Die Bäuerle-Wiese.

Diese Wiese ist heute bebaut und ich wohne direkt daneben. Sie befand sich neben der Jahnstra­ße (tatsächlich…..straße und nicht ….-gässle), dem Verbin­dungs­weg für Fußgän­ger und Radfah­rer zwischen Dreißen­tal- und Garten­stra­ße. Das war früher eine der Festwie­sen, auf der ich als schon als Kind und auch noch als Jugend­li­cher oft zu Besuch war. Am 5. und 6. Juli 1952 fand hier das 25jährige Jubilä­um des örtli­chen Musik­ver­eins zusam­men mit dem 8. Bezirks­mu­sik­fest statt. Vermut­lich das erste Fest, das ich im Kinder­wa­gen erleben und die Liebe zur Musik (welcher auch immer – nur gut muss sie sein) aufsau­gen durfte. Bei diesem großen Fest war die Wiese danach sicher „sanie­rungs­be­dürf­tig“. Hier feier­ten oft der Musik­ver­ein und der Sänger­bund ihre Gartenfeste.

Eine gute Gelegen­heit auf die frühe­ren und heuti­gen Festwie­sen- und Festplät­ze hinzuweisen:

  • Der Grupp’sche Garten (Zugang vom Wiesenweg)
  • Der Schneider’sche Garten (Zugang vom Wiesenweg)
  • Der Wingert’sche Garten (grad rüber vom Harde in der Dreißentalstraße)
  • Festwie­se zwischen Blumen­stra­ße und Bühlstra­ße (Eingang Blumen­stra­ße). Hier fand 1965 das Jubilä­ums­fest zum 125jährigen des Sänger­bun­des statt.
  • Festwie­se um den Bereich Segel­flie­ger­häus­le und Haus Brand­stet­ter in der Katzenbachstraße
  • Festwie­se hinter der Grube, als die Kegel­bahn noch nicht stand, wurde hier gelegent­lich das Fronleich­nams­fest gefei­ert. Das erste Garten­fest gehör­te immer dem katho­li­schen Pfarrer und somit begann die Garten­fest-Saison immer an Fronleichnam.
  • Festwie­se zwischen Bahnhof und Bäuerle (heute Spedi­ti­on Maier). Der Gutheißa-Done erinner­te sich daran, dass dort ganz früher immer ein Karus­sell stand.
  • Festwie­se auf dem Volkmars­berg oberhalb der Ski-Hütte für das Kinder­fest alter Prägung, das in den Herzen von vieler alten Oberko­che­ner einen beson­de­ren Platz hat.
  • Festwie­se auf dem Volkmars­berg zwischen Schutz­hüt­te und Felsen. Hier wurden ökume­ni­sche Gottes­diens­te, Jubilä­en, Albver­eins­fes­te und Sonnwend­fei­ern abgehalten.
  • Festplatz vor der Dreißen­tal­schu­le war oft Schau­platz großer Feste z.B. am Pfingstmontag
  • Festplatz am Eugen-Bolz-Platz vor dem Bau des Rathau­ses z.B. für das Frühlings­fest oder den Zirkus Brumbach
  • Festplatz am Eugen-Bolz-Platz nach dem Bau des Rathau­ses für das Stadt­fest neuer Prägung
  • Heiden­hei­mer und Aalener Straße für das Stadt­fest alter Prägung
  • Der Platz zwischen dem Gasthaus „Lamm“ und dem Linden­brun­nen für das Maifest oder den Weihnachts­markt alter Prägung sowie einen weihnacht­li­chen Ausschank der Schützengilde.
  • Die Schee­rer-Mühle für den Weihnachts­markt neuer Prägung
  • Festplatz an der alten Goethe-Straße (heute Bürger­meis­ter-Bosch-Straße) gegen­über dem Rupert-Mayer-Haus (heute finden wir dort Parkplätze)
  • Festplatz im „Schwörz“. Dort fanden die richtig großen Feste statt wie z.B. zur Stadt­er­he­bung 1968
  • Die „Neue Mitte“ (vieler­orts ein stadt­pla­ne­ri­sches Modewort gewor­den). Meint es doch letzt­end­lich oft die „Alte Mitte“ im neuen Gewand. Es ist schön gewor­den, gefes­tet wird hier wohl nicht, aber mehr Leben sollte schon statt­fin­den. Da ist noch Luft nach oben – spezi­ell was die Bewir­tung angeht.
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Wohnhaus und Geschäft hinter einem damals üblichen Garten­zaun (Archiv Meroth)

Der Laden meiner Mutter von Peter Meroth.

