Gedicht.

Es gibt Gedich­te, in denen sich am Zeilen­en­de keine Wörter reimen und Gedich­te, in denen sich am Zeilen­en­de alle Wörter reimen und es gibt kurze, lange und gaaaa­anz lange. Damit wurden wir im Gymna­si­um traktiert. Zum einen mit dem Versmaß (auch Metrum genannt), das beschreibt in der Lyrik die Anord­nung von beton­ten und unbeton­ten Silben inner­halb eines einzel­nen Verses. Grausi­ge Begrif­fe wie Jambus, Daktylus, Trochä­us und Anapäst bestimm­ten manche Deutschstunde.

Das berühm­tes­te Gedicht ist jetzt mal nicht von Goethe, sondern vom Matthi­as Claudi­us und heißt „Abend­lied“ und die Zeilen kennt wirklich jeder „Der Mond ist aufge­gan­gen, die goldnen Stern­lein prangen….“

Zu Zeiten Theodor Storms konnte mit Gedich­ten, die in den Tages­zei­tun­gen veröf­fent­licht wurden, noch gutes Geld verdient werden, heute ist das brotlo­se Kunst geworden.

Auswen­dig­ler­nen war für viele ein Graus. Ich konnte das recht gut und scheu­te auch lange Gedich­te nicht, für die wir mehr Zeit bekamen und die teilwei­se von mehre­ren Schüle­rIn­nen abschnitts­wei­se vorge­tra­gen wurden, wenn Schil­ler und Goethe es wieder mal übertrie­ben hatten. Es gab aber wenige, die wirklich gut vortra­gen konnten; die meisten leier­ten ihren Text einfach nur herun­ter, damit die Angele­gen­heit schnell erledigt ist. Schwie­ri­ger waren da schon in den höheren Klassen die Gedicht-Inter­pre­ta­tio­nen. Aber wehe, jemand hat es gewagt, den Taucher von Goethe in diesen beiden Varia­tio­nen vorzu­tra­gen. Dann gab es sofort eine „6“ mit Eintrag im Klassenbuch:

„Der Taucher – Gluck Gluck, weg war er“ oder „Wer wagt es, Knappers­mann oder Ritt, zu schlun­den in diesen Tauch….“. Richtig heißt es natür­lich „Wer wagt es, Ritters­mann oder Knapp, zu tauchen in diesen Schlund? Usw. usf…..

Die Genera­ti­on unserer Eltern konnten die alten Klassi­ker wie z.B. den Zauber­lehr­ling bis ins hohe Alter aufsa­gen. Apropos aufsa­gen, das war oft eine Sache bei Hochzei­ten oder runden Geburts­ta­gen, bei denen wir Kinder oder unsere Mutti ihren Auftritt hatten. Meine Sache war das nicht, also musste Harald immer ran.

Wie so aus ergie­bi­gen Quellen zu verneh­men ist, gibt es mutige Lehrer, die es noch wagen den Zauber­lehr­ling auswen­dig lernen zu lassen. Voraus­set­zung dazu (von Seiten des Lehrers): Nerven wie Draht­sei­le und Konflikt­wil­lig­keit mit den Eltern – denn wie nicht selten heutzu­ta­ge – die armen Kinder sind aus Sicht der Eltern damit völlig überfor­dert. Und wenn es wirklich mal gelingt, hat die Lehre­rin ein außer­ge­wöhn­li­ches Erfolgserlebnis.

Am längs­ten Gedicht der Welt würde aber jeder schei­tern. Es stammt von dem ameri­ka­ni­schen Prärie-Poeten Dave Morice und breitet sich über 10.000 Seiten (!) aus.

Meine Erkennt­nis: Mangeln­de Anfor­de­run­gen führen zu Erfol­gen auf niedri­gem Niveau.

Der bekann­tes­te Aufsa­ger ist „das Kind“ (gespielt von Katja Bogdan­ski) aus Loriots „Weihnach­ten bei Hoppen­stedt“: „Zicke Zacke Hühner­ka­cke“. (Es gibt sogar ein Brett­spiel, das so heißt).

Sarah Wagen­knecht soll sogar als Schüle­rin das Kunst­stück fertig­ge­bracht haben, den „Faust“ auswen­dig zu lernen.

