Die Regionale Verbindungsschnellstraße
Der 2. Weltkrieg war gerade ein paar Jahre vorbei. Die Währungsreform und der Hunger hatten die Menschen fest im Griff. Die Not war allgegenwärtig.

Der Himmel auf Erden – a schlonziger Kardoffl-Salat
Der Schneiders-Done und sein Spezi Julius saßen nach Feierabend öfters aufm Benkle, vorm Haus. Man redete über die Familie, über dieses und jenes, so auch über einen Schweinebraten mit Spätzle und Soß und iibr Grombiera Salat (hochdeutsch Kartoffelsalat), auf den man schon viele Jahre verzichten musste. Der Done fing plötzlich an, über alle vier Backen vor sich hin zu grinsen. Da ist ihm wohl eine zündende Idee gekommen.
Elementarer Einschub.
Der Schwäbische Kartoffel-Salat bzw. Grombiera Salat ist die Universal-Waffe der schwäbischen Küche. Er schmeckt uns immer und ist klassische Beilage zu vielen Gerichten. Dr beschte kommt eindeutig ausm „Pfluag“ oder „vom Hättere“. Und die beste Kartoffel, die man dazu nehmen sollte (das ist meine persönliche Meinung), ist die Sorte „Belana“. Wie muss er sein? Schön schlonzig und eindeutig ohne Mayo!!! Und anderem Firlefanz.
Am darauffolgenden Wochenende marschierte der Done mutterseelenallein in aller Herrgottsfrühe, es war noch dunkel, in Richtung „Hinteres Härtsfeld“. Im „Vorderen Härtsfeld“ konnte er sein Vorhaben nicht durchführen, denn da war er ja bekannt. (Diese Entfernungen schaffen manche heute nicht mal mit dem E‑Bike :-)).
Fast an der Grenze zum Ries angekommen, stand ein großer, etwas einsam gelegener Bauernhof. Das war der richtige Ort. Er beobachtete aus sicherer Entfernung was sich so auf dem Bauernhof so tat und wie sich der Bauer benahm. Fürs erste war er mit sich und seiner Beobachtung zufrieden und so marschierte er wieder in Richtung Heimat nach Oberkochen.
Done und Julius saßen ein paar Tage später wieder auf dem Benkle und heckten miteinander einen gemeinsamen Schlachtplan aus. Julius war gleich so begeistert und wollte vor lauter Euphorie am liebsten gleich losmarschieren.
Der Schneiders-Done, (obwohl er Schneidermeister war, wie auch sein Bruder Josef) arbeitete damals bei den Geometern als Untergänger. Als solcher und ranghöher als der Messgehilfe durfte er die Messgeräte wie Kreuzscheibe, Nivellier etc. bedienen und auch Messungen durchführen.
Nun kam die Stunde X. Schwer beladen mit Kreuzscheibe, einem geometrischen Messgerät der damaligen Zeit, eine Art Nivellier, große Messlatte, einem Arm voller kleiner mit roter Farbe angestrichener Pfähle und einem großen Holzschlegel, nicht zu vergessen, eine Art Staffelei, denn es musste ja alles genau aufgezeichnet werden. So zog man mit einem kleinen Leiterwagen in Richtung „Hinteres Härtsfeld“.
Zum Julius sagte er noch einmal eindringlich, dass, wenn man beim Bauern sei, er absolut sei Gosch halta soll, denn verhandeln würde er selbst.
Verschwitzt, aber froh, dass alles so gut gelaufen war, kamen die beiden am nahegelegenen Waldrand an. Der Hof lag noch ruhig in der Landschaft. Es war keine Menschenseele zu sehen. Nur ab und zu krähte mal ein Gockel.
Done und Julius holten inzwischen ihr Handwerkszeug vom Leiterwagen und warteten. Plötzlich erklang vom Hof her Hundegebell und der Bauer, mit einer Mistgabel bewaffnet, trat aus dem Stall heraus in den Hof. Der Done schaute den Julius an und sagte: „Jul, jatzt gildets, du woisch was zom doa hascht, also los jetzt.“ Julius bewaffnet mit Pfählen, Schlegel und Messlatte, schritt langsam in Richtung Bauernhof. Done hatte sein Nivellier gesetzt und dirigierte lauthals schreiend seine Befehle. „Links, links, guat – Pfaohl. Auf Befehl Dones setzte Julius seinen Pfahl in die Erde. So kam man langsam und mit lauten Worten an den Bauernhof heran.