Dreißen­tal­stra­ße 55/Ecke Finken­weg, das ist die Adres­se. Hier hatte meine Mutter ihren Laden. Einige können sich vielleicht noch erinnern, an den Schot­ter­platz vor dem Eingang, das kleine­re Schau­fens­ter zur Dreißen­tal­stra­ße hin und das große, das sich über die gesam­te Front­sei­te am Finken­weg hinzog bis zum Anbau, den wir in der Familie „Milch­haus“ nannten. Eine der wenigen Frisch­milch-Verkaufs­stel­len, die es damals in Oberko­chen gab. Doch das war der neue Laden, eröff­net 1955. Die Anfän­ge des Lebens­mit­tel­ge­schäfts reich­ten etwas weiter zurück. Meine Eltern waren Anfang der 1940er Jahre nach Oberko­chen gekom­men. Sie hatten zuvor in Weil am Rhein und in Bruch­sal gelebt. Mein Vater war als Mecha­ni­ker­meis­ter zum Rüstungs­be­trieb Leitz dienst­ver­pflich­tet worden. Vom milden Klima der badischen Wein- und Spargel-Gegend auf die raue Ostalb. Der Neuan­fang hier war nicht leicht. Zuerst wohnten die Eltern mit meinen beiden älteren Geschwis­tern, Hans und Brigit­te, zur Unter­mie­te beim „Goldab­au­er“. Später konnten sie in eines der neuen Einfa­mi­li­en­häu­ser im Dreißen­tal einzie­hen, die für die Arbei­ter der Kriegs­wirt­schaft gebaut wurden. Zeitge­mäß, den Vorstel­lun­gen der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Blut-und-Boden-Ideolo­gie entspre­chend als Klein­sied­lung mit Gärten zur Selbst­ver­sor­gung und Platz für Nachwuchs.

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Der Meroth’sche Selbst­ver­sor­gungs­gar­ten hinter dem Haus (Archiv Meroth)

1942 wurde mein Bruder Klaus geboren. Zwei Ereig­nis­se, eines auf der politi­schen, eines auf der persön­li­chen Ebene, führten schließ­lich zum Entschluss meiner Eltern, den kleinen Laden zu eröff­nen: Die Währungs­re­form am 20. Juni 1948 und der Wechsel meines großen Bruders auf die weiter­füh­ren­de Schule. Mit der Einfüh­rung der D‑Mark in den drei Westzo­nen kamen mehr Waren in den Handel und mit dem Umzug von Hans ins Inter­nat, dem Josephinum in Ellwan­gen, wurde in unserem Haus ein Zimmer frei. Der Erlös des Geschäfts sollte helfen, die Kosten für die höhere Bildung der Kinder zu decken. Das Zimmer allein reich­te nicht für den Laden, es musste auch ein zweiter Eingang geschaf­fen werden. Dabei war die Toilet­te im Weg, sie wurde kurzer­hand in den Garten verlegt. Das Häuschen des Plumps­klos stand unter dem Kirsch­baum. Ob da ein Herz in die Tür gesägt war, weiß ich nicht mehr. Wohl eher eine Raute. Die Kirschen jeden­falls schmeck­ten wunder­bar süß. Das stille Örtchen diente biswei­len auch als Kunden­toi­let­te. Fräulein Engel­hardt rief dort einmal um Hilfe, als plötz­lich die Tür aufschwang und den Blick zur Dreißen­tal­stra­ße freigab. Den kleinen Vorfall hat sie bestimmt mit Humor genom­men. Sie war eine lebens­lus­ti­ge Dame aus Köln. Am Rosen­mon­tag lud sie Nachbarn gern in ihre Wohnung in der Sperber­stra­ße ein. Das war ganz schön exotisch, an einem Ort, wo Jecken als Spinner galten, und zu einer Zeit, als die meisten beim Wort Fastnacht nur ans Fasten denken konnten. Die Löhne waren niedrig, von dem neuen Geld blieb nicht viel zum Einkau­fen übrig. Was im Garten wuchs, bauten die Leute selbst an, vom Salat bis zu den Kartof­feln. Wer konnte, hielt Hasen und Hühner. Nur mit Kaffee, Essig, Öl, Zucker, Mehl, Nudeln und vielleicht auch Seife war ein beschei­de­ner Umsatz zu erzie­len. Erstaun­li­cher­wei­se auch mit Most.