Aus meiner Schul­zeit sind mir noch in bleiben­der Erinnerung:

  • Das Lied von der Glocke (Schil­ler)
  • Der Taucher (Goethe)
  • Der Zauber­lehr­ling (Goethe)
  • Die Brücke am Tay (Fonta­ne)
  • Die Bürgschaft (Schil­ler)
  • Erlkö­nig (Goethe)
  • Gefun­den (Goethe)
  • Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havel­land (Fonta­ne)
  • John Maynard (Fonta­ne)

Und dann gibt es noch Gedich­te, die hat man in der Schule nicht gelernt:

  • Advent (Loriot)
  • Der Latten­zaun (Chris­ti­an Morgenstern)
  • Die Affen (Wilhelm Busch)
  • Die Ameisen (Ringel­natz)
  • Die Made (Heinz Erhardt)
  • Dunkel war’s, der Mond schien helle (Volks­mund)
  • Ein Mensch (Eugen Roth)
  • Es war einmal ein Mann (Kinder­reim)

Meine Favori­ten sind

  • Die Stadt (Theodor Storm)
  • Stufen (Hermann Hesse)

Graf Koks.

Eine mögli­che Erklä­rung findet sich im Umfeld neurei­cher Bürger­li­cher im 19. Jahrhun­dert, wie den Indus­tri­el­len-Famili­en Stinnes, Thyssen und Krupp, die sich mit frisch­ge­won­ne­nem Reich­tum aus dem Umfeld der Montan­in­dus­trie Adels­in­si­gni­en erwar­ben und von Altein­ge­ses­se­nen spöttisch als „Schlot­ba­ro­ne“ oder „Koksgra­fen“ bezeich­net wurden. Der Volks­mund benutz­te den Begriff für ganz beson­ders wichtig­tue­ri­sche heraus­ge­putz­te feine Pinkel. Dann hieß es „Der läuft rum wie Graf Koks“. Der Begriff war so populär, dass Tuchol­sky daraus eine Roman­fi­gur für die Kurzge­schich­te „Der Floh“ kreierte.

Auch ein Hut wurde so bezeich­net. Die Melone, ein steifer, abgerun­de­ter Hut, der 1849 erstmals in Southwark, London, von den Hutma­chern Thomas und William Bowler gefer­tigt wurde und im englisch­spra­chi­gen Raum nach seinen Erfin­dern meistens „Bowler“ heißt, wurde bei uns als „Koks“ bezeichnet.

Oberkochen

Der Bowler – ein Hut für Kenner 

Griffelschpit­zer.

Substan­tiv, männlich – der Gende­ri­sie­rung bisher entkom­men. Zum einen war das für uns in der Dreißen­tal­schu­le Ende der 50er Jahre, ein kleines Gerät zum Anspit­zen des Griffels, unseres ersten schuli­schen Schreib­ge­rä­tes. Es wird aber auch eine klein­li­che, spitz­fin­di­ge Person so bezeich­net – also eine Art Erbsenzähler.

Gruscht & Glomp.

Das Wort Gruscht ist schon sehr alt und stammt aus der Zeit der Ritter­rüs­tun­gen und bedeu­te­te Kriegs­ma­te­ri­al. Heute bedeu­tet es wertlo­ses Zeug. War der Schwa­be doch schon länger ein Pazifist? Das bedeu­tet jetzt aber nicht, dass Gruscht wegge­wor­fen wird. Dafür braucht der Schwa­be den Dachbo­den, den Keller, den Schup­pen und die Garage – man könnte den Gruscht ja doch noch zu irgend­et­was brauchen.

Wenn er sich aber zu nix mehr gebrau­chen lässt, dann ischs a Glomp. In Oberko­chen feier­te das Wort an Stamm­ti­schen und in Fraktio­nen fröhli­che Urständ – das Schee­rer-Areal isch a richtig alts Glomp – des ghört weg. So eine Meinungs­strö­mung damals. Heute sieht man aber einige der damals Schimp­fen­den durch­aus genüss­lich in schönem Ambien­te bei Rostbra­ten mit Spätz­le und Bier oder Wein im Gasthaus „Schee­rer-Mühle“ sitzen und lassen den Herrgott einen guten Mann sein.

Gsälz.

Es ist einfach die schwä­bi­sche Gottse­lig­keit zum Frühstück: Einen Wecken mit Butter bestri­chen und mit Erdbeerg­s­älz belegt und einen Kaffee dazu. Das langt uns – aber mir et, I brauch ebbes rächts. I am a Müsliman.