Durch die kommandoartigen Befehle neugierig geworden, kam der Bauer auf Julius zu und fragte was dies alles zu bedeuten habe. „Des muascht scho da Vermessungs-Oberinschineer froaga, i wois des net, i woes bloß, daß doa a Schnellverbendungsstroaß odr so ebbas ehnlichs na komma soll“. Dem Bauern stockte der Atem. Zwischenzeitlich war der Done mit seinem Nivelliergerät beim Julius und dem Bauern angekommen. „Was dean dr denn dao vrmessa?“, wollte der Bauer wissen. Der Done gab keine Antwort, er murmelte nur ganz geistesabwesend und dabei den Bauern anschauend „oh herrje, Bauer, ewig schad om dean scheana Hof“.
Der Bauer wurde schlagartig hellwach und forderte vom „Vermessungs-Oberenschinör“ eine klare Antwort. „Bauer“, sagte der Done „Bauer I sags ganz oogeera, doa kommt a nuia, broeda regionale Verbendungsschnellstraoß von Ulm in Richtung Nördlenga na und dui laoft grad midda durch da Hof durch ond dui Riesamischte kommt au weg“.
Der Bauer schaute den Done an, wurde erst käsweis und dann gelb und grün im Gesicht, dann rannte er ins Haus zurück. Nach geraumer Zeit erschien er wieder auf dem Hof, dieses Mal mit seinem angetrauten Weib. Der Done sagte zum Julius ganz leise „Jul, jatzt fangts a“. Es begann die große Diskussion, auf die der Done nur gewartet hatte. „Ob man nicht so eine kleine Kurve nae maola, also einzeichnen kennt“, meinte der Bauer. Er würde sich auch erkenntlich zeigen. Tief bestürzt schaute der Done den Bauern an und meinte todernst „bischt du denn verrickt, woischt du eigentlich was du von mir verlangscht, wenn des raus kommt, komm I für zea Jaohr ens Zuchthaus“.
Nun herrschte großes Schweigen in der Runde. Der Done hatte als erster wieder die Situation in der Hand. Er zog den Bauer am Hemdsärmel zur Seite. Ganz leise flüsterte er dem Bauern ins Ohr „Aognomma I dät a groaßa Kurv‘ om da ganza Hof nae maola, was dät nao bei dr raussprenga?“. Darauf der Bauer „I dät glattweg a halba Sau schbendiera“. Der Done guckt den Bauern an und meint todernst „du moinscht doch a halba Sau für an jeda von oos“.
Der Bauer jammerte, dass die beiden am liebsten mitgejammert hätten. Der Done sagte recht laut und etwas barsch zum Bauern: „Bauer, mach was d‘witt, mir ischs egal, mei Hof ischs ett“ und gab dem Julius neue Befehle, wo er seine Pflöcke einschlagen solle.
„Herrgottsdonndr“, meinte der Bauer „ka ma nemme mitanandr schwätza“? „Also guat“ meinte der Done: „I ha mrs iibrlegt, guat, zwoi halbe Säi ond die Stroaß lauft weit am Hof vrbei“. Der Done und der Bauer reichten sich die Hände und schlugen dreimal ein und der Sauhandel war perfekt. „iibermorga um d‘ gleich‘ Zeit komm I ond hol die zwoi halbe Säu ond vergiß mer ja net dia Innereie“. Gesagt, getan, Done und Julius packten ihre Mess-Utensilien zusammen, zogen ihre Pflöcke aus dem Boden und marschierten wieder zurück in Richtung Wald, wo man den Leiterwagen bepackte und ab gings zurück nach Oberkochen.
Zwei Tage später erschien der Vermessungs-Oberenschineer mit seinem Messgehilfen und einem Leiterwagen, um die zwei versprochenen halben Säue zu holen. Man lud sie alsbald auf und die beiden ganzen Kerle verschwanden mit den beiden halben Säuen alsbald.
