essen — was war da die Frage?)

Die fehlen­de Musika­li­tät ließ mich auch in der Folge­zeit trotz Teilnah­me am obliga­to­ri­schen Tanzkurs nicht zu einem gefei­er­ten Tänzer werden. Trotz unabläs­si­gen Übens gelang es mir nicht, meiner Tanzpart­ne­rin Bianca Pia Maria Röhlich das Gefühl zu vermit­teln, gleich einer Feder über das Parkett zu schweben.

Oberkochen

Tanzkurs im Bürger­saal (Archiv Klopfleisch)

Vorde­re Reihe v.l.n.r.: NN, NN, NN, NN, NN, NN
Mittle­rer Bereich v.l.n.r.: Matthi­as Winzer, Bianca Röhlich, Andre­as Klopf­leisch, Wolfgang Weiss (?), Regina Strau­be (?), NN, NN, NN, Erhard Wirkner NN, NN, Brigit­te Tischer (von Adelmans­fel­den ?), Chris­ti­an Borgward, NN
Hinte­rer Bereich v.l.n.r.: Karl Posmick, Helga Grünler (Baumeis­ter), NN, Erwin Jung, NN, NN, NN, Ernst Lebzel­ter (?), Ernst Ebrecht (?), NN, Wolfgang Jacob, Dieter Fritz (Fritz-Assmuss), Arthur Tritt­ler, NN, NN

Sehr hinder­lich war es, mangels Führer­schein und Auto, stets auf mehr oder minder wohlmei­nen­de Dritte angewie­sen zu sein. So waren wir unter 18-jähri­gen im „Disco-Pub“ in Aalen oder im „Black Raven“ in Ellwan­gen eigent­lich immer nur Mitläu­fer. Die Klamot­ten, die wir damals trugen, waren der absolu­te Hammer, insbe­son­de­re die boden­lan­gen „SS-Mäntel“ aus Leder und die hautengen Feincord­ho­sen, Vorläu­fer der Pille für den Mann.

Die Nachmit­ta­ge verbrach­te ich häufig bei Winfried Kurz, einem gefürch­te­ten Gegner an der Tisch­ten­nis­plat­te. Er nannte eine riesi­ge Platten­samm­lung sein Eigen. Dort kam ich das erste Mal mit Karl Dall und der Inster­burg & Co. – intel­li­gen­te Blödel­bar­den – in Berüh­rung, die ich heute noch gut finde. Winfried hat uns damals auch hin und wieder eine Ferien­ar­beit im elter­li­chen Betrieb vermittelt.

1968 fuhren wir nach Heppen­heim ins Schul­land­heim. Selbst unser beglei­ten­der Lehrer Schwab konnte es nicht verhin­dern, dass viele von uns sich noch heute gern an jene Zeit erinnern. Dies gilt in meinem Fall vor allem für einen stern­kla­ren Abend auf einer Bank hoch über der Stadt zusam­men mit Gaby aus Eltville.

Im Sommer 1970 machte ich mit Dieter Pickel­mann und Erhard Wirkner für 2 Wochen Sprach­fe­ri­en in London, wo wir bei irischen Einwan­de­rern wohnten. Aus dieser Zeit stammt vermut­lich meine beson­de­re Affini­tät zu den Iren und ihrer grünen Insel. Der Hausherr nahm uns mit zum Dart-Spiel in seinen Stamm-Pub und zu Fußball­spie­len von Crystal Palace und West Ham United. Wir waren von London schwer beein­druckt. Hier erleb­ten wir bei „Wimpys“ und „Kentu­cky Fried Chicken“ die Segnun­gen des heran­na­hen­den Fast-Food Zeital­ters, das in der schwä­bi­schen Provinz gerade mit dem „Kochlöf­fel-Grill“ in Aalen begann. Die Verzehr-Gutschei­ne des Reise­ver­an­stal­ters, die eigent­lich für 2 Wochen reichen sollten, waren nach 5 Tagen aufge­braucht. Danach gab es nur noch Fish-and-Chips, die ich seither nicht mehr so mag.

Der Weg zum eigenen Führer­schein erwies sich als dornen­reich. So wurde zunächst der VW von Rainers Bruder auf dem Weg vom „Vesper­st­üb­le“ in Brastel­burg nach Unter­ko­chen zerlegt. Die Unfall­stel­le ist leicht zu finden: Auf der anderen Straßen­sei­te befin­det sich im Fels eine Madon­na. Die Repara­tur­kos­ten waren für einen Schüler nicht unerheb­lich und erfor­der­ten verschärf­te Ferien­ar­beit in der Papier­fa­brik in Unter­ko­chen, obwohl sich die Mitfah­rer (Dieter Fritz, Rainer Hirsch, Willy Ehinger) hieran betei­lig­ten. Mitge­gan­gen, mitge­han­gen. Der Erstge­nann­te weiger­te sich bei unserem letzten Klassen­tref­fen vor über 10 Jahren, sich von mir noch einmal mitneh­men zu lassen, und sei es auch nur vom Fuß des Volkmars­bergs zum Ernst-Abbé-Gymnasium.