Das große Fass stand im Luftschutz­kel­ler, dem kühls­ten Raum im Haus. Einmal hatte jemand das Einfüll­loch zu fest verstöp­selt. Angeb­lich mein Bruder Hans. In den Erzäh­lun­gen der Familie ist er stets der Unglücks­ra­be. Als ältes­ter Sohn wurde er zu schwie­ri­ge­ren Arbei­ten heran­ge­zo­gen, auch zu solchen, deren Auswir­kun­gen er nicht überschau­en konnte. Der Most jeden­falls gärte, das entste­hen­de Kohlen­di­oxid konnte nicht entwei­chen. Der Druck im Fass stieg, bis er den Zapfhahn aus dem Spund­loch press­te. Zenti­me­ter­hoch stand die Flüssig­keit auf dem Backstein­bo­den. Da hatte der Putzfim­mel meiner Mutter mal sein Gutes. Der Keller war so sauber, dass der Most, durch Stoff­win­deln gefil­tert, zurück ins Fass geschöpft werden konnte. Noch lange, nachdem es leer war, habe die Kundschaft gefragt: „Habt Ihr nichts mehr von dem Most? Dem guten, mit dem irdenen Geschmack?“

Zu den kleinen Geschich­ten rund um den Laden gehört auch der Zusam­men­prall meines Vaters mit der Staats­macht. Früh um fünf radel­te er nach Königs­bronn, zur Bäcke­rei Holz, um dort Brot, Brötchen und süße Stück­le zu holen. An einem finste­ren Morgen stopp­ten ihn die Landjä­ger und verpass­ten ihm einen Straf­zet­tel, weil das Fahrrad keinen Rückstrah­ler hatte. Mein Vater reagier­te mit einem Wutaus­bruch. Woher sollte er so ein Katzen­au­ge nehmen? In den Nachkriegs­jah­ren waren viele Dinge knapp. Nirgends gab es Rückstrah­ler zu kaufen. Stur, wie er sein konnte, weiger­te sich mein Vater, die Strafe zu bezah­len, lieber ging er ins Gefäng­nis. An einem Sonntag melde­te er sich beim Bürger­meis­ter, um den Arrest anzutre­ten. Der Schul­tes hatte ein Einse­hen und schick­te ihn wieder nach Hause.