Doch vor dem Nachhausemarsch ermahnte der Done den Bauer noch einmal inbrünstig d‘ Gosch zum halda. Wenn nicht, käme die Straße doch noch durch den Hof „ond zuadem, azenda dua I da Hof au no.“ Der Bauer hielt sein Wort und sprach zu keiner Menschenseele ein Wort.
Auch der Done und der Julius hielten beide ihr gegebenes Ehrenwort. Die regionale Verbindungsschnellstraße von Ulm nach Nördlingen wurde nie gebaut. Der Bauer war glückselig seinen Hof zu behalten. Und zwei Familien hatten in dieser schlimmen Zeit doch einige Monate etwas zum Essen.
Wer soll au dess glauba? Ha, wann‘s dr Murxle vrzeehlt – woiß ma‘s? Je unwahrscheinlicher eine Geschichte klingt, umso wahrer wird sie wohl sein.
Dr Amneschtie Schliggr
Diese Begebenheit hatte sich Mitte der ersten Hälfte der 1930er Jahre zugetragen. Wieder einmal saß der Schneiders Done mit seinem Spezl Josef auf der Bank vor dem Haus, tranken ein paar Gläschen Most. Und im Laufe des Abends wurden es ein paar mehr.
Sie sprachen über die Hühner- und Hasenzucht und Josef stellte fest, dass er einen neuen Rammler brauche. Woher nehmen und nicht stehlen? Geld hatte keiner von beiden. Sie saßen lange da, es fing langsam zu dämmern an und sie trielten so vor sich hin.

Kleinvieh macht auch Mist, aber mr hat au oigns Floisch aufm Deller (Archiv Müller)
Plötzlich zieht Josef lautstark die Nase hoch, schaut den Done so von der Seite an und meint: „Done, schmeckscht nex“? „Scho lang“ meinte der Done, stand auf, um zu sehen, wo der Duft von frischgebackenem Brot herkam. Er wurde gleich fündig und sah einige Laibe frischgebackenes Brot in einem Netz an der Türenklinke hängen. „Mein Gott“, sagte der Done, „a Stickle nuibachigs Brot ond a bissle Schmalz drauf, oder gar a Griabaschmalz, Josef, des wär‘s“. Die beiden schauten einander an und sagten nichts. Josef ergriff als erster das Wort und meinte: „Done, des gatt ett, des ischt doch mei Naochbr“. „Ach was“ meinte der Done „der isch reicher wia mir zwoi mitnander, zom Essa hat‘r au gnuag und s’Mehl isch em Iiberfluß dao“.
Beflügelt durch die paar Krüge Most stand der Done auf, überquerte Hof und Straße in Richtung Brotlaibe. Josef wollte doch auch was von dem Brot, stand auf und marschierte dem Done hinterdrein. Es ging alles ruck-zuck, der Brotlaib war aus dem Netz herausgesprungen und unterm Kittel verschwunden. Sie trotteten so ganz langsam, leger, halt so richtig ungezwungen in Richtung Kocherbrücke, blieben am Geländer stehen und schauten wie gelangweilt ins Wasser, so als ob nichts gewesen wäre.
Plötzlich bekam der Done richtige Stielaugen und meinte zum Josef „Guck no dao na, a Spätheimkehrer“. Josef drehte sich nach allen Seiten um sah aber niemanden. „I sieh neamad“. Dr Done meinte etwas leise sprechend „Du Sembl, dao guck na, a Schligger, der isch auf am Hoimweg, heut isch‘r halt a bissle spät dra“, ging vom Geländer weg und setzte sich neben der Brücke ans Kocherufer. Er griff mit der rechten Hand unter seinen Kittel, zupfte ein paar kleine Brocken vom Brot ab und warf immer etwas in Richtung Schligger. Dieser nahm die Brocken wohlwollend an und kam immer etwas näher auf den Done zu. Ein schönes Stück vom Brot legte er neben sich, was der Schligger dann auch sah. Noch zwei oder drei kleine Schritte und der Schligger war mit seinem langgestreckten Hals am Brot, um es zu fressen. Das hätte er lieber nicht tun sollen. Kaum war der Schnabel am Brot war auch der Done schon am Hals des Schliggers. Der kam nicht einmal mehr zum Schreien, da war ihm schon der Hals umgedreht. Der Done stand ganz gemütlich auf, schaute umher, ob auch niemand etwas bemerkt hatte, hielt sein Brot unter seinem Kittel fest und schlenderte langsam zum Bänkle zurück, wo noch ein halber Krug Most stand. Ein paar Minuten später kam der Josef mit dem Schligger unterm Kittel und fluchte gottsjämmerlich. Hat ihm doch der Schligger bei seinem Ableben noch einmal kräftig ins Hemd geschissen. Trotzdem, man macht es so wie es sich unter Freunden gehört: Man machte halbe-halbe und teilte ehrlich.