Früher haben die Menschen Lebens­mit­tel dadurch haltbar gemacht, indem man diese in Salz einge­legt hat. Nach der Erfin­dung des Zuckers konnten Früch­te auch „abgekocht“ werden. Das Wort Gsälz ist aber geblieben.

G’schäft.

Hat was mit Schaf­fen zu tun, deshalb sagen wir auch „Schaf­fa isch halt a G’schäft“. Aber ein G’schäft haben oder ins G’schäft ganga, das ist ein himmel­wei­ter Unterschied.

Alle gehen ins G’schäft: Der Arbei­ter, der Beamte, der Lehrer, der Manager, der Minis­ter­prä­si­dent – kurz älle, fascht älle. Man verlässt morgens das Haus, küsst seine besse­re Hälfte und sagt: I gang jetzt ins G’schäft, bis heit Oabnd. Der Zeissia­ner geht aber nicht ins G’schäft, der geht zum Zeiss, früher zum Zeissa-Karle. Wenn der Rasen im Garten nach einer Rasur schreit, isch des ja koi G’schäft, weil eben zu wenig Arbeit. Kommt man aber nach sechs Wochen Urlaub zurück und muss die Blumen im Garten wieder (hin)richten (frei nach Edmund Stoiber), dann kann das schon ein Jessasg’schäft sein. Kommt aber selten vor, denn welcher richti­ge Schwa­be macht schon sechs Wochen Urlaub – des wär ja Geld hehgmacht.

Der Hermann Metz ergänzt: Wer in einer der zahlrei­chen Oberko­che­ner Fabri­ken arbei­te­te, sagte am Morgen: »I gang ens Gschäft«, oder am Abend: »Em Gschäft hent se mii wiedr saumä­ßig g‘ergrt.« Mit dem Gschäft war automa­tisch schaf­fen verbun­den, das war jedem klar. Nicht ins Gschäft gingen der Zimmer­mann, der Lehrer, die Verkäu­fe­rin, der Pfarrer usw. Ob dia au wirklich ebbas gschafft hent, dao, wo se gschafft hent?

Bleibt noch die Frage: „Ob mr scho sei Gschäft gmacht häb.“ Das ist dann aber was völlig anderes und schaf­fa muass ma dabei scho au.

Hägger.

Hier handelt es sich nicht um die schwä­bi­sche Varian­te eines ITlers, der illegal in fremde Compu­ter eindringt, sondern schlicht und einfach um den Schluck­auf. Natür­lich finden wir reich­lich medizi­ni­sche Erklä­run­gen für diesen körper­li­chen Vorgang – aber es gibt nur eine Erklä­rung dafür: Jemand denkt an dich :-).

Heide­witz­ka.

Auf geht’s, los jetzt, so die Bedeu­tung aber bekann­ter ist das Karne­vals­lied entstand 1936 während der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus und ist in kölscher Sprache verfasst. Es hat einen eingän­gi­gen Refrain und wird im rheini­schen Karne­val bis heute gesun­gen. Der Text beschreibt die alljähr­li­che Schiffs­tour einer Männer­ge­sell­schaft von Köln rhein­auf­wärts nach Königs­win­ter zum Drachen­fels, was nahezu zwangs­läu­fig mit dem Genuss größe­rer Mengen Alkohol verbun­den wird. Über die Herkunft und die Bedeu­tung des Wortes Heide­witz­ka gibt es verschie­de­ne Inter­pre­ta­ti­ons­ver­su­che. Sicher ist, dass es sich nicht um einen kölschen Ausdruck handelt, sondern eher um eine Verball­hor­nung des Hitler-Grußes. Auch als Ersatz der deutschen Natio­nal­hym­ne wurde das Lied verwen­det – ohne Witz. Noch 1953 wurde das Lied beim ersten Staats­be­such Bundes­kanz­ler Konrad Adenau­ers in Chica­go gespielt, obwohl Adenau­er 1952 erreicht hatte, dass die dritte Strophe des Deutsch­land­lie­des die offizi­el­le Natio­nal­hym­ne der Bundes­re­pu­blik wurde.