Natür­lich half die ganze Familie mit, den Laden am Laufen zu halten. Oder musste zumin­dest die Folgen ertra­gen, wenn sich meine Mutter wieder einmal darauf einge­las­sen hatte, sehr spezi­el­le Kunden­wün­sche zu erfül­len. Weihnach­ten duftet für die meisten Menschen nach frisch gebacke­nen „Guats­le“ oder „Bredla“, Kerzen­rauch und Tannen­na­deln. Es gehört schon einiges dazu, diesen Wohlge­ruch zu übertö­nen. An einem 23. Dezem­ber lag so viel Schnee (von den wenigen Autos war weit und breit keines zu sehen), dass wir Gassen­bu­ben mit dem Schlit­ten die ganze Dreißen­tal­stra­ße hinun­ter­fah­ren konnten, bis zu Volks­schu­le. „Gut, dass dich jemand mit dem Schlit­ten geschickt hat“, sagte mein Bruder Klaus. Er ging inzwi­schen auch aufs Gymna­si­um und hatte bei der Heimfahrt im Zug einen brutal schwe­ren Spankorb mitge­bracht. „Gib mal her.“ Alles Sträu­ben half nichts, er beschlag­nahm­te meinen Schlit­ten. Wir zogen die Fracht nach Hause. Sechs große, dicke Karpfen zwischen einigen Eisbro­cken, auf dem Weg vom Fisch­händ­ler in Ellwan­gen an den Bahnhö­fen immer wieder mit Hahnen­was­ser geduscht. Nach polni­schem Brauch muss der Weihnachts­karp­fen lebend gekauft und in der Küche geschlach­tet werden. Leider hatte meine Mutter nicht darauf bestan­den, dass die Kunden die Fische in der eigenen Badewan­ne frisch­hiel­ten. Die Karpfen durften bei uns ihre letzten Schwimm­übun­gen machen. Mir hat das gefal­len. So nah war ich so großen Fischen noch nie gekom­men. Aber danach konnte ich auch lange nicht verges­sen, was für ein durch­drin­gen­der Geruch das Haus erfüllte.

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Die Innen­aus­stat­tung des Ladens – Das Bild ist eine Rarität (Archiv Meroth)

Die Laden­öff­nungs­zei­ten waren streng geregelt. Längs­tens bis sechs Uhr abends konnten die Leute einkau­fen, am Samstag nur bis Mittag. Doch man kannte sich. Und wenn verzwei­fel­te Nachbarn an der Haustür klingel­ten, bekamen sie unter der Hand, was dringend gebraucht wurde, um das Abend­essen oder den häusli­chen Frieden zu retten. Meinen Eltern war nicht wohl dabei. Anzei­gen, selbst wegen kleiner Verstö­ße gegen die Gewer­be­ord­nung, waren in jenen Jahren keine Selten­heit. Aber Nein sagen konnten sie nicht. Auch wenn die Kunden anschrei­ben ließen. Mussten schließ­lich die Schul­den einge­trie­ben werden, verdüs­ter­te sich die Stimmung bei uns zu Hause. Meine Schwes­ter Brigit­te, die in ihrer kaufmän­ni­schen Lehre auch Buchhal­tung lernte, war die Einzi­ge in der Familie, die für diese Aufga­be taugte. Sie sah die Zahlen, machte sich auf den Weg und klapper­te nüchtern-sachlich die säumi­gen Kunden ab. Die Zahlen mussten stimmen. die säumi­gen Kunden ab. Die Zahlen mussten stimmen. Im „Innen­dienst“ kümmer­te sich Eva Brigit­te, die späte­re Frau meines Bruders Hans um Abrech­nun­gen und Bestellungen.