So vergingen einige Tage, das Brot und auch der Schligger waren schon eine Woche gegessen, da kam der Landjäger (Dorfpolizist) zu beiden ins Haus mit einer Strafanzeige wegen Diebstahls. Josef fing an zu jammern und sakrisch zu fluchen. „Des ka ja doch net sae, mir hent doch genau guckt ond koe Sau gsea, i mecht bloß wissa wer oao dao azoegt hat“? Großes Rätselraten, es ist bis heute noch nicht ans Tageslicht gekommen wer der oder die Anzeiger waren.
Man beratschlagte und besprach sich, wie und was man vor Gericht sagen oder nicht sagen solle.
Eine Woche später überbrachte dann der Landjäger höchstpersönlich beiden den Gerichtstermin. Es war der 30. Juli 1934 morgens um 10.00 Uhr in Aalen auf dem Amtsgericht. Die Anklage lautete auf „Diebstahl von einem Laib Brot und einer Zuchtente“ (Erpel). Der Done meinte, dass der Gerichtstermin gar nicht so schlecht wäre, denn der Hindenburg … weiter kam der Done im Gespräch nicht. „Was gatt denn mii dr Hendeburg a, dia ganze Wasserkepf dao doba, dia hant doch seiner Lebtag no nia an Duurscht oder Honger glitta, I blädier auf Mundraub – Schluß-Aus. Der Josef ließ nicht mit sich reden, egal was der Done ihm auch immer sagen wollte. Der Done sagte immer und immer wieder „Josef, i gibs zua ond du sottasch s au zuageba, woischt dr Hendeburg.“ Josef hörte nur den Namen Hindenburg und schon fing er an zu toben und das konnte er wie kein anderer.
Freitag, der 30. Juli 1934, der Tag des Gerichts war gekommen. Josef und der Done marschierten von Oberkochen einträchtig nebeneinander nach Aalen aufs Amtsgericht – denn Geld für die Bahnfahrt hatte keiner von beiden. Die paar Pfennige, die man hatte, brauchte man ja für den Rückmarsch. Es könnte ja sein, dass der Durst die beiden übermannen würde und dann müssten die beiden im „Schützen“ in Unterkochen einkehren, um evtl. ein Gläschen Bier zu trinken. Nun standen die beiden vor dem Richter am Amtsgericht. Die Anklageschrift wurde ihnen vorgelesen und lautete wie folgt: Diebstahl von einem Laib Brot und einer Zuchtente, einem Erpel. Die anderen Richter standen stramm hinterm Podium und verzogen keine Miene.
Der Richter fragte, ob sie PG (Parteigenossen) wären, was beide verneinten. So kam es wie es kommen musste. Der Done gab alles zu und verwies aber immer wieder auf den Hunger und die Not. Der Josef stritt alles ab und plädierte immer und immer wieder auf den Paragraphen des Mundraubes. Es half alles nichts. Beide Angeklagten wurden zu einer kleinen Haftstrafe verurteilt.
Der Richter fragte jeden, ob er die Strafe annehme oder nicht. „Jawohl Herr Richter“ schrie der Done lauthals. „Nein Herr Richter“ schrie der Josef „Ich gehe in die Berufung“. Der Richter hörte beide an, verabschiedete sich von beiden und meinte: „Ihr zwei werdet noch von mir hören“ und schickte sie aus dem Gerichtssaal. Sie marschierten gemeinsam wieder nach Oberkochen und redeten kein Wort mehr über das Geschehene.