Refrain:

Heide­witz­ka, Herr Kapitän
Mem Mülle­mer Böötche fahre mer su jän,
mer kann su schön em Dunkle schun­ke­le
wenn üvver uns de Stääne funke­le
Heide­witz­ka, Herr Kapitän
Mem Mülle­mer Böötche fahre mer su jän

Heier­mann.

Dieser Begriff ist mit dem Ende der DM gestor­ben. Als ich in Düssel­dorf wohnte oder später auch beruf­lich dort zu tun hatte, ging ich öfters in einen Jazz-Club. Da ging immer jemand mit einem Hut herum und rief: „Heier­mann“ – er wollte damit sagen, dass man ein 5 DM-Stück für die Band rausrü­cken sollte.

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Der Heier­mann – das alte 5‑DM-Stück (Archiv Müller)

Heiligs­blech­le.

Das hat einen inter­es­san­ten Hinter­grund. Das war der Hartz4-Ausweis des Mittel­al­ters. Eine Blech­mar­ke für die Armen, welche die Kirche an die Armen ausgab, womit sich diese dann die Armen­spei­sung oder andere Vergüns­ti­gun­gen sichern konnten. Und da es von der Kirche kam war die Blech­mar­ke eben heilig.

Zeiten ändern sich, die Bedeu­tung von Worten mitun­ter auch. Und so wurde eines Tages das Auto von Daimler und Benz das Heili­ge Blech­le der 60er Jahre. Das konnten sich aber jetzt nicht mehr die Armen leisten, sondern die Reichen (den Benzi­ner) und die Bauern (den Diesel). Und wehe irgen­do­i­ner macht mr n Kratzer in mei Heiligs­blech­le, na ischs aber zappaduschter.

Henich, hee.

Der Begriff „hee“ bedeu­tet so viel wie kaputt, aber auch tot. „Dui Maschee isch hee“ heißt, dass diese Maschi­ne kaputt ist. „Henich“ wird als Eigen­schafts­wort benutzt: des heniche Glomb = das kaput­te Gerüm­pel. „Mach des et hee, des derfsch et hee macha“ heißt nichts anderes als „mach das nicht kaputt“.

Und was man überhaupt nicht machen darf, da wird der Schwo­ab grätig: „Geld heemacha“. Also zum Beispiel eine Sammlung von Büchern, Schall­plat­ten, Brief­mar­ken anlegen, a nuie et neeti­ge Hos‘ kaufen o.ä.m. – des isch Geld heegmacht.

Leider ist es heute auch schon so weit gekom­men, dass man „sei Geld heemacht“, wenn man es auf die Bank bringt. Wo soll dees no nafie­ra……. Und d‘ Stadt will au no meine Äcker, damit Reige­schmeck­te dahan­na ihr Häusle baua kennet……I glaubs ja et.

Humanis­mus.

Das ist eine Haltung, die von der Achtung der Würde des Menschen geprägt ist und im Mittel­punkt allen Denkens steht der Mensch, die ihren Ausgangs­punkt in der Renais­sance hatte. Hört man auch heute in vielen Sonntags- und Feierreden.

Das humanis­ti­sche Gymna­si­um leitet seine Bezeich­nung von der Bildungs­idee der neuhu­ma­nis­ti­schen Bildungs­re­for­mer um Wilhelm von Humboldt im Zuge der Preußi­schen Refor­men ab. Die alten Sprachen Latein und Griechisch beherrsch­ten als „humani­o­ra“ die Stunden­ta­fel, daneben standen vor allem Mathe­ma­tik und „histo­ri­sche“ Fächer, Deutsch nur mit zwei bis drei Wochen­stun­den. Dazu kamen noch ein wenig Franzö­sisch und Physik/Naturkunde. In der öffent­li­chen Meinung zählten die Absol­ven­ten des humanis­ti­schen Gymna­si­ums lange zur Bildungs­eli­te. Obwohl seit der Oberstu­fen­re­form (ab 1972) die herkömm­li­chen Gymna­si­al­ty­pen hinfäl­lig sind, hält sich die Bezeich­nung „humanis­tisch“ für Gymna­si­en, die eine 5. Klasse mit Latein­un­ter­richt und Altgrie­chisch als dritte Fremd­spra­che zur Wahl anbieten.

Das 1526 gegrün­de­te Melan­chthon-Gymna­si­um in Nürnberg gilt als eines der ältes­ten Humanis­ti­schen Gymna­si­en im deutsch­spra­chi­gen Raum.