Der Ernst des Lebens begann so langsam, aber sicher.

Am 19.01.1972 entschied sich bei der Muste­rung in Schwä­bisch-Gmünd die künfti­ge Vertei­di­gungs­fä­hig­keit der BRD. Wegen „Morbus Scheu­er­mann“ wurde ich, mit einem aussa­ge­kräf­ti­gen Attest bewaff­net, von unseren Streit­kräf­ten als „einge­schränkt tauglich“ aussor­tiert und der Ersatz­re­ser­ve II zugewie­sen. Unter diesem Makel habe ich aller­dings nicht wirklich gelit­ten. Einer sinnvol­len Tradi­ti­on entspre­chend wurden die frisch Gemus­ter­ten bzw. Ausge­mus­ter­ten von Bürger­meis­ter Bosch zu einem abend­li­chen Umtrunk in die „Grube“ einge­la­den. Wer sich noch daran erinnern kann, war nicht dabei! Genau 5 Monate später endete dieser Lebens­ab­schnitt mit dem Reife­zeug­nis (Reif für was? Für die Insel?) und wir alle gingen getrenn­ter Wege.

An das Abitur schloss sich zunächst die Ferien­ar­beit beim Postamt in Oberko­chen an. Im Zeppe­lin­weg bekam ich bei Soutschecks immer (m)einen Schnaps. Eine sympa­thi­sche Familie. Bis Mittag waren die Briefe ausge­tra­gen. Danach traf ich mich immer mit James, der bei Peter­hans & Betzler als Fahrer jobbte, im Gasthaus „Zur Sonne“ in der Sperber­stra­ße zur Lagebesprechung.

Mit Hilde­gard Soutschek und Hartmut Kratzsch (der Bruder von Gernot und später umbenannt in Wätzel), die auch nach Würzburg gingen, bestand anfäng­lich noch ein locke­rer Kontakt. Bei Hartmut fällt mir immer seine Neigung zur Karika­tur ein. Vielleicht hätte er davon sogar leben können. Wobei Billie der Meinung ist, dass Gernot der noch besse­re Zeich­ner war. Er hat auch im Amtsblatt seine Spuren hinter­las­sen, wurde aber Mediziner.

Oberkochen

Gernot Kratzsch hatte eine heraus­ra­gen­de zeich­ne­ri­sche Begabung (Archiv Müller)

Einige Freund­schaf­ten überdau­er­ten die Jahre, andere nicht. Häufi­ger ist der Kontakt mit James und seiner Familie. Unserer Freund­schaft hatte sich auch in schwie­ri­gen Zeiten bewährt, auch wenn seine, bis heute andau­ern­de, Begeis­te­rung für den VfB Stutt­gart, nicht gerade förder­lich war. Aber der VfB verlor seine Heimspie­le gegen den ruhmrei­chen Geißbock­club stets pflicht­ge­mäß ????. Zudem stieg mal der eine und dann der andere ab – ab 2021/2022 wieder mal in der gleichen Liga.

In Oberko­chen war ich dann wegen des Wirbels um die Verhaf­tung meines Vaters (beim Zeiss vom Arbeits­platz weg) wegen seiner geheim­dienst­li­chen Agenten­tä­tig­keit und wegen meiner mehrjäh­ri­gen inten­si­ven Braut­schau in Würzburg lange Zeit nicht mehr. Im „Take Five“ habe ich dann auch meine späte­re Frau kennen­ge­lernt, die mich jetzt schon seit mehr als 30 Jahrzehn­te ertra­gen hat – eine erstaun­li­che Leistung.

Oberkochen

Das seiner­zeit unver­meid­li­che Treppen­bild vor dem heuti­gen EAG (Archiv Klopfleisch)

Vorde­re Reihe v.l.n.r.: Micha­el Laidler †, Wolfgang Weiß, NN, NN, NN
Mittle­re Reihe v.l.n.r.: Hans Peter Arnold, Dieter Wieland (Pickel­mann), Wolfgang Jacob, Uwe Meinert, Helga Grünler (Baumeis­ter), NN, NN
Hinte­re Reihe v.l.n.r.: Reinhard Bogena, Werner Hilgart, Ernst Ebrecht, Andre­as Klopf­leisch, Hans Hofmann †, Rainer Hirsch, Marion Wöhner (Seidl), Dieter Mucken­haupt, Lehrer Schwab

Um uns alle jährlich einmal einzu­fan­gen, organi­siert der Billie immer die belieb­ten Schul­zeit-Treffs – in den geraden Jahren in Oberko­chen und in den ungera­den in Gegen­den, wo einige von uns sesshaft gewor­den sind.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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