Der alte Hindenburg
Am Donnerstag, den 2. August 1934 starb der Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg. Der Done jubelt innerlich, denn lt. Gesetz fallen bei so einem Fall alle kleinen Strafen und Vergehen unters Amnestie-Gesetz. Allen rechtmäßig Verurteilten wird in der Regel in so einem Fall die Strafe erlassen und sie werden begnadigt.
Und so kam es, dass der Done nun ein strafloser, freier Mann war und seine Strafe nicht absitzen musste. Der Josef aber musste einige Wochen später wieder vors Gericht, wo er eine kleine Strafe erhielt. Der Umfang der Strafe ist nicht bekannt. Nun beschwerte Josef sich natürlich beim Done, dass die Welt so ungerecht sei, denn beiden hätten dasselbe getan: Der Done sei freigesprochen, er aber bestraft worden.
„Woisch Josef“ sagte dann der Done, „I han doch de ganz Zeit sage wella, wega’m Hendeburg, dass der em Sterba ligt, abr du hascht me absolut et zu Wort komma lassa ond so ischs halt jatzt, woisch wama an Kriag gwenna will, derf ma scho zwischa nae amaol a kloina Schlacht verliera“.
Doch stolz war der Josef dennoch auf seine Untat. Die Schwanzfeder, welche er dem „Amnestie-Schligger“ aus dem Birzel gerupft hatte, trug er viele Jahre stolz an seinem Hut.
Dr Pfarrer em Rausch
Des Schneiders Done kam abends, es war ein heißer Sommertag, verschwitzt und zammeg‘schafft hoim. Er arbeitete damals im Bäuerle-Sägewerk im Schwörz. Der Durscht war so gottsallmächtig, dass man ums Trinken einfach nicht herumkam. Er hatte schon einen kleinen Steber, a klois Reischle halt.

Das alte Rathaus – rechts geht’s zur „Grub“ nauf (Archiv Müller)

Das ganz alte Rathaus mit Blick Richtung Süden (Archiv Müller)
Mit schweren Schritten stapfte er durchs Dorf, wo er beim alten Rathaus die Straße überquerte. Dort kam ihm der Dorfpfarrer entgegen. Gottesfürchtig wie er war, riss er seinen verstaubten Hut vom Kopf und grüßte den Pfarrer mit einer kleinen Verbeugung recht freundlich. Er wollte die Gartenstraße hochlaufen, weil das der kürzeste Weg nach Hause war. Er wohnte in der Sperberstraße, einen Steinwurf weg von der alten „Sonne“ des Wirtes und Metzgermeisters Alois Betz. Aber da konnte er nicht einkehren, denn seine Ehefrau, die Anna, hatte alle Fenster in Beschlag genommen und wusste wer in der Sonne aus- und einging. Also musste er sein Bier woanders trinken. Doch wie er am alten Rathaus vorbeimarschierte, bekam er einen ganz hohlen Magen. Es kündigte sich doch tatsächlich so eine Art Schwächeanfall an. Aber da war ja die „Grube“ nicht weit. Mit letzter Kraft schleppte er sich noch in die „Grube“ an den Stammtisch, wo er schwer schnaufend, einen Magenschnaps und ein Bier bestelle. Der Done erholte sich sehr schnell von seinem Schwächeanfall und so kam eine Runde nach der anderen dazu und dabei wurde recht laut und lebhaft über Gott und die Welt diskutiert.
Plötzlich wurde der Done etwas ernster, kniff seine Augen zusammen und sagte todernst: „Leit, stellat uich vor, I han da Pfarr‘ em Rausch gsea“. Großes Schweigen, man hätte eine Stecknadel fallen hören. Der Done bekräftigte nochmals seine Aussage, dass er den Pfarrer im Rausch gesehen häbe. Entrüstet äußerten sich einige Bauern und auch andere Gäste. Damit es auch jeder mitbekam, hatte der Done seine Wahrnehmung im Dorf nun überall herumerzählt.