Das humanis­ti­sche Bildungs­ide­al blieb auf Kosten einer allum­fas­sen­den gewinn­ori­en­tier­ten Kosten-Nutzen-Handlungs­wei­se weitest­ge­hend auf der Strecke. Aufgrund der gesell­schaft­li­chen Zustän­de wäre eine neue Renais­sance durch­aus wünschenswert.

Ich les‘ dir gleich die Leviten.

Hier soll jemand ermahnt, getadelt oder geschimpft werden. Der Begriff geht auf das Dritte Buch Mose zurück, das auch „Leviti­kus“ genannt wird. Da es inhalt­lich überwie­gend um Verhal­tens­re­geln für die Benedik­ti­ner­mön­che geht, wurden diese meistens vom Bischof bei den üblichen Andach­ten und Bußübun­gen vorgelesen.

Kittel, Schür­ze und Blauer Anton.

Der Kittel war in der Regel der blaue Arbeits­kit­tel der Bauern. Später sagten die Männer auch zum Jacket Kittel. Die Kittel­schür­ze war der Kittel für die Frau, daheim am Herd, und der Blaue Anton war Arbeits­an­zug für die Männer, der auch bei der Feuer­wehr einge­setzt wurde.

Knicker­bo­cker.

Als Knicker­bo­cker bezeich­net man Überfall­ho­sen, die etwa waden­lang sind und beson­ders weite Beine haben. Gedacht waren die Hosen eigent­lich als strapa­zier­fä­hi­ge Beklei­dung für sport­lich aktive Männer wie Bergstei­ger und Wande­rer. Deshalb bestan­den sie früher auch aus Leder. Die Torhü­ter der Fußball­mann­schaf­ten trugen bis 1920 ebenfalls gern welche aus Leder, denn damit konnten sie sich gut vor Verlet­zun­gen schüt­zen. Dazu gehör­te selbst­ver­ständ­lich eine Schiebermütze.

Der ungewöhn­li­che Name geht auf die Satire „A Histo­ry of New York“ zurück. Diese wurde 1809 vom Autor Washing­ton Irving veröf­fent­licht, der dafür jedoch das Pseud­onym Diedrich Knicker­bo­cker verwen­de­te. Die Haupt­fi­gur trug den Namen Jansen Knicker­bo­cker. In der Satire wurden die ersten Siedler New Yorks beschrie­ben, welches damals noch als Neu Amster­dam bekannt war. Diese Siedler kamen aus Holland und trugen Hosen, die bis zu den Waden reich­ten. Aus diesem Grund wurde Knicker­bo­cker ein Spitz­na­me für die Menschen, die in der Stadt wohnten.

Seit dem Erfolg der TV-Serie „Peaky Blinders“ wurden die Knicker­bo­ckers wieder modern – leicht modifi­ziert eben.

Die berühm­tes­ten Träger war in meiner Kindheit und Jugend der Meister­de­tek­tiv „Nick Knatter­ton“, einer Comic-Figur, gefolgt von meinem Deutsch- und Erdkun­de­leh­rer am PGO „Dr. Sigurd Enders“. Auch er im komplet­ten Anzug (aller­dings ohne Mütze, sondern mit Hut); das Jackett aller­dings oft vollendet übergeworfen.

Und ich geste­he, ich habe eine Saison lang auch einen mit Fisch­grä­ten­mus­ter getra­gen, den ich von meinem Cousin Dolfi aus Fulda bekom­men habe. Den fand ich irgend­wie cool und bin damit sogar mal bei einem Fußball­spiel als Ersatz­tor­wart in der Klasse vom Huga-Paule im Tor gestan­den. Bei uns nannte man die Hose damals „Epfel­steh­ler­hos‘“.

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Der berühm­tes­te Knicker­bo­cker-Träger der Literaturgeschichte 

Koloni­al­wa­ren.

So bezeich­ne­te man früher, beson­ders zur Koloni­al­zeit, übersee­ische Lebens- und Genuss­mit­tel, wie z.B. Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewür­ze und Tee. Koloni­al­wa­ren-Händler impor­tier­ten diese Produk­te, die in Koloni­al­wa­ren­lä­den und ‑handlun­gen verkauft wurden. Der Koloni­al­wa­ren­han­del wurde statis­tisch vom Produk­ten­han­del und vom Manufak­tur­han­del abgegrenzt. Auch Oberko­chen hatte einen solchen Laden in der Heiden­hei­mer Straße – damals noch Langgaß‘.