Schließ­lich wagten meine Eltern eine Erwei­te­rung des Ladens. Sie wollten das Haus um drei, vier Meter verlän­gern. Ein großer, lichter Verkaufs­raum sollte entste­hen und als beson­de­re Attrak­ti­on wollte meine Mutter eine Milch-Verkaufs­stel­le einrich­ten. Das machte den Anbau kompli­ziert. Das Milch­haus musste komplett gekachelt werden und – angeb­lich ebenfalls aus Hygie­ne­grün­den – war eine Raumhö­he von mehr als drei Metern vorge­schrie­ben. Das größte Hinder­nis aber war ich. Von einer geplan­ten Schwan­ger­schaft konnte wohl nicht die Rede sein. Als ich im Febru­ar 1951 das Licht der Oberko­che­ner Welt erblick­te, war meine Mutter 43 Jahre alt, mein Vater 52. Eine Kinder­wunsch­kli­nik hätte meine Geburt als Erfolg gefei­ert. Meine Schwes­ter, die im Schul­un­ter­richt einiges über Erbkrank­hei­ten und andere medizi­ni­sche Risiken beim Kinder­krie­gen gelernt hatte, erklär­te in ihrem jugend­li­chen Rigoris­mus meine Eltern für verant­wor­tungs­los. Der Anbau entstand mit viel Eigen­ar­beit. Auch die Laden­ein­rich­tung schrei­ner­te mein Vater selbst, sogar die Kühlthe­ke im Milch­haus, mit dicker Glasfa­ser-Isolie­rung und wuchtig auskra­gen­den Zinkblech-Profi­len als Innen­ver­klei­dung. Die meisten Haushal­te hatten damals noch keine Kühlschrän­ke. Und ich freute mich schon, dass wir bald selbst Eis machen könnten. Aber zuvor musste ein Jahrhun­dert-Loch gebohrt werden. Der Kühlkom­pres­sor hing im hinters­ten Keller des alten Hausteils. Von dort sollte das Kälte­mit­tel schräg durch Decke und Hausecke in den Milch­haus-Anbau gepumpt werden. Die Leitung war ja nur acht Milli­me­ter dick, und mein Schwa­ger Rudi, inzwi­schen auch schon 88 Jahre alt, schwärmt noch heute, dass mein Vater damals wohl einen der ersten „Widia“-Stahlbohrer in Deutsch­land gehabt hätte. Tatsäch­lich gab es das von Krupp entwi­ckel­te Hartme­tall (WIeDIA­mant) schon seit den 1920er Jahren. Aber der Bohrer war kurz, mehrfach musste eine immer länge­re Verlän­ge­rung zusam­men­ge­schweißt werden, immer wieder forder­ten grobe Kiesel im Beton­fun­da­ment den Wunder­boh­rer zum Härte­test heraus. Die Bohrma­schi­ne war ein Modell aus dem Museum für Bakelit-Spiel­zeug. Das schwa­che Motör­chen jaulte erbärm­lich. Seine Fieber­schü­be häuften sich, die Abkühl-Pausen wurden lang und länger. Am 12. Novem­ber 1955 war es endlich geschafft:

„Bringe hiermit der werten Einwoh­ner­schaft von Oberko­chen zur Kennt­nis, dass ich am Samstag mein neuerstell­tes Lebens­mit­tel­ge­schäft eröff­ne“, verkün­de­te eine Anzei­ge in „Bürger und Gemein­de“. Eigent­lich hätte hier meine Mutter als Inhabe­rin auftre­ten müssen. Es war doch ihr Laden! Das stand für mich als Kind außer Zweifel. Doch in der Annon­ce firmier­te mein Vater als Patron. „Anton Meroth, Lebens­mit­tel“, laute­te auch der Eintrag im Gewerberegister.

So war das damals: Frauen galten als einge­schränkt geschäfts­fä­hig. Noch bis 1958 hatte der Mann das allei­ni­ge Bestim­mungs­recht über Frau und Kinder. Bis 1962 durften Frauen ohne Zustim­mung des Mannes kein Bankkon­to eröff­nen, erst 1969 wurde verhei­ra­te­ten Frauen die volle Geschäfts­fä­hig­keit zugespro­chen, erst ab 1977 durften sie auch ohne Einwil­li­gung des Mannes arbei­ten gehen. Die Forma­li­en hinder­ten meine Eltern aber nicht daran, Haushalt, Beruf- und Geschäfts­le­ben einiger­ma­ßen gleich­be­rech­tigt zu organi­sie­ren und sich gegen­sei­tig zu unter­stüt­zen. Selbst­ge­mach­tes Eis gab es nur ein- oder zwei Mal. So laut der Kompres­sor auch ratter­te, für ordent­li­che Minus-Tempe­ra­tu­ren reich­te es nicht. Immer­hin hatten wir das Klo jetzt wieder im Haus und auf dem Flach­dach der Milch­ver­kaufs­stel­le eine Terras­se. Dank des Frisch­milch-Angebots reich­te das Einzugs­ge­biet unseres Ladens bald bis hinauf zum Sonnen­berg und zur Brunnen­hal­de. Man holte die Milch in ein bis drei Liter großen Alu-Kannen (die sich auch prima über den Kopf schlen­kern ließen). Angelie­fert wurde die Milch in 30-Liter-Kannen. Wenn er Milch­las­ter abgela­den hatte, standen sie manch­mal ein paar Minuten vor dem Milch­haus bis zwei Frauen die schwe­ren Metall­be­häl­ter hinein­tra­gen und in die Kühlthe­ke wuchten konnten. Einmal hatte jemand gesehen, dass ein Hund an einer Kanne geschnup­pert hatte. Anzei­ge, Schock, große Aufre­gung. Der Zeuge blieb anonym. Meine Mutter, für die Sauber­keit ein großes Thema war, fühlte sich in ihrer Ehre verletzt. Die vollen Kannen waren doch fest verschlos­sen. Selbst mit den leeren wurde großer Aufwand getrie­ben. Sie wurden bei uns in der Wasch­kü­che mit kochend heißem Wasser aus dem großen Heizkes­sel gerei­nigt und zum Trock­nen mit der Öffnung schräg nach unten aufge­hängt. An Wandha­ken, die mich als Kind faszi­nier­ten, weil sie die Kannen ledig­lich an kleinen Ösen im Boden­ring hielten und schein­bar schwe­re­los im Raum schwe­ben ließen. Eine amtli­che Kontrol­le ergab schließ­lich keine Beanstan­dun­gen, aber die Wellen der Empörung ebbten erst nach Wochen ab. Die Milch war wichtig fürs Geschäft.