Es kam wie es kommen musste, das Schicksal nahm seinen Lauf. Ein paar Tage später flatterte dem Schneiders Done eine saftige Anzeige wegen „Übler Verleumdung einer „Geistlichen Person“ ins Haus mit gleichzeitigem Gerichtstermin.
Sauber gerichtet, gestriegelt, gebügelt und glatt rasiert erschien der Schneiders Done vor Gericht. Er wusste ja mittlerweile den Weg auswendig. Der Richter musterte ihn von oben nach unten und von unten nach oben. Wahrscheinlich wollte er ihm etwas Respekt einflößen, was ihm aber nicht so richtig gelang.
Man kam zur Vorlesung der Personalien: Anton Fischer, Oberkochen etc. – etc. – etc., so ging es weiter bis zur Berufsbezeichnung.
„Ihr Beruf“, wollte der Richter wissen. Der Done schlug die Hacken zusammen, dass es nur so krachte, nahm dabei Grundstellung ein und sagte: „Herr Richter, von Berufs wegen bin ich Vorarbeiter und Hochstapler“. Dem Richter fiel beinahe der Zwicker von der Nase und er wiederholte seine Frage. Immer noch in Grundstellung (der Done hat es ja bei der Wehrmacht gelernt, schließlich war er schon zweimal Feldwebel) gewesen. „Herr Richter“, sagte der Done „I bee Vorarbeitr und Hochstapler“. Schließlich fragte der Richter ihn nach seiner Tätigkeit. Der Done sprach wie er es beim Militär gelernt hatte – kurz, laut, klar und deutlich: „Herr Richter, I schaff em Sägwerk, ganz vorna danna und dao duane Brietr hochstaple“. So waren die Personalien endlich geklärt und es kam zum Anklagepunkt.

Das alte Bäuerle-Sägewerk (gegenüber Haus „Mannes“) brauchte Platz – die Kapelle musste weichen (Archiv Müller)
Stimmt es, fragte der Richter: „Sie hätten gesagt, den Herrn Hochwürden, den Herrn Pfarrer im Rausch gesehen zu haben?“ – „Jawoll Herr Richter, so war’s ond dao kann i drauf schweera“.
Der Done beschwörte immer und immer wieder den Richter, dass er den Pfarrer „em Rausch“ gesehen habe. Diese Hartnäckigkeit machte den Richter stutzig. Er war ein alter erfahrener Jurist und dachte scharf nach. Plötzlich stand er von seinem Stuhl auf und beorderte den Schneiders Done zu sich ans Pult. Der Done zackig und in Grundstellung stand nun direkt vor dem Richter.
„Herr Fischer, ich frage sie, wer von euch zwei beiden, der Pfarrer und sie, wer hat nun den Rausch gehabt?“ Der Done kniff wieder seine spitzbübischen Augen zusammen und sagte: „Herr Richter da Rausch hann doch i ghett“. Der Richter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, stand auf und meinte, dass sich das hohe Gericht zur Beratung zurückziehe.
Nach einer Viertelstunde kam das hohe Gericht zum Urteilsspruch: „Freispruch wegen erwiesener Unschuld“. Die Gerichtskosten gingen zu Lasten der Staatskasse.
Der Done schmunzelte schelmisch vor sich hin und dachte sich: Wieder eine Schlacht gewonnen.
Schwarzpulver
In Oberkochen gibt es seit mehreren Jahrhunderten Familien-Namen die mehrfach, ja dutzendfach vorkommen. In meiner Geschichte geht es um den Johannes Hug (Spatza-Hans) und den Michael Gold (Marksa-Michl). Die oben genannten Personen waren Nachbarn und wohnten Haus an Haus getrennt durch einen kleinen Vorplatz, der dem Marksa Michl gehörte.
Der Spatza-Hans war ein gebürtiger Oberkochener. Von Beruf war er Hafner und Landwirt. Auch der Marksa-Michl war ein gebürtiger Oberkochener. Von Beruf war er Landwirt und Oberholzhauer bei der Realgenossenschaft Oberkochen. Zudem übte noch die Tätigkeit als Sprengmeister aus.