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Das Koloni­al­wa­ren­ge­schäft „Kopp“ in der heuti­gen Heiden­hei­mer Straße Nr. xx (Archiv Müller)

Kultur­beu­tel.

Ein seltsa­mes Wort. Als ob die Kultur eines Landes in einem Beutel Platz hätte – na ja, mit Ausnah­me in Corona-Zeiten, da war so ein Beutel noch zu groß für die Kultur, denn die war em Oimr odr em A…..:-).

Ein Kultur­beu­tel, auch Neces­saire genannt, ist ein kleiner Behäl­ter zur Aufbe­wah­rung von Hygie­ne-Artikeln, zum Beispiel Zahnbürs­te und Zahnpas­ta, oder Utensi­li­en zur Nagel­pfle­ge wie Nagel­fei­le und Nagel­sche­re. Wenn das aller­dings alles ist, was der Deutsche als Kultur bezeich­net……. Da benut­ze ich lieber den Begriff Neces­saire – wie notwendig.

Kurschat­ten.

Ein Kurschat­ten ist eine Person, zu der, während einer Kur, ein enger Kontakt – meist von einem anderen Kurgast – aufge­baut wird. Er impli­ziert Erotik, die entste­hen­de Bezie­hung kann aber auch plato­nisch bleiben. Soweit die Defini­ti­on. In den 60er und 70er Jahren als man für alles und nichts eine Kur verschrie­ben bekam, waren Kurschat­ten sehr real und für die häusli­chen Partner­schaf­ten durch­aus gefähr­lich, sobald man sich nicht an die eiser­ne Regel hielt: „Gessa wird dhoim“. Heutzu­ta­ge, und da habe ich in den letzten Jahren eigene Erfah­run­gen gemacht, ist mehr der „Alkohol in der Gruppe“ das Haupt­pro­blem. Ansons­ten entstan­den natür­lich auch Freund­schaf­ten und Ehen, denn wie überall in der Welt gab es auch hier eine zerstö­ren­de und eine aufbau­en­de Wirkung.

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Der Kurschat­ten – die allge­gen­wär­ti­ge Gefahr während des Kuraufenthaltes

Lohntü­te.

Die Lohntü­te für die Arbei­ter und die Gehalts­tü­te für die Angestell­ten ist ein heute meist nur noch metapho­risch benutz­ter Begriff für die regel­mä­ßi­ge Barzah­lung des Gehalts. Arbeit­neh­mer wurden lange Zeit durch Barzah­lung am Zahltag entlohnt. Das Arbeits­ent­gelt wurde am Ende des Monats, wöchent­lich oder zweiwö­chent­lich in bar ausge­zahlt. Das Bargeld wurde aus Sicher­heits­grün­den in eine Tüte aus Papier verpackt, worauf oft die genaue Lohnab­rech­nung (Lohnzet­tel oder ein endlos langer Lohnstrei­fen) mit Brutto­lohn, Abzügen und Netto­lohn abgedruckt war. Dadurch konnte der Empfän­ger direkt durch Nachzäh­len den Inhalt kontrollieren.

Apropos Kontrol­le. Bei einigen wackli­gen labilen Zeitge­nos­sen, stand die Ehefrau pünkt­lich am Werks­tor, um die Lohntü­te mit Inhalt zu sichern, bevor der gelieb­te Gatte für unlieb­sa­me Umsatz­stei­ge­rung in den örtli­chen Kneipen sorgte – auch in Oberkochen.

Wir mir Frau Dörrich berich­te­te, hat mein Vati sein Geld immer sofort auf die Wingert’sche Bank in der Heiden­hei­mer Straße gebracht. Guter Mann.

Losch­i­herr bzw. Logschifraelein.