Es gab ja eine ganze Reihe von Läden im Dreißen­tal, die Lebens­mit­tel verkauf­ten. Schoch, Bäcke­rei Ficht­ner, Gruppen-Heiner, Bäcke­rei Fleury sowie zwei kleine Nachbar­schafts­lä­den in der Brunnen­hal­de (Karl Paff Brunnen­hal­de 16 und Elisa­beth Goldmann Brunnen­hal­de 40) und am Sonnen­berg (Farys), außer­dem die Metzge­rei­en Betz (im Gasthaus „Sonne“) und Reber im Finken­weg (Haupt­ge­schäft im Lamm in der Haupt­stra­ße). Später kam der Konsum dazu, das Reform­haus Schüt­ze, und 1957 verleg­te José Sogas sein Geschäft von der Dorfmit­te an die Ecke Dreißen­tal-/Lerchen­stra­ße und öffne­te mit seinem Selbst­be­die­nungs­la­den das Tor zur Moder­ne. Eine Revolu­ti­on in der Einkaufswelt.

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Frau Meroth erholt sich im Garten mit Blick auf ein paar Häuser im Finken­weg (Archiv Meroth)

Zwei Entwick­lun­gen, auf der persön­li­chen und der gesell­schaft­li­chen Ebene, führten dazu, dass der Laden Anfang der 1960er Jahre wieder schlie­ßen musste. Schon 1956 hatten meine Eltern das Geschäft an die Aalener Firma Grieser abgege­ben. Die war zuvor unser wichtigs­ter Großhänd­ler und wollte unter der Marke „Einka“ eigene Filia­len betrei­ben. Meine Mutter führte die Grieser-Nieder­las­sung, bis sie die Krank­heit meines Vaters zum Aufge­ben zwang. Ein Gehirn­tu­mor, der zwar gutar­tig war, aber lange nicht entdeckt wurde und ihn schließ­lich vollstän­dig lähmte. Gleich­zei­tig entstan­den mehr und mehr Super­märk­te, auch die Zahl der Autos nahm sprung­haft zu. Die Zeit der kleinen Läden ging allmäh­lich zu Ende.

Die gute Nachricht zum Schluss: Mein Vater konnte operiert werden und hatte noch einmal andert­halb, überwie­gend munte­re, Jahrzehn­te. Der Laden war nach einem Zwischen­spiel als Zeiss-Lager­raum recht­zei­tig vor meinem Abitur wieder frei – für ein paar unver­ges­se­ne Partys.

Der Pfingst­markt.