Nachdem nun beide vorgestellt wurden, wenden wir uns dem eigentlichen Thema zu, dem Schwarzpulver zu und was es damit auf sich hat:
Viele Oberkochner hatten in der damaligen Zeit einen sog. „(Holz-)Schlag“. Der Marksa-Michl holte wie jedes Jahr sein Holz vom seinem „Schlag“ aus dem Wald, sägte und spaltete es, um es anschließend auf dem Vorplatz vor seinem Haus fein säuberlich aufzubeigen. Das Holz war nun aufgestapelt und der Winter konnte kommen.

Eine etwas ungewöhnliche Holz-Beig
Der Marksa-Michl holte nun regelmäßig einen Korb Holz zum Kochen und für eine warme Wohnung. Eines Tages merkte er, dass das Holz rapide abnahm, was ihn sehr verwunderte. Machte sich da jemand an seinem Holz zu schaffen? Da kam Kommissar Schnee ihm zu Hilfe. Als er eines Morgens aufstand und aus dem Haus ging sah er eine frische Spur im Schnee, welche direkt vom Holz, zu seinem Nachbarn, dem Spatza-Hans führte. Jetzt hatte er die Vermutung, dass sich jemand an seiner Holzbeige bediente. Da er noch nicht wusste, wer es war, kam er auf eine kuriose Idee. Er bohrte einige Holzscheite an, füllte sie bedächtig und hingebungsvoll mit Schwarzpulver und stopfte die Bohrlöcher mit einem Holzpfropfen fein säuberlich zu und mischte sie wieder unter das gestapelte Holz.
Von diesem Zeitpunkt an wartete er, ob es in der Nachbarschaft irgendwo einen Knall gibt und ein Ofen in die Luft fliegt. Er musste nicht allzu lange warten, bis er den ersehnten Knall hörte und so war der Holzdieb schnell und effizient ermittelt. Wie zu erwarten knallte es beim Nachbarn, dem Spatza Hans.
Nach dem Knall stopfte der Marksa-Michl noch genüsslich seine Pfeife und machte sich auf den Weg zum Spatza-Hans. Michl betrat die Küche des Nachbarn und sah das Malheur und war über sein Werk selbst erschrocken, denn die Küche war total verrust und der Ofen samt Ofenrohr stand nicht mehr an der gewohnten Stelle, sondern lag in einer Ecke der Küche. Das Schwarzpulver hatte seine Wirkung offensichtlich reich entfaltet.
Der Marksa-Michl nahm seine Pfeife aus dem Mund sah dem Nachbar Johannes ins Gesicht und sagte ganz andächtig: „So Hannesle, gell, du stiehlsch mir koi Holz meh?“
Anmerkungen.
Dem „Murxle“, also dem Helmut Gold vom Dreißadal sei herzlich gedankt für die Überlassung der Geschichten. Und dem Hermann Metz, au ausm Dreißadal, wohnhaft in Breisach, danke ich für die schwäbische Überarbeitung des Oberkochner Dialekts – er ist inzwischen, mit seinem Einverständnis, mein Dialektbeauftragter für das Oberkochnerische und hilft mir in vielerlei Dingen.

Helmut „Murxle“ Gold (Archiv Schwäpo)
Kurz bemerkt (aus der Schwäpo vom 17.12.2019).
Hallo Murxle“, sagt man in Oberkochen, wenn man Helmut Gold trifft. Helmut nennt ihn kaum einer. Einer seiner Vorfahren war Markus Gold, der Namensgeber der „Goldenlinie“. In Oberkochen gibt es sechs Linien „Gold“.
Die „Alt-Oberkochener“ nannten Helmut Gold „Marksle oder Märksle“. „Letztendlich hat irgendein Idiot „Murxle“ zu mir gesagt, erinnert sich Helmut Gold und lacht. Der Spitzname, wohlgemerkt mit „x“ geschrieben, ist ihm bis heute geblieben.
PS:
Wer es nicht richtig lesen kann ja mal am Stammtisch in „dr Gruab“ vorbeischauen und Nachhilfestunden buchen – koscht halt zwoi Flascha Rotwein :-)“
Helmut Gold
Wilfried „Billie Wichai“ Müller