Nach dem Krieg (2. Weltkrieg) herrsch­te in Oberko­chen eine Wohnungs­not, wie man sie sich heute nicht mehr vorstel­len kann, wäga de Flichtl­eng, de Zeissia­ner ond sonschti­ge Reigschmeck­te :-). Aus diesem Anlass kamen viele Haushal­te in den Genuss eines solchen Herrn oder Fräuleins Losch­i­herrn. Für ihr Minizim­mer, natür­lich ohne Wasch­ge­le­gen­heit und ohne Abort kamen sie mit einer Miete von fünf Mark pro Monat davon. Das dem Mieter Entgan­ge­ne wurde durch diver­se Arbei­ten ausge­gli­chen. So hängte man dem Losch­i­herrn an: Holz machen, sägen, spalten, aufbei­gen, Kurzschlüs­se in der Elegd­roensch­dal­la­zio besei­ti­gen, den Garten schoren, im Wald Buacha­la lesa usw. Die Fräuleins beläs­tig­te man mit solchen engagier­ten Arbei­ten eher nicht.

Meede­la.

Hier sind Gemein­sam­kei­ten mit dem Wort Modali­tä­ten auszu­ma­chen. Es wird aller­dings anders gebraucht: „Meede­la macha“ heißt Umstän­de machen, sich umständ­lich anstel­len, sich zieren. „Jetzt mach koane Meede­la und schaff dei Sach’“ – stell dich nicht so an und mach deine Arbeit.

Mein lieber Freund und Kupferstecher.

Daran beißt sich die Sprich­wört­er­for­schung leider die Zähne aus; wir wissen es nicht. Man hat es mal dem Dichter Fried­rich Rückert zugescho­ben, der tatsäch­lich mit einem Kupfer­ste­cher befreun­det war.

Mors lehren

steht für die Bemer­kung Anstand, Beneh­men beibrin­gen oder jeman­den energisch zurecht­wei­sen und ist eine heute eher selten gewor­de­ne Redewen­dung. Die Ankün­di­gung, jeman­den „Mores zu lehren“, beinhal­te­te manch­mal eine unter­schwel­li­ge oder direk­te Drohung mit Gewalt­an­wen­dung, wie Züchti­gung gegen­über Kindern. Ich meine mich zu erinnern, dass Vati diesen Begriff mitun­ter verwen­de­te, aber auf die Umset­zung verzich­te­te. Und wie sagte Adolph Freiherr Knigge zu Gotthold Ephra­im Lessing: „Ach lieber Lessing, als dem jünge­ren von uns beiden steht es mir zwar nicht an, Ihnen Mores lehren zu wollen, aber was sein muss, muss sein… “

Mondschein­ta­rif.

Das war eine ermäßig­te Gebühr für das Telefo­nie­ren zwischen 22 und 6 Uhr. Er wurde 1974 vom Bundes­post­mi­nis­te­ri­um einge­führt und 1980 wieder abgeschafft. Er verur­sach­te zeitwei­lig Kapazi­täts­eng­päs­se. Damit verbun­den ist die Erinne­rung der Zeitzeu­gen an abend­li­ches Schlan­ge­ste­hen vor den, meist gelben, Telefonzellen.

Oberkochen

Die öffent­li­chen gelben Telefon­zei­ten – man musste Zeit mitbringen

Mugga­bat­scher.

Das ist eine schwä­bi­sche Erfin­dung des Tüftlers Erich Schumm, der diese am 25. Juli 1953 beim Patent­amt in München als Gebrauchs­mus­ter angemel­det hat – aller­dings unter dem Begriff Fliegen­klat­sche. Neu daran war insbe­son­de­re das Materi­al: weicher, elasti­scher Kunst­stoff sowie einem Gelenk zwischen dem Stiel und der Fläche. Für die Muggen brachen derbe Zeiten an, erst war der gelbe Fliegen­fän­ger, der seine ganze Schön­heit in der Küche entfal­te­te, dann kam der Muggen­bat­scher, anschlie­ßend die Windschutz­schei­be und heute hemmers gschafft – s‘gibt koine Mugga meeh! Die Chine­sen habe natür­lich den Batscher in Tennis­schlä­ger­art elektrifiziert.

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Ein Arbeits­kol­le­ge bei Leitz in Nanjing im Kampf gegen chine­si­sche Fliegen (Archiv Müller)

Mugge­fugg.

Ein kaffee­ähn­li­ches Getränk, ein heißes Aufguss­ge­tränk, dessen Zutaten wie Kaffee­boh­nen behan­delt werden und das in Farbe und Geschmack Bohnen­kaf­fee ähnelt. Die zum Ersatz der Kaffee­boh­ne verwen­de­ten Pflan­zen enthal­ten, im Gegen­satz zu dieser, kein Coffe­in. Es gibt Unter­schie­de zwischen Kaffee­er­satz, Malzkaf­fee, Getrei­de­kaf­fee, Zicho­ri­en­kaf­fee und Muggefugg.