Am 9. Sep. 1816 erhielt unsere Gemein­de das Markt­recht für zwei Vieh- und Krämer­märk­te am Pfingst­mon­tag und im Oktober (Der Herbst­markt wurde dann doch im Septem­ber abgehal­ten, starb dann aber relativ schnell). Der erste wurde dann 1817 zu Pfings­ten abgehal­ten und war in alten und uralten Zeiten eine Attrak­ti­on. Die Gmünder verlang­ten eine Verschie­bung um 8 Tage, weil sie am selben Tag schon länger einen Markt hatten. Die Oberkoch­ner lehnten das strikt ab. Der Pfingst­markt entwi­ckel­te sich zu DEM Fest, da es das später so belieb­te Kinder­fest noch nicht gab. Den alten Texten ist folgen­des zu entnehmen:

„Was war das doch für ein Treiben in der Mitte des Dorfes zwischen „Hirsch-Wirt“ und dem „Schmied-Jörgle“, wo die Krämer­stän­de aller­lei anboten, der billi­ge Jakob seine Späße trieb und der Bretz­gen­bla­se aus Aalen jedem Vorüber­ge­hen­dem zurief: „Du, Anton, komm, nemm au deir Kathre a Bretzg vom Blase mit“. Da traf man den Vetter und die Bas, den Ähne und die Ahne und die Kinder bevöl­ker­ten in Massen den Platz, denn jedes Haus war damals noch kinder­reich. Die Jugend war geschlos­sen da und prome­nier­te in Gruppen lachend und scher­zend durch das Markt­ge­trie­be. Man machte einan­der Freude, wenn es auch nur mit einem billi­gen Magen­brot­gück­lein, einem Zucker­stoi oder einem Bären­dreck­stäng­lein geschah. Ein ganz wichti­ger Markt­teil­neh­mer war der „Grund“ aus Essin­gen, der mit seinem Kinder­ka­rus­sell den Platz vor dem „Lamm“ beleb­te. Selbst­re­dend noch ohne Motor, daher musste es von 5 Buben angescho­ben werden, die danach zur Beloh­nung immer aufsprin­gen durften. Wer von den Kindern daheim nur 2 Pfennig bekom­men, hatte schau­te dumm aus dr Wäsch. Wer aller­dings 5 Pfenni­ge bekam konnte sich eine Karus­sell­fahrt für 3 Pfenni­ge und einen Zucker­stoi für 2 Pfenni­ge leisten.“

Für uns in den 50er und 60ern war das wichtigs­te immer der Pfingst­markt mit Buden, Karus­sell, Auto-Scooter, Musik, Bratwurst und Bier. Wir sind immer beim Aufbau, beson­ders beim Auto-Scooter, herum­ge­schli­chen, um vielleicht mithel­fen zu dürfen und dafür Fahr-Chips zu bekom­men. Ein Eckpfei­ler in Oberko­chens Jahres­ka­len­der. Wer wegge­zo­gen war, ist an diesem Tag wieder mal nach Hause gekom­men, um die Familie und alte Freun­de zu treffen. Der Markt feier­te unbemerkt 2017 sein 200jähriges Bestehen – aller­dings nur noch ein sehr überschau­ba­res Märkt­le. Bevor sich Kinder­fest und Stadt­fest etablier­ten, war dieses Fest das absolu­te jährli­che Highlight.

1950 schreibt die Schwä­po: …eine größe­re Anzahl von Verkaufs­stän­den, auch hiesi­ge Firmen, war auf beiden Seiten der Aalener und Heiden­hei­mer Straße aufge­baut und das günsti­ge Wetter hat viele Kauflus­ti­ge angelockt. Eine Essin­ger Firma hatte einen landwirt­schaft­li­chen Traktor vor dem „Lamm“ aufge­stellt. Zur Rechten und Linken der pfingst­li­chen Verkaufs­stra­ße wurden viele nützli­che Gebrauchs­ge­gen­stän­de, Texti­li­en, Spiel­zeug, Süßig­kei­ten usw. zu günsti­gen Preisen angeboten.

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Blick vom alten Schul­haus hinun­ter auf den Pfingst­markt (Archiv Müller)

➔Teil 8 und Schluss folgen in zwei Wochen.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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