Mulle.

Es gibt vermut­lich kein schöne­res Wort für Katze als Mulle. Versuchs mal zum Sprechen. Da entwi­ckelt sich sofort ein schönes Gefühl, während die Buchsta­ben aus dem Mund fallen. Und die ganz Alten kennen vielleicht noch das Lied, von der Bäuerin, welche die Katze verlo­ren hat:

D´Bäure hot d´Katz verlorn
weiß net wo´s isch
se suacht älle Winke­le aus:
„Mulle, Mulle, wo bisch?“

Im Höfle, im Gärtle,
was jammert se schwer:
„O Mulle, Mulle,
so gang mr doch her!“

I koch dir a Süpple,
tua Brocka drein­ei
O Mulle, liebs Mulle,
komm doch wieder heim.

Musik­box.

Eine ganze Genera­ti­on wurde durch sie geprägt. Sie stand in den Wirtschaf­ten, Eisdie­len, Kneipen überall wo sich die Menschen zur Gesel­lig­keit trafen. Die berühm­tes­te von allen war die Wurlit­zer, die aber nicht überall stand, die aber immer beson­ders toll aussah. Mit Einfüh­rung der Single begann dann der Sieges­zug. In manchen Kneipen wurde einfach dazu getanzt – bis in die Puppen.

Für die Pop-Charts war das ein ganz wichti­ger Absatz­markt. Kam eine neue Single auf den Markt, kam es nicht selten vor, dass durch die Vorbe­stel­lun­gen der Musik­box-Betrei­ber, der neue Hit sofort am Ausga­be­tag auf Platz 1 hochschoss.

Eine Beson­der­heit fanden wir in Ameri­ka – wo auch sonst. Der Ameri­ka­ner steht ja nicht von seinem Platz auf, geht zu einer Musik­box, zahlt, wählt und geht wieder zurück auf seinen Platz – nein, dort hatte jeder Tisch seine eigene kleine Juke-Box.

Eine beson­de­re Bezie­hung hatte der Chef Floria­no im Eisca­fe „Italia“ zu seiner Musik­box. Er hasste manche Lieder und zerbrach auch schon mal beson­ders lästi­ge Schei­ben. Warum er dann überhaupt eine hatte entzieht sich meinem Verständ­nis – zumal er auch kurz und knapp erklär­te: „Mein Eis-Café ist wie eine Kirche….“ Und somit ist manches seiner Verhal­tens­mus­ter erklärbar :-).

Mit dem Aufkom­men der Compact-Kasset­te und der CDs, die über den Walkman und den Discman abgespielt wurden, war es aus mit den großen Musikboxen.

Auf meiner letzten Wande­rung in der Schweiz habe ich in einem Lokal noch eine funkti­ons­fä­hi­ge Box stehen sehen; allein das Lesen der Titel machte mir schon reich­lich Spaß.

Oberkochen

Eine alte Musik­box in den Schwei­zer Bergen (Archiv Müller)

Nasen­fahr­rad.

Ganz wichtig – Bei Scrabb­le ist das Wort defini­tiv zugelas­sen :-). Nachdem wir keinen Lenker erken­nen können, muss es sich um eine Sehhil­fe handeln. Ein anderes Wort dafür wäre noch Spekuliereisen.

Erinne­run­gen an meine Kindheit: Mit Brille warst du raus, beim Fußball beschränkt einsatz­fä­hig, gelegent­lich gab es auch Hänse­lei­en. Und viele Famili­en hatten nur Geld für die Kranken­kas­sen­ge­stel­le, deren Bügel aus Draht waren und damit fühlte man sich einfach besch….. Ich habe sie dann jahre­lang nicht mehr getra­gen, mit der Folge, dass die Dioptrien­zahl massiv angestie­gen ist. Um mit einem „Mädchen zu gehen“, wie man das nannte, war dieses Vehikel auch nicht gerade förder­lich. In Fulda, der Heimat­stadt meiner Cousi­ne wurde ich Profes­sor genannt und damit war die Sache durch. Intel­li­genz­ler halt – für die Straße nicht brauchbar.

Wilfried „Billie Wichai“ Müller

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